Artikel

Aktivierende Freiraumgestaltung für Ältere
zolltexte
20. Dezember 1997 - Gerlinde Hinterhölzl
Freiräume beim Altersheim - zusammen mit den Innenräumen des Hauses sind sie alltägliche Lebensräume für HeimbewohnerInnen. All-täglich, jeden Tag und meist den ganzen Tag. „Aktivierende Freiraumgestaltung“ kann einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Heim leisten.

Leben im Altersheim. Übersiedlung in ein Altersheim heißt, das Zuhause und damit das vertraute Alltagsumfeld verlassen (zu müssen). Mit dem Zuhause werden zumeist auch dort ausgeführte Tätigkeiten, Eigenständigkeit und Verantwortung aufgegeben. Werden in dieser Situation keine Anregungen gegeben, wird keine Wertschätzung gezeigt, so läßt die Aktivität der HeimbewohnerInnen oft stark nach, dem Rückzug ins eigene Innere folgen fortschreitende Vereinsamung und Verwirrung.

Der Frage nach dem Freiraum möchte ich die Frage nach dem älteren Menschen selbst voranstellen. Wer sind sie, die BewohnerInnen von Altersheimen, und was ist das, das Alter(n)?

Die Übersiedlung in das Altersheim wird von den meisten verständlicherweise so lange wie möglich hinausgezögert. Viele der BewohnerInnen sind daher bereits sehr alte Menschen. Diese Älteren, obwohl oft auch „die Alten“ genannt, unterscheiden sich voneinander – durch ihre langjährigen Lebenserfahrungen, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen, ihre Eigenheiten und Besonderheiten. Verschieden sind auch ihre Interessen und Ansprüche. „Die Alten“ schlechthin, als homogene Gruppe, gibt es nicht.
Auch ein Lebensalter kann nicht unmittelbar mit dem Befinden eines Menschen verbunden werden: Die junge Alte mit 65, der ältere Alte mit 80, sie beide weder geistig verwirrt noch mit starken körperlichen Verlusten konfrontiert, nicht vergleichbar etwa mit einer 80jährigen Frau, die - stark verwirrt - nach ihrer Mutter sucht.

Methoden

Bei „Altern & Kultur“, Forschungsstelle und Verein zur Förderung des Bewußtseins um die sozialen und beruflichen Probleme des Alterns, erfuhr ich von der Methode der „Validation nach Naomi Feil“. Feils Erkenntnisse prägten meine Arbeitsweise in der „Aktivierenden Freiraumgestaltung“.

Validation nach Feil

„Validation“ ist eine Kommunikationsform und Therapie, mittels welcher Kontakt und anhaltende Verbindung zu sehr alten, verwirrten Menschen ermöglicht und erleichtert wird. Feils Methode beruht auf dem entwicklungspsychologischen Ansatz, daß der Mensch in jedem Lebensstadium verschiedene psychische und soziale Aufgaben zu erfüllen hat. Werden diese Aufgaben über Jahre hinweg verdrängt, so brechen diese im hohen Alter hervor. „Verhalten im sehr hohen Alter ist nicht nur eine Folge anatomischer Veränderungen des Gehirns, sondern das Ergebnis einer Kombination von körperlichen, sozialen und psychischen Veränderungen, die im Laufe eines Lebens stattgefunden haben.“ (FEIL, 1993)
ValidationsanwenderInnen begleiten den älteren verwirrten Menschen bei der eigenbestimmten Aufarbeitung seiner Vergangenheit. Feil drückt dies so aus: „Man geht nicht vor ihnen her und man geht ihnen nicht nach, sondern man geht neben, mit ihnen und teilt, was immer SIE wollen.“

Validation und Freiraumplanung

Hier treffen sich zugrundegelegte Theorie der Freiraumplanung und Theorie der Validation: Wie es nicht Aufgabe von FreiraumplanerInnen ist, genau analysierte Bedürfnisse zu organisieren, so ist es nicht Aufgabe von ValidationsanwenderInnen, ältere verwirrte Menschen zum Aufarbeiten ihrer Probleme aufzufordern: „Die Aufgabe des Planers ist dann nicht, genau analysierte Bedürfnisse zu organisieren – sondern, nur in Umrissen bekannten Bedürfnissen (oder auch unbekannten) Gelegenheit zu bieten. In welcher Weise Gelegenheiten genutzt werden, ist nicht Sache des Planers sondern die der Betroffenen.“ (HEINEMANN & POMMERENING, 1979)
Freiraumplanung leistet dann einen Beitrag zur Aktivierung, wenn HeimbewohnerInnen bei der Nutzung und Aneignung von Freiräumen unterstützt und Gelegenheiten für eigenbestimmtes Entscheiden und Handeln eröffnet werden.

Teilhabe am gesamten Prozeß

Anspruch an die Planung und Gestaltung der Freiräume ist es, bei den Fähigkeiten der älteren Menschen anzuknüpfen. Hierfür nehme ich es den direkten Kontakt zu den BewohnerInnen und den BetreuerInnen des jeweiligen Altersheimes auf. Zusammen mit einer den BewohnerInnen vertrauten BetreuerIn werden Gesprächsrunden zum Thema „Gärten und Freiräume“ organisiert. Die Fragen an die RundenteilnehmerInnen beziehen sich dabei nicht allein bzw. nicht direkt auf deren Bedürfnisse, „da die Befragten ihre Bedürfnisse nie detailliert äußern, sei es, weil sie sie selbst nicht so genau kennen oder wahrhaben wollen, sei es weil sie nicht bereit sind, sie einem Außenstehenden mitzuteilen.“ (HEINEMANN & POMMERENING, 1979). Themen und Fragen sind vielmehr biographisch orientiert: Wo und wie wurde früher gelebt (eigener Garten?), an welchen „Orten“ hielt man sich gerne auf und warum, welche Pflanzen kennt und liebt man von früher, welchen Tätigkeiten ging man gerne nach? Erinnerungen an das frühere Lebensumfeld werden ausgetauscht, Gärten und Plätze beschrieben. Meist knüpfen die RundenteilnehmerInnen Erzählungen aus dem eigenen Leben an: Was man war/ist, machte, konnte,…
Die Teilhabe der HeimbewohnerInnen am Prozeß der Planung und im weiteren an der (Um)gestaltung bzw. an – weniger anstrengenden – Ausführungsarbeiten kann deren Identifikation mit dem Freiraum erhöhen, der Prozeß selbst wird Teil der Aktivierung. Die Bestandesaufnahme im Freiraum – Schauen und Spurenlesen vor Ort – ist weitere Planungsgrundlage und gibt zugleich Gelegenheit zu Beobachtungen wie zu Gesprächen. Die interpretierten Ergebnisse der Gesprächsrunden wie der Bestandesaufnahme sind im weiteren Kriterien für Planungsvorschläge bzw. den Entwurf.
Diese Arbeitsweise ermöglicht das individuelle Eingehen auf die HeimbewohnerInnen ebenso wie auf die soziale und räumliche Situation des jeweiligen Altersheimes bzw. des Freiraumes.

Anforderungen an die Freiraumplanung

Von den bisherigen Erfahrungen und Ergebnissen können – im konkreten Fall jedoch immer wieder neu zu reflektierende – Anforderungen an die Freiraumplanung und -gestaltung für ältere und mit älteren Menschen abgeleitet werden.

Orientierung und Erreichbarkeit

Voraussetzung für Aufenthalt und Aktivität außerhalb des Hauses sind gute Orientierungsmöglichkeiten und gute Erreichbarkeit der einzelnen Freiraumeinrichtungen. Dies ist über eine entsprechende Organisation der Freiräume zu gewährleisten.

Ordnung

Ordnung und Sauberkeit sind den meisten älteren Menschen sehr wichtig. Ordnung kann dem älteren Menschen über den „erfreulichen Anblick“ hinaus ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit vermitteln. Es bedarf einer Ausgewogenheit an Stimulierung und Aktivierung. Ein Zuviel an Eindrücken kann Unruhe, Durcheinander und damit Orientierungslosigkeit beim (älteren) Menschen hervorrufen. So kann der bunte verwilderte Garten, das Gras, das vom Rasen her in den Weg hineinwächst – für viele durchaus sehr ansprechend – für ältere Menschen Problem sein.

Kontinuität des Bestehenden

Altes ist bekannt, vertraut oder hat sich im Gebrauch bewährt. Bei der Umgestaltung einer bestehenden Gartenanlage ist zu beachten, daß eine völlige Neugestaltung weder sinnvoll noch im Normalfall von den Bewohner/innen gewollt ist. Abhängig von der gegebenen Freiraumqualität geht es bei Umgestaltungen vor allem um punktuelle Veränderungen und Verbesserungen von Freiraumorganisation und -einrichtungen.

Bevorzugte Nutzung
der hausnahen Bereiche

Viele BewohnerInnen können oder wollen sich nicht allzuweit vom Haus entfernen. Die Nähe zum Haus bedeutet für sie zugleich auch die Nähe zu Betreuer/innen und damit Sicherheit. Der Hauseingangsbereich ist auch für die übrigen BewohnerInnen Anziehungspunkt, gibt es doch von hier oft die besten Beobachtungs- und Kontaktmöglichkeiten.
Die hausnahen Bereiche sind also bei Planung und Gestaltung besonders zu berücksichtigen. Gleiches gilt für Grenzen und Grenzbereiche zu öffentlichen Freiräumen, wie etwa an den Garten angrenzende öffentliche Straßen. Für viele der HeimbewohnerInnen stellen Sichtbeziehungen zur Straße die einzigen Kontakte zur Öffentlichkeit dar.

Abwechslung und Überraschung

HeimbewohnerInnen kennen ihren Garten oft sehr genau: sie wissen, wann es in welchem Eck sonnig oder schattig ist, wo Obstbäume stehen und wieviele Früchte sie heuer tragen, wo und in welcher Farbe Sträucher oder Blumen blühen. Auch der Wandel der Jahreszeiten hat für ältere Menschen oft eine besondere Bedeutung.
Die Einrichtungen und Elemente des Freiraumes sollen Anlass und Anreiz sein, immer wieder in den Garten/Hof zu gehen und nachzuschauen, ob sich etwas und was sich verändert hat. Entscheidend sind Blickpunkte und Sichtbeziehungen, die Möglichkeiten, Elemente des Freiraumes mit den verschiedenen Sinnen zu erleben.
Über Farben, Formen und Düfte, etwa von Pflanzungen, können die verschiedenen, jeweils bevorzugt eingesetzten Sinne des alternden Menschen angesprochen und Wohlbefinden hervorgerufen werden.
Durch die Gestaltung harmonischer Raum- und Pflanzungsbilder, können individuelles Wohlbefinden und damit Aktivitäten gefördert werden. Obstbäume und Beerensträucher, Stauden und Zwiebelpflanzen, deren Früchte, Farben und Blühaspekte lassen die Veränderungen über die Jahreszeiten hinweg besonders gut beobachten.

Anlässe für Erinnerungen

Erinnerungen an frühere Lebensverhältnisse und Erlebnisse sind für ältere Menschen von besonderer Bedeutung. Die Erinnerung kann Zufluchtsort aus einer unerträglich gewordenen Gegenwart sein und/oder Möglichkeit, den eigenen Selbstwert wieder zu entdecken: „Indem der alte Mann seine eigenen Erinnerungen und Lebenserfahrungen wieder vergegenwärtigt nimmt er diese und damit auch sich selbst ernst. Durch diese Wertschätzung wird sein Selbstwertgefühl gesteigert, er sieht, daß er einmal „etwas wert war“ und spürt, daß er es immer noch ist.“ (STOIK, 1996)
Anlässe für Erinnerungen1 müssen nicht nur dem Zufall überlassen, sondern können auch „geplant“ werden. Erinnerungen können durch die Wiederbegegnung der Älteren mit (ähnlichen) Gegenständen, Bildern und Gerüchen aus ihrer persönlichen Vergangenheit geweckt werden. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, daß genau der gleiche Gegenstand, die gleiche Form, die gleiche Farbe erkannt werden, sondern vielmehr darauf, was der ältere Mensch wahrnimmt, was er mit seinem inneren Auge sieht bzw. sehen will.
„Wenn das Kurzzeitgedächtnis nachläßt, versuchen ältere Erwachsene, ihr Leben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, indem sie auf frühere Erinnerungen zurückgreifen. Wenn die Sehstärke nachläßt, sehen sie mit dem inneren Auge. Wenn ihr Gehör immer mehr nachläßt, hören sie Klänge aus der Vergangenheit.“ (FEIL, 1993)
Erinnerungen können im Freiraum durch verwendete alte Baumaterialien, altbekannte Pflanzen, deren Formen, Farben oder Gerüche ausgelöst werden.
Zu den altbekannten Pflanzen zählen viele Stauden, ältere Frauen kennen sich oft gut mit Heil- und Küchenkräutern aus. Staudenbeete mit Salbei, Schafgarbe und Frauenmantel im Garten des Altersheimes können Erinnerungen an den eigenen Garten und dort ausgeführte Gartenarbeiten wecken, bieten Anlässe für Gespräche oder auch Gelegenheit für Tätigkeiten: Pflegen, Ernten und Verarbeiten von Kräutern.
Wenn TeilnehmerInnen von Gesprächsrunden sich an ihre eigenen Gärten erinnern, so erzählen sie gerne von den Früchten, die sie dort ernten konnten. Vor allem ein Obstbaum wird von vielen mit Kindheits- und Jugenderinnerungen verbunden: Der Klarapfelbaum. Auch das Naschen von Himbeer- und Brombeersträuchern ist vielen gut und gerne in Erinnerung.

Tätig-Sein

Tätig und nützlich sein ist insbesondere für die Generationen der heute Älteren Bedürfnis. Tätig-Sein, Arbeiten, „Etwas Leisten“ sind die Bedingung dafür, (sich selbst) etwas wert zu sein.
Indem Verantwortung übernommen wird, Entscheidungen selbst getroffen werden oder Kontrolle ausgeübt wird, kann das Selbstwertgefühl des Menschen (wieder) erhöht werden. Im Garten können vielfältige Möglichkeiten und Gelegenheiten für Aktivitäten und damit zur Aktivierung geboten werden.
Wichtig ist es hier wiederum von Gelegenheiten zur Betätigung zu sprechen: Jemand der sein ganzes Leben nicht im Garten gearbeitet hat, wird auch im Alter nicht mehr damit beginnen.


1) Angewandt wird hier die Methode der Erinnerungsarbeit. Wichtige Forschungsarbeiten zur Erinnerungsarbeit leisteten/leisten die MitarbeiterInnen der Vereinigung „Age Exchange“ mit Sitz in London sowie des von ihnen organisierten Europäischen Netzwerkes für Erinnerungsarbeit.

Literatur:
FEIL, N. (1993): Ausbruch in die Menschenwürde, Validation - einfache Techniken um Menschen mit Altersverwirrtheit / Demenz vom Typ Alzheimer zu helfen.
SAUP, W. (1993): Alter und Umwelt, Eine Einführung in die Ökologische Gerontologie, Stuttgart, Berlin, Köln.
STOIK, C. (1996): Erinnerungsarbeit - ein Erfahrungsbericht, in: alterego1/Juni 1996, Wien.
HEINEMANN, G., POMMERENING, K. (1989): Entwicklung von Methoden der Freiraumanalyse, bezogen auf innerstädtische Gebiete; in: Nachlese: Freiraumplanung, Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation Kassel.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: zolltexte

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: