Artikel

Der hohe Preis für ein bisschen mehr
Der Standard

Österreichs geförderter Wohnbau setzt ganz auf Klimaschutz. Doch die Kosten sind hoch, und beim Passivhausstandard ist der Nutzen nicht immer klar, zeigte sich beim jüngsten Wohnsymposium des STANDARD.

23. Oktober 2013 - Eric Frey
Ihr offizieller Name ist Richtlinie 2010/31/EU, sie ist seit 2010 in Kraft und seit diesem Jahr in den 27 EU-Staaten umgesetzt. Eigentlich ist die EU-Gebäuderichtlinie eine recht trockene Angelegenheit. Aber selten zuvor waren bei einem STANDARD-Wohnsymposium die Emotionen im Saal so hochgegangen wie vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich, als unter dem Titel „Belastung oder Zukunftschance“ die Kosten-Nutzen-Relation von Investitionen im Klimaschutz unter der EU-Gebäuderichtlinie diskutiert wurde.

Klar, jeder in der österreichischen Baubranche ist für den Klimaschutz - und dessen Förderung durch energieeffizienten Neubau und die thermische Sanierung bestehender Anlagen. Aber es gibt auch viele Stimmen, die sagen, dass Österreich in seinem Drang zum klimagerechten Bauen zu weit geht. Und das rief bei einigen der rund hundert Teilnehmer heftigen Widerspruch hervor.

Der Sprung vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus brächte kaum Mehrnutzen, sagen die Kritiker; das Passivhauskonzept - dass Wohngebäude überhaupt keine externe Energie benötigen - sei in der Realität nicht umsetzbar, weil sich viele Bewohner nicht an die Nutzungsregeln halten und etwa die Fenster aufreißen, statt die Frischluft aus den Lüftungsanlagen zu beziehen. Und der Straßenverkehr und die Industrie hätten bisher viel weniger für den Klimaschutz geleistet als der Wohnbau. Dort müsse man ansetzen statt an einer noch dickeren Wärmedämmung.

Und die hohen klimatechnischen Standards in Österreich würden das Bauen verteuern und so entscheidend zu den ständig steigenden Wohnkosten beitragen. „Wollen wir Klimaschutz um jeden Preis?“, fragte etwa Karl Wurm, Bundesobmann der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen, in seinem Eingangsreferat. Der Wohnbau hätte bereits einen großen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen geleistet, nun seien andere dran. Wurm kritisiert vor allem das neue Klimaschutzgesetz und den Nationalen Plan, mit dem die Ziele umgesetzt werden sollen. Damit gehe Österreich über die Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie weit hinaus. Diese sieht die sofortige Einführung des Energieausweises bei Neubau oder Sanierung sowie die Verwirklichung eines Niedrigst-energiestandards ab 2020 vor. Mit dem Passivhausstandard im geförderten Wohnbau werde in Österreich übers Ziel geschossen, kritisiert Wurm.

In die gleiche Kerbe schlug Karl-Heinz Stadler, Vizeobmann der Wohnbaugenossenschaft Neues Leben. Das Passivhaus bringe dem Bewohner keine Vorteile gegenüber dem Niedrigenergiehaus mit einem Heizbedarf von 40 kWh. „Die Mindermenge am Heizen wird kompensiert durch die Lüftungsenergie, die notwendig ist, um das Passivhaus zu betreiben“, sagte er. „Wenn wir bei 40 kWh bleiben würden, könnten wir einen Beitrag leisten, damit die Wohnkosten nicht explodieren.“

Stabile Regeln gewünscht

Nicht alle Experten und Praktiker beim Wohnsymposium, das vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisiert wird, teilten diese Ansicht. Heimo Scheuch, Vorstandschef des Ziegelkonzerns Wienerberger, sieht einen dringenden Handlungsbedarf im Wohnbau, denn „40 Prozent des CO2-Ausstoßes kommen aus Gebäuden“. Scheuch warnt vor allem davor, die Regeln alle paar Jahre zu ändern: „Investoren fordern ein stabiles Rechtssystem. Wenn wir die Gebäuderichtlinie haben, das ist es. Davon müssen wir ausgehen können. Man darf sich nicht immer etwas Neues ausdenken.“

Bei der Planungssicherheit hat die EU-Kommission allerdings ausgelassen, erläuterte Waltraud Schmid, Leiterin des Kompetenzzentrums für Energie in Wien, die lange in Brüssel tätig war. Sie verwies auf die großen Chancen für die österreichische Wohnbauindustrie durch ihre Kompetenz beim Passivhaus. Der jüngste Sieg eines österreichischen Uni-Teams bei der Solar-WM in den USA sei kein Einzelfall „Nicht von ungefähr kommen die Chinesen zu uns und schauen sich nicht nur die Technologie, sondern auch die Rahmenbedingungen an“, sagt Schmid. „Vielleicht ist Österreich in seiner Vorreiterrolle zu weit gegangen, aber sie ist es wert, weitergetragen zu werden.“

Kühlung vom Donaukanal

Die großen Möglichkeiten neuer Technologien skizzierte der Planungsexperte Wolfgang Vasko (Vasko & Partner) anhand eines Bürogebäudes - des neuen Raiffeisenhauses am Wiener Donaukanal, laut Vasko das erste Passsivhochhaus der Welt. So werde dort der sogenannte Schotterkoffer im Boden für Erdwärme und das Wasser des Donaukanals für die Kühlung im Sommer genutzt. Das Wasser decke 28 Prozent des Kühlbedarfs ab.

Ein solches Hightech-Gebäude, egal ob Büro- oder Wohnhaus, stelle hohe Anforderungen an die Qualifikation der Wartung, betonte Vasko. Aber nicht nur die Facility-Manager, auch die Nutzer eines Hauses seien gefordert, denn bei falscher Verwendung würde das Passivhaus nicht funktionieren. „Ich bin der Meinung, dass man nicht nur für ein Auto, sondern auch für eine Wohnung ein Handbuch braucht“, sagte er. „Wenn hinter dem Kleiderkasten der Schimmel auftritt, dann soll nicht der Vermieter zur Verantwortung gezogen werden. Es reiche, wenn in einem Manual steht, dass gelüftet werden muss.“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: