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Schotter im Wohnbaugetriebe
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Besser und billiger sollte der Wiener Wohnbau in Zukunft sein - noch dazu unter objektiven Vergabemodalitäten. So weit die Theorie. Die urwienerische Praxis: Unvereinbarkeiten, fachliche Inkompetenz - und einige, die sich's richten können. Ein Zwischenruf

19. April 1997 - Liesbeth Waechter-Böhm
Es knirscht im Getriebe der Wiener Wohnbau-Maschinerie, in diesem vielteiligen Räderwerk spießt sich wieder einmal der Beziehungsschotter. Dabei ist Wohnbau-Stadtrat Werner Faymann mit einer so einleuchtenden Parole angetreten: Besserer, ökologisch richtiger und billigerer Wohnbau sollte es in Zukunft sein, der von der Stadt Wien forciert und gefördert wird, und das noch dazu unter objektivierten Vergabemodalitäten.

Das hat sich in der Tat gut angehört, und politisch ließ es sich auch gut verkaufen. Das Zauberwort heißt „Bauträger-Wettbewerb“ und beruht auf einem Wettstreit der Genossenschaften um die Zuteilung von Grundstücken, die der WBSF - der Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds - für geförderten Wohnbau zur Verfügung stellt.

Die Grundüberlegung war naheliegend und einleuchtend zugleich: Man nötige Bauträger zu einer Arbeitsgemeinschaft mit Architekten und Generalunternehmern, diktiere relativ rigorose Förderungsbedingungen, zwinge sie dazu, sich mit ihrer Planung einer nach allen fachlichen Gesichtspunkten abgesicherten Jury zu stellen - und herauskommen müßte eigentlich der bessere und kostengünstigere Wiener Wohnbau.

Das tut er in der Tat, und insofern ist die politische Rechnung von Werner Faymann aufgegangen. Denn das neue Verfahren soll dazu geführt haben, daß die Quadratmeterpreise bei den neueren Wiener Wohnbau-Projekten um 2000, bis sogar 3000 Schilling gesenkt werden konnten.

Das Wörtchen „soll“ hat hier eine mehrfache Bedeutung. Denn die Kostengarantie „soll“ zwar bei Strafe eingehalten werden - ein Pönale von bis zu drei Millionen Schilling steht im Raum und eine Sperre von Aufträgen der Stadt Wien bis zu fünf Jahren, was einen Bauträger ruinieren kann - , Tatsache ist aber: Es gibt noch keinen einzigen realisierten Bau aus einem solchen Bauträger-Wettbewerb.

Und wenn man nur die letzte Runde nach diesem Verfahrensmuster hernimmt - sie betrifft zwei Areale im Süden Wiens, an der U6, nahe der Perfektastraße und das Gelände „In der Wiesen“ - und wenn man sich vor Augen hält, daß diese Wohnbauten möglicherweise im Jahr 2005 fertig sind, dann „sollte“ man sich schon allerhand fragen.

Zum Beispiel, ob es denn überhaupt eine Instanz der Nachkontrolle geben wird, die überprüft, ob all die Holzfenster, die jetzt zwecks der besseren Jurierungsoptik in die Projekte hineingezeichnet sind, auch wirklich ausgeführt wurden.

Aber die Fragen, die sich heute - gerade am Beispiel des Doppelverfahrens „Perfektastraße“ und „In der Wiesen“ - wirklich zwingend stellen, betreffen viel handfestere Themen. Sie betreffen zum einen den Modus der Vergabe der Grundstücke an die Bauträger, weiters die Bedingungen, unter denen die Verbilligung und Verbesserung des Wiener Wohnbaus erreicht wird, und sie betreffen vor allem auch die Modalitäten der Jurierung.

Fangen wir in der Mitte an: Alle ächzen und stöhnen, weil sie durch die Bauträger-Wettbewerbe in die Zange genommen werden. Die Bauträger investieren pro Projekt gut und gerne eine halbe Million Schilling, ohne letztlich zu wissen, wie es dann ausgeht; die Bauwirtschaft ist gezwungen, so kostengünstig wie nie zuvor zu kalkulieren; und die Architekten liefern Projekte ab, die immerhin so genau durchgearbeitet sein müssen, daß man auf dieser Basis Kosten errechnen kann, die in der Umsetzung auch einzuhalten sind.

Der Architekt muß also eine weit umfassendere Leistung erbringen, als sie bei einem üblichen Wettbewerb gefragt ist, wiewohl die Bedingungen, zu denen er diese Leistung erbringt, völlig ungeregelt sind. Das heißt: Sie sind dem Bauträger überlassen. Die MA 24 zum Beispiel, nunmehr gezwungen, ebenfalls in die Rolle des „Bauträgers“ zu schlüpfen, entlohnt ihre projektierenden Architekten; und mancher andere Bauträger tut das nobel auch; aber es gibt eine ganze Reihe vornehmlich konservativerer Genossenschaften, die bislang auf eine 08/15-Architektur gesetzt haben und jetzt gezwungen sind, ungewohnte planerische Anstrengungen zu unternehmen - denen ist dieses Risiko zu groß.

Der bessere, billigere Wiener Wohnbau kommt also unter teilweise recht ausbeuterischen Vorzeichen zustande. Das sollte man festhalten.

Ganz problematisch wird es aber, wenn man sich das Verfahren im engen Sinn, wenn man sich die Teilnehmer und die Jurierung ansieht. Da wurde doch tatsächlich eine 17köpfige (!) Jury installiert, um die Projekte zu beurteilen. Und da gibt es zwar Bauträger-Vertreter und Fachleute aller Art, aber die Architekturspezialisten selbst sind deutlich in der Minderzahl - selbst bei relativ großzügiger Interpretation des Begriffs stößt man auf keine fünf. Das ist natürlich sehr fragwürdig. Denn die Erfüllung ökologischer Kriterien läßt sich durch Daten und Fakten argumentieren, ebenso die ökonomischen Qualitäten eines Projekts. Man bewegt sich sozusagen auf vermeßbarem Terrain.

Bei der Planung ist es hingegen viel schwieriger, Qualitäten zu beurteilen und zu argumentieren. Trotzdem stimmt aber eine Jury darüber ab, die mehrheitlich auf diesem Gebiet nicht qualifiziert ist. Und das führt zu denkwürdigen Ungereimtheiten. Ohne Namen zu nennen, hier ein paar Beispiele: Da legt ein Architekt mehrere Projekte für verschiedene Bauplätze vor, die aber alle auf dem gleichen System basieren; einmal gewinnt er, dort wird dieses System gelobt; zweimal verliert er, das gleiche System wird verdammt. Oder: Ein Siegerprojekt sieht eine gläserne Schallschutzwand vor, sie findet Anerkennung. Ein Verliererprojekt sieht für dieselbe Situation eine gläserne Schallschutzwand vor, sie wird für schlecht befunden. Oder: Einem Projektanten werden westorientierte Wohnungen und zum Laubengang hin gelegene Schlafzimmer vorgeworfen, die es in Wirklichkeit aber gar nicht gibt. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Nun finden sich in jedem Jury-Protokoll Ungereimtheiten, das mag sein. Aber normalerweise hält sich eine Jury an die Regeln, die sie sich selbst auferlegt. In diesem Fall besteht die Regel in einem Punktesystem, nach dem jeweils die Kategorien „Ökonomie“, „Ökologie“ und „Planung“ beurteilt werden. Das - nicht erreichbare - Punktemaximum beträgt in jeder dieser Kategorien 100, wer auch nur in einer Kategorie unter 50 Punkten bleibt, scheidet aus. Der Punktedurchschnitt aus den drei Kategorien wird am Ende verglichen, wer den besten hat, der gewinnt - tut es aber nicht immer.

Denn es ist schon vorgekommen, daß die einen zwar einen besseren Punktedurchschnitt haben, aber nach einer Jury-Abstimmung trotzdem derjenige gewinnt, der einen Punkt darunter liegt. Das ist ungefähr so, als könnte der Schiedsrichter bei einem Fußballspiel, wenn es 3:0 für die falsche Mannschaft steht, einfach die Regeln ändern.

Schließlich ein letzter Punkt: Er betrifft die Teilnehmer des Verfahrens und die Zusammensetzung der Jury. Vergleichsweise harmlos ist es noch, wenn ein Architekt für einen Bauplatz ein Projekt vorlegt, für den er zuvor den städtebaulichen Masterplan entwickelt hat. Das heißt, er plant sozusagen sein eigenes Projekt weiter. Um beim sportlichen Vergleich zu bleiben: Das ist wiederum so, als würde beim 100-Meter-Lauf einem der Teilnehmer ein Vorsprung von zehn Metern eingeräumt; natürlich kann man theoretisch gegen ihn gewinnen, aber praktisch ist es unheimlich schwer.

Wie gesagt, es ist das harmlosere Problem. Daß in der Jury Leute sitzen, die selbst beim Verfahren mitmachen, das läßt sich dagegen nicht verharmlosen. Das gilt leider auch für Architekten, es gilt aber vor allem für Bauträger-Vertreter, die dann sowohl im eigenen Namen als auch über Tochterfirmen Projekte vorlegen. Wo in aller Welt hat es je eine Jury gegeben, in der eine solche Vorgangsweise für zulässig erachtet worden wäre?

Kein Wunder, daß manche Bauträger immer erfolgreich sind - und andere nie. Kein Wunder auch, daß manche Architekten sagen, eigentlich kann man auch ein leeres Blatt abgeben, wenn nur der Name des richtigen Bauträgers draufsteht. Und da nützt auch kein Argumentieren, daß die Betroffenen bei den eigenen Projekten ja nicht mitstimmen.

Wie das läuft, wenn 17 Leute tagelang zusammensitzen und dann einer im entscheidenden Moment mit rücksichtsvoller Diskretion den Sitzungsraum verläßt, das kann man sich vorstellen, es braucht gar nicht viel Phantasie dazu.

Man kann sich aber auch vorstellen, was es heißt, wenn ein engagierter Architekt einen Bauträger von der Notwendigkeit überzeugt, konzeptiv zu denken, einen neuen, weniger ausgetretenen Weg beim Wohnbau zu beschreiten, und der Bauträger (samt Architekt) dann auf Grund solcher Mechanismen scheitert - und das nicht nur einmal.

Unter solchen Umständen kann von einem objektivierten Verfahren beim besten Willen keine Rede sein. Es mag eine andere Art von Verfahren sein, mit dem auf einer bestimmten Ebene tatsächlich Erfolge erzielt worden sind; aber auf der Ebene der Vergabe haben sich die entscheidenden Leute wieder einmal darauf verstanden, „sich's zu richten“.

Das ist ein sehr, sehr wienerischer Sachverhalt: Eine an sich vielversprechende Initiative wurde scheibchenweise, unmerklich in ihr Gegenteil verkehrt, und alle verschließen davor die Augen.

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