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Durchs Wurmloch gerutscht
Der Standard

Zaha Hadids neues Galaxy Soho in Peking wartet noch immer auf Mieter. Dennoch baut die Architektin bereits den nächsten Shopping- und Bürokomplex.

4. Mai 2013 - Christian Y. Schmidt
Als das Galaxy Soho im letzten Oktober in Peking eröffnet wurde, suchten Presse und Architekturblogs für den Büro- und Geschäftskomplex nach Vergleichen: „Etwas Surreales“ habe der Bau, schrieb die chinesische Global Times, und sein Bauplan gleiche einem „zerschlagenen Ei mit zerlaufenem Eigelb“. Einig waren sich aber fast alle Beobachter darin, dass das Ensemble wie ein gerade gelandetes Raumschiff wirke, das von einem anderen Planeten kommt. Tatsächlich könnte man glauben, das exotische Gebilde sei durch ein Wurmloch aus der fernen Zukunft ins heutige Peking gerutscht und könnte sich auf ähnliche Weise jederzeit wieder verflüchtigen.

Mit der Britin Zaha Hadid hat das so surreal wirkende Ensemble allerdings eine ganz reale Architektin entworfen. Die Trägerin des renommierten Pritzker-Preises sagt, sie habe eine ganz besondere Beziehung zu China. Zum ersten Mal kam Hadid 1981 ins Land. Inzwischen hat sie hier insgesamt elf Projekte realisiert, darunter das ebenfalls spektakuläre Opernhaus von Guangzhou, das im Mai 2010 eröffnet wurde. Und aufgrund ihrer Erfahrungen mit China habe sie sich bei der Planung des Galaxy Soho denn auch nicht von Sciencefiction-Filmen inspirieren lassen, sondern von chinesischen Reisterrassen. Hadid, zutiefst überzeugt: „In Zukunft wird das hier als chinesisches Projekt gesehen werden.“

Das wird von Kritikern dieses Riesenkomplexes bezweifelt. Wie schon das angehängte Kürzel signalisiert, wurde das Galaxy von Soho gebaut, einer Firma, die in China seit 2001 über drei Millionen Quadratmeter Büro-, Einzelhandels- und Wohnfläche errichtet hat. Soho gilt als größter einheimischer Bauherr für Premium-Büroraum. Die Firma gehört zwar Pan Shiyi, einem ehemaligen Angestellten im chinesischen Ölministerium, und seiner Frau Zhang Xin, die beide auf Platz 21 der Forbes-Liste der reichsten Chinesen stehen. Sie ist jedoch nicht in Peking oder Schanghai registriert, sondern auf den Kaimaninseln in der Karibik, einer berüchtigten Offshore-Steueroase.

Solche globalen Firmenkonstruktionen gehören freilich auch in China inzwischen zum ökonomischen Alltag. Fraglicher ist, ob der 330.000 Quadratmeter große Komplex in seine chinesische Nachbarschaft passt. Sicher: Die terrassenförmigen, 60 Meter hohen kugeligen Türme, die geschwungenen „Himmelsbrücken“ und der dramatisch abgesenkte „Canyon“ dazwischen eröffnen dem Betrachter überwältigende An- und Durchblicke, denen sich kaum einer entziehen kann. Auch die 15.000 Besucher der Eröffnungsfeier zeigten sich begeistert.

Dass „der natürliche Rhythmus und Fluss der Stadt, der Umwelt und der Bevölkerung in das Design integriert wurden“, wie Zaha Hadid vorschwärmt, ist jedoch eine gewagte Behauptung. Reisterrassenfelder jedenfalls sind nur im Süden Chinas zu finden, tausende Kilometer von Peking entfernt, und die Bevölkerung, die an dieser Stelle in einem Hutongviertel in jahrhundertealten Hofhäusern wohnte, wurde abgesiedelt.

An dieser Tatsache ändert auch nichts, dass Zaha Hadid die klassische Pekinger Hofhausarchitektur zitiert, indem sie im Inneren der vier Riesengupfe ein paar glasüberdachte Innenhöfe angelegt hat. Und auch wenn Konstruktion und Form des Baus für sich allein betrachtet leicht, elegant und fließend wirken, so empfindet man den Gesamtkomplex in Relation zur übriggebliebenen Hofhausbebauung des südlich gelegenen Nanshuiguan-Hutong doch als etwas klotzig. „Ein autistisches Gebäude“, kommentierte ein Pekinger das Trumm in einem Online-Kommentar, und ein Anwohner empfahl bei China Radio International: „So etwas sollte außerhalb der vierten oder fünften Ringstraße gebaut werden.“

Eine Galaxie ohne Mieter

Eine viel wichtigere Frage als die, wie chinesisch der Komplex nun tatsächlich sei, ist jene, ob er im heutigen Peking auch wirklich gebraucht wird. Zwar behauptet Soho, sämtliche Einheiten im Galaxy seien bereits vor der Fertigstellung des Gebäudes verkauft worden, doch das hat in China nicht viel zu sagen. Im Zuge des anhaltenden Immobilienbooms werden Gewerbeflächen in der Hauptstadt aus rein spekulativen Gründen ohne Nutzungsabsicht erworben. Und so stehen bereits seit Jahren komplette neue Shoppingcenter und Einkaufsetagen in der Nähe des Galaxy leer.

Auch Sanlitun Soho, ein Büro-, Geschäfts- und Wohnkomplex, der vom japanischen Architekten Kengo Kuma ein paar Kilometer weiter ebenfalls für Soho geplant und errichtet wurde, hat seit seiner Eröffnung im Mai 2010 mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Einige Büroetagen sind nach wie vor unvermietet, und ein großer Teil der Läden hat noch immer keinen Mieter. In die restlichen Shops sind statt der erhofften Luxusmarken und Nobelboutiquen billige Nagelstudios und Änderungsschneidereien eingezogen.

Das Innere des Galaxy wirkt im Moment sogar noch desolater. Auf den drei Stockwerken, die für den Einzelhandel vorgesehen sind, ist bisher nur ein einziges Ladenlokal bezogen - und da residiert ausgerechnet ein Immobilienmakler. In den meisten Schaufenstern stehen Aufsteller, die um Mieter werben. Es sieht nicht so aus, als ob diese bald Schlange stünden.

Das hindert Soho nicht daran, in Peking weitere Büro- und Geschäftskomplexe zu entwickeln. Im Westen der Stadt entsteht bis 2014 Wangjing Soho, ebenfalls von Zaha Hadid entworfen, neben dem das alte Galaxy wie eine altbackene Apollo-Rakete aussieht. Wie ein Raumschiff Enterprise wird sich das futuristische Wangjing künftig über die Stadt erheben. Das muss wohl so sein, denn diesmal ist es die südchinesische Berglandschaft, die den drei Gebäuden des Wangjing-Ensembles Pate stand. Der höchste „Berg“ wird sich 200 Meter über die Stadt erheben, insgesamt soll der Komplex mehr als 500.000 Quadratmeter Nutzfläche umfassen - anderthalbmal mehr als das Galaxy.

An wen man das gigantische Ensemble vermieten will, steht ebenfalls in den Sternen. Aber vielleicht kommen die Mieter ja wirklich ganz plötzlich aus der Zukunft - durch ein Wurmloch gerutscht.
[ Christian Y. Schmidt (57) ist deutscher Journalist und Autor. Von 1989 bis 1995 war er Redakteur der Satire-Zeitschrift „Titanic“, heute arbeitet er als freier Autor für die „Berliner Zeitung“, die „Taz“ und den Blog „Riesenmaschine“. Seit 2005 lebt er in Peking. Zuletzt erschien sein Buch „Im Jahr des Hasendrachen“, Verbrecher-Verlag, Berlin 2013. ]

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