Artikel

Drei Finger Richtung Bisamberg
Spectrum

Neue Wohnbauten des Büros Schwalm-Theiss & Gressenbauer in Wien zeigen: Wo die Architektur ihre Begründung aus der Lösung realer Bedürfnisse der Bewohner erfährt, verkraftet sie die Reibungsverluste durch ein schwieriges Umfeld.

25. Januar 1997 - Liesbeth Waechter-Böhm
Im Wiener Wohnbau gibt es einzelne wirklich spektakuläre Arbeiten - etwa das Wohnhaus in der Brunner Straße von Helmut Richter, die „Sargfabrik“ des BKK-2 oder die Wohnanlage in der Pilotengasse von Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Adolf Krischanitz und Otto Steidle. Es gibt aber auch eine beängstigende Vielzahl an Wohnbauten, deren architektonische Qualität selbst die bescheidensten Minimalansprüche bei weitem unterschreitet. Und dazwischen findet etwas statt, was man den gehobenen Wohnstandard nennen könnte, eine Art qualifiziert gebauten Konsenses.

Er wird in der Regel von Wohnbauspezialisten ausgeführt, also von Architekten, die sich weitgehend auf die Aufgaben des geförderten Wohnbaus konzentrieren. Otto Häuselmayer zählt dazu, Helmut Wimmer - und das Büro Schwalm-Theiss & Gressenbauer.

Letzteres hat im Süden Wiens, in der Othellogasse, eine der städtebaulich wie architektonisch gelungensten Wohnanlagen der letzten Jahre realisiert, an der Süßenbrunner Straße typologisch besonders interessante Wohnhäuser sowie am Mühlgrundweg einen weiteren höchst geglückten Wohnbau. Und in Eßling, in Sichtweite der neuen Schule von Günther Domenig, und im architektonisch so unsäglichen Stadterweiterungsgebiet an der Brünner Straße, unmittelbar beim Marchfeldkanal, gibt es ebenfalls Wohnbauten dieses Büros, denen man anmerkt, daß es sich darin wohnen läßt.

An der Brünner Straße tut man sich schwer dabei, den Bau überhaupt ausfindig zu machen. Denn hier, in diesem Häusermeer, kann es einem schon passieren, daß man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Oder anders ausgedrückt: Der Blick auf die wenigen bemerkenswerten Wohnhäuser wird speziell westlich der Brünner Straße von so vielen unangenehm lauten architektonischen Absonderlichkeiten verstellt, daß man versucht ist wegzuschauen.

Das wäre im Fall der Wohnhausanlage in der Ocwirkgasse aber ein Fehler. Denn die Wohnhäuser von Schwalm-Theiss & Gressenbauer demonstrieren nicht nur eine sehr noble, dabei schlichte architektonische Haltung, sie nutzen auch in städtebaulicher Hinsicht die spezielle Lage, den schönen Blick Richtung Bisamberg und Leopoldsberg.

Direkt an die Straße wurde ein relativ tiefer Trakt gestellt, demzusätzlich zu den vier Obergeschoßen noch ein Terrassengeschoß aufgesetzt wurde. Im rechten Winkel zu diesem Trakt an der Ocwirkgasse sind drei weitere Trakte angefügt, die wie Finger ins Gelände hinausgreifen und sich mit ihren Schmalseiten und den ausladenden Terrassen ihrer Umgebung, dem landschaftlich reizvollen Ausblick fast entgegenneigen.

Alles, worauf es im Wohnbau ankommt, findet sich hier: Städtebaulich erscheint diese Baukörperkonfiguration sinnvoll.Maßstäblich ebenso. Für die nötige Durchlässigkeit haben die Architekten durch einen geschickten Kunstgriff gesorgt, indem sie den Trakt an der Ocwirkgasse im Erdgeschoß aufgerissen haben. Hier sind auch die Nebenräume - etwa ein Abstellraum für Kinderwägen und Fahrräder - situiert.

Den Clou dieser Anlage stellt aber die Erschließung dar: Denn auf der Höhe des zweiten Obergeschoßes zieht sich ein Laubengang durch alle Bauten und verbindet in Form eines Steges sogar die einzelnen „Finger“ miteinander. Diese großzügige Geste ermöglicht einerseits den Rundumgang durch die Anlage, andererseits erfahren die an einer Seite offenen Höfe durch die Verbindungsstege eine räumliche Definition.

Die Tiefgarage ist großteils unter den Gebäuden situiert, sodaß zwei Höfe nicht unterbaut sind und voll bepflanzt werden konnten, wobei sinnvollerweise auf Eigengärten verzichtet wurde: So kommen die Höfe allen Bewohnern zugute, nicht nur jenen im Erdgeschoß, und die Unsitte der Zerstückelung, der Portionierung einer ansonsten sehr angenehmen Hofsituation wurde vermieden.

Visuell gibt sich die Wohnanlage betont ruhig, zurückhaltend, dabei städtisch: Für eine Rhythmisierung sorgen in den „Fingertrakten“ die Stiegenabgänge der Wohnungen des ersten Obergeschoßes in den Hof; hier drückt sich auch der Laubengang sichtbar in der Fassade aus. Darüber hinaus herrscht eine Geometrie der Wiederholung, die deutlich signalisiert, daß hinter dieser Fassade, hinter diesen Fenstern gewohnt wird.

Von einer Besonderheit wäre vielleicht noch zu berichten: Es handelt sich um einen eher ungewöhnlichen Wohnungstyp im Terrassengeschoß an der Ocwirkgasse, der eine Mittelgangerschließung hat. Dieser Mittelgang ist glasgedeckt, sodaß nicht nur für natürliche Belichtung, sondern auch für den malerischen Ausblick in den Himmel gesorgt ist. Eine solche Grundrißlösung muß man natürlich mögen - ein Mittelgang, an dem links und rechts die Zimmer hängen, aber wenn man es mag, dann erwartet einen hier Wohnqualität vom Feinsten.

Das läßt sich von den Wohnbauten des Büros Schwalm-Theiss & Gressenbauer ja ohnehin generell sagen, wiewohl grundsätzlich die Umstände, unter denen manche Wohnbebauungen am Wiener Stadtrand zustande kommen, mehr als bloß zweifelhaft sind. Der irrationale Zeitdruck etwa, mit dem die Planungen an der Brünner Straße durchgezogen wurden - vom Projektstart bis zur Einreichung nur elf Monate! -, ist im Grunde nicht zu verantworten. Und im Fall der Wohnbauten (samt Schule und Kindergarten) in Eßling gibt es eigentlich für den Standort generell einen Erklärungsbedarf. Denn verkehrsmäßig ist diese Siedlung so weit vom Schuß - von der U-Bahn-Endstelle nach Eßling braucht ein Bus fast eine halbe Stunde -, daß hier wirklich niemand ohne eigenen Pkw auskommt.

Die Stadt „endet“ nämlich viel früher, dann folgt peripheres, sehr, sehr locker bebautes Niemandsland, das die Grundeigentümer der Stadt Wien offenbar nicht verkauft haben, und dann kommt plötzlich wieder ein Stück Stadt-– ein Stück Stadt, bei dem auf eine städtebauliche Leitplanung überhaupt verzichtet wurde. Hier besteht der Städtebau gewissermaßen in der Grundstücksaufteilung auf die Genossenschaften und im unbegründeten Vorhandensein eines Fußweges. Rundherum: Felder - und im Süden ein kleiner Park. Schwalm-Theiss & Gressenbauer haben trotz solcher Widrigkeiten versucht, eine relativ kompakte, auch urbane Wohnbebauung zu schaffen, eine autarke Einheit, die für sich selbst steht.

Direkt an der Straße sind daher vier U-förmige Gebäude situiert, westlich schließen Doppelzeilen an. Ein angerförmiger Platz mit Nord-Süd-Orientierung bildet das gemeinsame Zentrum. Die Häuser haben durchwegs drei Hauptgeschoße, da hier aber eine sehr hohe Dichte gefordert war, gibt es auch noch ein Dachgeschoß. Schwalm-Theiss & Gressenbauer haben aus der Not eine Tugend und aus diesen Dachaufbauten in Form und Oberflächentextur (Eternit-Rhomben) das signifikante Charakteristikum dieser Häuser gemacht.

Wieder muß man von dieser Stadtrandanlage sagen, daß sie ihren Bewohnern etwas zu bieten hat. Die einzelnen Baukörper sind extrem schlank - nur etwa acht Meter tief -, was zwar den Vorteil der natürlichen Belichtung sogar eines Großteils der Nebenräume mit sich bringt, aber auch den Nachteil recht geringer Gebäudeabstände.

Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Architekten den Außenräumen beziehungsweise der Erschließung. Im wesentlichen schälten sie die Treppenhäuser aus den Gebäuden heraus, wodurch der Gang zur eigenen Wohnung sozusagen „veröffentlicht“ und damit bei aller Individualität des Wohnens doch zu einem kommunikativen Akt wird.

Das ist gerade bei einer solchen Stadtrandsiedlung eine sinnvolle Strategie, weil sie mithilft, einer drohenden Vereinzelung der Bewohner vorzubeugen.

Da die Wohnungen selbst nicht besonders groß sind, haben die Architekten auf einen offenen, flexiblen Grundriß besonderen Wert gelegt. Es gibt Schiebetüren und Faltwände, nur der U-förmige Raumteiler zwischen Wohn- und Kochbereich mußte schließlich doch fix eingebaut werden. Große Schiebefenster öffnen sich nach Süden, sodaß man die Wohnräume beinahe als loggienähnliche Freiräume auffassen kann, die sich allerdings durch Schiebeläden auch hermetisch abschließen lassen.

Egal, ob Brünner Straße oder Eßling, eines zeigen diese Wohnbauten klar: Wo die Architektur ihre Begründung aus der Lösung realer Bedürfnisse der Bewohner erfährt, da kann sie die Reibungsverluste durch ein schwieriges (gebautes) Umfeld verkraften. Wenn ihr diese Substanz abgeht, dann wäre sie besser ungebaut geblieben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: