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Verkehrsfrei, übersichtlich und harmonisch
zolltexte

Seit 1996 ist er Planungsstadtrat für Wien. Zolltexte sprachen mit Vizebürgermeister Bernhard Görg über Planung, Stadt und BürgerIn.
Das Gespräch führten Wolfgang Gerlich und Johannes Posch

20. Dezember 1997 - Wolfgang Gerlich
Zolltexte: Welchen Stellenwert messen Sie dem öffentlichen Raum in der Stadt zu in einer Zeit der virtuellen Gegenöffentlichkeit. Was bedeuten die aktuellen Tendenzen für den gebauten öffentlichen Raum?

Görg: Der öffentliche Raum war in Wien schon vor den Errungenschaften der Informationsgesellschaft kein Raum der Begegnung, der Kommunikation. Schauen Sie sich etwa italienische Plätze an. Da ist der Platz eine Agora, ein Treffpunkt. In Wien ist der Platz nur da, um ihn zu überqueren, um daran entlangzugehen. Außer dem Judenplatz und dem Josefsplatz gibt es eigentlich kaum schöne Plätze in Wien. Daher wollen wir uns der Wiener Plätze in Zukunft stärker annehmen.

Zolltexte: Das fordert natürlich die Frage heraus, was für Sie einen schönen Platz ausmacht.

Görg: Überschaubarkeit, Harmonie und Verkehrsarmut

Zolltexte: Wir halten entgegen, daß die italienischen Beispiele, die Sie anführen, alles andere als verkehrsarm sind.

Görg: Die Wiener Situation zeigt, daß verkehrsreiche Plätze qualitätsvollen Lösungen keine Chance bieten. Daher setzen wir jetzt mit einem internationalen Gutachterverfahren zum Schwarzenbergplatz einen ersten Schritt, um diesen Platz zum Leben zu erwecken.

Zolltexte: Kommen wir zu einem weiteren neuralgischen Punkt der Stadtplanung, zur Stadterneuerung im dichtverbauten Gebiet, die ja wieder stärker in den Vordergrund der Diskussionen gerückt ist. Welche Vorgaben existieren bezüglich der öffentlichen Räume dieser innerstädtischen Gebiete, auf die ja somit ein noch größerer Flächendruck entsteht.

Görg: Hier bewegen wir uns in einem Zielkonflikt. Wenn innere Stadterweiterung Vorrang vor der äußeren haben soll, so fördert das selbstverständlich die Begehrlichkeit von Wohnbauseite auf unbebaute Flächen. Allerdings steigern folgende drei Umstände die Chancen des Freiraumes: Der zurückgehende Wohnbauboom, das öffentliche Bewußtsein und last but not least die Dezentralisierung. Bezirke können sich also beispielsweise gegen großmaßstäbliche Vorhaben stärker querlegen.

Zolltexte: Was ändert sich durch die Dezentralisierung konkret im Planungsablauf für öffentliche Räume?

Görg: Planung wird aufwendiger. Der Abstimmungsprozeß zwischen Stadt und Bezirken wird aufwendiger. Die Erhaltung und Gestaltung der eigenen Freiräume ist den Bezirken natürlich noch näher, weshalb ich hier wichtige positive Impulse erwarte. Denken Sie etwa an die Innenhofinitiative im 7. Wiener Gemeindebezirk.

Zolltexte: Was uns zu einer weiteren Pflichtfrage bringt, zur Frage nach dem Stellenwert der Bürgerbeteiligung. Wird die Dezentralisierung Impuls für intensivere Bürgerbeteiligungsverfahren sein?

Görg: Hier orte ich Chancen wie auch Risiken. Echte Bürgerbeteiligung ist dadurch ebenso möglich wie die Befriedigung von Bürgerwünschen als politische Geste.
Völlig unabhängig von der Dezentralisierungsdebatte müssen wir der Bürgerbeteiligung eine neue Qualität einräumen. Ich nenne hier zwei Begriffe aus der Wirtschaftswelt – Shareholder und Stakeholder. Die Shareholder wären zum Beispiel die Anrainer, die klassischen Projektgegner, die Lauten. Stakeholder wäre die Stadt, das Gemeinwohl, die Leisen. Zwischen diesen beiden Kräften mussen wir eine Balance finden. Wenn immer die Shareholder ihren Willen durchsetzen, so wird die Stadt keine Entwicklung erfahren.

Zolltexte: Klar, daß dies die Kardinalfrage der Bürgerbeteiligung ist. Durch welche Instrumente, mit welchen Medien, wollen Sie aber diese Balance erreichen.

Görg: Aktuelles Beispiel ist der Yppenplatz im 16. Wiener Gemeindebezirk. Das Bürgerbeteiligungsverfahren läßt gleichberechtigt die Anrainer, die Standler, die Wirtschaftkammervertreter zu Wort kommen. Das schafft unserer Meinung einen Ausgleich zwischen Shareholder und Stakeholder.

Zolltexte: Die wirtschaftlichen Entwicklungen machen absehbar, daß die Politik in naher Zukunft weniger Geld zu verteilen hat als Macht und Verantwortung. Als konkretes Beispiel sei hier die Siedlung „Am Schöpfwerk“ erwähnt, wo seit zwei Jahren ein Projekt im Gange ist, in dem BewohnerInnen in einem kommunikativen Prozeß mit zuständigen Beamten und Politikern Problemlösungen erarbeiten und zum Teil erfolgreich umsetzen.

Zolltexte: Sehen Sie in solchen Ansätzen eine Perspektive der Zukunft.

Görg: Zuerst sei klargestellt, daß immer noch gewaltige Summen in Planungsprozesse fließen. Interessant ist für den Bürger jedoch die Umsetzung – was wird gebaut, was wird verordnet.
Der von Ihnen angesprochene Ansatz setzt funktionierende Bürgerbeziehungen und einen stark am Gemeinwesen interessierten Bürger voraus, was in einer Großstadt tendenziell weniger gegeben ist. In Ansätzen funktioniert dies im Wohnpark Alt Erlaa, wo die Bewohner über ein eigenes Kommunikationsinstrument verfügen, ein eigenes Kabelfernsehnetz, über welches Sie sich austauschen. Der Prozeß, um zu einem funktionierenden Gemeinwesen zu kommen, ist ein zäher und aufwendiger, aber er ist irreversibel und daher jedenfalls wünschenswert.

Zolltexte: Wien ist bezüglich seiner Grünversorgung und Lage privilegiert. Was sind Ihrer Einschätzung nach die stadtplanerischen Strategien, um dem permanenten Landschaftsfressen an der Peripherie und im Umland qualitässichernd entgegenzutreten?

Görg: Wien hat durch seine Lage in Europa und durch seine Nähe zu hochwertigen Kulturlandschaften einen großen Stadtortvorteil im Bezug auf wirtschaftliche Entwicklungen. Das Wiener Grünraumkonzept ist vorbildlich bezüglich Flächensicherung und qualitativer Verbesserung, wenn auch momentan das Budget für den Flächenankauf nicht groß ist.
Ihre Frage nach den Entwicklungen an der Peripherie tut mir weh, denn die kooperative Planung von Stadt Wien und Umland wird bestimmendes und nicht minder aussichtsloses Thema der nächsten Jahre sein. Wien hat den Entwicklungen im Umland zu lange zugesehen - den kontur- und profillosen Stadtfortsätzen außerhalb der Wiener Stadtgrenzen. Ich hege die stille Hoffnung, daß die beiden aktuellen Großprojekte im Wiener Umland eine Dynamik auslösen, öffentliches Bewußtsein schaffen, die Politik unter Druck setzen, hier effektiver zu handeln

Zolltexte: Zum Abschluß eine persönliche Frage: Was sind Ihre bevorzugten Freiräume in Wien.

Görg: Pötzleinsdorfer Schloßpark, Judenplatz und Josefsplatz.

Zolltexte: Wir danken fürs Gespräch.

Görg: Nichts zu danken. Aber gestatten Sie mir jetzt eine Frage. Was sind „Zolltexte“?

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