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Geburtswehen der Urbanität
Spectrum

Um die Pläne zur Erweiterung des Kremser Bauamts ist ein Kulturkampf entbrannt: hochwertige zeitgenössische Architektur oder dumpfes Beharren auf einem „harmonischen“ Stadtbild?

9. Dezember 1995 - Walter Zschokke
Wenn die Metropole Wien ihre Rolle in der europäischen Städtekonkurrenz unter anderem mit interessanter zeitgenössischer Architektur erfolgreich zu festigen versteht, warum sollten die niederösterreichischen Städte in der landesweiten Konkurrenz da hintanstehen – das dachten sich wohl der weltoffene Bürgermeister Erich Grabner und sein initiativer Baudirektor Wolfgang Krejs. Wer die Großbaustelle des Kulturbezirks in St. Pölten gesehen hat, weiß, daß die Auseinandersetzung um die vorderen Plätze im Rennen um zeitgenössische Kulturpräsenz intensiv und hart ist. Das Projekt „Kunst.Halle.Krems“ war Anfang der neunziger Jahre ein früher Glückstreffer. Die schwierige Situation bewältigte damals Adolf Krischanitz am besten. Heute ist der Bau ein Grundpfeiler der zeitgenössischen Architektur in Krems.

Krischanitz' Entwurf für ein kleines Bürogebäude zur Erweiterung des Kremser Bauamts mit nicht einmal 400 Quadratmeter Nutzfläche und einer Bausumme von vier bis fünf Millionen Schilling hat nun die lokale F-Bewegung unter Ausnützung der politischen Großwetterlage zum Anlaß genommen, einen Kulturkampf vom Zaun zu brechen. Dazu ist zu sagen, daß diese Art der Auseinandersetzung uralt ist. Immer wieder mußten sich neue Formen gegen dumpfes Beharren und gegen willentliches Unverständnis durchsetzen. Das galt für den Klassizismus gegenüber dem Barock wie für die Neorenaissance Gottfried Sempers gegen den dritten Aufguß des Rokoko in der Restaurationszeit; Jugendstil und Vormoderne standen, nicht zuletzt in Wien, unter dem Druck des eklektizistisch verknöcherten Akademismus.

Die meisten Kämpfe dieser Art fanden unter vordemokratischen Verhältnissen statt. Der private, nicht von tieferer Architekturkenntnis getrübte Geschmack eines Herrschers war maßgebend; oder, was schwerer wog, die Mißgunst einer mittelmäßigen Architektenclique, die sich unter der Führung des Malerarchitekten und „Rassentheoretikers“ Paul Schultze-Naumburg den Nationalsozialisten anbiederte und gegen angeblich „entartete“ Bauformen – wie die Bauhausarchitektur – vorging.

Tatsache ist, daß auch in einer von der Distanz der Jahre geklärten Rückschau nur in den wenigsten Fällen die von den Innovationsgegnern durchgesetzten Projekte einen wesentlichen Platz in der Architekturgeschichte beanspruchen konnten. So macht denn das von den Kremser Freiheitlichen gerühmte Projekt des örtlichen Hochbauamtsleiters im Ruhestand keine Ausnahme. Es erinnert eher an die „Stuttgarter Schule“ der dreißiger Jahre unter Paul Schmitthenner denn an historische Kremser Bauten. Dennoch würde man es – einmal errichtet – als schwachen Versuch erkennen, vergangene Stilformen mit untauglichen Mitteln wieder herbeizwingen zu wollen.

Denn seither haben sich die Arbeitsweisen und Materialien auf der Baustelle derart verändert, daß selbst bei einem guten Projekt das Herkunftsjahr sofort erkennbar würde. In seiner naiv anbiedernden Art würde es die wirklich alten Bauwerke der Nachbarschaft verunglimpfen. Den Bauten der Baumeister aus dem 18. und 19. Jahrhundert wird man nicht gerecht, indem man sie ungeschickt nachzuahmen versucht, sondern nur, indem man ihrer historischen Qualität heutige Qualität zur Seite stellt. Der Bau von Adolf Krischanitz hätte vor allem folgende Aussage gemacht: „Hier wurde Mitte der neunziger Jahre ein kleines Bürogebäude errichtet. Die gestalterischen Mittel sind minimiert, wie es in dieser Zeit von vielen Architekten angestrebt wurde.“ Daß der Architekt mit diesem Bau „sich selbst verwirklichen“ wollte und angeblich „das große Geld wittert“, sind Unterstellungen der Kremser Kulturkämpfer.

Der Anlaß ist relativ geringfügig. Doch die Art, wie die Auseinandersetzung geführt wird, die versuchten Untergriffe und die fehlende Bereitschaft, sich mit dem Bauschaffen unserer Zeit wirklich zu befassen, verlangen ein prinzipielles Eingehen auf den gesamten Komplex politischer (Un-)Kultur. Das Verhältnis von Architektur und moderner Demokratie ist jung und nicht so leicht zu durchleuchten. Der Gestaltungsakt als solcher ist in populistischer Weise nicht demokratisierbar, weil er Ausdruck ist von hochgradiger Durchdringung des Problems in technischer, funktioneller und ästhetischer Hinsicht. Die projektspezifische, aktive Sachkompetenz beschränkt sich auf die kleine, mit der Aufgabe unmittelbar befaßte Gruppe von Fachleuten. Allerdings ist es möglich, den Vorgang nachvollziehbar zu machen, sodaß er von Menschen mit entsprechender passiver Sachkompetenz und einer unkomplizierten Bereitschaft, sich von vorerst Ungewohntem nicht erschrecken zu lassen, verstanden werden kann.

Die Überforderung des einzelnen Bürgers durch die komplexen Sachgeschäfte wurde im Lauf der Weiterentwicklung der Demokratie erkannt, weshalb im Normalfall die gewählten Volksvertreter diese Arbeit leisten. Da diese in technischen wie in künstlerischen Disziplinen, zu denen im doppelten Sinn auch die Architektur gehört, überfordert sind, wurden Fachbeiräte ins Leben gerufen. Waren es vorerst die großen Landeshauptstädte, versuchen seit kurzem auch Mittelstädte diese Art der kompetenten Entscheidungsfindung zu nützen.

Freilich: Weil adäquat besetzte Fachbeiräte höhere Ansprüche stellen, als die lokale „Gemütlichkeit“ bisher zuließ, werden sie von einheimischer Seite gern ins Visier genommen. Doch gerade aus demokratiepolitischen Gründen wird darauf geachtet, daß die Fachbeiratsmitglieder nicht aus derselben Stadt kommen und in der fraglichen Zeit dort auch keine Bauaufträge bearbeiten.

Aber demokratische Verfahren kosten etwas. Die qualifizierten Köpfe eines Fachbeirats oder einer Jury konnten ihre Fachkompetenz nicht in der Shopping City Süd billig einkaufen. Polemische Anwürfe seitens der freiheitlichen Kulturkämpfer gegen „Experten aus Wien“ und unterschwellige Akademikerfeindlichkeit verweisen auf einen Konflikt, der mit zunehmender Urbanisierung auch der Landstädte neuerlich aufbricht: Architektur entspringt urbaner, ja großstädtischer Kultur. Deswegen ist das traditionelle Bauen nicht etwa „primitiv“, aber der direkte Zugang ist heute versperrt, weil der Weg der Erkenntnis nicht rückwärts gegangen werden kann.

Was in Krems zutage tritt, ist eine Neuauflage des Stadt-Land-Konflikts, bei dem sich die Verteidiger eines angeblich harmonischen Stadtbildes in ihrer ahistorischen und provinziellen Haltung sonnen. Eine barocke Fassade neben einer gotisch bestimmten wirkt nur scheinbar harmonisch, weil der Alterswert und die Gewöhnung der Einheimischen die strukturellen Unterschiede übertünchen. Erst wenn diese beiden Faktoren analytisch ausgeklammert werden, kann man zur städtebaulich-architektonischen Qualität vordringen, die damit diskutierbar und vergleichbar wird. Dann wird man auch merken, daß entwicklungsbedingte Brüche das Stadtbild erst interessant machen.

Hat man dagegen je gehört, daß sich „(Volks-)Bewegungen“ gegen das jeweils neueste Design der Automobile richten? Daß Autos zum Schutz des „harmonischen“ Bildes nach Jahrgängen oder Farben zu parken seien? Es zeigt sich, daß die „Kulturkämpfer“ sektoriell blind sind, daß sie willkürlich den anspruchsvollen Bereich der Architektur als Feld für unsachlich geführte Auseinandersetzungen gewählt haben, weil sie sich davon wahltaktische Vorteile erhoffen. Die Relativierung des Gegensatzes Stadt – Land durch die Omnipräsenz elektronischer Medien kann durch populistische Angriffe auf zeitgenössische Bauwerke nicht rückgängig gemacht werden. Auch wenn man die Gründe für die Verunsicherung anerkennt, der Weg kann nur über die Aneignung von Kompetenz führen. Diesem Zweck dient die auch in Niederösterreich in Gang gekommene Vermittlungsarbeit in Sachen Architekturkultur.

Die Auseinandersetzung mit Architektur erfordert ein genaues, lang geübtes Hinschauen. Wenn das Auge „sich beleidigt fühlt“, weil das Gehirn nicht auf dem heute möglichen Erkenntnisstand bezüglich Architektur angelangt ist, muß nicht unbedingt das anvisierte Gebäude daran schuld sein.

Das in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Österreich erreichte Niveau in der Architektur hat kürzlich im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt die gebührende Anerkennung gefunden. Mit dabei war neben anderen Bauwerken auch die „Kunst.Halle.Krems“. Eine kleinkrämerische Attacke auf diesen Erfolg aus der Froschperspektive des synthetischen Dorfes, verstärkt mit dem Zuckerguß der „Heile-Welt-Ideologie“, zeugt von einem vorsätzlich eingeschränkten Horizont. Diese Art der Polemik ist einer spannungsvollen Kulturentwicklung kaum förderlich.

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