Artikel

Das Ende aller Architektur?
Spectrum

Drei Wochen ist die sechste Architekturbiennale in Venedig alt, und noch immer will sich nicht eins zum andern fügen. Was man sieht, ist so disparat, daß sich trotz längerer Reflexion keine Zusammenhänge erkennen lassen.

5. Oktober 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Geschafft: Jetzt gib es also eine Architekturbiennale, die dem biennalen Kunstspektakel in nichts nachsteht. Stolz gab es die Biennaleleitung, an der Spitze „unser“ Hans Hollein in seiner Eigenschaft als erster nicht-italienischer Biennaledirektor, bei einer Pressekonferenz auf den Giardini bekannt; übrigens unter der Rekonstruktion eines Zeltes, das Frei Otto 1963 für die Internationale Gartenausstellung in Hamburg entwickelt hat und das jetzt als weithin sichtbares Zeichen am Eingang zum Biennalegelände fungiert. Nach Anzahl der teilnehmenden Länder und Architekten, nach Ausstellungsfläche und Quantität an Veranstaltungen, nicht zuletzt gemessen an den Hundertschaften von Journalisten, stellt diese sechste Architektur- Biennale ihre Vorgänger zweifellos in den Schatten.

Das ist nach den Jahren der langwierigen, trägen Entwicklung in Richtung auf die Institutionalisierung einer solchen neuen, zweiten Veranstaltungschiene auf dem Gelände der Giardini immerhin bemerkenswert. Denn seit den Tagen der „Strada Novissima“ im Jahr 1980 - dem ersten massiven Auftritt der Postmodernen -, damals unter der Direktorenschaft von Paolo Portoghesi, kam es nur noch 1991 zu einer Architekturbiennale, die auch internationale Relevanz bewies. Zur Erinnerung: Bei dieser Gelegenheit wurde der neue Electa- Pavillon von James Stirling eröffnet, und die Österreicher trugen den Sieg für die beste nationale Präsentation davon.

Und jetzt also - ein Paukenschlag, der den Vorsprung der langen Tradition des Kunstevents wettmacht. Von ein, zwei Ausnahmen abgesehen, sind alle Nationenpavillons bespielt, es gibt eine umfangreiche thematische Zentralausstellung, und es findet - unter der Bezeichnung Biennale-„Patronanz“ - auch außerhalb der Giardini eine Reihe von Ausstellungen statt, wiewohl Hollein auf Grund budgetärer Kürzungen auf ein Lieblingsprojekt verzichten mußte: die Ausstellung internationaler Architekturschulen.

Es ist also viel zu sehen an der Lagune - viel und wenig zugleich. Denn die Zentralausstellung „Sensing the Future“ ist ohne Zweifel eine Enttäuschung. Was bietet sie? Eine Ansammlung vielfach publizierter Projekte, die einer illustren Autorenschaft zu verdanken ist. Aber es könnte alles über dieser Ausstellung stehen: Sie kann „Sensing the Future“ heißen, sie könnte aber auch mit „High-Tech“ oder „Postmodern“ oder „Dekonstruktivismus“ oder was auch immer überschrieben sein. Der Titel würde in jedem Fall auf einen Teil der gezeigten Arbeiten zutreffen, auf den anderen Teil eben nicht.

Man kann das Hans Hollein nicht wirklich vorwerfen - so war es immer, auch bei den Kunstbiennalen. Aber eine gewisse Enttäuschung bleibt zurück. Na schön, wir sehen das Max-Reinhardt-Haus des Peter Eisenman und das Teneriffa-Projekt von Leon Krier; wir sehen neue Arbeiten von Herzog & de Meuron und den Kansai Airport von Renzo Piano. Aber welche Botschaft nehmen wir mit?

Es gibt natürlich allerhand anzumerken, in bezug auf den Auftritt der Österreicher zum Beispiel. Der war massiv, das immerhin haben wir Hans Hollein zu verdanken. Niemals zuvor war Österreich auch nur annähernd so gut in Venedig repräsentiert. Aber Sinn hat dieser Auftritt trotzdem nur zum Teil. Denn: Unter dem Titel „Sensing the Future“ kann man die Musikergedenkstätten einer Elsa Prochazka halt nur schwer verkaufen, und zwar umso schwerer, wenn dann etwa das Jüdische Museum eines Daniel Libeskind fehlt. Und solche Ungereimtheiten gibt es zuhauf: Sir Foster ist natürlich da, aber Sir Rogers nicht - wieso eigentlich nicht? Und wieso sind ein paar mehr oder weniger belanglose Einfamilienhäuser des Ettore Sottsass einen ganzen Raum wert und so viele ungleich bedeutsamere Projekte von mindestens so illustren Autoren nicht?

Außerdem hat Hollein etwas eingeführt, was nicht gerade sympathisch ist - eine Zweiklassengesellschaft. Denn in der Zentralausstellung gibt es eine erste und eine zweite Garnitur, wobei letztere unter dem Titel „Emerging Voices“ rangiert. Im Klartext: Nummer eins sind Günther Domenig, Walter Pichler und die Coop Himmelb(l)au, zweite Kategorie sind Adolf Krischanitz, Rüdiger Lainer, Henke/ Schreieck und Elsa Prochazka. Wie gesagt, man muß Hollein zugute halten, daß mehr Österreicher denn je bei der Biennale präsent sind. Da gibt es die sieben Auserwählten im Zentralpavillon - über die Auswahl selbst kann man streiten, meinem Gefühl nach ist sie viel zu Wien-lastig -, dann gibt es in einer kleinen, komprimierten Schau über die Avantgarde der fünfziger, sechziger und beginnenden siebziger Jahre ebenfalls eine Reihe von Österreichern; im australischen Pavillon hat sich eine Ausstellung internationaler Architekturphotographen eingemietet, auch da sind mit Margherita Spiluttini und Gerald Zugmann Österreicher dabei; schließlich stößt man in der Fondazione Querini Stampaglia, im Rahmen einer Präsentation des Hombroich-Projekts, auf Raimund Abraham und auf der Giudecca gar auf die Präsentation des Pfaffenberg-Wettbewerbes, den die Hollitzer Baustoffwerke für Bad Deutsch-Altenburg ausgelobt haben.

Diese massive Präsenz der Österreicher ist sicherlich aufgefallen. Und das umso mehr als der Wiener Stadtrat Hannes Swoboda bei der Eröffnung im Österreich-Pavillon das Sakrileg beging, vor ausländischen Gästen zu behaupten, die österreichischen Architekten seien die besten der Welt. Damit macht man sich nicht beliebt.

Im übrigen: Wie bei allen derartigen Großveranstaltungen bringt einen auch eine längere Reflexionsphase inhaltlich nicht weiter. Was man sieht, ist so dis-parat und willkürlich, daß sich Zusammenhänge nur mutwillig konstruieren lassen, von selbst stellen sie sich nicht ein. Der japanische Pavillon mit seiner Botschaft „vom Ende aller Architektur“ wurde schließlich nicht zufällig Biennale-Preisträger. Im Großaufgebot nationaler Eigentümlichkeiten konnte diese architektonische Sendepause ihre Wirkung tatsächlich nicht verfehlen.

Und sie hatte ja auch ein übermächtiges Gegenüber: die Präsentation des Walt-Disney-Konzerns im amerikanischen Pavillon - Ausstellungskommissar: Thomas Krens, seines Zeichens Guggenheim-Direktor -, die jeden Architekturinteressierten das Fürchten lehrt. Die Disney- Leute selber mögen davon reden, daß sie einen Traumbauen; aber aus der Distanz betrachtet, stellt sich dieser Traum ganz schnell als beklemmende Architekturlüge heraus. Es ist ziemlich schlimm, was einem da architektonisch vorgesetzt wird. Und es ist auch ziemlich schlimm, daß keiner der großen internationalen Stars die Gelegenheit ausgelassen hat, für Disney zu projektieren. Als habe jeder - von Hollein bis Isozaki - seinen Architekturobulus an den Disney-Konzern entrichten wollen, wohl wissend, daß nur das wenigste davon jemals gebaut werden wird. Denn das Bauen, das besorgen - von Ausnahmen wie Aldo Rossi oder Frank Gehry abgesehen - eben doch die Herren Graves oder Stern und wie sie sonst heißen . . .

Normalerweise ist der Biennaledirektor gleichzeitig auch italienischer Ausstellungskommissär. Auf diese Ehre hat Hollein zugunsten von Marino Folin verzichtet. Der lieferte eine Italien- Sektion, die jeder Beschreibung spottet - dicht, dichter, am dichtesten und gruselig obendrein. Denn jeder teilnehmende Architekt hat einen Bestandteil seiner präsentierten Arbeit, wie banal der auch immer sein mag, eins zu eins nachgebaut. Die Architekturausstellung als Erlebniswelt, Disney in einer europäischen - und insofern dilettantischen - Variante, die es unmöglich macht, das Gute vom Schlechten zu scheiden.

Die Franzosen hingegen haben sich einer ähnlichen Strategie wie die Österreicher bedient und zeigen gewissermaßen eine Avantgardetradition vor, die den Bogen von den sechziger bis zu den neunziger Jahren spannt. Vor allem der Einstieg mit den fulminanten, zwischen Architektur und Skulptur angesiedelten Arbeiten von André Bloc ist faszinierend. Obendrein erwies sich die Auswahl im nachhinein als richtig: Odile Decq und Benoit Cornette, Vertreter der jüngsten Architektengeneration und auch in der Zentralausstellung präsent, konnten immerhin einen Biennale-Preis erringen. Sensing the Future? Ein wirklich neuer Ansatz scheint vorläufig nicht in Sicht. Aber das ist nicht weiter schlimm. Gute Architektur wird trotzdem gedacht und gebaut. Und das müßte eigentlich genügen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: