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Das Rad– ein Haus
Spectrum

Sie sind unter uns!“ – Nein, das neue Kulturzentrum im slowenischen Dorf Vitanje beherbergt keine Aliens, sondern hat die „Kulturisation“ des Weltraums im Sinn. Ein architektonisches Erlebnis der anderen Art.

13. Juli 2013 - Karin Tschavgova
Zugegeben, es gäbe Dringlicheres zu beschreiben. Selbst die Krise konnte das Baugeschehen nicht in ein Sommerloch stürzen. Berichte stünden an: von geplanten Investorenprojekten an höchst sensiblen innerstädtischen Plätzen in Graz, die dem öffentlichen Raum die kalte Schulter zeigen werden – geschlossene Fassaden, privatisierte Erdgeschoßzonen, vom Boom der baulichen Verdichtung zentraler Flächen mit Mittelmaß und Wenigem, das darüber hinaus ragt. Zu erzählen wäre vom zarten Sprießen kleiner, feiner Beherbergungsbetriebe im südsteirischen Weinland. Doch davon ein andermal.

Wovon heute berichtet wird, verlangt dem Leser Ausflugslaune ab, will er diesen Ort und seine neue Attraktion erkunden. Wir fahren in das slowenische Dorf Vitanje, südwestlich von Maribor am Fuß des Bacherngebirges. Dort ist neben Kuhweiden und Streuobstwiesen, zwischen Bach, Fußballplatz und Dorfstraße ein Fremdkörper gelandet – Landnahme eines Raumschiffs oder eines Unbekannten-Flug-Objekts?

Selbst wenn man von dem außergewöhnlichen Bauwerk, das sich „Cultural Center of European Space Technologies“ nennt, schon gehört oder gelesen hat, ist man vor Ort erstaunt ob seiner Größe, die sich gar nicht einfügen will in die kleinteilige dörfliche Bebauung, sondern sich selbstbewusst und singulär positioniert wie die Kirche oben auf dem Hügel und die gotische Peter und Paul-Kirche – drei Orte, die ein unsichtbares Dreieck aufspannen.

Tatsächlich ist es die gebaute Vision zweier kreativer Köpfe, des Designers Miha Turšič, der heute Direktor des Zentrums, ist und des slowenischen Theatermachers Dragan Živadinov, der sich seit 20 Jahren intensiv mit dem heimatlich mit Vitanje verbundenen, 1892 in Pula geborenen Raumfahrtpionier Herman Potočnik und seinen Visionen von der bemannten Fahrt ins All beschäftigt. Seine überraschend umfassend und konkret durchdachten und illustrierten Vorstellungen fasste dieser im Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums“ zusammen, das 1928 unter dem Pseudonym Hermann Noordung veröffentlicht wurde. In Jahr darauf starb der Wissenschaftler verarmt in Wien, seine Ideen wirken jedoch bis heute nach. Das Prinzip heute üblicher geostationärer Satelliten baut darauf auf. Wernher von Braun hat sich in seiner Arbeit auf ihn berufen. Der erste Satellit auf einer geostationären Umlaufbahn wurde 1964 exakt in jene Position gebracht, die Potočnik errechnet hatte. Die Raumstation in Stanley Kubricks Film „2001 – A Space Odyssee“, der auf einem Roman des technisch versierten Science-Fiction-Autors Arthur C. Clarke beruht, ähnelt eindeutig dem „Bewohnbaren Rad“, der ringförmigen Noordung'schen Raumstation mit einem Durchmesser von 30 Metern, die der friedlichen Erforschung des Weltraums dienen sollte.

Potočnik macht sich über die möglichen Seelenzustände von Raumfahrern in der Schwerelosigkeit Gedanken und warnt vor der Gefahr, dass Raumfahrt und Raketentechnologie für militärische Zwecke missbraucht werden. In diesem Wertebild sieht Živadinov, die treibende Kraft der Realisierung, ein geeignetes Vorbild für die Einrichtung einer Institution, die Forschung und Kunst verbinden, Wissenschaftler und Künstler zusammenbringen will – ein Programm zur „Kulturisation“ des Weltraums. In jahrelanger Überzeugungsarbeit gelang es den beiden, für das Vorhaben die Gemeinde und ihre Bewohner, die Republik Slowenien sowie die EU, die das 2,8 Millionen teure Gebäude maßgeblich mitfinanzierte, zu gewinnen. Das Kulturzentrum, in der slowenischen Kurzform KSEVT, will ein Generator von sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten sein. Es soll permanente und wechselnde Ausstellungen beherbergen, Ort für Symposien und Forschungsort für Studierende sein.

Auch die architektonische Entstehungsgeschichte des Gebäudes ist ungewöhnlich. Bevk Perovic, Dekleva Gregoric, OFIS und Sadar Vuga wurden ursprünglich zu einem Wettbewerb eingeladen, doch die vier international bekanntesten slowenischen Architekturbüros verweigerten zu konkurrieren und schlugen stattdessen vor zu kooperieren. Und tatsächlich wurde das Bauwerk in zahlreichen Workshops und Sitzungen vom Entwurfskonzept bis zur Ausführungsplanung gemeinsam entwickelt. Seiner Erscheinungsform ist unschwer abzulesen, dass sie von Potočniks Wohnrad der geostationären Raumstation inspiriert wurde. In einem kreisrunden Grundriss formt eine sich im Anstieg aufweitende Rampe die Ausstellungsfläche und zugleich den äußeren Ring um eine ebenfalls ringförmige, schmale Funktionseinheit, in der die Treppen, der Lift und Nebenräume zwischen zylindrischen Sichtbetonwänden verschwinden. Diese wiederum umfassen eine zentrale Halle, in der die Musikschule auftritt und Bälle und Konferenzen stattfinden.

Ins Dreidimensionale eines Gebäudes übersetzt, wird die Entwurfsidee zum komplexen räumlichen Gebilde aus zwei Zylindern, deren äußerer schräg über den inneren gestülpt ist. Steht man auf dem Vorplatz, entsteht im Kopf des Betrachters eine Rotationsdynamik, die durch einen äußersten, gegengleich geführten Ring verstärkt wird. Hinter einer aluminiumblechverkleideten Brüstung verbirgt sich der Abgang von der begehbaren Dachlandschaft, die als Ausstellungsfläche einbezogen werden kann.

In seiner ersten Ausstellung „100 monumentale Einflüsse“ stellt das KSEVT derzeit das visionäre Werk des vergessenen Visionärs Herman Potočnik Noordung in den Rahmen der Entstehungsgeschichte der Raumfahrttechnik bis heute – vom Direktor Miha Turšič als Designer sehr anschaulich und ästhetisch in Szene gesetzt. Ein weiteres Ergebnis der Suche nach Identität des jungen Staates wird eine Präsentation von großen slowenischen Köpfen sein.

Eine Veranstaltungsstruktur findet sich in dem im September 2012 eröffneten Haus noch nicht. Man würde sich wünschen, dass es sich tatsächlich zum Dampfkessel für neue Ideen einer fruchtbaren Verbindung von Wissenschaft und künstlerischer Tätigkeit entwickelt, dass es von den Bewohnern von Vitanje intensiv genützt wird und dass es zwar grenzenlos produktiv, im ökonomischen Sinn jedoch herrlich uneffizient existieren darf, ohne Schielen auf Besucherzahlen, Quote und Amortisation. Ein Gegenpol zu all der Investorenarchitektur, die uns glauben macht, dass das Ergebnis visionären Denkens Profitmaximierung ist.

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