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31. Mai 2014 Spectrum

Zwischen Kunst und Konsum

Die Passage als Ort der Vergnügung hat ihren Ursprung im Paris des frühen 19. Jahrhunderts. Ihr bürgerlicher Charakter war wohl Grund dafür, dass sie sich im höfischen Wien nie wirklich durchsetzte. Ganz anders in Prag. Ein Streifzug an der Moldau.

Als Václav Havel, als Sohn wohlhabender Eltern dem kommunistischen Regime per se verdächtig, nicht an der Prager Filmhochschule studieren durfte, ging er als Bühnentechniker zum ABC-Theater. Die Bühne nahe dem Wenzelsplatz ist Teil eines umfangreichen Systems aus Wohntrakten über untereinander verbundenen Durchgängen mit Geschäften, Cafés, Kinos und Veranstaltungssälen. Teil des Komplexes ist die wohl bekannteste der Prager Passagen, die „Lucerna“, deren Auftraggeber 1916 Havels Großvater war.

Die Passage als Ort der Vergnügung hat ihren Ursprung in den Pariser Passagen des frühen 19. Jahrhunderts. Entstanden aus privater Bauspekulation, dienten sie dazu, tiefe Parzellen optimal zu erschließen, Querverbindungen zwischen Straßen zu schaffen und dabei Mieten von Geschäfts- und Cafébesitzern zu lukrieren. Technische Fortschritte ermöglichten die Überdachung der Durchgänge mit Glas-Eisen-Konstruktionen. Es entstanden geheizte, beleuchtete innerstädtische Habitate, verwandt mit den Wandelhallen der Kurorte, aber auch Bahnhöfen, Markthallen, Basaren: öffentliche Räume von Handel, Verkehr und Konsum, die Begegnungen harmloser wie konspirativer Natur ermöglichten. Mit einem zunehmend verstädterten Bürgertum als Voraussetzung betrat auch der Flaneur des 19. Jahrhunderts die Bühne.

Der bürgerliche Charakter des Bautyps Passage ist wohl auch der Grund dafür, dass er sich im höfischen Wien nie wirklich durchsetzte – dem von der Österreichisch-Ungarischen Nationalbank errichteten Palais Ferstel folgten neben der heute verlassenen kleinen Rotenturm-Passage nur zwei bescheidene Exemplare am Graben. Das intellektuelle Biotop Kaffeehaus bedurfte wohl der Passagen-Umgebung nicht.

Während im Paris Baron Haussmanns Großkaufhäuser gebaut wurden, entwickelten sich die Passagen in Italien und Russland zu gigantischen Konsumtempeln. Mit 100 Jahren Verspätung kam das Prinzip Passage in die böhmischen Länder. In Prag entstanden im 20. Jahrhundert rund um den Graben und den zunehmend zum Zentrum urbanen Lebens werdenden Wenzelsplatz die schönsten Exemplare. Die größten unter ihnen, wie die Jugendstil-Gesamtkunstwerke „Lucerna“ und „Koruna“, im unteren Teil des Wenzelsplatzes, verfügten ursprünglich nicht nur über Cafés, Restaurants und Kinosäle, sondern auch über Schwimm- und Schwitzbäder.

In der mit der „Lucerna“ verbundenen Passage „U Nováku“ residierte vor dem Krieg das futuristische „Befreite Theater“, das in den 1930er-Jahren immer offener gegen den Nationalsozialismus auftrat und, von der Zensur zunehmend drangsaliert, seinen Namen in „Gefesseltes Theater“ änderte. Nach der erzwungenen Schließung des Theaters 1938 emigrierten seine Protagonisten, die Schauspieler Jiří Voskovec und Jan Werich, in die USA. In der „Lucerna“ siedelte sich in den 1960er-Jahren das Theater „Rokoko“ an, in dem zahlreiche tschechische Popstars, darunter Musikprominenz des Prager Frühlings wie Marta Kubišová und Václav Neckář, ihre Karrieren begannen. Die Konkurrenz, das ebenso legendäre „Semafor“-Theater, spielte ein paar Häuser weiter in der 1927 in elegantem Funktionalismus erbauten „Alfa-Passage“, die in den 1930er-Jahren auch das surrealistische „Neue Theater“ aufnahm.

Der eigentliche Siegeszug der Prager Passagen begann nach dem Ersten Weltkrieg. Bauherren waren zunehmend Banken und Versicherungen wie die Riunione Adriatica, deren „Adria-Passage“ der Architekt Pavel Janák mit dem deutschsprachigen Prager Josef Zasche entwarf. Hier residierte neben einem Filmklub das „Theater vor dem Tor“, vor allem aber die legendäre Multimedia-Bühne „Laterna magika“. Die Nationalbank baute am Graben 1935 bis 1938 eine hochelegante Passage mit flachen Tonnengewölbe aus Glasbausteinen, wie es für die 1930er-Jahre typisch war. Decke und Böden aus Beton-Glas-Elementen kennzeichnen auch die der Nationalbank benachbarte, denkmalgeschützte Passage „?erná růže“ (Schwarze Rose), 1928 bis 1932 vom Architekten Oldřich Tyl gebaut und vor einiger Zeit ambitioniert restauriert. Auch die Stadt selbst sah bei Verwaltungsgebäuden Einkaufspassagen vor – so lässt sich zu Bürozeiten das Magistrat des ersten Bezirks funktionalistisch flanierend durchqueren, ebenso wie das Haus der Tschechischen Volkspartei.

Bis heute haben sich in den meisten Passagen Details wie kubische Beleuchtungskörper, vernickelte Profile, abgerundete Schaufenster, zylindrische Türdrücker, geometrisch gemusterte Mosaikböden und marmorverkleidete Brüstungen erhalten, zum Teil auch die Ausstattungen der Cafés – neben der „Lucerna-Passage“ etwa in der 1930 vom Architekten Josef Karel ?iha für eine Bergwerksgesellschaft erbauten „Komedie-Passage“, heute nach dem einstigen Star ihres Theaters „Vlasta-Burian-Passage“ genannt. Weniger bekannt als „Lucerna“, „Adria“ und „Koruna“, ist sie eine verborgene Perle in zweiter Reihe des städtischen Salons Wenzelsplatz, wie etwa auch die reizende kleine Passage „U Bumbrlička“ (Zum Pummelchen), außen funktionalistisch mit integriertem Barockportal, innen Sitz des Kindertheaters „Minor“ und daher auch „Kinderpassage“ genannt.

An Versammlungen eines konsum- und kulturfreudigen, selbstbewussten Bürgertums hatte der Sozialismus kein Interesse. Die letzte der Prager Passagen, die mit der „Alfa-Passage“ verbundene „Světozor-Passage“, entstand 1947, knapp vor der Machtübernahme der Kommunisten. Ihre städtische Funktion haben sich die Passagen auch über die Zeit des Sozialismus hinweg bewahrt. Heute sind manche geschlossen, die meisten aber nach wie vor belebt und vielfältig genutzt, elementare Bestandteile der lebendigen, sprudelnden Großstadt.

19. April 2014 Spectrum

Vergessen und erinnert

Technischer Planer, Architekturtheoretiker, Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, Designer für Thonet in den USA, Professor am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University: zur Erinnerung an den Wiener Architekten Walter Sobotka, der vor 40 Jahren in New York starb.

Dass Österreich arm sei an Vergessenen, kann man nicht wirklich behaupten. Ab und zu wird jemand wiederentdeckt, manche dagegen harren ihrer Wiederentdeckungen allerdings Jahr und Tag. Walter Sobotkas Ästhetik war jener der großen Neuerer der Wiener Moderne, Josef Frank und Oskar Strnad, wohl einfach zu nahe verwandt, auf den ersten Blick bis zur Ununterscheidbarkeit. 1888 wie Strnad und Frank im Umfeld des aufgeklärten Wiener jüdischen Bürgertums geboren, studierte Sobotka wie sie an der Wiener Technischen Hochschule Architektur.

Neben seiner planerischen Tätigkeit reflektierte er die Prinzipien seiner Tätigkeit auch in theoretischen Aufsätzen. „Das Möbel als Gerät“ waren sie überschrieben, „Familienwohnhaus – Mietwohnung“, „Der gute Gegenstand und die Wege zu seiner Verbilligung“, „Zur Entwicklung des Gebrauchsgegenstandes“ und „Organisationdes Wohnbetriebs“ – Themen, wie man sie ähnlich auch beim drei Jahre älteren Frank findet. Sogar Sobotkas Wohnung befand sich in Franks Nachbarhaus auf der Wiedner Hauptstraße. An der Arbeitsgemeinschaft von Frank, Strnad und Oskar Wlach warSobotka aber nur kurz beteiligt, als er 1925 in den ersten paar Monaten Teilhaber des von Frank und Wlach neu gegründeten Einrichtungsunternehmens „Haus und Garten“ war.

Im selben Jahr nahm Sobotka an der legendären Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes in Paris teil. 1927 richtete er eine Wohnung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ein, in Wien waren seine Interieurs Teil der Werkbund-Ausstellung von 1930. ZweiJahre später wurde er Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, dessen Verkaufslokal im Grand Hotel am Kärntnerring er ausstattete. In der Wiener Werkbundsiedlung baute er zwei Hauseinheiten. Gelegentlich arbeitete Sobotka mit anderen Vertretern der Wiener Moderne wie Walter Loos, Jacques Groag, Hofmann/Augenfeld und Hans Vetter zusammen – ein smarter, erfolgreicher Architekt mit den besten Zukunftsaussichten. Ein zeitgenössischer Artikel erwähnt beeindruckt „schon das Äußere seiner Persönlichkeit, das den Mann von wählerischem Geschmack erkennen lässt“.

In seinem Architekturbüro plante Sobotka Bürogebäude, Gemeindebauten und Einfamilienhäuser, so beispielsweise die luxuriöse Villa des Chemikers Dr. Emmerich Granichstaedten, der ein Vermögen durch die Entwicklung eines patentierten Verfahrens zum Härten von Speisefetten bei der Margarineherstellung gemacht hatte. Die Villa im Döblinger Cottageviertel, heute Sitz des kanadischen Botschafters, ist ein in seiner Unbekümmertheit faszinierendes Konglomerat aus englischem Landhaus, Klassizismus, Chinoiserie, Moderne und Art Déco bis zum Surreal-Manierierten. Hinter den großen Fenstern entfaltet sich das klassische großbürgerliche Wohnraumprogramm mit Speisezimmer, Musikzimmer und Wohnhalle mit geräumigem Kaminplatz; die Treppenhalle reicht bis in den offenen Dachstuhl. Emmerich Granichstaedten, aktiver Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, emigrierte im Jahr 1938 nach England und überschrieb das Haus seiner Frau, die nach der Scheidung der Ehe in Wien blieb. Er selbst kehrte nie nach Wien zurück.

Nicht besser erging es dem aus Sachsen stammenden Strickwarenfabrikanten Otto Adam und seiner Frau Ella, die Sobotkas Schwägerin war. Ihr elegantes, weiß verputztes Flachdachhaus im mährischen Iglau, das vom Architekten zur Gänze im unprätentiösen Stil von Franks „Haus und Garten“ eingerichtet wurde, brachte Sobotka internationale Anerkennung.

Nach dem Tod Otto Adams führten die zwei älteren Söhne die Strickwarenfabrik Adam & Seidner weiter. Während des Krieges wurden beide unter dem Vorwand unrechtmäßiger Bewirtschaftung von Produktionsmitteln hingerichtet, das Haus bezog die Gestapo. Ella Adam überlebte das Ghetto Theresienstadt, in dem Otto Adams Kompagnon Louis Seidner ermordet wurde. Nach dem Krieg residierte im Haus die Staatssicherheit, dann ein Kindergarten, dann,nach einer unsensiblen Sanierung, die sozialdemokratische Partei und heute eine Firma für agrarische Infrastruktur. Der von Sobotka gemeinsam mit dem Haus entworfene Garten wurde zerstört.

Wie ein großer Teil der Auftraggeber emigrierten nach dem „Anschluss“ 1938 ebenfalls Sobotka und seine Frau, die Schauspielerin Gisela Schönau. Mit ihrer Tochter Ruth flohen sie nach New York, wo Sobotka Designer der amerikanischen Niederlassung von Thonet wurde. Auch als Architekt erhielt er Aufträge, so etwa den Umbau mehrerer Kinos der RKO-Kette. Wenige Jahre später folgte eine Professur am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University.

Mit Wien sollte Sobotka ebenso noch einmal zu tun haben: Im Zeitraum von 1950 bis 1954 entstand gemeinsam mit dem Architekten Percy A. Faber ein Bürohaus für die Veitscher Magnesitwerke am Schubertring 10–12. Das Gebäude, in dem später statt des ursprünglichen Espressodie deutsche Tourismuszentrale und statt der Magnesitwerke die Staatspolizei untergebracht waren, gab zuletzt, aufgrund des jahrelangen Leerstands, einen dankbaren Kandidaten für innerstädtische Schandfleck-Rubriken ab. Obgleich kein wirklich bedeutender Bau seiner Zeit, ist es allerdings im Gegensatz zu anderen, unterdessen abgebrochenen Wiener Bauten Sobotkas denkmalgeschützt. Derzeit wird es zu einem Hotel umgebaut.

Sobotkas 1925 geborene Tochter Ruth war in der Nachkriegszeit eine bedeutende Tänzerin und Choreografin im Ensemble von George Balanchine. 1955 wurde sie die zweite Ehefrau des aufstrebenden Fotografen und Jungregisseurs Stanley Kubrick, der wie sie Nachkomme österreichisch-jüdischer Emigranten war. Schon zwei Jahre darauf trennte sich das Paar. Nach Ruth Sobotkas frühem Tod im Jahr 1967 gab Walter Sobotka ein Buch über die künstlerische Tätigkeit seiner Tochter heraus. Das fotografische Werk Stanley Kubricks wird ab 8. Mai in einer Ausstellung in Wien präsentiert („Eyes Wide Open“ im Bank Austria Kunstforum). Am selben Tag wird es genau 40 Jahre her sein, dass der Wiener Architekt Walter Sobotka in New York starb.

8. Februar 2014 Spectrum

Erbe, saniert und adaptiert

Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet: die neue Durchwegung bei der Universitätszahnklinik Wien.

Der Umgang mit dem architektonischen Erbe Wiens ist, man muss es leider sagen, nicht immer vorbildlich. Gnadenlos wird zurzeit das architektonische Tafelsilber verscherbelt: Öffentlich genutzte Bauten wie Postfilialen, Finanzämter, Gerichtsgebäude und Bankzentralen werden Developern anheimgegeben, die sie zu Drittwohnsitz-Penthouses und Luxushotels umwidmen. Zuvor Öffentliches wird privat, exklusiv, unzugänglich – seiner ursprünglichen Nutzung beraubt und de facto oft leer stehend. Umso erfreulicher sind die positiven Beispiele zeitgemäßer Restaurierung, Sanierung, Adaptierung und Weiternutzung historischer Bausubstanz. Der im letzten Jahr fertiggestellte Umbau des historischen Garnisonsspitals zur Universitätszahnklinik in Wien-Alsergrund ist eines davon.

Fest steht: Die Aufgabe des Bauens im Bestand wird an Umfang und Bedeutung noch wesentlich zunehmen – und damit die Anforderungen an Architektur, sich mit den Gegebenheiten historisch gewachsener Gefüge auseinanderzusetzen. Eines der größten dieser über Jahrhunderte gewachsenen Gefüge im Zentrum Wiens ist der Komplex des Alten AKH mit den angrenzenden Gebäudegruppen des Josephinums und des ehemaligen Garnisonsspitals sowie dem Narrenturm im Zwickel zwischen den beiden von den damaligen Basteien Wiens entlang der Achsen Alser Straße und Währinger Straße abgewinkelten Bereichen.

Während das Alte AKH, im 17. Jahrhundert als Armenhaus begründet, unter Joseph II. nach dem Vorbild des Pariser Hôtel-Dieu zum Allgemeinen Krankenhaus umgebaut wurde, plante man Narrenturm, Josephinum und Garnisonsspital als Neubauten. Architekt des gesamten Komplexes war Isidor Canevale, 1730 in Vincennes bei Paris geboren und 1760 nach Wien zugezogen. Er war der richtige Mann für Joseph II, der, wenn er seine Schwester Marie Antoinette in Paris besuchte, dort die Anfänge des keineswegs politisch, wohl aber architektonisch heute zu Recht so bezeichneten Revolutionsklassizismus kennengelernt hatte. Josephsstöckl und Portalbauten im Augarten, Grassalkovich- und Schönborn-Palais, Prater-Lusthaus, Kleine Gloriette, die Schlossparks in Rodaun und Laxenburg folgten, außerdem bemerkenswerte frühklassizistische Kirchenbauten wie der Dom im ungarischen Vác und die elegante kleine Pfarrkirche Maria Schnee in Wiener Neudorf. 1775 wurde Canevale Hofarchitekt.

Die Jahre 1783–1784 waren für den ambitionierten Zuwanderer von höchster Produktivität geprägt: Gleichzeitig plante und realisierte er Allgemeines Krankenhaus, Narrenturm, Garnisonsspital und Josephinum – die beiden Ersteren für die Unterbringung Kranker, die Letzteren für das Militär und die Ausbildung von Wundärzten konzipiert. Während sich die Militärchirurgische Akademie, das heutige Josephinum, als repräsentatives spätbarockes Palais mit einem Ehrenhof zur Währinger Straße öffnet, gibt sich das dahinter an der Van-Swieten-Gasse liegende Garnisonsspital als eher schmuckloser Zweckbau mit langgestreckten Trakten rund um zwei große Höfe – den „Kräuterhof“ und den „Garnisonshof“.

Der etwas kleinere Kräuterhof, von drei Trakten des Garnisonsspitals und der Rückseite des Josephinums gerahmt, nahm ursprünglich den botanischen Heilpflanzengarten der Militärchirurgischen Akademie auf – einst ein unverzichtbarer Bestandteil jeder medizinischen Ausbildungsstätte. In den letzten Jahren wurde der Komplex des Garnisonsspitals vom Büro Nehrer + Medek und Pohl ZT GmbH zur Universitätszahnklinik umgebaut, mit Ausbildungs- und Behandlungsräumen, Festsaal, Bibliothek, Kindergarten, ins Souterrain eingetieften Hörsälen und einer Cafeteria mit Schanigarten. Dazu wurde der historischen Struktur eine Glasspange entlang dem Trakt zwischen den beiden Höfen vorgelegt, die das gesamte Gelände von der Sensengasse her erschließt. Tagsüber fungiert diese Spange auch als eine Art Durchhaus zwischen Sensengasse und Van-Swieten-Gasse. Eine weitere neue Durchwegungsmöglichkeit des weitläufigen Geländes besteht von der Währinger Straße aus, wo dasselbe Architekturbüro im Rahmen eines weiteren Wettbewerbs den Neubau der Informatik- und Publizistik-Institute der Universität Wien realisierte.

So wurden auch beide historischen Höfe als Grünzonen im Stadtgefüge öffentlich zugänglich. Die Neugestaltung und Adaptierung an die gegenwärtigen Anforderungen lagen bei der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer. Der alte Baumbestand blieb erhalten. Das neue Gestaltungskonzept Anna Detzlhofers nimmt auf die historischen Wegestrukturen in abstrahierter Form Bezug und kombiniert sie mit einfachen Diagonalverbindungen zwischen den neu geschaffenen Zugängen.

Der Kräuterhof blieb mit seinen vielen hohen Bäumen ein intimer Grünraum. Neu angelegt wurde ein zum angrenzenden Kindergarten gehörender Spielplatz, außerdem ein Vorplatz vor der Treppe zum Festsaal der Medizin-Universität. Kleine Rasenböschungen mit korrodierten Stahlblecheinfassungen modulieren das Gelände und schaffen topografisch unterschiedliche Zonen.

Als großzügige Parkfläche fungiert hingegen der benachbarte Garnisonshof. Eine ebenerdige holzbeplankte Terrasse dient als sonniger Gastgarten der Cafeteria. Die neue Wegeführung markiert auch den Ort der nicht erhaltenen Kapelle, mit der Canevale einst die Mitte des leicht trapezförmigen Hofes markiert hatte. Heckensegmente sind konzentrisch rundherum verteilt; auch die schlichten blockartigen Metallsitzbänke mit integrierter indirekter Beleuchtung, die das zentrale Rondell säumen, folgen dem Leitmotiv des Kreisschwungs. Schlanke zylindrische Metall-Leuchtstelen flankieren die Wege in beiden Höfen. Zwischen den separat stehenden alten Bäumen sind einzelne Zonen zwanglos mit Gräsern, Sträuchern und Blütenstauden bepflanzt.

Entstanden ist ein für alle nutzbarer Ort, an dem man sich gerne aufhält, den man gerne auch nur durchquert, um im Vorbeigehen einen Eindruck von leichtem, luftigem Grün mitzunehmen. Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet. Das ist das Beste, was man von einer städtischen Struktur verlangen kann. Und gleichzeitig das Selbstverständlichste.

28. Dezember 2013 Spectrum

Mit Blick in die Zukunft

Anlässlich des Todes von Boris Magaš: Als einer der bedeutendsten Architekten Nachkriegs-Jugoslawiens zeichnete er verantwortlich für zwei große Hotelkomplexe an der dalmatinischen Küste und für das Poljud-Stadion des Fußballklubs Hajduk Split. Sein Interesse galt dabei stets dem Kommenden.

Es hat unterdessen einen gewissen Geheimtipp-Status als „meistfotografierte Ruine Kroatiens“ – das Hotelresort Haludovo bei Malinska auf der Insel Krk. Sein Architekt, Boris Magaš, ist nun 83-jährig verstorben. In Kroatien kennt man Magaš, langjähriger Architekturprofessor an der Universität Zagreb und in den 1990er-Jahren kurzzeitig Berater Franjo Tudjmans für Architektur und Stadtplanung, vor allem als Architekt preisgekrönter Sportstätten, allen voran des Mitte der 1970er-Jahre gebauten Poljud-Stadions, das die Heimat des Fußballklubs Hajduk Split ist.

Magaš selbst sah das Fußballstadion, das sich bei aller zeitgemäßen Formensprache auf das Prinzip zweier einander gegenüberstehender antiker Theater mit Zuschauern im Zentrum des Geschehens beruft, als sein Meisterwerk an. Im kulturellen Gedächtnis Adria-affiner Mitteleuropäer dürfte Magaš aber eher durch seine beiden großen Hotelkomplexe an der dalmatinischen Küste bekannt sein.

Den Anfang machte das auf einer mit Kiefernwäldern bestandenen flachen Halbinsel nördlich von Šibenik gelegene, in den Jahren 1967 und 1968 realisierte Resort Solaris, mit fünf architektonisch getrennten, aber gemeinsam verwalteten Hotels verschiedener Kategorien, Arbeiter-Ferienheim-Kapazitäten für die einheimischen Werktätigen und einem künstlichen „Ethnodorf“ in der Art dalmatinischer Bergnester, das Souvenirshops und Gastronomie beherbergt. Hochelegant sind die zwischen den dunklen, hohen Kiefern breit gelagerten flachen Quader der Hotelbauten, deren Fassaden mit filigran durchbrochenen weißen Schiebeläden verschließbare schattige Loggien bilden.

Wie alle größeren Hotelanlagen an der Küste wurde das Resort nach dem Jugoslawien-Krieg zum Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Bosnien. Nach dem Krieg stellte man die Anlage wieder für touristische Zwecke her. Das nobelste der fünf Hotels wurde kürzlich von dem Wiener Architekten Arkan Zeytinoglu revitalisiert. Die gesamte Anlage ist mit ihrem eklektizistischen Ansatz ein bis heute funktionierendes Beispiel für eine Durchmischung von Touristen verschiedener Urlaubskategorien und Einheimischer, die im Sommer die – wie in ganz Ex-Jugoslawien – prinzipiell öffentlichen und für alle zugänglichen Kiesstrände der Halbinsel bevölkern.

Das ähnlich wie Solaris strukturierte, aber noch ambitionierter dimensionierte Haludovo, nördlich des Ortes Malinska auf Krk gelegen, ergab sich für Magaš als Folgeauftrag aus dem bereits kurz nach seiner Fertigstellung mit einem Architekturpreis ausgezeichneten Šibeniker Projekt – mit demspeziellen Phänomen einer Involvierung des amerikanischen „Penthouse“-Herausgebers Bob Guccione.

Es folgten Jahre mit Hummer- undChampagner-Diners, mit illustren und teils zweifelhaften Gästen aus Jetset und Politik und Auftritten von internationalen Showstars, Krieg, Flüchtlingsbelegung, Wiederinbetriebnahme, Verkauf an einen armenischen Investor, Schließung, Teilabriss, Teilbetrieb und mittlerweile schon lange Jahre andauerndem Leerstand, begleitet von widersprüchlichen Gerüchten aller Art von Abriss bis zu Restaurierung.

Heute durchstreifen neugierige architekturaffine Reisende die Reste von Boris Magaš'atemberaubender Architektur, steigen überGestrüpp und Scherbenhaufen und bewundern zweistöckige Hallen, durchbrochene Sonnenschutz-Lamellenwände, dynamisch über die Baukörper hinausschießende Beton-Flugdächer, anmutig den flachen Hang hinabgetreppte Atrium-Einzelhäuser, großzügige Strandbars und halbrunde Badeterrassen am Meer. Zugleich ist die zunehmend devastierte Ruine das Memento mori einer versuchten Internationalisierung von Jugoslawiens Tourismusindustrie der frühen 1970er-Jahre.

Magaš selbst vertrat nicht lange vor seinem Tod in einem Interview, das in der von Michael Zinganel kuratierten Ausstellung „Urlaub nach dem Fall“ zu sehen war, die emotionslose Ansicht, ein Konzept wie Haludovo würde heute nicht mehr funktionieren, man solle den Komplex ruhig abreißen und zeitgemäßer neu bauen.

In den letzten Jahren beschäftigte sich Magaš mit der Fertigstellung eines 2012 in Zagreb erschienenen Grundlagenwerkes zu Fragen architektonischen Entwerfens und verfasste auch Aufsätze unter anderem zur Architektur des 19. Jahrhunderts. Dennoch blieb er immer vor allem dem Blick in die Zukunft verhaftet. Auch wenn sich Magaš als Kroate sah, ist mit seinem Tod Ende Oktober doch einer der bedeutendsten Architekten Nachkriegs-Jugoslawiens verstorben.

Nur wenige Wochen vor Magaš starb mit dem fast genau zehn Jahre vor Magaš geborenen Niko Kralj auch einer der wichtigsten Designer Jugoslawiens. Der Slowene Kralj, an der Technischen Universität Ljubljana Schüler von Jože Plečnik, Edvard Ravnikar und dem durch den touristischen Ausbau von Portorož bekannt gewordenen Edo Mihevc, profilierte sich nach seinem Architekturstudium vor allem als Möbeldesigner. Der soziale Ansatz und das humanistische Ziel des umtriebigen Kralj waren es, erstklassig gestaltete Produkte – vor allem Sperrholzmöbel – bei ökonomischer, rationeller Materialverwendung und ökologisch korrekter Produktion für möglichst viele leistbar zu machen. Jugoslawien gibt es nicht mehr, aber die Geschichte geht weiter. Kraljs ikonische Klappmöbel-Serie „Rex“ wird neu produziert und erlebt so seit einiger Zeit im Zuge des anhaltenden Mid-Century-Interesses eine ebenso beachtliche wie verdiente Renaissance.

15. November 2013 Spectrum

Suburb bei Wien

Geplant am Reißbrett nach US-Vorbild: der niederösterreichische Selbstbau-Pendler-Ort Strasshof. Eine Geschichte über Verbindungen zwischen Böhmen, Amerika und Österreich, jetzt von Judith Eiblmayr zusammengefasst in einem Buch.

Wien darf nicht Chicago werden? Na ja – Strasshof aber schon! Was heute wie ein Witz der Geschichte anmutet, war damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, durchaus ernst gemeint – und es sollte ein großes Ding werden: die „Garten- und Industriestadt“ Strasshof nämlich, „die größte und schönste Stadt Niederösterreichs“.

Was eine rechte österreichische Geschichte ist, das fängt natürlich in den böhmischen Ländern an. Göding, tschechisch Hodonín, gleich hinter der Grenze. Die Stadt, in der nicht nur der erste tschechoslowakische Staatspräsident, Tomáš Garrigue Masaryk, geboren wurde, sondern auch die erste Ingenieurin Österreichs, die Architektin Helene Roth, die der starken jüdischen Gemeinde Gödings entstammte. Und die Stadt der Zuckerfabrikanten- und Bauunternehmerfamilie Redlich.

Der Drang der Gödinger nach Amerika war groß: Masaryk heiratete 1878 bei einem USA-Aufenthalt die Amerikanerin Charlotte Garrigue, deren Nachnamen er seinem hinzufügte. Josef Redlich, studierter Jurist, lehrte seinerseits 1910 als erster Österreicher an zwei amerikanischen Universitäten. Eine Verwandtschaft bestand mit der Ölmagnaten-Dynastie der Fanto, weswegen auch die „Mährische Bergbau Ges.m.b.H.“ ihren Sitz in Göding hatte.

Auftritt Ludvik Odstrčil, Notar aus dem nahen Klobouk (Klobouky u Brna) und gut bekannt mit den Redlichs. Gemeinsam planten sie den ganz großen Coup: die Etablierung einer neuen Stadt, verkehrstechnisch optimal gelegen an der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn und damit direkt an der Achse, die von Wien über Göding in die schlesischen Schwerindustriegebiete von Kattowitz und Ostrau führte. Dort hatte sich Odstrčil bei der „Mährischen Bergbau Ges.m.b.H.“ bereits früh genug Schürfrechte für Gelände nahe der Rothschild'schen Witkowitzer Eisenwerke gesichert, deren Abgeltung ihm nun beachtlichen Reichtum bescherte.

Gleich nach dem Bau des großen Verschubbahnhofs der Nordbahn im flachen, sandigen und nicht weiter aufregenden Strasserfeld hatte Odstrčil vor Ort einen Gutshof mit großen Ländereien erworben. Hier plante sein Sohn Johann, der in Wien Architektur studiert hatte, ab 1911 jene „Garten- und Industriestadt“, die den Unternehmern den Durchbruch bringen sollte, mithilfe der von Johann Redlichs Cousin Karl geführten Baufirma „Redlich & Berger“, die erstmals in Österreich amerikanische Großbaumaschinen einsetzte.

Der Masterplan der Siedlung beruhte auf einer rigiden Rasterstruktur in den Dimensionen von Gartenvororten Chicagos wie Oak Park. Inspiriert wurde sie offenbar von Ansichtskarten, die der in Illinois und Michigan lehrende Johann Redlich nach Hause geschickt hatte, wie nun die Architektin Judith Eiblmayr in ihrem jüngst erschienenen, hoch spannenden Buch zu Strasshof („Lernen vom Raster. Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne“) erläutert: Genormte Straßenbreiten von 24 beziehungsweise 16 Meter Breite mit Baumreihen, separiertem Trottoir und Blockbreiten von 80 Metern prägen das projektierte Ortsbild.

Die Wohnviertel sollten von Fabriken umrahmt werden – gedacht war nach Gödinger Vorbild an Zucker-, Petroleum- und Ziegelherstellung, die Arbeiterschaft sollte vornehmlich aus Mähren und Ungarn zuziehen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges standen erste Bauten wie Kirche und Schule einsam auf dem parzellierten Gelände nahe dem Verschubbahnhof. Nach Kriegsende lag die mährisch-schlesische Schwerindustrie im Ausland. Das hochfliegende Konzept war hinfällig.

Die nicht mehr zu verkaufenden Bauparzellen wurden billig abgegeben, teilweise für den Bau öffentlicher Bauten verschenkt. Ludvik Odstrčil lebte in seinem neu gebauten Schlösschen im Strasserfeld, Josef Redlich zog es nach einem kurzen Intermezzo als österreichischer Finanzminister im Jahr 1918 wieder in die USA, wo er 1926 einen Lehrstuhl für vergleichendes Recht in Harvard erhielt.

Über der Grenze erblühte derweil die Erste Tschechoslowakische Republik unter dem Amerika-erfahrenen Tomáš Garrigue Masaryk. Vorbild war dabei die liberale Verfassung der USA. Unweit von Göding nahm in Zlín die Schuhindustrie einen enormen Aufschwung. Der mit Militärstiefeln im Krieg reich gewordene Amerika-begeisterte Firmengründer Tomáš Baťa orientierte sich in seiner radikalen Rationalisierung an den Produktionsabläufen der Ford-Werke. Die architektonischen und urbanistischen Leitpläne seiner Schuhfabriken beruhten auf einem überall rigide angewandten amerikanischen Norm-Stützenraster von 6,15 Metern.

Anders als die Achse Zlín–Amerika kam die von Strasshof nicht zum Tragen. Der Donau-Oder-Kanal, den man 1913 noch hoffnungsfroh in die Lagepläne der Stadt eingezeichnet hatte, wurde nicht weitergebaut. Einen zweifelhaften Aufschwung brachte die Zeit des Nationalsozialismus mit dem Bau eines Heizhauses, das heute das Eisenbahnmuseum beherbergt, und der Einrichtung eines Militärflugplatzes. Die Geschichte des zur gleichen Zeit eingerichteten Zwangsarbeiter-Durchgangslagers wurde vor Kurzem von Irene Suchy in einem weiteren, ebenso lesenswerten Strasshof-Buch nachgezeichnet („Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“, erschienen im Metroverlag, Wien).

Heute präsentiert sich der zentrumslose Ort, der mit seinen breiten Straßen noch immer eigentümlich „amerikanisch“ wirkt, als Selbstbau-Pendler-Suburb von Wien, die in der Weltgeschichte eine ebenso kurze wie unrühmliche kriminalistische Berühmtheit erlangte, bis sie von Amstetten verdrängt wurde. In Judith Eiblmayrs Buch zitierter Kommentar einer Anwohnerin: „Strasshof hatte eh schon immer den Ruf von Klein-Chicago.“

11. Oktober 2013 Der Standard

Felsen, Buchten und Beton

Montenegro als Kristallisationspunkt der südosteuropäischen Moderne: Aber was hat man sich unter montenegrinischer Architektur vorzustellen? Zu einer Ausstellung im Wiener Ringturm.

Das Land der „Schwarzen Berge“ ist nicht die erste Adresse, wenn man an Architektur der Moderne denkt. Mit seinen schroffen Felsküsten, dem südlichsten Fjord Europas, der kargen, jäh abfallenden, weit ins Land verzweigten Bucht von Kotor, ausgedehnten, kaum bevölkerten Gebirgswäldern, der lange Zeit nur über einen Eselspfad von der Küste zugänglichen ehemaligen Hauptstadt Cetinje, dem in der Nachkriegszeit als Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik aufgebauten Titograd und seit den 1960er-Jahren verstärkt entwickelter touristischer Infrastruktur am Meer präsentiert sich Montenegro mit seiner ruralen Tradition undgroßartigen Naturkulisse eher als Folie, vor der sich die unterschiedlichen Architekturströmungen der Moderne abbilden.

In Wien eine Ausstellung zur Architektur der Moderne in Montenegro zu veranstalten ist nicht unbedingt die nächstliegende Idee. Wenn dies im Rahmen der von Adolph Stiller kuratierten Reihe „Architektur im Ringturm“ nun geschieht, so hat das natürlich damit zu tun, dass die im Ringturm ansässige Vienna Insurance Group in dem Land an der südöstlichen Adria tätig ist. Aus dem Engagement der Versicherung in Ostmittel- und Südosteuropa resultiert aber vor allem eine nunmehr bereits äußerst beachtliche Reihe an Architekturausstellungen, die sich zumeist das Bauschaffen eines Landes oder zumindest seiner Hauptstadt im 20. und 21. Jahrhundert zum Thema nehmen. Nach, unter anderem, Slowenien, Kroatien, Belgrad, Polen, Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und Tirana ist nun das seit 2006 unabhängige Montenegro an der Reihe.

Nach einem Exkurs zu traditionellen Steinhäusern mit Pultdach und ummauerten, mit den Nachbarn verbundenen Vorhöfen ist ein der Fachwelt bislang unbekanntes Highlight die französische Botschaft in Cetinje, eine von zahlreichen neu gebauten Gesandtschaften in der damaligen Hauptstadt des Fürstentums, das ab 1910 als Monarchie selbstständig war und 1922 Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen wurde. Die französische Botschaft entwarf 1911 Paul Guadet, der die architektonische Planung Auguste Perret, einem der Pioniere der französischen Moderne, überließ.

Einem feierlichen Klassizismus folgt das 1932 vom in Wien ausgebildeten kroatischen Bildhauer Ivan Meštrović entworfene Njegoš-Denkmal auf dem montenegrinischen Nationalberg Lovćen, während mit der 1935 entstandenen, nach wie vor genutzten Orthopädischen und Neurochirurgischen Klinik in Risan an der Bucht von Kotor bereits die Schlichtheit der Neuen Sachlichkeit einzog. Von ihrem Architekten Milan Zloković, der, 1887 in Triest geboren, in Graz studierte und nach Paris-Aufenthalten schließlich in Belgrad lebte, stammt auch das 1965/66 realisierte, aus mehreren Pavillons bestehende Hotel Mediteran in Ulcinj an der albanischen Grenze, von dem Teile nach dem Erdbeben 1979 geschleift werden mussten.

Ein weiterer Protagonist der Moderne in Montenegro war der aus dem südungarischen Pécs stammende, durch sein Studium in Prag von der radikalen tschechischen Moderne um Karel Teige geprägte Nikola Dobrović. Nach seinen in den 1930er-Jahren für tschechische Touristen gebauten ikonischen Hotels auf der Insel Lopud vor Dubrovnik realisierte er in seiner Spätzeit Anfang der 1960er-Jahre in Montenegro das Postamt von Herceg Novi und ein Kindererholungsheim in Igalo. Heute steht es, wie zahlreiche in der Ausstellung vorgestellte Bauten, leer, während neue, oft von russischen Investoren erstellte Hotelbauten ohne jegliche architektonische Ambition, aber mit enormer Rendite an der Küste emporgeschossen sind.

Die glorreiche Vergangenheit des Hotelbaus in Montenegro repräsentiert das ab 1955 als Hotelinsel ausgebaute Fischerdorf Sveti Stefan, das der Gegend einen Hype als Promi-Urlaubsresort bescherte, inklusive urbanistischen Leitplans, den der slowenische Architekt Edo Ravnikar Ende der 1960er-Jahre ausarbeitete, der aber nur teilweise realisiert wurde. Eine bemerkenswerte Lösung stellt Zlatko Ugljens in seiner differenzierten Struktur auf die Silhouetten des umgebendenBerglandes Bezug nehmendes Hotel Fjord in Kotor dar, das, 1979 entstanden, heute wie Dobrovićs Kinderheim leer steht.

Auch im Landesinneren findet man bemerkenswerte Bauten, in der Hauptstadt etwadas 1967 von Svetlana Radević entworfene Hotel Podgorica mit seinen schräg emporragenden Steinwänden oder das von Radoslav Zeković im Rahmen eines Wettbewerbs 1965 entworfene Verwaltungsgebäude der Republik Montenegro, ein spektakulärer Bau mit zwei parallelen Riegeln auf einem quer liegenden Gebäudesockel. Dank mehrerer in den letzten Jahren erschienenen Fotobände zur jugoslawischen Architekturmoderne mit einem Star-Status ausgestattet ist auch die skulpturale Sichtbetonstruktur des 1976 von Marko Mušić entworfenen Kulturzentrums Kolašin, das als Mahnmal für den Volksbefreiungskampf fungiert.

Von einer spezifisch montenegrinischen Architekturmoderne kann man dabei kaum sprechen, waren doch die verschiedensten Architekten im Land tätig. Gerade darin liegt aber das Spezielle einer Betrachtung der früheren jugoslawischen Teilrepublik als Kristallisationspunkt verschiedener Strömungen der südosteuropäischen Moderne. So bringt die Ausstellung nicht nur Österreichern die Baugeschichte der Region nahe, sondern bietet überhaupt den ersten Überblick zur Architektur der Moderne in diesem Land.

24. August 2013 Spectrum

Junger Salon vorm Theater

Kultur und Party in Krakau: der „Garten der Künste“, ein Neubau des Juliusz-Slowacki-Theaters. Nahe der Altstadt, fungiert er als Magnet für studentisches Publikum.

Wichtige Komponenten sind das einstige jüdische Viertel Kazimierz, das mittlerweile, ähnlich wie etwa in Budapest, zum romantisch-abgeschabten angesagten Ausgehquartier wurde, und, in Verbindung hiermit, die durch Steven Spielbergs Film bekannt gewordene frühere Schindler-Fabrik, auf deren Gelände in den letzten Jahren neben einem Dokumentationszentrum in den alten Gebäuden der Neubau eines Museums für moderne Kunst entstanden ist. Trotz aller touristischerAttraktivität ist das historische Zentrum in Krakau aber auch ein beliebter Ausgeh-Ort für Einheimische, die abends die zahlreichen Gastgärten, Kellerlokale und Musikklubs bevölkern.

Um dem neben Party- und Populärkultur bestehenden Kulturhunger zu begegnen, hat jüngst das lokale Juliusz-Slowacki-Theater mit dem „Garten der Künste“ den Neubau einer zusätzlichen Spielstätte fertiggestellt. Wie das pompöse historistische Haupthaus liegt auch die neue Bühne nahe der Altstadt und dem Glacis. Der L-förmige Baugrund mit relativ schmalen Zugängen von zwei Straßen ist in einer dicht bebauten Gegend situiert, mit der Haupterschließung von einer engen Gasse gegenüber einer ehemaligen Kaserne aus dem 19. Jahrhundert, die heute die Universitätsbibliothek beherbergt. Das bringt viel studentisches Publikum und damit auch den Bedarf nach öffentlichen Freiräumen ohne Konsumationszwang mit sich.

Der aus einem 2005 ausgeschriebenen Wettbewerb hervorgegangene Entwurf des ortsansässigen Architekturbüros Ingarden & Ewý Architects, der nun realisiert wurde, setzt auf das Grundstück, dessen heterogener Zuschnitt keinen dominanten Solitär erlaubte, einen strukturellen Einbauvon Raumfolgen auf innerstädtischen Reststücken, der gleichzeitig als Verbindung zwischen zwei Straßen fungiert und im Sinne urbaner Nachverdichtung durch Abriss entstandene Lücken „auffüllt“, nach außen aber kaum als gebautes Volumen in Erscheinung tritt.

Der Hauptzugang tritt Passanten überhaupt nicht als gebaute Konstruktion, sondern als Freiraum entgegen: mit einem zeitgenössischen Beserlpark mit üppig begrünten Beeten und vom Architekten Krzysztof Ingarden entworfenen Betonbänken mit Holzsitzflächen und integrierter indirekter Beleuchtung. Der von den Landschaftsarchitektinnen Karolina Bober und Malgorzata Tujko vom Büro Land Arch geplante Freiraum fungiert als öffentlicher städtischer Salon wie auch als Pausenfoyer und Entrée zum dahinter liegenden Theater. Der umbaute und trotzdem offene Raum reagiert auf die umgebende gebaute Struktur – der Freibereich ist von einem offenen Metallgerüst gefasst und schattenspendend überdacht, das in abstrahierter Form eine nicht mehr bestehende Bebauung nachzeichnet. Teil der Geschichte des Ortes, und damit auch des Konzeptes des Neubaus am historischen Ort, ist schon der Name der Zugangsstraße Rajska, Paradiesstraße, der sich auf die einst in der Nähe bestehenden „Paradiesgärten“ Krakaus bezieht.

Der gesamte Theaterkomplex gibt sich, für die Bauaufgabe nicht unbedingt typisch, als Gitterkonstruktion aus terracottarotenvertikalen Keramikstäben, im Bereich des Vorgartens offen, in den gebauten Bereichen verglast. Beim Betreten des Foyers sieht man sich einer Ziegelwand gegenüber – der Rekonstruktion der Wand einer Reithalle, die hier einmal stand. Die schlichte, schmucklose Wand wurde abgetragen und anschließend im Zuge des Neubaus aus deneingelagerten Ziegeln akribisch wiederaufgebaut. Nun steht sie als einigermaßen aus dem Zusammenhang gerissenes und in seiner Bedeutung damit recht überfrachtetes Element etwas verloren im Neubau. Diese postmoderne Geste muss man allerdings wohl auch im Zusammenhang mit derGeschichte des von Zerstörungen immerwieder besonders stark mitgenommenen Polen sehen. Letztlich ist das rekonstruierte „historische“ Element aber das einzige im Neubau und funktioniert auch im Zusammenhang der neuen architektonischen Konzeption.

Hinter dem Foyer tut sich ein – über ein strukturell ebenfalls auf die historische Reithalle Bezug nehmendes Dachfenster – belichteter Raum auf, den man über die Empore betritt, und der als Pausenraum ebenso wie als Veranstaltungssaal fungieren kann, gefolgt vom gleichfalls über ein verdunkelbares Glasdach belichteten großen Theaterraum mit einem Fassungsvermögen von 300 Zuschauern. Ein völlig opakes Inneres bietet in der transparenten Hülle zusätzlich der Kinoraum im Untergeschoß, in dem das Theater künstlerische Filmreihen präsentiert. Im rückwärtigen Teil des Komplexes liegen die Büros der Theatermitarbeiter, während der rechtwinklig zur benachbarten Straße abgewinkelte Trakt eine Mediathek mit Lese- und Konferenzräumen und ein eingetieftes Café mit kleinem Gastgarten aufnimmt, das seinerseits für kleinere Musik-Acts genutzt werden kann.

Von hier führt der Weg schließlich über eine Rampe wieder nach oben auf das Straßenniveau, wo dem schmalen Neubautrakt ein zweiter Freibereich mit Beeten und Sitzbänken vorgeschaltet ist. Transparent, zugänglich, zeitgenössisch, nimmt der Komplex auf die Umgebung Bezug, ohne sich anzubiedern.

27. Juli 2013 Spectrum

Neu in der Burg

Neigung zum Unspektakulären: Das Kunstmuseum ist das einzige Museum in Ravensburg, das nicht von einem mittelalterlichen Gebäude beherbergt wird. Der Neubau erfolgte in Passivhaus-Bauweise – wofür es den Deutschen Architekturpreis 2013 gab.

Die Lage am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen war ideal. Im 15. Jahrhundert erlebte die im Hinterland des Bodensees gelegene oberschwäbische Stadt Ravensburg ihre größte Blüte. Die Epoche des Spätmittelalters mit mächtigen Fachwerkhäusern, Stadttürmen und Klosterkirchen prägt noch heute ihr Erscheinungsbild. Ende des 19. Jahrhunderts gönnte sich die kunstsinnige Bürgerschaft ein Konzerthaus nach Entwürfen der Wiener Theaterarchitekten Fellner & Helmer. Das neueste architektonische Highlight in der historischen Reichsstadt ist das jüngst eröffnete Kunstmuseum, das das „Museumsviertel“ im historischen Zentrum komplettiert. In den vier Museen bildet sich, auf hohem gestalterischem und konzeptionellem Niveau, nicht zuletzt der legendäre Erfinder- und Unternehmensgeist der Alemannen ab: Während das „Humpis-Quartier“ in sieben historischen Gebäuden das Leben in der Stadt seit dem Mittelalter thematisiert, setzt sich das Wirtschaftsmuseum unter anderem mit der Geschichte der lokalen Leinen- und Papierindustrie auseinander. Das „Museum Ravensburger“ widmet sich dem traditionsreichen Spiele- und Jugendbuchverlag, der den Namen der Stadt in zahllose Kinderzimmer gebracht hat.

Als einziges Ravensburger Museum ist das Kunstmuseum nicht in einem mittelalterlichen Gebäude, sondern in einem Neubau untergebracht, direkt neben dem Museum Ravensburger und auf dem Gelände einer ehemaligen Produktionsstätte des Verlages. Basis ist die Sammlung des in der Tschechoslowakei geborenen Ravensburger Werbeberaters Peter Selinka und seiner Frau Gudrun. Nun ist es so, dass auch das Sammeln hochkarätiger moderner und zeitgenössischer Kunst in Baden-Württemberg durchaus gute Tradition ist – öffentlich zugängliche Sammlungen wie die des Schraubenfabrikanten Würth in Künzelsau und Schwäbisch Hall, des Neurologen Ottomar Domnick in Nürtingen, der Schokoladeproduzenten Ritter in Waldenbuch und der Zeitschalttechnik-Hersteller Grässlin in St. Georgen im Schwarzwald zeugen vom Niveau baden-württembergischer privater Kunstsammlungen ebenso wie die Sammlung des von Richard Meier geplanten Museums Frieder Burda in Baden-Baden.

Die in eine Stiftung eingebrachte und der Stadt Ravensburg als Dauerleihgabe überlassene Sammlung der Selinkas umfasst in erster Linie Arbeiten des deutschen Expressionismus von Künstlern und Künstlerinnen der Brücke und des Blauen Reiters sowie der Nachkriegsgruppierungen CoBrA und Spur. Bei der Planung des Museumsneubaus musste sich das renommierte Stuttgarter Architekturbüros Lederer + Ragnarsdóttir + Oei (Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir, Marc Oei) auf einem kleinen Grundstück einrichten, dessen Eingangsseite in einer schmalen Gasse am Rand des Stadtzentrums liegt. Zunächst einmal gibt sich der Bau burgartig geschlossen. Die von schießschartenartigen Luken durchbrochene Straßenfront mit halbrundem Zinnenkranz und Wasserspeiern an der Dachtraufe prägt eine Sichtziegelverkleidung. Gemäß dem kontextorientierten Credo des Büros „Erst kommt die Stadt, dann das Haus“ wurden gebrauchte Ziegel von einem abgerissenen belgischen Kloster verwendet. Die Fassade erhält so eine lebendige Anmutung des gewachsen Wirkenden.

Den Eingang ins Museum legten die Planer in einen intimen Vorhof, der mit dem Gartencafé des benachbarten Ravensburger-Museums über eine (leider verschlossene) Gittertür zumindest optisch verbunden ist. Gegen die vorbeiführende enge Straße grenzt den Hof eine Wand aus schmalen Glaslamellen ab, die, als Antithese zur massiven Ziegelmauer und dem oxidierten Kupfer des Eingangsbereichs, zarte Lichtreflexionen auf dem gepflasterten Boden und der umlaufenden betonierten Sitzbank schafft. Im Inneren sieht die Konzeption jeweils einen schlichten lang gestreckten rechteckigen Ausstellungsraum in Erdgeschoß sowie erstem und zweitem Obergeschoß vor, erschlossen durch ein straßenseitiges Treppenhaus, das über Oberlichtkuppeln und die schmalen Fassadenfenster natürliches Licht erhält.

Staunen macht vor allem der Wechselausstellungsraum im obersten Geschoß. Hier versteht man die runden Zinnen der Fassade, die motivisch an die Stufengiebel oberschwäbischer Stadttore und Kirchtürme erinnern. Sie bilden am Außenbau die schräg versetzten Ziegel-Tonnengewölbe des Ausstellungsraumes ab, die mit einer effektvollen Beleuchtung adäquat inszeniert werden. Eine ähnliche Decke, allerdings nicht im Grundriss, sondern im Aufriss schräg verschwenkt, realisierte Friedrich Kurrent vor einigen Jahren in seinem Maria-Biljan-Bilger-Museum in Sommerein am Leithagebirge nach dem Vorbild von Antoni Gaudís Bauhütte der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. Hier wie dort steht dahinter eine Haltung des „Nicht mehr als nötig“, eine Neigung zum Unspektakulären, Unaufgeregten, das Respektieren historischer und topografischer Kontexte, umgesetzt in die warme, haptische Materialität der Kombination von Beton, Ziegeln, Glas und Metall.

Ganz nebenbei ist das Ravensburger Museum auch das weltweit erste in Passivhaus-Bauweise zertifizierte Museumsgebäude. Bereits kurz nach seiner Eröffnung wurde der Bau, der von einer Errichtergesellschaft erstellt und von der Stadt Ravensburg rückgemietet wurde, mit dem Deutschen Architekturpreis 2013 ausgezeichnet. Herzliche Glückwünsche nach Stuttgart und Ravensburg.

22. Juni 2013 Spectrum

Das andere Lignano

Hausmeisterstrand? Von wegen! Eigentlich müsste die Gartenstadt an der Lagune schon lange ein bevorzugtes Urlaubsziel architekturaffiner Reisender sein, denn: Lignano kann viel mehr.

Die touristische Geschichte Lignanos begann vor 110 Jahren mit der im April 1903 eröffneten ersten Meerbadeanstalt im damals nur per Dampfschiff erreichbaren Ortsteil Lignano Sabbiadoro. Anders als Grado nicht Teil Österreich-Ungarns, war Lignano vor allem ein Bad der Italiener. Die infrastrukturelle Zukunft wurde in der Zeit des Faschismus mit der Trockenlegung der Sümpfe vor der Lagune von Marano gesichert.
Vor 60 Jahren, im Jahr 1953, beauftragte man schließlich den 1921 geborenen Udineser Architekten und Urbanisten Marcello d'Olivo mit der Planung einer neuen Gartenstadt für Touristen und Sommerfrischler westlich von Sabbiadoro. D'Olivo liebte nicht nur seine Architekturgötter Frank Lloyd Wright und Le Corbusier, sondern auch Kreisbögen und Sinuskurven. Er hatte eine Leidenschaft für Mathematik, Quantenphysik und Relativitätstheorie – und für die achteckige Renaissance-Planstadt Palmanova bei Udine. Als nun unweit von Palmanova eine neue Sommersiedlung aus dem Sandboden einer pinienbewaldeten Landzunge gestampft werden sollte, setzte d'Olivo den Horizontalen des Meeres und des goldockerfarbenen Sandstrandes und den Vertikalen der Schwarzkiefernstämme einen urbanistischen Plan entgegen, der auf einer regelmäßigen Spirale basierte – mit der Piazza Rosa dei Venti, dem „Platz der Windrose“, als Zentrum.

Die Straßen heißen hier nicht Via und Strada, sondern Arco – Bogen (die konzentrischen) – und Raggio – Strahl (die leicht gebogenen radialen). Es gibt auch die eine oder andere gerade Straße in Lignano Pineta, etwa so, wie es in Manhattan auch die eine oder andere krumme gibt. Zum Beispiel den Viale dei Fiori, mit einem von Hortensien gesäumten Fußweg in der Mitte zwischen den Fahrspuren. Und es gibt eine elegant geschwungene Schneise, die vom Platz der Windrose zum Meer führt. Hier sah d'Olivo eine Konzentration von Einzelhandel und Gastronomie im Erdgeschoß und Apartments im Obergeschoß vor, rechts und links breite Gehsteige mit Schanigärten, seitlich Fahrbahnen für Autos. Das nur „Il treno“, der Zug, genannte Geschäftszentrum wurde seit seiner Errichtung kaum verändert und funktioniert nach wie vor als Corso und Flaniermeile, inklusive der von d'Olivo entworfenen gebogenen Beton-Straßenlampen.
Außerhalb von Zug und Windrose prägen Lignano Pineta Bungalows und Apartmenthäuser, dazwischen ein paar Hochhäuser. Die namensgebenden Pinien überragen die Waldsiedlung. Klugerweise trennte d'Olivo die bebaute Zone durch einen Waldstreifen von der Strandpromenade. In jenen Teilen, die als Park angelegt sind, kam seine Zuneigung zu Sinuskurven in der geschwungenen Wegeführung zum Tragen.

An vorderster Front Richtung Meer entstanden ab 1954 die ersten und gleichzeitig die prestigeträchtigsten Ferienhäuser der Siedlung, davon mehrere nach d'Olivos Entwurf. Die beiden spektakulärsten stehen nebeneinander: Die seinerzeit in zahlreichen Architekturzeitschriften publizierte Casa Spezzotti ist eine im Grundriss schwer durchschaubare Komposition aus konkaven und konvexen Kreisbögen. Der Eingang liegt in einem trichterartigen Einzug im Sockelgeschoß, eine geschwungene Rampe führt außen am Haus entlang zum Wohngeschoß. Als Donut gibt sich die Casa Mainardis – der Zugang erfolgt hier über eine schneckenförmige Treppe im offenen Zentrum des ringförmigen Hauses und weiter auf die Dachterrasse.

Es war die große mondäne Zeit Lignanos. Ein Foto zeigt d'Olivo zusammen mit Ernest Hemingway, dem er vor Ort seinen Entwurf erläutert. Abends traf man sich in der (noch existierenden) „Hollywood Bar“ im „Treno“ oder ein Stück die Straße hinauf im Dancing „Il Fungo“ (Der Pilz), das, ebenfalls von Marcello d'Olivo entworfen, eine – richtig geraten: runde Dachterrasse hatte. Man saß auf pilzförmigen Hockern, wenn man nicht zur Musik der Livebands tanzte. Abendgarderobe war Pflicht. Vom „Fungo“ ist heute nur noch der Schriftzug in der Mauerbrüstung an der Straßenecke geblieben, an seiner Stelle steht ein neues Apartmenthaus.

Marcello d'Olivo plante in der Folge viel für Afrika und den Nahen Osten, für Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Kongo, Zaire, Sierra Leone, Algerien, Jordanien und Libyen und legte sich dafür auch mit den Diktatoren seiner Zeit ins Bett. Dabei wurde nicht gekleckert: Nach d'Olivos Entwurf entstand im Auftrag von Saddam Hussein ab 1978 das Denkmal des unbekannten Soldaten in Bagdad, auf einem – eh klar – kreisrunden Sockel von 13 Meter Höhe, mit einem Durchmesser von 260 Meter, in der Mitte eine gigantische freitragende Kuppelschale.
Daneben widmete sich d'Olivo verstärkt einer weiteren Leidenschaft, der Malerei. Er war befreundet mit Giorgio de Chirico, Orson Welles, Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti, Giulio Carlo Argan und dem Publizisten, Dichter und Ingenieur Leonardo Sinisgalli, dessen Sommerhaus eine von d'Olivos ersten Bauten in Lignano Pineta war. Schließlich besann er sich wieder auf sein ursprüngliches Konzept: 1986 publizierte er den Plan einer „Ecotown“ bei Padua, in der Mensch, Architektur und Natur in Harmonie existieren sollten. Die gebaute Grundlage des nicht realisierten Entwurfs ist nach wie vor in Lignano Pineta zu sehen. Der Platz, an dem „der Zug“ das Meer erreicht, ist seit einigen Jahren nach seinem Schöpfer benannt: Piazza Marcello d'Olivo.

6. April 2013 Spectrum

Prophet im eigenen Land

Wer war Hans Adolf Vetter? Architekt, Philosoph, Poet und Womanizer, lebendes Inventar im Café Herrenhof nebst Musil, Broch und Co. Zum Leben und Werk eines wiederzuentdeckenden Wieners (1897–1963).

New York 1982. Der Architekt Felix Augenfeld erinnert sich an seine Wiener Zeit vor 1938. Das Büro in der Wipplingerstraße bestand aus ihm, seinem Partner Karl Hofmann und der Sekretärin Else, der es oblag, „Kaffee zu kochen und mit den beiden Chefs Schach zu spielen, ebenso wie mit Hans Vetter, der fast täglich kam, entweder um auf unserer Maschine ein Gedicht zu tippen oder um sich Geld auszuborgen“. Augenfeld gehörte wie Hans Vetter zum Freundeskreis von Milan Dubrovic, der beide in seinem Buch „Veruntreute Geschichte“ verewigte.

Der Architekt, Poet, Philosoph und Womanizer Vetter war eine der zentralen Figuren des Café Herrenhof, zu dessen lebendem Inventar neben Dubrovic und Augenfeld Köpfe wie Friedrich Torberg, Albert Paris Gütersloh, Leo Perutz, Egon Erwin Kisch, Oskar Maria Graf, Elias Canetti, Joachim Ringelnatz, Hilde Spiel, Gina Kaus, Franz Werfel, Hermann Broch, Robert Musil, Milena Jesenská, Otto Neurath und der junge Peter Lorre zählten. „Patron war nicht mehr Weininger, sondern Dr. Freud; Altenberg wich Kierkegaard; statt der Zeitung nistete die Zeitschrift, statt der Psychologie die Psychoanalyse und statt des Espritlüftchens von Wien wehte der Sturm von Prag“, so Anton Kuh über das legendäre Café. Vetter selbst bemerkte aber auch: „Ich erinnere mich an ganz öde Sonntagnachmittage im Herrenhof, im Sommer – wenn einem das Gehirn verdorrte.“

Die Gefahr des ,Gehirnverdorrens‘ war bei ihm indes kaum gegeben. 1897 geboren, war Hans Adolf Vetter in der von Emil und Yella Hertzka als Komponistenkolonie initiierten, von Josef Hoffmann geplanten Villenkolonie Kaasgraben aufgewachsen, die mit ihren intellektuellen Bewohnern ein Zentrum liberalen Geistes war. Sein Vater Adolf Vetter war Direktor des Gewerbeförderungsamtes, Mitbegründer des Österreichischen Werkbunds, Bundestheater-Chef und erster „roter“ Sektionschef des Landes. Bei Vetters verkehrten Gustav Klimt, Anton Hanak, Egon Schiele und Oskar Kokoschka. Durch sein Elternhaus mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet, führte Hans Vetter das improvisatorische Leben eines vielseitig begabten, fantasievollen Bohemiens, basierend ebenso auf einer enormen Allgemein- und Fachbildung wie auf seinem von Witz und Esprit geprägten – so Dubrovic – „lebensfreudigen, bacchantischen Wesen“.

Nach seinem Studium bei Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule war Vetter mit seinem armenischen Kollegen Gabriel Guevrekian bei Robert Mallet-Stevens in Paris tätig. 1924 heiratete er Guevrekians Schwester Lydia. Danach arbeitete er in Wien fallweise mit Strnad oder Hofmann und Augenfeld zusammen und realisierte unter anderem zwei neusachlich schlichte Gemeindebauten. 1931 beteiligte er sich mit Max Fellerer am Wettbewerb für die Siedlung Froschberggründe in Linz. Das Projekt mit zwölf verschiedenen Haustypen errang den ersten Preis – die Typenhausentwürfe der letztlich nicht gebauten Siedlung können heute noch als beispielhafte Kleinhauslösungen gelten.

1932 gab Vetter gemeinsam mit Josef Frank den Band „Kleine Einfamilienhäuser“ mit Entwürfen und Bauten aus dem Werkbund-Umkreis heraus, darunter auch sein 1925 in Mödling gebautes Haus Garay. Vetter konzipierte das terrassierte Flachdachhaus gemeinsam mit dem Bauherrn, der Direktor des Bozner Gewerbeförderungsinstituts und wie Vetters Vater Gründungsmitglied des Österreichischen Werkbunds war. Ebenfalls in Vetters Buch veröffentlicht wurde das gegenüber seinem Elternhaus gelegene Haus Gerzabek.

Der auf ein Arkadengeschoß gestellte würfelförmige Bau mit Zeltdach, der zuletzt im Besitz von Peter Alexander war, ist eine Hommage an Oskar Strnad, der wie Josef Frank ein wichtiges Vorbild Vetters war. In der Wiener Werkbundsiedlung baute Vetter ein quaderförmiges frei stehendes Einzelhaus, dessen zur Straße gewandte Südseite mit ihren dem Goldenen Schnitt angenäherten Proportionen und Symmetrieachsen wie eine Grafik nach allen Regeln der Wiener Moderne komponiert ist, bis hin zur i-Punkt-artigen Rundluke über der Eingangstür. Vetter fand in den Jahren nach 1930 eine schlüssige Semantik für die Bauaufgabe des kleinen Einfamilienhauses Wiener Prägung, das sich trotz seiner bescheidenen Dimensionen als bürgerlich begreift und in seiner selbstbewussten, unspektakulären Modernität auch so definiert.

1933 war Vetter Chefredakteur der neuen Architekturzeitschrift „Profil“, wurde aber bereits nach einem Jahr durch einen mit den ständestaatlichen Doktrinen konformeren Kollegen ersetzt. Nach der Emeritierung Josef Hoffmanns übernahm er dessen Klasse an der Kunstgewerbeschule. Mit dem Anschluss wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ fristlos entlassen, legte er seinen zweiten Vornamen Adolf endgültig ab und emigrierte mit seiner jüdischen zweiten Frau, der polnischen Architekturstudentin Jadwiga Orzul, nach England. 1948 erhielt er einen Lehrstuhl für Architekturphilosophie am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh.

Kontakte nach Österreich bestanden nach wie vor – 1952 begründete Vetter in Salzburg die „Summer School of Architecture“. In dritter Ehe mit der Schweizer Gesangslehrerin Maria Malpi verheiratet, starb Vetter vor 50 Jahren, am 8. Mai 1963, in Pittsburgh. In den USA wird Vetter, einer der vielen vertriebenen Protagonisten des Wiener Kulturlebens, von denen, die ihn kannten, bis heute verehrt.

16. März 2013 Spectrum

Zurück in die Zukunft

Der Vergleich zum tristen Dahinvegetieren von Bad Gastein oder Baden bei Wien drängt sich auf – aber um wie viel besser bewältigte man ähnliche Herausforderungen im Schwarzwald. Der Kurort Wildbad: eine Visite.

Es war einmal der Stolz des kleinen Kurortes Wildbad im Nordschwarzwald: das Neue Eberhardsbad, 1977 eröffnet, über polygonalem terrassiertem Grundriss im Geiste der Stuttgarter Moderne an den Berghang im Tal des Flüsschens Enz geschmiegt. Das angrenzende „alte“ Graf-Eberhard-Bad am Kurplatz wurde geschlossen – am liebsten wollte man es abreißen. Dabei hatte der vom Hofbaumeister Nikolaus Thouret im seinerzeit topaktuellen neobyzantinisch-romanischen „Rundbogenstil“ geplante, mit dem ortstypischen roten Sandstein verkleidete Bau 130 Jahre zuvor den Weltruhm Wildbads begründet.

Im knietiefen warmen Schwefelwasser liegend, machten Politiker, Künstler und Monarchen das Schwarzwalddorf zum Modebad der englischen und russischen Aristokratie – nicht so großkotzig wie Baden-Baden und Karlsbad, feiner, bescheidener, ein wenig schwäbischer halt. Eine anglikanische Kirche und ein Moghul-Tempelchen standen für Weltläufigkeit, im Kurpark sah man zwischen Zaren, Kaisern und Komponisten Königin Olga von Württemberg, die, „wenn sie die Anlagen mit ihrem Windspiel durchschritt, der stolzen pfeilschnellen Artemis gleichsah“. Den Garaus machte dem international vorbildhaften Bad die große Kurwesenkrise um 1960. Mit dem Bau eines weiteren Thermalschwimmbades am gegenüberliegenden Berghang schien der historistische Bau mit seinen kleinen Becken obsolet.

Nach fast zwanzigjährigem Leerstand traf man schließlich die kluge Entscheidung, das Bad zu restaurieren und in seiner ursprünglichen Funktion wieder in Betrieb zu nehmen. Heute, nach der erfolgreichen Etablierung eines Rossini-Festivals im historischen Kurtheater, einer S-Bahn-Anbindung nach Karlsruhe und Stuttgart und dem Bau einer neuen Rheumaklinik, steht das Kurmittelzentrum Neues Eberhardsbad leer, während der nun den etwas dämlichen Namen „Palais Thermal“ tragende Altbau nach wie vor von Gästen aus Süddeutschland und dem nahen Frankreich gestürmt wird. Sein einziges Manko war das Fehlen eines Außenbeckens.

Dafür fand das schwäbische Architekturbüro Kauffmann Theilig & Partner eine vorbildliche Lösung. Da der obere Teil des Bades textilfreie Zone ist, galt es die neuen Außenbereiche vom Badhotel und dem tristen leer stehenden Kurmittelzentrum abzuschirmen, gleichzeitig aber die spektakuläre Aussicht auf die Schwarzwaldhänge mit ihren Kurhäusern und Bergbahnen nicht zu verbauen. Dazu wurden Teile der Terrassen des Kurmittelzentrums den neuen Freibereichen zugeschlagen, die zwischen die Dächer der beiden bestehenden Bauten eingepasst wurden. Einen leichten, quasi schwebenden Sicht- und Witterungsschutz bietet eine als weithin sichtbares Zeichen des erneuerten Bades fungierende Zeltkonstruktion, wie man sie von den Bauten der Olympischen Spiele in München 1972 kennt – nicht umsonst wurden diese vom in Stuttgart tätigen Günter Behnisch konstruiert, bei dem die Gründer des Büros ihr Handwerk gelernt haben. So kann man die lichtdurchlässige weiße Polyestermembran der Badüberdachung auch als eine Hommage an den während der Planungsphase verstorbenen Behnisch sehen. Die Vorgehensweise der Architekten ist dieselbe, die auch bei der Restaurierung der 1990er-Jahre angewendet wurde: Respekt vor dem historischen Bestand, gekoppelt mit entschieden zeitgenössischer Gestaltung in den neuen Bereichen. Das Ergebnis ist überzeugend: eine vielfältige begehbare, abends subtil beleuchtete Landschaft mit Treppen, Wasserbecken und Innenräumen über und zwischen den Dächern des Kurortes, die Oberflächen hand- und fußschmeichelnd mit Eschen- und Ulmenholz belegt. Die statische und infrastrukturelle Ertüchtigung des einzigartigen historischen Badetempels ließ sich das Land Baden-Württemberg als Bauherr rund drei Millionen Euro kosten. Zu hoffen bleibt, dass für den architektonisch durchaus anspruchsvollen 1970er-Jahre-Bau des Kurmittelzentrums bald eine neue Nutzung gefunden wird.

Der Vergleich zum tristen Dahinvegetieren der Kurortinfrastruktur von Bad Gastein, vor allem aber zu Baden drängt sich auf – auch hier hatte der Ort seine Glanzzeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Architektonisch kann Baden mit bedeutenden Bauten der Architekten Joseph Kornhäusel, Charles de Moreau sowie Sicardsburg/van der Nüll aufwarten. Man ließ hier allerdings die Chance ungenutzt, die Bäderbauten des 19. Jahrhunderts zumindest teilweise in ihrer ursprünglichen Funktion zu belassen – bis auf ein privates Hamam dient heute keines der kleinen Badner Bäder mehr Badezwecken. Moreaus Frauenbad wurde von den Architekten Lottersberger-Messner-Dumpelnik zum Arnulf-Rainer-Museum umgebaut, im Leopoldsbad ist das Tourismusamt, im Josefsbad ein Café untergebracht. Vom Mineralschwimmbad von Sicardsburg/van der Nüll wurden homöopathische Reste in Form des Foyers und einer Loggia im Freibereich der Sauna in die heutige Römertherme integriert. Erhalten hat sich einzig das 1926 eröffnete spätsecessionistische Strandbad. Im Zeitalter Developer-geplanter Kommerzthermen sind dessen unverwechselbare Architektur und Atmosphäre wie die des Wildbader Thermalbades ein unschätzbarer Wert.

9. März 2013 Spectrum

Alpin ohne Jodeln

Trotz großen Volumens kein Fremdkörper im kleinen Ort: Am Hotel „Travel Charme Bergresort Werfenweng“ in Salzburg ist erkennbar, was der persönliche Bezug des Architekten zu einem Bauort ausmachen kann.

Ort der Handlung: Werfenweng im Pongau. Im 45 Kilometersüdlich von Salzburg gelegenen 900-Einwohner-Ort, der vor allem vom Tourismus lebt, hat man sich seit 1997 einem touristischen Konzept der sanften Mobilität verschrieben. Unter dem Namen SAMO soll es das Anreisen mit der Bahn oder zumindest das Stehenlassen des Autos am Urlaubsort fördern, das die kostenfreie Nutzung von Elektroautos, Elektro-Scootern und Segways beinhaltet. Für die Gemeinde, die Partner des internationalen Projekts STARTER(Sustainable Transport for Areas with Tourism through Energy Reduction) ist, gehört dazu etwa auch die vermehrte Nutzung von Solarenergie.

Der Architekt Hermann Eisenköck kennt die lokalen Verhältnisse seit mehr als 30 Jahren. Dies trug mit dazu bei, dass das von Eisenköck geplante, vor wenigen Wochen eröffnete neue „Travel Charme Bergresort Werfenweng“ im Ort trotz seines Volumens nicht als Fremdkörper wirkt und auch nicht so empfunden wird. Eisenköck fungierte bei dem Projekt einerseits als eine Hälfte der „Werfenweng Hotelerrichtungs- und Besitzgesellschaft mbH“, als Auftraggeber und Bauherr und andererseits als verantwortlicher Planer des Architekturbüros ArchitekturConsult ZT GmbH, als Architekt und Generalplaner. Den Betrieb des Vier-Sterne-Plus-Hotels übernahm eine deutsche Kette. Mit ihren großteils an der deutschen Ostseeküste gelegenen Häusern fiel sie bisher nicht durch überdurchschnittliche Architektur auf – was sich nun mit der Expansion nach Österreich ändert.

Als Baugrund wurde ein annähernd 30.000 Quadratmeter großes Gelände imOrtszentrum zwischen Gemeindeamt, Feuerwehr, Volksschule, Kirche und Kindergarten ausgewiesen; am Garten des Hotels führt ein öffentlicher Fußweg vorbei. Eisenköck plante das Resort mit einer bebauten Fläche von insgesamt gut 6000 Quadratmetern als lose Gruppierung von drei Zimmer-Blöcken in Form liegender Quader, die über einem ein- bzw. zweigeschoßigen Sockelbereich dreistöckig aufragen. Das Erdgeschoß nimmt zwei Restaurants mit 230 respektive 50 Sitzplätzen, eine Bar, Bibliothek, Shop, Raucherlounge und einen Seminarraum auf. Auf dem zum Ort hin leicht abschüssigen Terrain ist der gut 1700 Quadratmeter große Spa-Bereich auf der Ebene unter der Lobby platziert, mit ebenerdigem Ausgang zu Freibecken und Garten.

Ergänzt wird dieser Bauteil durch drei zurückhaltend gestaltete holzverkleidete „Residenzen“. Die mit flachen Satteldächern gedeckten Bauten nehmen insgesamt 46 wie die Hotelzimmer und -suiten ausgestattete Eigentumsapartments auf, die vom Hotel mitbetrieben und vermietet werden, wenn die Eigentümer sie nicht selbst nutzen. Zusätzlich wurde eine auf dem Gelände befindliche ehemalige Pension als Wohnhaus für das Personal adaptiert. Insgesamt verfügt die Anlage mit ihren 120 Zimmern und Suiten und den Apartments über Kapazitäten für 400 Übernachtungsgäste, die von gut 80 Mitarbeitern betreut werden.

Der persönliche Bezug des Architekten zum Ort erwies sich als Vorteil. Die Baukörper wurden so gegeneinander versetzt und in der Höhe gestaffelt, dass ihre großen Volumen nicht als solche in Erscheinung treten. Leichtigkeit, Luftigkeit und die Inszenierung der Bergpanoramen in Kombination mit traditionellen Materialien sind in der gesamten Anlage spürbar. Schon beim Betreten des Gebäudes zelebriert die verglaste Lobby die spektakuläre Lage des Hauses, und der matte dunkle Boden aus geräucherter Eiche schafft eine einladende Stimmung. Hier hat sich auch die Zusammenarbeit mit dem auf Hoteleinrichtungen spezialisierten Innenarchitekten Lorenzo Bellini bewährt. In der Möblierung von Lobby und Zimmern greift Bellini auf die große Tradition der Moderne in den Tiroler Hotel- und Gastronomiebauten der Zwanzigerjahre zurück, was der Atmosphäre des Hotels sehr gut bekommt. Kombiniert werden Bellinis Massivholzmöbel mit Bergen von farbigen Kissen und Details, die leicht ironisch an die Sechzigerjahre erinnern.

Im ganzen Haus wird auf regionaltypische, alpine Materialien wie unbehandelte, gewachste und geräucherte Eiche, geölte Lärche, Wollstoffe und Filz gesetzt, einzelne farbige Akzente ergänzen die matten, holzigen Grundtöne. Die mit Lärchenholzlatten verkleideten Zimmertrakte sind so gegeneinander abgewinkelt, dass sich von den großzügigen Loggien aller Zimmer und Suiten Ausblicke auf Hochkönig, Tennen- und Hagengebirge bieten. Ein optisches Highlight des Hauses ist auch die von dunklem Holz geprägte Bar im Erdgeschoß. Neben Barhocker- und Fauteuil-Zonen, die durch unterschiedliche Fußbodenniveaus immer ein Kommunizieren mit den Barkeepern auf Augenhöhe ermöglichen, verfügt sie über ein „begehbares Weinregal“ in Form eines durch eine Glaswand vom Barbereich abgetrennten Extrazimmers mit Fenstern nach draußen. Trotz der warmen Atmosphäre der Bar ist hier jeder Alpinkitsch vermieden.

Sollte das alles irgendwem zu zeitgenössisch sein, gibt es noch eine Alternative: Aus dem Besitz der Familie Eisenköck stammt ein 400 Jahre altes Rauchhaus, das an seinem ehemaligen Standort ab- und auf dem Hotelgelände wiederaufgebaut wurde. Hier kann man im althergebrachten historischen alpinen Holzambiente schwelgen. Dieses wurde allerdings auf seine schöne, schlichte bauliche Substanz reduziert – platte Lederhosen-Jodel-Details aus der Geisterbahn des Wintertourismus wird man auch hier vergeblich suchen.

15. Januar 2013 dérive

Besprechung: Axonometrie und Alltag

100 Jahre Österreichischer Werkbund, und keiner thematisiert es? Zumindest das ebenfalls heuer anstehende 80jährige Jubiläum der Wiener Werkbundsiedlung hat das Wien Museum zum Anlass genommen, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Siedlung gründlich aufzuarbeiten. Dabei waren Kurator Andreas Nierhaus und Kuratorin Eva-Maria Orosz klug genug, sich von Anfang an der Mitarbeit u. a. Otto Kapfingers zu versichern, der gemeinsam mit Adolf Krischanitz die Grundlagenforschung für die letzte Sanierung von 1985 betrieben hat.

Die Ausstellung, die nicht im Hauptausstellungsraum des Wien Museums, sondern im ersten Stock zu sehen ist, könnte angesichts der Fülle an dokumentarischem Material etwas mehr Platz gut gebrauchen. Nach einer allgemeinen Einführung zum Kontext der nach dreijähriger Planung als vorletzte ihrer Art (einen Monat später folgte die völlig anders konzipierte Baba-Siedlung in Prag) eröffneten Werkbundsiedlung, dem Gemeindebau, der Wiener Siedlerbewegung und dem Kreis um Otto Neurath ist rund um ein großes Modell der gesamten Anlage auf Wandtafeln jedes einzelne Haus dokumentiert. Es lohnt dabei, sich – ausgestattet mit ausreichendem Zeitbudget – auch in den Details auf die Objekte einzulassen. Da wurde zum Teil Erstaunliches, auch für Fachleute Neues zu Tage gefördert – neben ausführlichen Unterlagen zu den langwierigen Vorplanungen für das ursprünglich vorgesehene Gelände bei der Spinnerin am Kreuz etwa Josef Franks (auf Deutsch geführter) Briefwechsel mit Gerrit Rietveld, in der Ausstellung faksimiliert und komfortabel am Tisch sitzend nachzulesen, oder André Lurçats aus Paris entlehnte schöne Axonometrien seiner vier Werkbund-Häuser mitsamt nicht ausgeführtem formal-modernistischem Gartenentwurf.

Dank der Möbel-Spezialistin Eva-Maria Orosz ist ein umfangreicher Teil der Ausstellung der Einrichtung der Musterhäuser gewidmet. Dabei wurde versucht, auch der Geschichte der zahlreichen beteiligten Tischlereien, Raumausstatter und Haushaltsgeräte-Lieferanten nachzugehen. Was mit dazu beiträgt, die Siedlung nicht als ein vom Himmel gefallenes Wohnmanifest, sondern auch als ein Spiegelbild der Produktpalette progressiver Alltagskultur der frühen 1930er Jahre zu erkennen. Beharrlich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich um Ausstellungswohnungen handelte und in diesen Einrichtungen nicht wirklich gelebt wurde. Hatte das denn jemand angenommen? In der Kombination mit einigen Originalmöbeln aus den Muster-Einrichtungen der Häuser (auf einigen Sesselmodellen aus derselben Zeit darf man sogar sitzen!) ergibt sich, gerade durch ihren demonstrativen Charakter, ein Panorama der Zeit, in dem sich selbstredend auch das ganze Ausmaß an historischen Entwicklungen spiegelt.

Dabei kann als ein bezeichnendes Fallbeispiel die Geschichte eines Hauses von Jacques Groag, einem Mitarbeiter von Adolf Loos, ausführlich dokumentiert werden. Nachdem ein geplanter Hausbau durch Loos gescheitert war, kaufte die mit Loos über seine Frau Claire verwandte Familie Schanzer das Groag-Haus und eignete es sich und ihrem Leben an. Die Odyssee der jüdischen Familie führte nach dem Selbstmord der verzweifelten Eva Schanzer 1938 über eine zu deren Rettung in die Wege geleitete Adoption der Kinder nach Australien und weiter in die USA, wo sich Vater, Sohn und Tochter schließlich wieder trafen. Historische Fotos vom Leben im Haus und ein Video-Interview mit Charles Paterson, dem einstigen Karli Schanzer, der, nach eigener Aussage beeinflusst durch sein Elternhaus, in den USA Architektur studierte und Mitarbeiter Frank Lloyd Wrights wurde, schließen den Kreis zur Gegenwart.

Ein weiterer wichtiger Teil des Nachlebens der Siedlung ist auch die Dokumentation von Kommentaren der Bewohnerschaft, die für den ORF im Zuge der Sanierung der 1980er Jahre dokumentiert wurden. Die bodenständige Sichtweise der kittelbeschürzten Bewohnerinnen in den – bis heute großteils über die GESIBA vermieteten – Häusern mit ihren klobigen Wohnzimmer-Einrichtungen mag aus der Distanz von bald drei Jahrzehnten zum Lachen reizen. Aber Menschen lassen sich eben nicht per architektonischer Absichtserklärung zu idealen Lichtgestalten umfunktionieren. Lebensalltag ist banal und jede Beschwerde über schlecht und unkoordiniert ausgeführte Bauarbeiten legitim. Den chronologischen Abschluss der Ausstellung bildet die jüngste denkmalpflegerische Bestandsaufnahme und Restaurierung durch das Wiener Architekturbüro p.good. Eines ist klar: Die Siedlung lebt, und ihre Geschichte geht weiter.

15. Dezember 2012 Spectrum

Haushoch hinaus

Vormals das erste und lange Zeit das einzige Hochhaus Wiens, wurde das Gebäude in der Herrengasse nun als Handels- und Wohnort wiederentdeckt. Das nussschalengroße Café gewährt einen interessanten Durchblick.

Langsam scheint es wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu sickern: Nicht irgendein gesichtsloser Nachkriegsbau ist es, an dem man auf dem Weg vom Michaelerplatz zum Schottentor vorbeigeht, auch wenn die schwarz verglaste Front an der Herrengasse sich schlicht gibt – es handelt sich vielmehr um das erste Hochhaus Wiens. Während sich auf der linken Seite der Herrengasse nach wie vor barocke und klassizistische Adelspalais reihen, die heute großteils von Ministerien genutzt werden, wurde die rechte Seite der Gasse ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sukzessive neu bebaut, vor allem mit Bankgebäuden. Das ebenfalls von einer Bank errichtete Hochhaus – jahrzehntelang das Hochhaus von Wien – reckt sich freilich nur 15 Stockwerke in den Himmel. Es ist ein als Antithese zum Gemeindebau des Roten Wien 1932 errichteter Prestige-Wohnbau, in dem die mit Kochnischen und Badewannen ausgestatteten Garçonnièren für urbane Alleinstehende attraktiv und auch durchaus leistbar waren. Das Hochhaus-Völkchen setzte sich zu nicht unerheblichen Teilen aus Musikern, Schauspielern, Schriftstellern, Künstlern, Intellektuellen und Freigeistern jeder Art zusammen.

Die zum Hof zurückgetreppten oberen drei Stockwerke nahm ein Terrassencafé mit spektakulärer Aussicht über die Stadt ein. In den Sechzigerjahren wurde es geschlossen und zu Wohnungen umgewandelt. Besucher waren im Haus mit Ausnahme der Arztpraxen eher nicht mehr erwünscht, in den teilweise 1938 arisierten Mietwohnungen zog Normalität ein, die Bewohner wurden im Laufe der Jahrzehnte älter und wohl auch ruhebedürftiger.

Die Wiederentdeckung des von den Architekten Siegfried Theiß und Hans Jaksch in nobel zurückhaltender Eleganz entworfenen Hauses setzte vor circa zehn Jahren im Zusammenhang mit einem allmählichen Generationenwechsel in der Bewohnerschaft ein. Wieder zogen Architekten, Grafiker, Schriftsteller in das Haus. Eine umsichtige Verwaltung achtet auch darauf, dass bei den vielen kleinen Geschäftslokalen hinter der noblen Opalglas-Front an Herrengasse, Fahnengasse und Wallnerstraße eine gewisse Vielfalt gewährleistet bleibt. Die Vermietung eines großen Teils des Postamtes in der Wallnerstraße an eine deutsche Fast-Food-Pizza-Kette war da schon eine Ausnahme – der kleine Gastgarten belebt und bereichert den öffentlichen Raum vor dem Haus im Sommer aber zweifellos.

An der Ecke Herrengasse/Fahnengasse springt das Erdgeschoß des Hochhauses weit zurück und bildet so einen gedeckten Bereich aus, der als einladendes Entrée des Gebäudes fungiert – in den letzten Jahren wiesen Schilder an den verglasten Eingangs-Schwingtüren wohl nicht grundlos darauf hin, dass es sich hier nicht um einen U-Bahn-Eingang handle und dieser sich um die Ecke befinde. An derselben Ecke gibt es auch eine runde verglaste Vitrine vor dem Eingang. Sie umhüllt nicht zuletzt auf elegante Art die beiden Stahl-Doppelstützen, die den Turmteil des Gebäudes tragen. Genutzt wurde die Vitrine als großzügige Auslage, mit fast zu viel Platz für die paar Bücher, die in den Dreißigerjahren eher verloren darin drapiert waren. Die Fünfzigerjahre brachten die Einrichtung einer eher kurzlebigen, aber mit ihrer Jazz-Beschallung todschicken, internationales Flair nach Wien bringenden Espresso-Milchbar nach Entwürfen des Architekten Fritz Euler. In den „Glaskäfig“ kamen nach Aussage der Wirtin damals „nur feine Leute“.

Nun ist in die Vitrine aufs Neue ein nussschalengroßer Gastronomiebetrieb eingezogen. Der Entwurf stammt diesmal vom Büro BEHF. Der planende Architekt Stephan Ferenczy lebt selbst im Hochhaus und hat daher eine besondere Beziehung zum Gebäude und seiner speziellen Charakteristik. In der Gestaltung der neuen Weinbar sind Bezugnahmen auf das „Hochhaus-Espresso“ durchaus festzustellen. Wo in den Fünfzigerjahren wenige kleine Bistrotische an der Glaswand entlang gereiht waren, wurde nun eine mit weichem karamelfarbenem Leder bezogene durchgehende Sitzbank mit tischhoher Ablagefläche installiert. Die auf die Ästhetik der Fünfzigerjahre anspielende amöbenförmige Theke steht auf ihrem gewellten Edelstahlsockel frei im Raum, sodass es kein vorne und hinten gibt und die Bar weder den Passanten auf der Herrengasse noch den aus dem Haus Kommenden eine Rückseite zuwendet. Das Lokal funktioniert so als allseitig einsehbare, betretbare Vitrine seiner selbst, mit mehrstöckigen Stahlregalen voll gereihter Flaschen mit durchscheinendem Inhalt und gewissermaßen im zylindrischen Goldfischglas sitzenden Konsumenten von Kaffee und Wein – auch heute eher „feinen Leuten“. Die Durchsichtigkeit von innen nach außen und umgekehrt und genauso das Gesehenwerden sind im Glaszylinder selbstverständlicher Teil des Konzepts.

Rechts und links des Eingangs an der Ecke Herrengasse/Fahnengasse rahmen den Raum die zwei gestrichenen Stahlträger, auf denen der Turmteil des Hauses ruht. Der Boden ist in robustem anthrazitfarbenem Terrazzo ausgeführt, von der Decke ist über der Bar eine Art Bambusgeflecht abgehängt, das vielleicht schon ein bisschen zu sehr auf die Fünfzigerjahre verweist. Das Personal ist, optisch durchaus als Teil des Ganzen fungierend, in dezentem Grau-Braun-Beige gekleidet, passend zum gut riechenden Leder, das Bar, Sitzbank und Ablagen überzieht und kurz nach der Eröffnung schon einige Rotweinflecken aufweist, aber für würdiges Altern gut gerüstet zu sein scheint. Die haptischen Materialien und die dezente warme Farbgebung wollen jedenfalls gut zum schwarz-weißen Marmor des Hochhaus-Foyers, dem schwarzen Glas der Geschäftsfassaden und den eleganten Nirosta-Profilen der Fensterrahmen passen. Alles in allem versucht die Bar erfolgreich, sich quasi-selbstverständlich in den Bestand einzufügen. Es ist ein wenig, als sei die glamouröse Zeit des Hochhauses zurückgekehrt: Wie in Karl Maria Grimmes euphorischem Text zum Hochhaus-Café „blinken Metallsäulen, gleißen Geländerreifen, schimmern und spiegeln Glaswände“. Tatsächlich kann man spätestens nach dem ersten Achtel kaum glauben, dass es hier nicht immer so ein Lokal gegeben hat.

22. September 2012 Spectrum

Leben im Museum

Widersprüchlich, heterogen und ein einzigartiges Zeugnis der Wiener Moderne: Die Wiener Werkbundsiedlung ist das Aushängeschild des Österreichischen Werkbunds. Zur Ausstellung anlässlich ihres 80-jährigen Bestehens im Wien Museum am Karlsplatz.

Bauausstellungen waren in den 1920er- und 1930er-Jahren wichtig: mit 1:1-Häusern, die man anfassen, durchwandern und die man sich als neue Behausung im Sinne des Neuen Bauens ausmalen konnte. Da gab es viele Mustereinrichtungen, die temporär im Künstlerhaus und Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) zu begutachten waren. Bei der „Wohnung und Siedlung“ in Linz und diversen Wochenend- und Kleinhausschauen im Messepalast (heute Museumsquartier) und dem noch unverbauten Gelände hinter dem MAK wurden richtige Häuser aus Stahl, Ziegeln, Beton und Holz aufgebaut und eingerichtet. Nach Ende der Ausstellung wurden alle wieder abgebaut. Das vielleicht berühmteste Beispiel ist Ludwig Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon, gebaut als repräsentativer Empfangsraum des Deutschen Reichs auf der Weltausstellung von 1929. Hier war der Phantomschmerz über den beim Abtransport verschollenen Pavillon so groß, dass er in den 1980er-Jahren am Originalstandort auf dem Messegelände von Barcelona rekonstruiert wurde.

Anders war dies bei den Werkbundsiedlungen, die alle für ein permanentes Bewohnen nach der Dauer der Ausstellung konzipiert waren, teils als Mietshäuser wie in der Stuttgarter Siedlung, teils als großbürgerliche Villenkolonien mit Häusern nach den Wünschen der Bauherren wie in der Baba-Siedlung in Prag. Die im gleichen Jahr wie die Prager entstandene Wiener Werkbundsiedlung wurde zu einem Zwischending: Einige Häuser waren schon vor ihrer Fertigstellung verkauft, andere nach dem Ende der Ausstellung erweitert und adaptiert, der Großteil über die GESIBA vermietet. Einem Abriss entging die Werkbundsiedlung in der Zeit des Nationalsozialismus durch die Tatsache, dass der erste NS-Bürgermeister Wiens zur Zeit des Baus der Siedlung Präsident des Österreichischen Werkbunds gewesen war und die Siedlung als solcher mitgetragen und eröffnet hatte. Es folgten eine lange Zeit des Vergessens, eine Wiederentdeckung durch die Architekten der Wiener Nachkriegsmoderne, eine architektonisch fundierte, aber in den Ausführungsmodalitäten unglücklich verlaufene Sanierung, Bauschäden, Stagnation und eine neuerliche denkmalpflegerische Bestandsaufnahme und Restaurierung durch das Architekturbüro p.good.

In der schwierigen Entstehungs- und Bestandsgeschichte der Wiener Werkbundsiedlung, der das Wien Museum zurzeit anlässlich ihres 80. Geburtstags eine Ausstellung widmet, spiegelt sich die komplexe, immer wieder von Sezessionen und Animositäten geprägte Geschichte des Österreichischen Werkbundes. Gegründet wurde der Österreichische Werkbund vor exakt 100 Jahren. Seine Entstehung fällt zusammen mit der 6. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes, die im Juni 1912 in Wien stattfand.

Die Gründung eines Österreichischen Werkbundes, nun etwa mit Adolf Loos und Josef Frank, versprach neue Möglichkeiten für das Wiener Kunsthandwerk, das sich in einer der Industralisierung geschuldeten Krise befand. Unterschiedliche Auffassungen vom allumfassenden, einheitlich durchgestalteten Gesamtkunstwerk (Hoffmann) bzw. vom unpathetischen, widersprüchlichen, nicht formbaren Lebensumfeld (Frank und Loos) führten zunehmend zu Konflikten und 1920 zur ersten Werkbundspaltung mit Austritt der Hoffmann-Gruppe, die einen mangels eloquenter Vertreter nur begrenzt aktiven „Wiener Werkbund“ gründete. 1923 folgte noch dazu die Gründung des Steiermärkischen Werkbundes, den künstlerischer und großteils auch politischer Konservatismus kennzeichnete.

In der internationalen Wahrnehmung löste Frank Hoffmann zunehmend ab. Als einziger Österreicher baute er 1927 in der Stuttgarter Werkbundsiedlung und war er 1928 auf der Gründungstagung der Internationalen Kongresse für Neues Bauen CIAM im Schweizer La Sarraz. Trotz allem gelang damals mit viel gutem Willen die Wiedervereinigung von Österreichischem und Wiener Werkbund. Die Wiener Siedlung wurde schließlich nicht wie geplant zur Werkbund-Tagung 1930 fertig, sondern erst zwei Jahre später. Die mühsam aufrechterhaltene Einheit zerbrach kurz darauf, als Hoffmann, Clemens Holzmeister und Peter Behrens sich mit dem „Neuen Werkbund Österreichs“ erneut abspalteten. Auf der Weltausstellung in Paris stellte man noch gemeinsam aus, zu einer Wiedervereinigung kam es nicht mehr. Mit dem Anschluss wurde 1938 auch der Werkbund liquidiert.

Die Mehrzahl der Protagonisten der Wiener Moderne kehrte aus der Emigration nicht zurück. Der Werkbund versuchte einen Neustart mit Erich Boltenstern, Franz Schuster, Max Fellerer und Oswald Haerdtl. Haerdtl engagierte sich mit Grete Schütte-Lihotzky, Wilhelm Schütte und Karl Schwanzer in einer neu formierten österreichischen CIAM-Gruppe. 1949 zog Schwanzer in einem Brief an die Werkbund-Leitung ein resigniertes Resümee: „Nach der Gründung des Österreichischen Werkbundes ist dieser noch nicht mit wesentlichen Taten an die Öffentlichkeit getreten. Stattdessen erfreut sich die reaktionäre Baugesinnung in Wien und Österreich größter Blüte.“ Die Zeiten der engagierten Werkbund-Arbeit waren vorbei. Der Österreichische Werkbund wurde 1976 aus dem Vereinsregister gelöscht. Seine sichtbarste Hinterlassenschaft bleibt die Wiener Werkbundsiedlung – widersprüchlich, heterogen und ein einzigartiges Zeugnis der Wiener Moderne.

11. August 2012 Spectrum

Genuss in der Schublade

Apfel, Mohn, Vanille oder Kaffee lauten im Inneren die Farbvorgaben, schließlich ist ja gleich nebenan eine renommierte Konditorei. Das Hotel Pupp in Brixen, Südtirol: Bauen im Bestand, appetitanregend.

Südtirol stand während einer durchaus beträchtlichen Zeitspanne in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem für billige Busreisen, billigen Wein und gespritztes Obst, galt also nicht gerade als Sehnsuchtsziel junger, urbaner Genussmenschen. Dass sich daran in den vergangenen Jahren einiges geändert hat, ist allerdings nicht zu übersehen. Die Therme Meran etwa, konzipiert vom Berliner Architekturbüro Baumann und Zillich (mit Innenausstattung von Lokalmatador Matteo Thun), setzte 2006 ein Zeichen für eine Stadt, deren touristisches Angebot sich nunmehr auch an ein Lifestyle-orientiertes Publikum wenden wollte.

Ein weiteres Beispiel neben Meran ist Brixen, eine historische Stadt mit mittelalterlichem Kern, halb alpin, halb italienisch anmutenden Plätzen und Laubengängen, unterbrochen von weitläufigen Gartenanlagen aus fürstbischöflichem Besitz. Im Jahr 2004 wurde die 20.000-Einwohner-Stadt am Eisack zusätzlich zur bestehenden Philosophisch-Theologischen Hochschule um einen externen Standort der Universität Bozen bereichert.

Das neue Institutsgebäude am westlichen Rand der Altstadt nimmt mit seiner quadratischen Vierflügelanlage in Disposition und Dimension Bezug auf die vis-à-vis gelegene Hofburg. Der sich asketisch und karg gebende Sichtbetonbau der Stuttgarter Architekten Kohlmayer und Oberst war, nach Othmar Barths 1962 neben dem Priesterseminar am gegenüberliegenden östlichen Rand der Altstadt entstandenem Eisenbeton-Sichtziegel-Bau der Cusanus-Akademie, ein weiteres gelungenes Beispiel zeitgenössischen Bauens im Kontext einer historisch gewachsenen Umgebung.

Dann gab es noch das Nordende des Stadtzentrums. Dort bestand am Rand der Altstadt eine innerstädtische Brache zwischen dem in den 1990er-Jahren errichteten Erlebnisschwimmbad und der renommierten Konditorei Pupp. Für den Neubau eines kleinen Hotels initiierten die Brüder Christian und Martin Pupp 2010 einen geladenen Wettbewerb, aus dem schließlich der Entwurf des ortsansässigen Architekten Christian Schwienbacher siegreich hervorging. Dem sensiblen Standort zwischen dichter Altstadtbebauung und der heterogenen angrenzenden Mischzone wurde Schwienbacher mit einem Entwurf gerecht, der sich auf die Volumina der umgebenden Bauten bezieht, dabei aber selbstbewusst zeitgenössisch auftritt.

Leicht aus der Straßenflucht zurückversetzt, bildet die Bebauung an der Längsachse der Altstadt einen Vorplatz aus, der auch der Puppschen Konditorei einen größeren – und bereits ab dem frühen Morgen durchgehend gut besuchten – Gastgarten beschert. Wo man ein Zelebrieren der privilegierten Lage mit Ausblicken auf die pittoreske Umgebung erwartet hätte, erstrahlt ein weißer Solitär, der sich am ehesten mit einer Gruppierung dreier aufeinandergestellter, ineinanderverkeilter, auskragender Schubladen vergleichen ließe.

Besenstrich-Rauhputz, strahlend

Trotz der verglasten Eingangszone ist dieser Schubladenhaufen überraschend introvertiert – wie das eben bei Schubladen ist, die ja im Allgemeinen auch nicht nach vorne offen sind. Nur zwei Loggien mit Blick auf den Platz sind aus der weißen Quaderschichtung ausgeschnitten.

Außen und innen mit strahlend weißem, traditionellem „Besenstrich“-Rauhputz bedeckt, präsentiert sich das kompakte Haus in seinen Gastzimmern und Aufenthaltsbereichen mit kräftigen Farbakzenten. Im Inneren des von den Betreibern mit „small luxury“ beschriebenen Hotels setzt sich das Spiel mit dem Wechsel von Introvertiertheit und den als aufblitzende Extras inszenierten Ein- und Ausblicken fort. Von den nur elf, dafür aber umso großzügigeren Zimmern haben nur die beiden mit den straßenseitigen Loggien im ersten und zweiten Obergeschoß Stadtblick. Die drei Suiten im Erdgeschoss sind zu einem teils holzbeplankten, teils bepflanzten, terrassierten Hof an der Gebäuderückseite orientiert.

Mit ihren eichenen Böden und Einbaukästen, in den 1960er-Jahren vom dänischen Architekten Arne Jacobsen entworfenen klassisch-modernen „Swan Chairs“ und mit Glasmosaik ausgekleideten Badezimmern ausgestattet, folgen die einzelnen Zimmer in ihren farblichen Leitmotiven den appetitanregenden Ingredienzien der Puppschen Konditorei: Apfel, Marille, Zwetschke, Erdbeere, Mohn, Vanille, Kaffee, Kastanie, Pistazie, Schokolade und Sahne lauten die klaren Farbvorgaben.

In seiner Schubladenschichtung vermeidet der Bau auch das allzu Einfache und Eindeutige mittels leichter struktureller Verschiebungen. Hier landete man einen weiteren Glücksgriff mit der Beauftragung künstlerischer Arbeiten in Form von funktionalen Metallgittern nach Entwürfen der aus Südtirol stammenden Wiener Künstlerin Esther Stocker. Eine bessere wechselseitige Ergänzung der schicken und sehr eleganten Architektur als durch die quasi musikalischen Strukturen der leichten geometrischen Verschiebungen, die Esther Stockers lakonische Arbeiten kennzeichnen, lässt sich kaum denken.

Das überall wiederkehrende Thema der vor die Aussicht gesetzten Wände hat hier erstaunlicherweise keine klaustrophobische Einengung zur Folge, obwohl es konsequent durchgezogen wird – selbst vor das über Glaswände belichtete platzseitige Stiegenhaus legt sich eine Wandschürze, die eine Art schwebenden Lichthof vor dem Hoteleingang entstehen lässt. Das Motiv ist in Form von in ihrer Anmutung fast japanisch-meditativen, nach oben offenen introvertierten schmalen Höfen, die den übrigen Zimmern zugeordnet sind, durch das ganze Haus gezogen, das mit je 1300 Kubikmetern über gleich viel ober- und unterirdische Volumina verfügt.

Mit Belichtung über einen seitlich vorgelagerten Hof kommt viel Tageshelligkeit auch in den aus raumökonomischen Gründen in das Untergeschoß gelegten Frühstücksraum. Mit seinen bunten Charles-Eames-Schalensesseln aus den 1950er-Jahren verströmt der Raum nicht nur erfrischenden Midcentury-Chic – mit seiner Bestückung durch Christian Pupps Konditorei würde er allein schon des Frühstücks wegen jeden Aufenthalt lohnen.

Und wer dennoch einmal genug von der Introvertiertheit seines kleinen bepflanzten Höfchens haben sollte, der kann ja jederzeit den hoteleigenen Whirlpool auf der Dachterrasse mit Traumblick über Stadt und Umland nutzen.

2. Juni 2012 Spectrum

100 ist erst der Anfang

1912 wurde die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur gegründet. Und wie steht's um die hiesige Freiraumgestaltung ein Jahrhundert danach?

In diesen Tagen feiert die ÖGLA, die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, ihr hundertjähriges Gründungsjubiläum. In merkwürdigem Gegensatz hierzu steht die Tatsache, dass der Berufsstand der Landschaftsarchitektur in Österreich ein recht junger ist. Erst seit 1991 gibt es hierzulande ein reguläres Studium der Landschaftsarchitektur. Dass vor 21 Jahren, nach dem Studienversuch „LÖK“ (Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung), schließlich eine reguläre Studienrichtung LAP (Landschaftsplanung und Landschaftspflege) an der Universität für Bodenkultur eingeführt wurde, verdankt sich auch dem Engagement der ÖGLA.

Über Jahrhunderte hinweg waren es Architekten, Gärtner, Maler oder einfach Laien, die Gärten, Parks, öffentliche Plätze und Landschaften gestalteten. Parallel zu ähnlichen Diskussionen in der Architektur wurden in Österreich um 1900 verstärkt Debatten um die Befähigung und eine geregelte Ausbildung zur Gestaltung von Gärten und Parks geführt. Es war die Zeit erbitterter Stilkontroversen in Kunst, Architektur, Kunstgewerbe und auch Gartenkunst – und zwar vor allem zwischen ,landschaftlichen‘ und ,architektonischen‘ Gestaltungsprinzipien.

Landschaftsgärtner und Interessierte waren in der 1837 gegründeten, heute – ohne k.k. – noch existierenden „k.k. Gartenbau-Gesellschaft“ organisiert. Die nicht geschützte Berufsbezeichnung Gartenarchitekt führten vielfach auch Gärtner und Autodidakten. Als 1912 die „Vereinigung österreichischer Gartenarchitekten VÖGA“ mit dem ersten Vorsitzenden Franz Maxwald gegründet wurde, verstand sie sich als Berufsvertretung, die in erster Linie Wettbewerbsrichtlinien und Honorarordnungen erarbeitete und – wenn auch vergebens – einen Titelschutz für den Beruf des Gartenarchitekten anstrebte.

Im selben Jahr wie die VÖGA wurden auch der Österreichische Werkbund und die privat geführte Erste Wiener Gartenbauschule für Frauen im Kaasgraben in Grinzing gegründet. Die Geschichte der Vereinigungen spiegelt dabei im Laufe der Jahrzehnte immer auch die politischen Verhältnisse – so wurde die (später wiedergegründete) Österreichische Gartenbau-Gesellschaft 1934 behördlich aufgelöst, da mehrere ihrer führenden Mitglieder der nach den Februarkämpfen verbotenen sozialdemokratischen Arbeiterpartei angehörten. Das Ende der VÖGA – wie auch des Österreichischen Werkbundes und der Gartenbauschule für Frauen – kam 1938 mit der Eingliederung in den „Reichsnährstand“ der „Landesbauernschaft Donauland“.

Die Nachkriegszeit brachte eine Neugründung und Mitarbeit bedeutender Landschaftsarchitekten wie Albert Esch, Eduard Maria Ihm, Alfred Auer, Viktor Mödlhammer und Josef Oskar Wladar. Eine Aufnahme in den elitären Verband war bis in die frühen 1990er-Jahre nur über eine Bewerbung mittels einer einzureichenden Mappe möglich, die von einem Aufnahmekomitee geprüft und abschließend von der Vollversammlung gutgeheißen werden musste. Eine kleine Palastrevolution, vor allem aber eine Öffnung des Verbandes für alle Beitrittswilligen und einen damit verbundenen Generationenwechsel im Vorstand brachte das Engagement einer Gruppe jüngerer Landschaftsarchitekten wie Thomas Knoll, Karl Grimm, Thomas Proksch, Gerhard Prähofer, Brigitte Mang, Ursula Kose und Lilli Lička. Entsprechend neuen Tätigkeitsfeldern wie Stadt- und Dorferneuerung, Agrarförderung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Gartendenkmalpflege waren unterdessen auch Umwelt- und Naturschutz, kooperative Planungsverfahren und alltagstaugliche Freiraumgestaltung Teil des Selbstverständnisses von Landschaftsarchitekten geworden.

1994 wurde der Berufsstand in die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten aufgenommen. Seitdem versteht sich der Verband vor allem als Instanz für nationale und internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbying, Weiterbildung und die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis. Der von der ÖGLA ausgeschriebene internationale Landschaftsarchitekturwettbewerb für Studierende wurde von Ursula Kose und Brigitte Lacina neu aufgesetzt, der von Gisa Ruland geführte „Arbeitskreis Wohnen im Grünen“ ist ebenso Teil der Vereinigung wie die unter dem Vorsitz von Lilli Lička begründete Online-Projektdatenbank „nextland“, die in Kooperation mit dem von Lička geleiteten Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur betreut wird. BOKU und ÖGLA veranstalten gemeinsam auch Tagungen und Vortragsreihen.

Die länderübergreifend in der „International Federation of Landscape Achitects (IFLA)“ vernetzte ÖGLA vertritt mit ihren heute knapp 200 Mitgliedern einen Berufsstand, der sich nach wie vor im Wandel befindet. So hat in den letzten Jahren die gestalterische Arbeit gegenüber Aufgaben wie Naturschutz stark aufgeholt. Neue Arbeitsbereiche der Landschaftsarchitektur bringt die Öffnung des Tätigkeitsfeldes in Richtung temporäre Interventionen und Beteiligungsprozesse.

Dennoch sehen sich Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen – in Studium und Beruf stellen Frauen heute in Österreich die Mehrheit – nach wie vor der Notwendigkeit gegenüber, Lobbying für Verständnis und Wertschätzung ihrer Arbeit zu betreiben: bei Laien, aber vielfach auch in der Architektenschaft. Auf der anderen Seite stehen fruchtbare Kooperationen gerade von jüngeren Büros mit Architekturschaffenden sowie mit Künstlern und Künstlerinnen. Gerade in der neuen Generation funktioniert die interdisziplinäre Vernetzung gut, auch durch Bürogemeinschaften, die direkten Austausch ermöglichen – so etwa bei Yewo, einer Gemeinschaft, bei der Landschaftsarchitekturbüro, Architektur-, Design- und Vermittlungslabor und Grafikatelier Räumlichkeiten, Ressourcen und geistigen Input teilen.

Übrigens ist mit Yewo Landscapes nach einem gewonnenen Wettbewerb heuer erstmals ein österreichisches Atelier auf dem renommierten „Festival du jardin“ im französischen Chaumont-sur-Loire vertreten. Eines ist jedenfalls gewiss: Es bleibt spannend für die Landschaftsarchitektur – hundert Jahre sind erst der Anfang.

21. April 2012 Spectrum

Parkplatz gefunden, Kinder versorgt

Der neue Schulcampus Krems des Wiener Architekturbüros NMPB vereint auf engstem Raum verschiedene Schulformen mit einer Parkgarage. Ein gelungenes Experiment.

Als die Stadt Krems den Bau eines neues Schulzentrums beschloss, sollte dafür eigentlich das alte Messegelände nahe dem Bahnhof abgerissen und neu bebaut werden. Schließlich besann man sich stattdessen eines als Parkplatz genutzten trapezförmigen Grundstücks noch näher am Bahnhof, zwischen den Gleisen und mehreren bestehenden Schul- und Saalbauten. Die nicht gerade gewöhnliche Kombination von Parkgarage, Kindergarten, Sonderschule, Hauptschule und Polytechnikum in einem gemeinsamen Gebäudekomplex brachte eine, wie sich nun zeigt, bemerkenswert gut funktionierende Nutzungsvielfalt mit sich.

Das durch einen Wettbewerb entstandene Projekt des Wiener Architekturbüros NMPB (Nehrer Medek Pohl Bradić) geht angesichts des beschränkten zur Verfügung stehenden Platzes auf dem innerstädtischen Gelände von einem kompakten quaderförmigen Baukörper aus. Im Schulbereich wurde der Bau außen mit einem grau-beige-farbenen Putz mit leicht unregelmäßiger Oberflächenstruktur versehen. In der erdgeschoßig einspringenden stadtseitigen Ecke des Komplexes liegt der durch die Obergeschoße gedeckte Eingang. Hinter ihm öffnet sich eine zweistöckige Aula mit hellgrauen Sichtbeton-Oberflächen, die auch als Mensa genutzt wird. Tageslicht kommt über die verglaste Decke, über einen erdgeschoßigen überdachten Bereich, der als Freiluftklasse genutzt werden kann, und außerdem vom Pausenhof im Obergeschoß, der auf dem Dach der Turnhalle liegt und von der Aula über eine tribünenartige breite Treppe erreichbar ist. Ein bis auf Erdgeschoßniveau gehender Patio bringt zusätzlich reichlich Tageslicht in alle Bereiche des Gebäudekomplexes. Ein leichter Außenknick der Fassade nach Süden, dem auch die Klassenzimmer folgen, vermeidet durch seine leichte Unregelmäßigkeit eine allzu rigide Orthogonalität des Ganges vor den Klassen, der sich so platzartig zu weiten scheint.

Die Mischung der drei Schultypen, die sich Foyer, Turnhalle und Mehrzweckräume teilen und räumlich zueinander offen und durchlässig sind, war ein Experiment, mit dem die Nutzer heute, ein Jahr nach Inbetriebnahme, sehr zufrieden sind. Dabei wurde konzeptuell und architektonisch auch auf das Miteinander der Schüler gesetzt, zwischen denen Begegnungen und Kontakte gefördert werden sollen. Die Orientierung im Komplex wird erleichtert durch ein grafisches Leitsystem nach einem Konzept von Walter Bohatsch, das die einzelnen Schul- und Nutzungsbereiche nach Farben definiert. In den Treppenhäusern und an den Glastüren sind die grafisch reduzierten Gebäudeaufrisse zu geometrischen Ornamenten gruppiert. Bei den Toiletten leisteten sich die Architekten die augenzwinkernde politische Unkorrektheit, die Mädchen-WCs in Weiß mit Bonbonrosa zu halten – was erwartungegemäß auf Begeisterung seitens der jungen Nutzerinnen stößt.

Bei den Klassenraumgrößen musste man sich am räumlich beschränkten niederösterreichischen Standard orientieren. Zu den Normalklassen kommen dabei teilweise nutzungsoffene Sonderklassen wie ein zum Gang hin verglaster und öffenbarer Raum für unterschiedliche Belegungen, der wie die Turnhalle auch extern genutzt werden kann, und die „Wohnklassen“ des Sonderschulbereichs, in denen Alltagsleben in zwangloser Form vermittelt wird. Das licht- und sonnendurchflutet an einer verglasten Ecke des Baus liegende „Snoezelen-Zimmer“ dient der Förderung sinnlicher Wahrnehmung von psychisch beeinträchtigten Kindern.

In den Klassenzimmern und den Bereichen für das Lehrpersonal herrschen mit Holzoberflächen und naturfarbenen Akustikelementen wärmere Töne vor. Die Architektur bleibt dabei überall im besten Sinne zurückhaltend, sowohl in der einfachen, übersichtlichen Struktur des Gebäudekomplexes wie in der abgetönten Farbigkeit und der schlichten Materialität der Oberflächen mit Sichtbeton für Wände und Decke des Foyers und geschliffenem Estrich für den Fußboden – mit dem bemerkenswerten Effekt einer Unterschreitung der veranschlagten Kosten. Planungs- und Bauprozess verliefen, auch dank der Offenheit der Auftraggeberschaft und der involvierten Schuldirektionen, problemlos. Aufgrund von dreifachverglasten Fenstern mit dunklen Metallrahmen außen und Holzrahmen innen und einer kontrollierten Belüftung in den Klassenräumen hat der Komplex Niedrigenergiestandard. Die durch die kosteneffiziente Planung eingesparten Mittel erlaubten die zusätzliche Anschaffung von Möbeln, die über den Minimalstandard von Schulmöblierungen hinausgehen.

Bahnseitig ist an der dem Schuleingang gegenüberliegenden Ecke des Geländes die Parkgarage erschlossen, die sich mit einer Verkleidung aus grau-beigen Streckmetallgittern optisch so weit wie möglich unsichtbar macht. Im Inneren sind die Parkdecks mit einem zum Konzept von Walter Bohatsch gehörenden Leitsystem nach Persönlichkeiten aus der Kremser Geschichte definiert, deren abstrahierte Porträts die Wände zieren und dabei der Orientierung auf den verschiedenen Ebenen dienen.

Zum südöstlich gelegenen Bahnhof blickt der unabhängig von den Schulen erschlossene kleine Kindergarten. Zwischen ihm und der Schule entwickelt sich eine bepflanzte Hügellandschaft, die von der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer in Anlehnung an die Weinberge der Wachauer Umgebung gestaltet wurde. Über Rampen führt durch diese Miniaturlandschaft ein Weg auf mehrere Ebenen und schließlich auf das Flachdach, das beim Spielen einen Ausblick auf das nahe Stift Göttweig bietet.

Innen passen sich die Räume mit ihren niedrigen Parapeten den Dimensionen der kleinen Nutzer an. Warme Holztöne schaffen Wohnlichkeit. Hits sind zum einen ein gepolstertes Spiel-Krokodil mit Tunnel, zu dem die Treppe ins Obergeschoß samt dem Raum unter ihr gemacht wurde, und zum anderen die alkovenartigen holzverkleideten Nebenräume, in denen sich Kinder zurückziehen, ja gar verstecken können. Dazu kommen die großen Fenster in Richtung Bahnhof – mit dem Ein- und Ausfahren der Züge als täglich neue Attraktion.

9. April 2012 architekturjournal wettbewerbe

Corporate Architecture

Wie Gebautes die Wahrnehmung von Unternehmen steuert

Planende wie Auftraggeber profitieren von mit dem Unternehmen assoziierter qualitätvoller Architektur. Baukulturelle Verantwortung ist aber auch als Wahrung ethischer Grundsätze zu verstehen.

Wenn in dieser Ausgabe des Architekturjournals wettbewerbe gleich vier neue Unternehmenszentralen vorgestellt werden, so ist das ein Anlass, das Prinzip Corporate Architecture näher zu beleuchten. Dass Architektur als Imageträger fungiert, ist kein neues Phänomen. War es in der Frühzeit der Industrialisierung vor allem die Größe, derentwegen Firmen Fabrikgebäude mit Reihen geschäftig rauchender Schlote auf Briefköpfen und in Annoncen abbildeten, so wurde und wird zunehmend auch über die Architektur selbst die Wahrnehmung von Unternehmen gesteuert, die oft abstrakte Konglomerate fusionierter Gesellschaften sind und, wie etwa Banken und Versicherungen, in der Außenwahrnehmung im Grunde keine positiv besetzte Identität mehr haben.

Man kann hier zu einem historischen Exkurs ausholen: Wer würde die Fagus Schuhleistenfabrik im niedersächsischen Alfeld an der Leine kennen, hätte ihr Chef Carl Benscheidt nicht einst den hoffnungsvollen jungen Architekten Walter Gropius beauftragt, sein Firmengebäude zu entwerfen? Das Fagus-Werk wurde 2011 zu seinem 100. Geburtstag mit dem UNESCO-Weltkulturerbe-Status ausgezeichnet und mit einer Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv geehrt. Der Firma hat das architektonische Wagnis im Übrigen nicht geschadet: Sie erzeugt im Gropius-Bau nach wie vor erfolgreich Schuhleisten.

Identitätsschärfung durch Architektur

Corporate Architecture at its best also – auch wenn der Begriff als solcher erst in den 1990er Jahren geprägt wurde. Der Gedanke einer Identitätsschärfung durch Architektur war zu Benscheidts Zeiten für Unternehmen recht neu. Als erstes Corporate-Architecture-Konzept und Teil eines professionellen Corporate-Design Konzeptes gilt der Auftritt der Berliner AEG, die sich 1907 die Skills von Peter Behrens holte. Als Chefgestalter der AEG entwarf Behrens nicht nur die legendäre Turbinenhalle auf dem Werksgelände in Moabit, sondern, neben einem prägnanten Logo und der gesamten Grafik, auch elektrische Wasserkessel, Bogenlampen, Wanduhren und Ventilatoren. Behrens‘ gestalterisches Konzept, das konsequent schnörkellose, zuverlässige Modernität vermittelte – ähnlich wie die Baťa-Schuhfabriken im mährischen Zlín, Erich Mendelsohns Schocken-Kaufhäuser oder das ebenfalls stark auf Architektur ausgerichtete Corporate Design von Olivetti – bewährte sich hervorragend. Neben der Linzer Tabakfabrik realisierte Behrens auch die Zentrale des Chemiekonzerns Hoechst im gleichnamigen Frankfurter Vorort. Der expressionistische Bau aus den 1920er Jahren ist auch ein Beispiel dafür, wie eine ikonische Firmenzentrale zur Bildmarke werden kann – Behrens‘ Torgebäude zierte das Logo bis 1997, als der Konzern in einem gesichtslosen Konsortium mit einem nach Marketing-Kriterien generierten Fantasienamen aufging.

Jenseits des Atlantiks ging und geht es bei der virilen Parade glitzernder Firmenzentralen vor allem um Machtdemonstration in Form von Stockwerken, vom New Yorker Hochhaus der Nähmaschinenfirma Singer, das zur Zeit seiner Errichtung 1908 das höchste Gebäude der Welt war (und seit 1968 posthum den Weltrekord des höchsten jemals freiwillig abgerissenen Baus hält), über Woolworth und Chrysler zu Lever, Seagram, Pan Am und AT & T Building, die Architekturinteressierten heute oft präsenter sind als die Marken, die hinter ihnen stehen – auch die Tageszeitung Chicago Tribune wäre ohne ihren 1922 mit viel Medienpräsenz durchgeführten Hochhauswettbewerb schwerlich in die Architekturgeschichte eingegangen.

Gefahren der Corporate Architecture

Prinzipiell profitieren natürlich Planende wie Auftraggeber von mit dem Unternehmen assoziierter qualitätvoller Architektur – umso mehr, je besser das Gebaute das Image der Marke umsetzt. Die Bedeutung dieses Zweiges der Planung schlägt sich auch in der Einrichtung eines Masterstudiengangs mit Forschungsschwerpunkt Corporate Architecture an der Fachhochschule Köln vor vier Jahren nieder. Vermittelt werden Kriterien und Strategien für die Steuerung der Außenwahrnehmung von Unternehmen an den Schnittstellen zu Marketing, Design, IT, Soziologie, Raumplanung und Regionalentwicklung – wie nicht zuletzt Frank O. Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao zeigte, kann beispielsweise ein spektakulärer Museumsbau nicht nur die Aufmerksamkeit von seinem physischen und ideellen Inhalt – der Kunst – weg und auf sich selbst als Architekturikone ziehen, sondern ganze Regionen aufwerten.

Hier sind auch die Gefahren der Corporate Architecture zu sehen. Liegen neben einer Imageaufwertung auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen, ökologische Effizienz, Nachhaltigkeit und positive Auswirkungen auf Infrastruktur und städtebauliche Zusammenhänge im Interesse des Unternehmens, sind die Voraussetzungen für das Entstehen qualitätvoller Architektur gut. Als Beispiel einer gelungenen Umsetzung von Unternehmensgrundsätzen auch im Bereich einer Szenen-Credibility könnte man den Schiffscontainer-Turm des Zürcher Taschen-Labels Freitag nennen, dessen Entwurf des Büros Spillmann Echsle mit dem neu geschaffenen Schweizer Award für Marketing und Architektur ausgezeichnet wurde. Der markante Turm, der in kurzer Zeit ohne nennenswerten Ressourcenverschleiß um- und rückbaubar ist, setzt die auch in den Freitag-Produkten vermittelten Prinzipien Nachhaltigkeit und Flexibilität jenseits reiner Marketingstrategien überzeugend um. Ähnliches ließe sich vom flexibel konzipierten adidas brand center des Wiener Büros querkraft architekten sagen. In Österreich, wo alle sechs Jahre der Staatspreis Architektur in der Kategorie Industrie und Gewerbe vergeben wird, finden sich an vorbildlichen Lösungen neben den MPreis-Supermärkten in Tirol beispielsweise die prämierte Lustenauer Zentrale der Firma S.I.E von Marte.Marte Architekten oder Georg W. Reinbergs Niedrigenergie-Büro- und Werkstättenkomplex des Naturschwimmteich-Bauers Biotop in Weidling bei Wien. [...]

14. Januar 2012 Spectrum

Alt, neu und gut

Engadin, östliches Graubünden: In zahlreichen Orten findet sich städtisch geprägte Wohnkultur, die ihren Ursprung am Ende des Dreißigjährigen Krieges hat. Dank hartnäckiger Initiativen wird regionale Bautradition neben zeitgenössischer Architektur beibehalten. Ein Streifzug.

Vrin, Flims, Vals heißen die bekannten Verwandten. Die Orte im westlichen Graubünden sind berühmt geworden durch ihre unaufgeregte, dem Ortsbild und lokalen Bautraditionen auf selbstverständliche Weise eingegliederte zeitgenössische Architektur. Rudolf und Valerio Olgiati prägten das Ortsbild von Flims, während Peter Zumthors Felsentherme in Vals die Ortschaft am Valser Rhein sofort auf die Landkarte architektonischer Musts setzte. Gion A. Caminadas unauffällige Holzbauten brachten erstmals Kulturtouristen in das abgelegene Bauerndorf Vrin. Entscheidend ist für Caminada das Ineinandergreifen von Dingen, Raumbildung: Wie kann ich die Kraft des Bestandes durch meine Intervention stärken?

Das vom Inn durchflossene Engadin im Osten Graubündens prägte, auch aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage, seit jeher Weltoffenheit. Mehrere Dorfquartiere mit Brunnenplätzen kennzeichnen die Engadiner Haufendörfer. Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs entstand eine städtisch geprägte Wohnkultur. In den Unterengadiner Bauernhöfen mit Wohnhaus, Scheune und Stall unter einem gemeinsamen Dach wurden bei typisierten Grundrissen Reste alter Wohntürme wiederverwendet, die Fenster der inneren Anordnung folgend asymmetrisch in die Fassaden gesetzt. Hier konnte auch zeitgemäßes regionales Bauen ansetzen, mit politischer Unterstützung durch Gemeinden, Kanton und einen progressiv agierenden Heimatschutz.

Das Beherbergen hat hier eine lange Tradition, schon immer waren viele Engadiner Bauern auch Wirte und Fuhrleute. Trotz ihrer frühen touristischen Erschließung haben Orte wie Scuol, Zuoz und das nahe St. Moritz gelegene Samedan ihre geschlossenen Ortsbilder bewahrt. Der Entdeckung einer Mineralheilquelle im historischen Kern von Samedan folgte 2009 der Bau eines Badehauses direkt neben der barocken Dorfkirche. Mit seinen weiß verputzten Mauern, den unregelmäßig in den Fassaden sitzenden Fenstern und dem Prinzip der vertikalen Stapelung unterschiedlich temperierter Beckenräume mit großzügigen Ausblicken auf den Dorfplatz nimmt der Bau der Basler Architekten Miller und Maranta die Proportionalität der umgebenden Bausubstanz auf, ohne seine Entstehungszeit zu verleugnen.

Auch das im 17. und 18. Jahrhundert entstandene Ortsbild von Guarda ist mit seinen charakteristischen halb öffentlichen Zonen und Sitzplätzen neben den Hauseinfahrten von seltener Geschlossenheit. Bemerkenswert ist, dass im 20. Jahrhundert durch mehrere Generationen hindurch die Bürgermeister der Gemeinde Architekten waren. Auch heute leben und arbeiten mehrere Architekten im gegenwärtig rund 200 Einwohner zählenden Ort. Anfang der 60er-Jahre begann eine Restaurierung unter der Leitung des ortsansässigen Planers Iachen Ulrich Könz, ein Konzept für die Dorfbildplanung kam vom renommierten Architekten Robert Obrist. Autos bleiben auf dem Parkplatz vor dem Ortseingang, das Dorfzentrum prägen öffentliche Räume mit Brunnen und Bänken, die nicht malerischen Konzepten, sondern den gewachsenen Traditionen der eidgenössischen Gesellschaft entspringen.

Heute lebt Guarda neben Landwirtschaft und Kleingewerbe auch vom Tourismus. Die Architekten Urs Padrun und Roger Vulpi bauen leer stehende Heuställe zu Ferien- und Dauerwohnhäusern aus. Zweitwohnsitz-Ghettos vermeidet die Gemeinde, die auch über eine dreiköpfige Baukommission verfügt, zugunsten dauerhaften Zuzugs, indem sie günstig Bauland an Zuzügler verkauft. Bauarbeiten müssen primär an ortsansässige Firmen vergeben werden, auch sprachliche Integration ist im rätoromanischen Dorf erwünscht. Die Stiftung „Pro Guarda“ setzt sich für denkmalpflegerischen Substanzerhalt in Verbindung mit verträglichem, nachhaltigem Tourismus ein. Ein jüngst von der Stiftung angekauftes leer stehendes Bauernhaus soll als „Chasa Guarda“ Wohnraum und Veranstaltungsflächen für Einheimische und Besucher bieten.

Wie in Guarda war auch in Vnà die Bevölkerungszahl, ausgedünnt durch Überalterung und Abwanderung, zwischenzeitlich stark gesunken, zuletzt von 200 auf 70. Schule, Geschäfte und Gasthaus waren geschlossen, als die Kulturmanagerin Urezza Famos ihr Konzept entwickelte, das wiederbelebte Gasthaus zum Zentrum eines dezentralen Dorfhotels zu machen. Im Stiftungsrat der 2004 gegründeten „Fundaziun Vnà“ saßen neben Landwirten auch Architekten und Künstler, Präsident der Stiftung wurde wie Famos' Lebensgefährte, der Kurator und Architekt Christof Rösch. Gemeinsam mit dem Basler Architekten Rolf Furrer baute Rösch das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert so für die neuen Bedürfnisse um, dass Veränderungen äußerlich nur punktuell sichtbar wurden. Das neue „Piz Tschütta“ erhielt eine schlichte, moderne Gaststube und ein Kaminzimmer, in den beiden „Stübli“ blieben die alten Holzvertäfelungen. Die Innenräume wurden weiter gemacht und Flure mit Aufenthaltsbereichen und offenen Kaminen geschaffen. Man reinigte die rohen Lärchenböden und beließ die alten Fenster, den alten Putz, die alte Dachdeckung. Aber was neu gemacht wurde, durfte dies auch zeigen. In die benachbarte Scheune stellten Rösch und Furrer, einen Glasquader, der weitere Zimmer aufnimmt. Die zehn Gasträume des „Piz Tschütta“ ergänzen externe Privatzimmer im Dorf, deren Gäste die Hotelinfrastruktur mitnutzen.

Der Partizipationsprozess verlief auch hier nicht ohne all jene Konflikte, die das Basisdemokratische dörflicher Strukturen mit sich bringt. Immerhin: Die von der Streichung bedrohte Buslinie nach Vnà verkehrt jetzt wieder stündlich. Jüngst hat sich die Zürcher Galeristin Eva Presenhuber von den Architekten Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler ein nicht unumstrittenes Beton-Ferienhaus bauen lassen, das die Prinzipien der alten Häuser in zeitgenössischer Form aufnimmt. Im benachbarten Tschlin wird von der Gemeinde unterstützt, wer Häuser im Ortskern kauft und renoviert – darunter auch die polnische Milliardärin und Mäzenin Grazyna Kulczyk. Ein spektakuläres 18-Millionen-Franken-Hotelprojekt von Peter Zumthor lehnte die Gemeindeversammlung dann aber doch lieber ab.

12. November 2011 Spectrum

Fünfzehn Minuten Ruhm

Ein Geheimtipp unter Architekturfans: der mährische Kurort Teplice nad Bečvou. Geprägt durch Bauhaus-Funktionalismus, erzählt der Ort die Lebensgeschichten von ehemals dort ansässigen Familien.

In den kleinen mährischen Kurort Teplice nad Bečvou verirrt man sich nicht leicht. Der Bahnhof aus den Dreißigerjahren ist eher eine notdürftig instand gehaltene Ruine mit abgesperrter Halle, deren kubische Schönheit noch zu erahnen ist.

Nach dem lebensgefährlichen Überqueren der Schnellstraße, die den Bahnhof vom Ortszentrum trennt, sucht man Kurcafés und Promenaden mit schicken Geschäften leider vergebens. Die Pensionisten bleiben während ihrer kassenärztlich verschriebenen Cardio-Rehabilitationskuren auch bei Schönwetter eher in den Kurheimen, Mittag- und Abendessen werden vorzugsweise mit Trainingsanzug und Hausschlapfen in den hauseigenen Speisesälen eingenommen.

In der Militär-Oberrealschule des nahen Städtchens Hranice, dem Teplice nad Bečvou (nicht zu verwechseln mit dem nordböhmischen Teplitz-Schönau) zeitweise eingemeindet war, erlebte Robert Musil jene Provinztristesse, in der er später die Handlung seines „Törless“ ansiedelte. Hauptattraktionen des malerisch im Tal der Bečva gelegenen Ortes sind die Zbrašover Aragonit-Höhle, dank dem lokalen Mineral-Thermalwasser die wärmste Höhle in Tschechien, und die Hranicer Schlucht, deren exakte Tiefe bislang nicht zu ermitteln war, die aber jedenfalls der tiefste Abgrund des Landes ist.

Unter Architekturfans ist der Ort am Rand der Beskiden dagegen noch immer ein Geheimtipp. Dabei hatte er in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik seine fünfzehn Minuten Ruhm, deren Spuren heute noch zu sehen sind. In Westböhmen standen auch nach dem Ersten Weltkrieg die k.u.k.-Hotspots Karlsbad und Marienbad hoch im Kurs, vor allem bei deutschsprachigen Gästen. Als mährisches Pendant wurde Luhačovice zum gesellschaftlichen Treffpunkt ausgebaut. Ähnliches hatte man mit dem etwas nördlicher gelegenen Teplice nad Bečvou vor.

Nach der Übernahme des Kurbetriebs durch die Prager Zentrale Sozialversicherung im Jahr 1930 baute der Architekt Karel Kotas, ein Schüler des Vaters der tschechischen Moderne Jan Kotěra, das alte Kurhaus Bečva am Ufer des gleichnamigen Flüsschens um und fügte ihm einen Hoteltrakt und eine luftige Kolonnade hinzu. Es folgten Kessel- und Maschinenhaus und der über zwei Freitreppen erschlossene Flachdachbau des Postamtes. Das Ensemble in schönstem Bauhaus-Funktionalismus prägt bis heute das Panorama des Ortes.

Aber es kam noch besser: 1933, Auftritt Oskar und Elly Oehler. Oskar Oehler und Elly Sonnenschein, beide aus mährischen Baumeisterfamilien stammend, hatten einander beim Architekturstudium an der Brünner Technischen Hochschule kennengelernt. Ab dem Jahr 1932 führten sie ein gemeinsames Atelier in Prag, wo sie mit ihrer Tochter in einer eleganten Wohnung lebten und neben hochmodernen Industriebauten atemberaubend radikale Häuser im Geiste Le Corbusiers entwarfen.

Vor dem Fall: Aufstieg und Villenbau

Oskar Oehler hatte zuerst beim führenden Brünner Funktionalisten Bohuslav Fuchs, dann bei Karel Kotas gearbeitet, der das Paar nach Teplice vermittelte. Dort entstand auf einer Anhöhe über dem Kurpark, dem Fluss und den Sanatorien eine von einer Dachterrasse gekrönte glamourös corbusianische Villa für Ladislav Řihovský, den Pächter der Kuranlagen.

Rechts und links von Řihovskýs Haus wuchsen in den folgenden Jahren die Villen der Kurärzte empor, darunter mehrere nach Entwürfen des Prager Architekten Karel Caivas, auch er Schüler Jan Kotěras und Verfechter eines organischen Funktionalismus mit einer Kombination aus Stein, Ziegeln, Holz und Glas und Schiffsmotiven wie Bullaugen, abgerundeten Terrassen und Stahl-Wendeltreppen. So auch das großzügige Haus des Chefarztes Oskar L. Stern, dessen Garten 1938 der Prager Gartenarchitekt Josef Miniberger gestaltete.

Kurz darauf erfuhr Teplices Blütezeit mit der Annexion der „Rest-Tschechei“ an das nationalsozialistische Deutschland einen herben Einschnitt. Die versuchte Emigration der Oehlers nach Australien endete am Brenner. Oskar Oehler wurde zur Zwangsarbeit verschleppt, während die Tochter des Ehepaars bei Bekannten in Prag versteckt wurde. Die einer jüdischen Familie entstammende Elly Oehler wurde 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert. Nach Kriegsende traten die ursprünglich deutschsprachigen Oehlers, die ihren Namen zu Olár tschechisiert hatten, der kommunistischen Partei bei. Ladislav Řihovský, der wieder den Kurbetrieb führte, holte sie zur Erweiterung der Kuranlagen erneut nach Teplice. Elly Oehler, die sich von ihrer Zeit in Theresienstadt nie erholte, starb 1953.

Der Familie des jüdischen Arztes Oskar L. Stern gelang nach der Internierung in einem Konzentrationslager 1941 die Flucht über Belgien, Finnland und Schweden nach Mexiko. Die Adoptivtochter Miroslava schlug dort nach einer gewonnenen Schönheitskonkurrenz eine Hollywood-Karriere ein. Dem Kriegstod ihres amerikanischen Verlobten folgten ein erster Selbstmordversuch und eine gescheiterte Ehe mit einem homosexuellen Schauspieler. Nach erfolgversprechenden Jahren und einer Hauptrolle in Luis Buñuels Film „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“ im Jahr 1955 nahm sich Miroslava Stern kurz nach Ende der Dreharbeiten mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.

Oskar Oehler verließ im Jahr 1966 desillusioniert die Partei. 1972 zog er zu seiner Tochter nach Wien, wo er wenig später starb. In den Jahren 2007/2008 wurde den Oehlers in Brünn eine Ausstellung mit Publikation gewidmet. Ihre Bauten in Prag, Oskar Oehlers Heimatstadt Přerov und in Teplice nad Bečvou sind in den letzten Jahren sorgfältig restauriert worden.

Die in den Siebzigerjahren aufgestockte und für Zwecke der Kurverwaltung genutzte Villa Řihovský wurde nach längerem Leerstand vor Kurzem von einer auf denkmalgeschützte Bauten der Moderne spezialisierten niederländischen Developer-Gesellschaft restauriert und zu einem Mehrfamilienhaus mit sieben Luxusappartements umgewandelt. Investoren verspricht die Website der Gesellschaft ein „reichhaltiges kulturelles und soziales Leben“ vor Ort. Einige der Wohnungen, so liest man auf einem Schild am Zaun des Grundstücks, sind noch zu haben.

27. August 2011 Spectrum

Von der Milchbar zur Disco

Die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon in Wien als Teil einer lebendigen Familiengeschichte, die sich seit 60 Jahren verfolgen lässt. Nach dem Umbau nicht nur für Nachtschwärmer sehenswert!

Denkmalgeschützte Diskotheken – das dürfte es nicht so oft geben. Wien hat eine, nämlich im Volksgarten. Sie setzt sich aus Dancing, „Banane“ und Pavillon zusammen, und manchmal braucht es Besuch aus dem Ausland, der einem wieder einmal klar macht, welch unglaublich cooles Ding da mitten in der Touristenzone steht und dabei dennoch recht insidermäßig in seinem Tagesschlummer dem brodelnden Nachtleben entgegendöst.

60 Jahre ist es her, da plante Oswald Haerdtl die „Milchbar“. Der Holzpavillon mit weit auskragendem Pultdach hat sich als Volksgarten-Pavillon weitgehend original bis in die Gegenwart erhalten. Dafür ist maßgeblich die Tatsache verantwortlich, dass die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon heute von zwei Söhnen des damaligen Auftraggebers in zweiter Generation betrieben werden. Die Lokalitäten und ihre Einrichtung sind daher wohl auch Teil einer lebendigen Familiengeschichte. Mit Haerdtl, einem von wenigen nicht durch den Nationalsozialismus korrumpierten und dennoch nicht emigrierten Wiener modernen Architekten, hatte man zweifellos einen Glücksgriff getan. Durch seine italienische Frau Carmela mit der schicken Espresso-Kultur südlich der Alpen vertraut, brachte Haerdtl dem deprimierten, wunden Nachkriegswien Glanzlichter kurzweiligen oder längeren Abhängens in luftiger, heller Umgebung wie das unverzeihlicherweise vor einigen Jahren zerstörte „Arabia“ am Kohlmarkt und das noch bestehende Café Prückel.

Auch im Volksgarten ließ der Erfolg nicht auf sich warten. Bereits 1958 wurde der Komplex vergrößert. Haerdtl erweiterte das kriegsbeschädigte halbrunde „Cortische Kaffeehaus“ mit seiner klassizistischen Säulenhalle rückseitig um zwei Glasquader mit öffenbaren Glasdecken, zwischen denen ein mit Bruchsteinen belegter Gang einen großzügigen neuen Zugang vom Ring ermöglichte. Die originalen rot-grün bezogenen Sessel und Sitzbänke flankieren noch heute asymmetrisch auskragende Tischchen neben den Fensterwänden des „Wintergartens“, dessen Glasdach sich über einer Pflanzeninsel mit tropischen Gewächsen zur Seite fahren lässt.

Öffnen lässt sich auch das Dach des Discoraumes im hinteren Gebäudeteil, dessen Einrichtung mehrmals gewechselt hat und nicht mehr original war. Hier setzte die Tätigkeit der beiden Wiener Büros Artec und BEHF an, die gemeinsam mit einer Adaption des Gebäudes beauftragt wurden. Im Gegensatz zum eleganten „Wintergarten“ war hier eine „Blackbox“ gegeben, die komplett neu gestaltet werden konnte.

Vielleicht inspiriert durch Haerdtls bunte Gartenlämpchen, die an den Tischen des Pavillongartens klemmen, wählte man als Leitmotiv von hinten beleuchtetes Lochblech für die Wände der Disco und des Erschließungsganges, aber auch für die Bars, die im Foyer und den beiden Räumen insgesamt fast 70 Meter lang sind. Robuste Gestaltung war angesichts der Nutzung ein Muss, wozu die metallischen Oberflächen im durchgängig in neutralem Schwarz gehaltenen und nur durch die wechselnden Lichtfarben akzentuierten Raum gut taugen. Sieht man vom Motiv der Lochstruktur ab, sucht die Neugestaltung keine dezente Anpassung an die Spätfünfziger-Formensprache von Haerdtl – anders als dies die letzte Umgestaltung vor zehn Jahren tat. Neue Einbauten sind sofort als solche zu erkennen. Heikel war hier vor allem der in seiner Gesamtheit des Haerdtl-Entwurfs erhaltene Wintergarten. Hier wurde die große Bar, die der ursprünglich hauptsächlich tagsüber genutzte Raum früher nicht brauchte, frei von allen Seiten zugänglich in eine Ecke gestellt. Die gemeinsame schwarze Lochblechfront bildet die formale Spange zu den beiden neuen Bars im Foyer und ihrer Fortsetzung im Tanzflächenraum.

Der wegen ihrer halbrunden Form schwierig zu bespielenden „Banane“, die immer wieder überarbeitet wurde und dadurch besonders heterogen war, gaben die Architekten durch eine den Geländesprung überwindende Rampe eine asymmetrische, nicht axiale Ausrichtung. Wie im Wintergarten wurden nachträglich eingebaute Deckenluster entfernt, sodass der Raum nun nur indirekt beleuchtet ist. Der quer verlaufende Erschließungsgang zwischen Banane und Disco ist nach der Neugestaltung ausschließlich über seine gelochten Wände indirekt belichtet. Die Öffnung des Ganges zum rückwärtigen Gartenteil verbindet diesen Teil des Komplexes nun noch stärker mit den räumlich eigenwilligen Außenbereichen. Hier ist für die Zukunft eine Überarbeitung durch das Landschaftsarchitekturbüro Auböck + Kárász vorgesehen.

In der eigentlichen Diskothek, die bei schönem Wetter zur Open-Air-Tanzfläche mit offenem Dach wird, musste man mit abtrennbaren VIP-Sitznischen den Prämissen heutiger Eventkultur Tribut zollen. Eine Erhöhung der schwarzen Sitzbereiche verhindert, dass der Blick der Sitzenden bereits an den Hinteransichten der davor stehenden Gäste hängen bleibt. In der Anordnung der Polsterbänke und der niedrigen achteckigen Tische, an denen man sich dank der Eckabschrägungen nicht die Knie anschlägt, orientierte man sich an der klassischen Lösung der Loos-Bar. Nicht nur in dieser Hinsicht steht die Location innerhalb der qualitätvollen Tradition gut gestalteter Wiener Bars.

Schön und sorgfältig gestaltet sind zudem die WCs – allen Klischees über paarweise verschwindende Frauen Rechnung tragend –, besonders die Damentoiletten. Hier wurden vor einer Spiegelwand halbrunde beige Sitzpolster zu einer Art Wohnlandschaft verdichtet, die auch zu längeren Gesprächen und/oder Restaurierungen von Outfit und Make-up einlädt.

Insgesamt wurde die ganze Anlage räumlich geklärt und dadurch besser wahrnehmbar. Ein Jammer nur, dass man das tagsüber, wenn das Lokal geschlossen ist, viel besser wahrnehmen kann als im nächtlichen Trubel. Wer altersmäßig oder musikalisch nicht zur Abendzielgruppe gehört, dem entgeht die ganz spezielle Stimmung des Volksgarten-Cafés. Und wie schön säße es sich auch in der Nachmittagssonne oder im Nieselregen in diesem Juwel der Wiener Innenstadt.

23. Juli 2011 Spectrum

Dort unten im Tal

Sloweniens Kurorte: Thermenarchitektur zwischen Erlebnisbädern für Familien und Erholungsoasen für Ruhesuchende. Beispiel „Rimske Terme“: über die Vereinbarkeit eines Neubaus mit bereits Bestehendem.

Zu Zeiten der Donaumonarchie waren die Kurorte der Untersteiermark wie Rohitsch-Sauerbrunn (Rogaška Slatina), Tüffer (Laško) und Radein (Radenci) selbstverständliche Teile imperialer Sommerfrische. Nach eher lokaler Bedeutung während der sozialistischen Dekaden haben Sloweniens Kurorte in den letzten Jahren begonnen, auf qualitätvolle Architektur zu setzen und damit auch ein anspruchsvolleres internationales Publikum anzusprechen.

Der Kurbezirk von Podčetrtek nannte sich seines schwach radioaktiven Heilwassers wegen einst Atomske Toplice, Atombad. Der heute wohl dem Tourismus nicht sonderlich förderliche Name wurde mittlerweile durch Olimia ersetzt – die weitaus wohlklingendere alte Bezeichnung für den Ortsteil, der heute ein Sammelsurium von Bauten der letzten 40 Jahre darstellt. Das in den Achtzigerjahren in postsozialistischem pseudo-postmodernem Pragmatismus gebaute Kurbad „Termalija“ ließ bereits 2004 eine Investorengesellschaft mit geringem Budget vom jungen slowenischen Architekturbüro Enota mit einer Art Umbauung versehen, die das Bad selbst zwar nicht veränderte, aber um Ruhezonen und damit um spürbare räumliche Qualität bereicherte.

Im Zusammenhang mit dem Thermenumbau realisierten die Architekten für dieselben Auftraggeber vor Ort auch einen mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichneten Hotelbau und eine 2009 eröffnete weitere Therme, die in Anspielung auf die mehr als 40 in der Umgebung wachsenden Orchideenarten den Namen Orhidelia erhielt. Wie das Hotel verfolgt das Thermalbad die Strategie, die landschaftlich reizvolle Umgebung nicht durch Hochbauten zusätzlich zu verunklären, und gräbt sich als eine Art verglaste Gletscherspalte in das begrünte Terrain. Vor dem Hintergrund des vor den Wald gestellten rostroten Hotelbaus sind die nichts weiter als der Entspannung gewidmeten, durch räumliche Zonierung Intimität schaffenden Becken in der von baumartigen Stützen getragenen Thermenhalle mit blassroséfarbenem Glasmosaik ausgekleidet. „Interpassiv“ nennt der planende Architekt Dean Lah das Entspannungsbad mit einem von Slavoj Žižek geprägten Begriff.

Durch eine leuchtend rote Sport- und Mehrzweckhalle und ein mit einer quasi-organischen Metallstruktur umfangenes Besucherparkhaus gewinnt der Kurbezirk von Podčetrtek allmählich eine eigene architektonische Identität. Die Therme im nordslowenischen Kranjska Gora nimmt mit ihrem kompakten, mit Holzlatten verkleideten Baukörper Motive der tradierten lokalen Bauernhausformen auf.

Während in Laško vor einigen Jahren eine große neue Familien-Erlebnistherme mit Riesenrutsche und öffenbarem Glasdach gebaut wurde, setzt der südliche Nachbarort Rimske Toplice auf Ruhe und stilvolles Relaxen. Direkt an der Bahnlinie Wien-Ljubljana liegt das Dorf im lieblichen Tal des Flüsschens Savinja. Fernzüge, die in Laško zwischen Großbrauerei und Therme halten, durchfahren den traditionsreichen kleinen Kurort Rimske Toplice. Zur Anreise steigt man in den stündlich verkehrenden Nahverkehrszug um, der freundliche Bahnhofsvorsteher weist mit dem Zeigefinger den kurzen Weg über ein Brückchen und bergan zum nahen Kurbereich.

Aus der Anfangszeit des ab 1840 ausgebauten Kurbezirks, den einst Zelebritäten von Franz Grillparzer über Kaiserin Elisabeth bis zu Queen Victoria mit ihrer Anwesenheit beehrten, haben sich zwei noble Hotels in privilegierter Halbhöhenlage mit grandiosem Blick über das Tal erhalten. Wo man zwischen ihnen früher in einem Thermalfreibecken Heilung suchte, hat ein weiteres der erfolgreichen Generation junger slowenischer Architekten angehörendes Büro, Arhiveda, mit den verantwortlichen Architekten Rafko Napast und Nataša Marš Napast vor einiger Zeit mit großer Sensibilität einen dritten Hotelbau gesetzt. Neben der Infrastruktur aller drei zusammen als „Rimske Terme“ betriebenen Hotels nimmt der Neubau auch ein großes Thermalbad mit Therapieabteilung auf. Der mit tiefen, großen Sonnenterrassen den Nordhang hinunter gestaffelte Bau kostet die panoramatische Lage aus. Mit seiner der weitgehend verglasten Front vorgesetzten olivgrünen Metallgitterstruktur macht er sich aber zugleich in der Landschaft fast unsichtbar und wirkt damit in seiner Architektur beinahe schon übertrieben bescheiden.

Innen sind die großen Volumen des Neubaus auf weite, offene Flächen verteilt, die überall Grünblick und einen Bezug zur Umgebung haben. Ein besonderer Logenplatz ist die Caféterrasse mit ihren Sonnensegeln und skandinavisch-leichter Möblierung, die einen Rundblick auf Kurpark, Tal, Berge, Wälder und die Freibecken des Thermalbades bietet. Zusammen mit dem Neubau unterzog man auch die beiden historischen Hotels einer kompletten Überarbeitung, sodass sie sich nun als stilistisch einheitlich mit dem Neubau präsentieren. Alles ist bis ins Detail geprägt von großzügigen räumlichen Zusammenhängen und konsequenter Sensibilität in der Materialwahl.

Überraschend ist der teilweise introvertierte Charakter des Kurbades, das zwei mit grauen Kunststeinplatten verkleidete atriumartige Höfe als Ruhezonen ausbildet. Offene Emporen verbinden die Höfe mit der ebenfalls in steinernem Hellgrau gehaltenen Thermenhalle. Das für den Ort namensgebende Thema der römischen Antike ist dort mit zwanglos gestapelten und gegeneinander verschobenen quadratischen Öffnungen paraphrasiert, in denen die Badegäste auf leuchtend farbig bezogenen Schaumstoffmatten ruhen und die Blicke in alle Richtungen schweifen lassen können. Weitere Farbtupfer sind die irisierenden Keramikmosaikbecken und Wände der Duschen, Saunen, Dampfbäder und Whirlpools. Das alles lässt in seiner immer wieder gebrochenen und ironisierten Strenge ein wenig an die Bauten David Chipperfields denken, der in den letzten Jahren unter anderem einige Kaufhäuser in Österreich realisiert hat. Die spannungsreiche Heterogenität von Innen und Außen macht die Therme von Rimske Toplice zu einem der interessantesten Neubauten auf diesem Gebiet. Mehr in dieser Art würde man durchaus gerne auch hierzulande sehen.

18. Juni 2011 Spectrum

Korrekt wie im Bioladen

Am Beginn stand die Öko-Bewegung mit selbst gestrickten XXL-Pullis. Nun präsentiert sich Fair-Trade-Mode in Wien als Haute Couture im stylishen Ambiente. Der Dritte-Welt-Laden im 21. Jahrhundert.

Es war einmal: eine Zeit, da demonstrierte man politisch und ökologisch korrekte Gesinnung durch selbst gefärbte violette Latzhosen, windelartige Halstücher, Jute-Einkaufstaschen und selbst angerührte Cremes (die immer schnell ranzig wurden und ausflockten). Da saßen Abgeordnete des deutschen Bundestags mit Strickzeug im Plenarsaal und verarbeiteten handgesponnene Wolle zu noch mehr sackartigen Pullovern, als sie ohnehin schon am Leib trugen (das Kratzen der mitgesponnenen Dornen und Zweigstücke kennt die Autorin aus eigener Erfahrung, weswegen ihr die Häme verziehen sei).

Heute hat Deutschland seinen ersten grünen Ministerpräsidenten, und selbst konservative Politiker und Politikerinnen sehen sich aus pragmatischen Gründen gezwungen, den Ausstieg aus der Kernenergie eigentlich doch zu befürworten. So fatal die Gründe hierfür sind, so erfreulich ist dennoch das im Laufe der letzten drei Dekaden gewachsene und gefestigte Bewusstsein für eine ökologische und soziale Verantwortlichkeit auch im persönlichen Konsum. Mehr als das: Korrektes Gebaren ist schick geworden, und auch als Hollywoodstar kann man heute schon fast nicht mehr anders, als sich im superkorrekten Hybridfahrzeug fortzubewegen. Vor allem hat sich aber mit der Ausweitung der Zielgruppe auch das Angebot an korrekt produzierten und fair gehandelten Produkten erweitert. Dabei muss natürlich gesagt werden, dass biologisch produziert und fair gehandelt nicht dasselbe ist, wenn es auch naturgemäß große Schnittmengen gibt.

Für Wien bedeutete die Einrichtung des Geschäftslokals von EZA Fairer Handel (früher hieß so etwas „Dritte-Welt-Laden“) am Lichtensteg im ersten Bezirk im Jahr 2002 eine neue Sichtweise bewussten Konsums. Die fair gehandelten Produkte gewannen durch ihre Präsentation in dem als Schaufenster seiner selbst mit großer Glasfront und zurückgenommener Einrichtung mit hochwertigen Materialien gestalteten Shop ein neues, durchaus stylishes Image. Das Büro Christian Heiss plante wenig später auch den EZA-Shop in der Lerchenfelder Straße in ähnlicher Weise. Dass Christian Heiss seine Karriere mit der Einrichtung von Burgerketten-Filialen begonnen und mit dem Bau des Evangelischen Kirchenzentrums in Wien-Währing erfolgreich fortgesetzt hat, ist dabei durchaus kein Widerspruch – qualitätvolle Gestaltung im Alltag sollte eben letztlich weder ein Privileg der Hochpreis-Konsumationsklasse noch eine Antithese zu biologisch, ökologisch und ethisch verantwortungsvoller Lebensführung sein.

Heute betreibt EZA ein eigenes Modelabel namens Anukoo, was aus dem Hindi kommt und so viel wie „passend, geeignet, vorteilhaft“ bedeutet. Nicht ohne Grund – ein Großteil der verarbeiteten Baumwolle stammt von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus Indien, kleinere Teile aus Malaysia und Burkina Faso. Die Produzenten verpflichten sich zur Einhaltung von Kernarbeitsnormen, effizientem Wassereinsatz, soweit wie möglich reduziertem Einsatz von Pestiziden und dem Verzicht auf gentechnisch verändertes Saatgut; bei Produktion gemäß Biostandards wird eine zusätzliche Prämie ausgezahlt. Transparenz und Qualitätskontrolle sind Voraussetzungen des gesamten Produktions- und Vertriebsprozesses. Während die Baumwolle in Mauritius in einer Spinnerei von behinderten Menschen verarbeitet wird, kommt die angebotene Seide von Handwebstühlen in indischen Dörfern – so wie es Mahatma Gandhi propagierte, um die ländliche Bevölkerung vom britischen Mutterland unabhängiger zu machen.

Auf die Gestaltung des Anukoo-Shops in der Gumpendorfer Straße haben diese Hintergründe – auch das ist ein Teil des neuen Images und Selbstverständnisses von Fair-Trade-Mode und ihren Konsumenten und Konsumentinnen – keinen sichtbaren Einfluss: Asia-Folklore darf man nicht erwarten. Den 70-Quadratmeter-Raum im szenig geprägten Bezirk Mariahilf kennzeichnen weiße Wände, das schöne, fahle Braun von Boden und Regalfronten, die in gewitterten, roh belassenen Eschenbrettern ausgeführt wurden, und das frische Apfelgrün eines als Miniatur-Lounge fungierenden Einbau-Sofas am hinteren Ende des Raumes.

Das leicht trapezförmige Geschäftslokal wurde durch den Einbau einer Zwischenwand, hinter der auf kleinem Raum zwei Umkleiden, Lager und Personal-Infrastruktur untergebracht sind, zur Keilform verdichtet. Verkaufs- und Regalpult führen die Schräge in den vorderen Teil des Geschäfts weiter, während die Seitenwände von Hängeregalen mit den (in dieser Saison hauptsächlich in Rot, Blau, Violett und Grün daherkommenden) Kleidungsstücken eingenommen werden. Unter ihnen werden auf niedrigen Sockeln Taschen, Etuis und Portemonnaies präsentiert. Mit der grünen Mini-Lounge wurde ein mit Kaffeemaschine und Leseecke ausgestatteter Ruhepunkt für urbanes Verweilen unter einem alten Fenster zum Hinterhof geschaffen. Eine halbkugelförmige weiße Deckenlampe sorgt hier zusätzlich für Intimität. Die Öffnung zum Hof erweitert außerdem den nicht besonders großen Raum durch die optische Durchlässigkeit und zweiseitige natürliche Belichtung.

Der Schriftzug des namengebenden Labels Anukoo präsentiert sich außen wie innen dezent als immaterielle Licht-Negativform, wenn er selbst leuchtend an der Fassade und innen an der Stirnwand des vorderen Raumteils (dort hinter weißen Voile-Vorhängen) beziehungsweise als indirekt beleuchtete Aussparung in der Front der hölzernen Verkaufstheke erscheint. Indirektes Licht leuchtet auch unter dem Verkaufspult hervor, während an einer Schiene unter der historischen Decke, an der freigelegte Spuren alter Bemalung sichtbar belassen wurden, montierte Strahler die zu erwerbenden Kleidungsstücke in Szene setzen – deren Preise im Übrigen nicht höher als in den Stores der großen Einkaufsstraßen sind.

„Nicht nur das Kleid muss passen, sondern auch das Umfeld, in dem es entsteht“ ist der Wahlspruch von Anukoo. Und zudem die Umgebung, in der es präsentiert wird, möchte man hinzufügen. Gelungen.

14. Mai 2011 Spectrum

Zwischen Wald, Dom und Berg

Ein Wohnbau am Böhmischen Prater, in dem es sich leben lässt: viele Ein-, Aus- und Durchblicke, ein spektakuläres Panorama und ein Farbkonzept, das zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt.

Guter Wohnbau hat in Wien Tradition. Nicht umsonst war das Wohnen immer ein Hauptthema der Wiener Moderne. Das hindert natürlich nicht, dass auch hier, wie überall, mehr als genug Schlechtes, ja Miserables gebaut und künftigen Bewohnern und Bewohnerinnen zugemutet wurde und wird. Dennoch: Qualität gab es trotz aller Einschränkungen und Planungsvorgaben auch im geförderten Wohnbau immer. Zu den derzeit besten Architektinnen auf diesem Gebiet zählt Patricia Zacek, die sich bereits in ihrer Dissertation mit dem Thema Wohnbau beschäftigt hat. die jüngste von ihr geplante Anlage im zehnten Wiener Gemeindebezirk wurde vor Kurzem bezogen.

Das Stadterweiterungsgebiet am Böhmischen Prater nahe dem Monte Laa wurde in den letzten Jahren relativ dicht bebaut. Die Bewohner profitieren allerdings von der Nähe des Laaer Waldes mit seiner Flora und Fauna, die mit Vogelgezwitscher und Blätterrauschen akustisch fast das Gefühl gibt, auf dem Land zu leben. Die von Patricia Zacek geplante Wohnhausanlage am Rande des Wohnquartiers liegt zudem an der „Stadtkante“ direkt am Wald. Sie musste mit einem stabilen Wildschutzzaun vom Waldgebiet abgegrenzt werden, bietet aber eine Aussicht auf den nordöstlich liegenden dichten Wald, während sich nach Nordwesten ein spektakuläres Panorama über Wien samt Stephansdom- und Kahlenberg-Blick auftut.

Wichtig sind Patricia Zacek nicht nur die Grundrisse der nach Möglichkeit mehrseitig belichteten Wohnungen, sondern immer auch die stadträumliche Qualität von Wohnbau. So macht die kammförmige Anlage zwischen ihren zum Wald offenen vier Armen Höfe mit holzbeplankten Sitzplätzen und einem ebenfalls von der Architektin gestalteten Spielplatz auf. Da es sich nicht um einen Bauträgerwettbewerb, sondern um ein freie Vergabe der Buwog handelte, mussten Architektur und Freiraumplanung nicht getrennt vergeben werden. Ein breiter Durchgang von der Moselgasse setzt die Achse fort, die als Fußweg quer durch das Quartier zur Bushaltestelle an der Laaer-Berg-Straße führt, und schafft so auch für jene, die nicht das Privileg des Wohnens direkt am Waldrand genießen, einen erdgeschoßigen Sichtbezug zum Naturraum.

Nähert man sich der Anlage von der Stadtseite, fällt zuerst der verglaste Gemeinschaftsraum am vorderen Eck ins Auge. Ein weiteres Prinzip, auf das die Architektin großen Wert legt, sind einladende und dezidiert auch einsichtige, halb öffentliche Gemeinschaftsflächen. An der hofseitigen Erschließungsachse der Anlage sind verglaste, leuchtend grün beziehungsweise gelb gehaltene vitrinenartige Kinderwagen-, Fahrradabstell- und Waschräume dort platziert, wo Längs- und Quertrakte aufeinandertreffen. Die Zwischenzonen von halb öffentlichen und privaten Bereichen sind als räumlich angenehme Kommunikationszonen geplant.

Zusätzlich zum erdgeschoßigen Fußweg erschließt hofseitig eine parallel verlaufende,laufstegartige verglaste Brücke im ersten Obergeschoß die Wohnungen. Die Stellen, an denen die Glasbrücke die Stiegenhäuser trifft,sind zusätzlich durch Glaswände betont. Hinter ihnen leuchtet das Grün beziehungsweise Gelb der Stiegenhäuser einladend in die Hofräume. Mehrstöckige helle Lufträume prägen die Stiegenhäuser, so etwa gleich am Eingang bei den Briefkästen. Das Nachhausekommen wird so allein durch den großzügigen Raumeindruck zu einem positiven Alltagseindruck – eine räumliche Qualität, die auch der Kommunikation zwischen den Hausbewohnern förderlich sein dürfte. Ein-, Aus- und Durchblicke begünstigen dabei auch eine positiv verstandene soziale Kontrolle: Man sieht, wenn der Nachbar gerade nach Hause kommt, und kann, wenn man das möchte, ein paar Worte wechseln. Auf der anderen Seite dürften Vandalismus und Einbrüche durch den fehlenden Sichtschutz massiv erschwert werden.

Von der südwestseitig verlaufenden Moselgasse ist der Baukörper, der 103 Wohnungen auf sechs Stiegen aufnimmt, 2,5 Meter zurückgesetzt. So wird die dicht bebaute Straße aufgeweitet; vor allem aber bekommen die Bewohner der erdgeschoßig zugänglichen Maisonetten kleine Gärten, die, mit eigenem, vom asphaltierten Durchgangsweg durch seinen Steinplattenbelag und einen zum Teil bepflanzten Grünstreifen getrenntem und quasi privatem Zugang, fast reihenhausartig wirken. Auch an der Fassade sind die Erdgeschoß-Maisonetten mit ihrer Vertikalstruktur klar als einzelne Einheiten definiert. So stellt sich das psychologisch nicht unerhebliche Gefühl ein, praktisch in einer Reihenhauseinheit zu leben, die in eine größere Anlage integriert ist. Über den Maisonetten liegen einstöckige Wohnungen, was an der Fassade eine Entsprechung in einer horizontalen Strukturierung hat. Die beiden obersten Geschoße nehmen wiederum Maisonetten ein, deren Treppenuntersicht sich in einer Schräge im Stiegenhaus abbildet. Alle Wohneinheiten verfügen über private Freiräume in Form von Terrassen und/oder Loggien.

Sorgfalt in den Details ist ein weiteres wichtiges Thema der Architektin. So entwickelte sie ein typografisches Konzept, nach dem die Hinweisschilder in den Gemeinschaftsräumen, in den Stiegenhäusern und an den Aufzügen gestaltet wurden. Teil dieser sorgfältigen Detailgestaltung ist auch das Bestreben, darauf zu achten, dass Materialien gut altern können. Hier ist das etwa bei den Lochblech-Loggienbrüstungen spürbar, die außen bündig mit der Außenwand abschließen und auch farblich mit den gedeckten Ocker- und Grüntönen der verputzten Fassade harmonieren. Das Farbkonzept harmoniert mit den Farbtönen des angrenzenden Waldes, aber auch der benachbarten Wohnanlagen. Auch optisch wird so zwischen urbaner Bebauung und Naturraum vermittelt. Unwillkürlich denkt man an Kurt Tucholsky, der 1927 über den Wohnwunschtraum des Durchschnittsbürgers ätzte: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn.“ Vorn der Laaer Wald, hinten der Stephansdom, Blick auf den Kahlenberg? Lässt sich machen.

Presseschau

6. November 2018 Wojciech Czaja
Der Standard

Architekturhistorikerin Iris Meder gestorben

Meder Rettete mehrere bedeutende Baudenkmäler der Wiener Moderne vor dem Abriss

Sie war eine der wichtigsten und tatkräftigsten Initiatorinnen bei der Rettung bedeutender Baudenkmäler der Wiener Moderne. Ihrem Kampf ist es zu verdanken, dass das von Erich Boltenstern geplante, 1935 errichtete Kahlenberg-Restaurant nicht abgerissen, sondern unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nun ist Iris Meder nach schwerer Krankheit am 5. November gestorben. Meder, 1965 in Pforzheim geboren, studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft und zog Anfang der 1990er-Jahre nach Wien, wo sie sich der Wiener Architekturgeschichte widmete. Zu ihren Themen zählten Josef Frank, Oskar Strnad, Otto Wagner, das Hochhaus in der Herrengasse sowie die europäische Badekultur, der sie ein Buch widmete. Meder war Mitglied des Kunstkollektivs H.A.P.P.Y. und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und kuratierte Ausstellungen für das Wien-Museum sowie für das Jüdische Museum Wien.

Publikationen

2017

Architekturlandschaft Niederösterreich
1848 bis 1918

Der neue, insgesamt fünfte der vom ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich herausgegebenen Führer durch die Architekturlandschaft Niederösterreichs versammelt typologisch geordnet Bauwerke aus den Jahren 1848 bis 1918. Dieser Zeitraum, von der österreichischen Revolution und der Thronbesteigung Kaiser
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, Kunstbank Ferrum - Kulturwerkstätte
Autor: Iris Meder, Theresia Hauenfels, Andrea Nussbaum
Verlag: Park Books

2009

Architekturplan Wien
Architektur und Landschaftsarchitektur von 1900 bis heute

Wien bietet nicht nur eine Fülle historischer Bauwerke und erstrangige Zeugnisse der klassischen Moderne, sondern hat sich in den letzten Jahren auch als Ort zeitgenössischer Architekturproduktion einen Platz im europäischen Kontext erarbeitet. „Architekturplan Wien“ ist ein handliches, übersichtliches
Hrsg: Architectural Tours Vienna
Autor: Iris Meder, Felicitas Konecny, Alexander G. Williams
Verlag: Falter

2008

Josef Frank
Eine Moderne der Unordnung

Josef Frank war einer der bedeutendsten Köpfe der Wiener Moderne. 1885 in Baden bei Wien geboren, entstammte er dem liberalen, assimilierten jüdischen Bürgertum. In deutlicher Opposition zum über-ästhetisierten Gesamtkunstwerks-Denken der Wiener Werkstätte etablierte Frank seit den 1910er-Jahren gemeinsam
Hrsg: Iris Meder
Verlag: Verlag Anton Pustet

2007

Oskar Strnad 1879-1935

Oskar Strnad (1879 – 1935) war einer der wichtigsten Architekten, Bühnenbildner und Theoretiker der Wiener Frühmoderne: Er begründete gemeinsam mit Josef Frank eine »Wiener Schule«, die sich vom Ästhetizismus der Wiener Werkstätte distanzierte und in ihrer undogmatischen Grundhaltung Adolf Loos nahestand.
Hrsg: Iris Meder, Evi Fuks
Verlag: Verlag Anton Pustet

2005

Moderat Modern
Erich Boltenstein und die Baukultur nach 1945

Erich Boltenstern (1896-1991) war eine der zentralen Figuren der Wiener Architektur im 20. Jahrhundert. Einer der Schule von Oskar Strnad entstammenden spezifisch wienerischen Moderne verpflichtet, profilierte er sich erstmals 1930 mit dem Grazer Krematorium für den „Wiener Verein“, dessen Geschichte
Autor: Iris Meder, Judith Eiblmayr
Verlag: Verlag Anton Pustet