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Viel Holz, viel Raum, viel Gelassenheit: Der Susi-Weigel-Kindergarten drückt Wertschätzung für die jüngsten Bludenzer ebenso aus wie für eine verdienstvolle Wahl-Vorarlbergerin.

11. Oktober 2014 - Franziska Leeb
Es ist nicht nur deine Angelegenheit! Es ist auch unsere. Sehr sogar“, lässt Mira Lobe die Kinder des Bürgermeisters in ihrem 1970 erschienenen Kinderbuch „Das Städtchen Drumherum“ sagen. Der Wald nahe der kleinen Stadt soll nämlich den Stadterweiterungsgelüsten des Bürgermeisters zum Opfer fallen. „Der tiefere Sinn der Schreiberei für Kinder ist meiner Meinung nach der, dass sie zur Selbstbestimmung gebracht werden sollen“, war die 1995 verstorbene Kinderbuchautorin überzeugt. In Bludenz, der Vorarlberger Kleinstadt mit ebenfalls viel Wald drumherum, löste in den 1960er-Jahren sogar Schreiberei für Architekten eine kluge Siedlungsinitiative aus: ein in der Presse erschienener Text von Friedrich Achleitner über den horrenden Bodenverbrauch von Einfamilienhäusern motivierte zur Errichtung der „Siedlung Halde“, einem gemeinschaftlichen Siedlungsprojekt auf einem steilen Hanggrundstück am Stadtrand, mit der Architekt Hans Purin eine Pionierleistung im ökonomischen Siedlungsbau in Holzbauweise erbrachte.

Für den neuen Kindergarten wirkte die Kinderliteratur inspirierend. Bernardo Bader, 40-jähriger Architekt mit Bürositz in Dornbirn, zählt zu den kulturell sensibelsten Baukünstlern der jüngeren Generation. Das konnte er bislang hauptsächlich erst bei zahlreichen kleineren Bauaufgaben unter Beweis stellen, vor allem aber beim vielfach rezensierten und mit dem Aga-Khan-Preis ausgezeichneten Islamischen Friedhof in Altach. Der Bregenzerwälder ist ein leidenschaftlicher Verfechter des Bauens mit Holz. Beim neuen fünfgruppigen Kindergarten in Bludenz hat er kulturelle Weitsicht und ökonomisch sinnvollen Holzeinsatz überzeugend verbinden können.

Zwei Ausgangspunkte waren für den neuen Standort am Stadtrand wesentlich: Zum einen war Sparen angesagt. Dem kam einerseits die kompakte Bauform entgegen, andererseits die Bauweise. Denn Bader empfahl das Bauen mit stadteigenem Holz. Bludenz ist der drittgrößte Waldbesitzer im Ländle, verbaut hat man das Holz bislang jedoch selten. Zum anderen wollte der Architekt Susi Weigel ein Denkmal setzen. Der aus Mähren gebürtigen, in Wien an der Hochschule für angewandte Kunst und der Akademie ausgebildeten Illustratorin und Trickfilmzeichnerin wurde Vorarlberg in den 1950er-Jahren bis zu ihrem Tod im Jahr 1990 zur neuen Heimat. Bernardo Bader war es ein Anliegen, seinen Kindergarten, der in der Wettbewerbsausschreibung noch „Kindergarten Klosterbühel“ hieß, nicht nur nachSusi Weigel zu benennen, sondern ihre Arbeit im Gebäude spürbar werden zu lassen – was in vielerlei Hinsicht gelungen ist.

Der von außen nüchtern wirkende kompakte Quader entpuppt sich als sehr sorgfältig überlegtes Raumgefüge, bei dem nichts überinszeniert ist, aber dennoch sinnliches Erleben und vor allem Bewegungsfreiheit gewährleistet sind. Rund um das Gebäude blieb viel Freiraum – und auch der alte Nussbaum – erhalten. Der Eingangsbereich liegt in einem Einschnitt des von Föhrenholz umhüllten Quaders entlang des vorbeiführenden Weges und ist mit diesem völlig niveaugleich. So wird ein witterungsgeschützter Zugang geschaffen, in dem sich auch Fahrräder und Kinderwagen abstellen lassen, ohne eine Stufe überwinden zu müssen.

Innen fällt zuerst die zentrale zweigeschoßige Halle auf. Es ist ein schöner Raum, schlicht und ein bisschen feierlich, mit nach oben führender Treppe und viel Tageslicht, das ebenfalls von oben einfällt. Hier merkt man, dass es keine reine Holzkonstruktion ist, sondern ein Mischbau in Kombination eines Stahlbetonkerns in Sichtbeton-Ausführung und einer Holzelementbauweise. Mittig ein dekorativer Luster als einziger ornamentaler Akzent, dazu große Rundkissen in Gelb und Blau. Weit und hell ist es; es riecht gut. Der Eschenboden zeigt sich nicht geschliffen und dicht versiegelt, sondern sägerau im Bandsägeschnitt und geölt. Wand- und Deckenverkleidungen sind aus Tannenholz, das mit dem Sichtbeton gut harmoniert. Die Brüstungen der Treppe und der Galerie wurden als durchlässiges Stabgeländer und nicht geschlossen ausgeführt, das ist dem Eindruck der Weite förderlich und ganz besonders dem Durchblick der Kinder.

Drei Raumgruppen sind jeweils um das Zentrum angeordnet. Im Erdgeschoß befinden sich Büro, Besprechungsraum und Kantine sowie zwei Kindergartengruppen. Darüber drei Kindergartengruppen plus einem Bewegungsraum. Jeder Gruppenraum liegt in einem Gebäudeeck und ist von zwei Seiten belichtet. Die großen, fixverglasten Fensterflächen mit kindgerecht niedrigen Parapeten rahmen Ausschnitte der Umgebung. Begleitend dazu gibt es schmale Lüftungsflügel aus Holz. Jedem Gruppenraum ist ein kleinerer Ruheraum beigestellt, der vorbei an Lagerraum und Sanitärzelle erreichbar ist und ebenso einen direkten Zugang auf die Galerie oder in die Halle hat.

„Es ist wichtig“, so Bernardo Bader, „dass bei einem Kindergarten alle Flächen nutzbar sind“, also nicht nur monofunktional als Gang oder Garderobe taugen. Bei einer linearen Anordnung der Räume sei dies schwieriger zu bewerkstelligen. In gewisser Weise hat somit auch er ein kleines Städtchen Drumherum für die Kinder geschaffen – mit dem zweigeschoßigen Zentralraum als vielseitig verwendbarem Hauptplatz in der Mitte, der – wie sich beim Besuchan einem regnerischen Tag erweist – perfekt als Fläche für Gruppenspiele und zum Erproben der ersten Fahrkünste geeignet ist. Andere vertraute Figuren und Motive Susi Weigels finden sich auf den Glasflächen wieder. Sie sind Teil des Gestaltungskonzeptes der Farbdesignerin Monika Heiss, das dezentAkzente setzt, aber weder Architektur noch Kindern Konkurrenz macht.

Gut proportionierte Räume, viel Platz, hohe Funktionalität – schon allein darüber wäre man in den meisten Kindergärten froh. In jeder Fuge und bei jeder Kante spürt man überdies, dass jedes Detail wohlüberlegt ist. Auch einen Teil der Möbel hat Bernardo Bader entworfen, wie die Schränke mit den Spielzeugkisten, und ebenso die wunderbar ausgeklügelten Garderoben, in deren obere Ablage eine indirekte Beleuchtung integriert ist, die den Zentralraum noch heller und weiter wirken lassen. Trotz der vielen Raffinessen wirken die Räume nicht Ehrfurcht gebietend, sondern alles zusammen ist von einer unangestrengten Gelassenheit. Das fördert gewiss die Selbstbestimmung der Kinder, und Susi Weigel hätte wohl genauso ihre Freude daran gehabt.

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