nextroom.at

Profil

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Innsbruck
1996 – 2003 freie Mitarbeiterin bei der Tageszeitung Der Standard
1998 – 2001 Chefredakteurin des Fachmagazins architektur
2003 – 2006 Geschäftsführerin von ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
seit 2006 freie Mitarbeiterin Spectrum/Die Presse
seit 2012 freie Mitarbeiterin bei architektur.aktuell
2015 – 2016 Chefredakteurin von KONstruktiv
seit 2019 Vorsitzende von ORTE Architektur Netzwerk Niederösterreich
arbeitet als freie Architekturpublizistin in Wien

Lehrtätigkeit

2003 – 2012 Abteilung für Wohnbau und Entwerfen am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien

Mitgliedschaften

Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich

Publikationen

Ordnung und Öffnung, in: Das österreichische Parlamentsgebäude - Facetten einer Erneuerung, Hrsg. Republik Österreich/Parlamentsdirektion, Park Books, Zürich 2023
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2010-2020, Park Books, Zürich 2021 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
querkraft - livin' architektur/architektur leben, Birkhäuser Basel, 2019 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Architektur von Dietrich|Untertrifaller, Birkhäuser Basel, 2017 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Generationen Wohnen. Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion | Alter(n)sgerechtes Planen und Bauen, Edition Detail, München 2015 (mit Christiane Feuerstein)
Walter Zschokke.Texte, Park Books, Zürich 2013 (hrsg. mit Gabriele Lenz und Claudia Mazanek)
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2002-2010, Springer, Wien 2010 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
Wohnen, pflegen, leben – Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser, Bohmann Verlag, Wien 2009

Artikel

14. November 2025 Spectrum

Eine Volksschule im Burgenland: Am Abend kommen die Damen zum Turnen

Im Südburgenland befindet sich der Bildungsbau auf einem hohen Niveau: Die Volksschulen von Güssing und Oberwart setzen neue Standards in der Region.

In der Schulstraße in Güssing und der Schulgasse in Oberwart entstanden seit der Nachkriegszeit große, auch architektonisch bedeutende Schulbauten. In Oberwart zum Beispiel die „Zentralschule“ der Architekten Charlotte und Karl Pfeiler aus Innsbruck und Rudolf Schober aus Oberwart, eine der modernsten Schulen aus der Zeit um 1960. In Güssing Anfang der 1970er-Jahre das Schulzentrum von Wilhelm Hubatsch.

In beiden Städten platzten die Volksschulen aus allen Nähten und erhielten nun Neubauten, um zeitgemäßem Lehren und Lernen ganztägig Raum zu geben. Beide Male wurden die Volksschulen mit einer Musikschule gekoppelt, in Güssing kam noch die Sonderschule dazu. In beiden Fällen hatten die Gemeinden ambitionierte Ziele. Beide Gebäude gingen aus von den Gemeinden ausgelobten Wettbewerben hervor, beide wurden von der PEB, der „Projektentwicklung Burgenland“, einer Tochter­gesellschaft der Landesimmobilien Burgenland, umgesetzt.

„Schule der Zukunft“ lautete das Motto in Güssing. Schon seit vorigem Schuljahr ist der nach Plänen von Pichler & Traupmann Architekten errichtete neue Schulcampus in Betrieb. Johann Traupmann besuchte das nebenan gelegene Gymnasium. Ob es deswegen so gut gelang, auf dem schmalen Bauplatz „Spannung im Raum“ (wie die 2022 erschienene Büromonografie übertitelt ist) zu erzeugen? „Wir hatten zu kämpfen, wie auf diesem engen Raum ein kommunikativer Schulbetrieb unterzubringen ist“, gesteht Johann Traupmann. Der Kampf hat sich gelohnt. Dem dreigeschoßigen Gebäude gelingt es, Außen- und Innenraum über alle Ebenen zu verweben und Großzügigkeit in der Enge zu erzeugen.

Der gepflasterte Vorplatz geht in ein überdachtes Freifoyer über. Es bietet viel Platz zum witterungsgeschützten Ankommen und Versammeln und bildet einen Schwellenraum zum Parkplatz und zur Straße. Übergangsräume zwischen Innen und Außen sind auch die über die ganze Gebäudelänge laufenden Südterrassen, im obersten Stock ergänzt durch große Terrassen an den Stirnseiten, wo auch Freiluft-Unterricht stattfindet. Sie verbinden alle Klassen horizontal, Freitreppen dienen als vertikale Außenverbinder.

Ein Highlight ist die Begrünung. Vom baumbestandenen Parkplatz über den Schulhof bis zum Dach sind mit Gräsern, Stauden und Essbarem bepflanzte Brüstungen, Tröge und Beetflächen sowie Fassadenberankungen integrativer Teil der Gestaltung. „Ich genieße es, hier zu arbeiten“, sagt Schulleiterstellvertreterin Astrid Wurglics, die uns durch das Gebäude begleitet.

Auch innen gelang ein geschmeidiges Zusammenspiel der Raumfolgen und Schulformen. Die zweigeschoßige Aula ist der Innenverbinder und der „Showroom“ der Schule. An sie knüpft alles an. Die Sonderschule im Erdgeschoß, die Musikschule in den beiden Obergeschoßen im Gebäudekopf und im Anschluss die Volksschule. Alles hängt kompakt zusammen, funktioniert aber ebenso autonom. Die große Sitztreppe kann Zuschauertribüne sein und ebenso Bühne für Konzerte der Musikschule. An die Aula knüpft alles an.

Wie in Güssing können auch in Oberwart die Schulkinder während der Nachmittagsbetreuung auf kürzestem Wege in die Musikschule wechseln. Am offenen Wettbewerb beteiligten sich über 60 Architekturbüros. Eine „Vielfalt an Lernwegen“ und „neue Unterrichtskulturen“ sollte der Neubau ermöglichen. Das tut er, laut Schulleiterin Roswitha Imre: „Aufteilung, Großzügigkeit und Alltagstauglichkeit haben mir von Anfang an sehr gefallen.“ Die Wettbewerbssieger Franz & Sue Architekten sind voll des Lobes für die Bauherren-Kompetenz der Gemeindeführung. Eine gemeinsame Exkursion zu vorbildlichen Schulbauten half beim Kennenlernen und beim Finden einer gemeinsamen Sprache. Die PEB kam erst nach rechtsgültig erteiltem Baubescheid dazu und schloss mit der Gemeinde einen Baurechtsvertrag. Der endet nach 25 Jahren. Dann geht das Gebäude ins Eigentum der Gemeinde als Liegenschaftsbesitzer über. Die PEB hat die ursprünglich vorgesehene Holzfassade eingespart und auch bei der Freiraumgestaltung (Simma Zimmermann) galt es Abstriche hinzunehmen. Für Architekt Michael Anhammer war es „das Wichtigste, dass wir innen alle Qualitäten wie geplant umsetzen konnten.“ Mit etwas zusätzlichem Planungsaufwand ist nun auch die sandfarbene Putzfassade mit der Besenstrichstruktur ganz ansehnlich geworden. Auffallend sind die unterschiedlichen Fensterformate, die aus den Funktionalitäten des Inneren entwickelt wurden. Jeder Klassenraum hat ein Fenster, das bis zum Boden geht, um stets den Blickkontakt zum Umfeld zu haben.

Das Herz des Schulcampus ist die zentrale, dreigeschoßige Aula, in die sowohl der Musikschuleingang von der Schulgasse als auch der Schulhaupteingang von der Sportlände mündet. Hier wird gegessen, musiziert und gespielt. In den Obergeschoßen sind sechs mal vier Klassen in Clustern so organisiert, dass jeweils alle Schulstufen durchmischt sind. „Differenzierung und Individualisierung sind sehr wichtig“, erklärt Frau Imre. Ein Kind, das schon sehr gut liest, kann in der Lesestunde einfach in eine höhere Klasse wechseln. Zum „Dorfplatz“ der Cluster hin sind die Klassenzimmer verglast. Die Offenheit lenke die Kinder nach einer kurzen Gewöhnungsphase auch gar nicht mehr ab, sagt die Schulleiterin. Eine Besonderheit sind bilinguale Ungarisch- und Kroatisch-Klassen, zusätzlich wird Unterricht in Romanes angeboten. Das architektonische Ziel, so Architekt Anhammer: die Gemeinschaft und die Vielfalt unterstützen.

Eine Attraktion ist das frei im Raum stehende Bibliothekshaus im ersten Obergeschoß. Es wird viel genutzt, weil rundherum viel Platz ist, um sich zu bewegen oder niederzulassen. Ein anderes Highlight sind die Sportanlagen. Die große Turnhalle ist in zwei Normturnsäle teilbar. Der Bewegungsraum ist mit einer fixen Mattenfläche auf einem Schwingboden ausgestattet. „Oberwart ist eine Sportstadt“ erklärt Amtsleiter Roland Poiger. Insbesondere eine Judo-Hochburg. Poiger ist Präsident des Burgenländischen Judoverbandes und trainiert den Oberwarter Nachwuchs. Der Mattenboden bringe nicht nur den Judokas was: Die Schulanfänger turnen einfach in Socken und verlieren keine Zeit mit dem An- und Ausziehen der Turnschuhe. Abends können die Damen von der Turngruppe ihre eigenen Matten zu Hause lassen. „Wäre schön, wenn das auch andere Schulstandorte übernehmen.“

21. Oktober 2025 Spectrum

Es muss nicht immer das Einfamilienhaus sein

Zwei Wohnanlagen führen vor, wie man klimagerecht baut und gemeinsame Plätze für alle schafft – einmal an der Peripherie in Wien-Donaustadt, einmal im Speckgürtel im niederösterreichischen Gablitz.

Oft hat man den Eindruck, die Anforderungen an den Wohnbau sind im Spannungsfeld von Kostendruck, Komfortansprüchen, wünschenswerter Nutzungsvielfalt sowie den Ansprüchen, die mit der notwendigen De­karbonisierung des Bauwesens einhergehen, so groß geworden, dass ebenso Wesentliches vergessen wird: die Aufenthaltsqualität in einem Quartier. Wie schaffen wir eine Mitte? Wie gelingen Plätze, die diesen Namen auch verdienen, auf denen man sich gern aufhält und einander trifft? Diese Fragen sind ein Dauerbrenner in der Siedlungsentwicklung, und es bleibt ein Rätsel, warum sie selten städtebau­lich und architektonisch gut gelöst werden.

Begeben wir uns zunächst an den östlichen Stadtrand von Wien, wo gebaut wird, dass man mit dem Anschauen kaum nachkommt. Es ist eine Gegend, die sich weder als Land noch als Stadt anfühlt, und wo deutlich wird, dass eine dichte Bebauung nicht zwangsläufig Urbanität erzeugt. Orte, an denen man zwischendurch verweilen möchte (die Betonung liegt auf möchte) sind rar – egal, ob in den Einfamilienhaussiedlungen oder zwischen den neuen großvolumigen Bauten an der Berresgasse.

Effektives Energiemanagement

Sehr gut gelungen ist das hingegen beim Campo Breitenlee der Bauträger ÖVW und Wiener Heim zwischen Podhagskygasse und Pfalzgasse. Geplant wurde die Anlage von Synn Architekten und Treberspurg und Partner. Es gibt 325 geförderte Wohnungen in Miete und Eigentum, kostengünstige Wohnungen speziell für Alleinerziehende und Housing-First-Wohnungen, mit denen ehemals wohnungslose Menschen wieder in eigene vier Wände kommen. Weiters einen Kindergarten, eine Arztpraxis und kleine Gewerbeeinheiten, Urban Gardening, Spielplätze, einen riesigen Gemeinschaftsraum, eine Werkstatt und ein ökologisches Vorzeigeprojekt – das volle Programm also.

Das Büro Treberspurg & Partner beschäftigt sich seit Langem mit klimarelevanter Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Beim Campo Breitenlee konnte eine bei einem Zweifamilienhaus in Purkersdorf erforschte innovative Technologie in großem Maßstab umgesetzt werden. Die Anlage wird zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie aus Erdwärme und Fotovoltaik versorgt. Geheizt und gekühlt wird mittels Bauteilaktivierung, also wasserführenden Rohrleitungen in den Decken, die hier – das ist das Innovative – unter Berücksichtigung der Wetterprognose vorausschauend geregelt wird. Das sorgt nicht für die stets passende Innentemperatur, sondern ermöglicht auch ein effektives Energiemanagement.

Zeit, sich städtebaulich in den Entwurf zu vertiefen, blieb dennoch. Um zum einen zwischen Stadt und Land zu vermitteln und zum anderen gute klimatische Konditionen zu schaffen – also gute Durchlüftung, wenig Versiegelung –, entschieden sich die Architekten für Kleinteiligkeit, die insbesondere durch die „Schmetterlinge“ gelang. Das sind Häuser, die aus jeweils über begrünte Brücken oder mit Stiegenhäusern verbundenen Flügeln bestehen. Durch den leichten Versatz entstehen viele Eckwohnungen, die Ausblick und Belichtung in und aus zwei Richtungen haben. Die drei längeren Gebäuderiegel, die das Quartier nach Norden und Osten begrenzen, wurden mit einem Knick versehen, um weniger lang zu erscheinen.

Auf dem zentralen „Campo“, dem großen Hauptplatz mit bühnenartig erhöhter Mitte und dem Beserlpark an der Nordwestecke, der viel attraktiver ist, als sein Name suggeriert, liegen die gemeinschaftlichen und öffentlichen Einrichtungen. Ein grob strukturierter Kammputz signalisiert, hinter welcher Fassade sich ein Gemeinschaftsraum befindet. Von diesen Plätzen führt ein Wegenetz durch das Quartier und in die Nachbarschaft. An geeigneten Stellen weitet es sich, um Platz für Sitzgelegenheiten oder Spielflächen zu machen. Die Landschaftsgestaltung von Carla Lo unterstützt mit der Modellierung der Grünflächen, den Bäumen und der die Vorgärten begleitenden Bepflanzung sehr gut die Charakteristik der verschiedenen Zonen. Die beiden Architekturbüros haben sich zwar die Gebäude aufgeteilt, es ist dennoch ein Ensemble wie aus einem Guss gelungen. Nur an Details wie den Fensterprofilen und Balkongeländern lassen sich Handschriften ausmachen.

Modernes Ortszentrum in Gablitz?

Gleiche Prinzipien in kleinerem Maßstab verfolgte das Büro Treberspurg auch bei einer Wohnanlage in Gablitz. In der Wienerwaldgemeinde fällt es schwer, eine Ortsmitte auszumachen: rasantes Wachstum, zahlreiche Nebenwohnsitze, durchschnitten von der Bundesstraße 1 und rundum viel Grün. Das vor einigen Jahren erarbeitete örtliche Entwicklungskonzept sieht eine Verdichtung entlang der Bundesstraße und die Entwicklung eines modernen Ortszentrums auf einer freien Fläche am Gablitzbach vor, zwischen dem Kloster St. Barbara und der Hauptstraße. Das städtebauliche Konzept stammt von Franz & Sue Architekten: Einander ähnliche Baukörper auf winkelförmigem Grundriss gruppieren sich zu einem Ensemble mit gefassten Plätzen. Vorhandene Achsen und Kanten werden aufgenommen, um den neuen Siedlungskörper gut mit dem bestehenden zu verweben. Ob sich hier wirklich ein „Ortszentrum“ etablieren wird? Schwer zu sagen. Bislang haben nur die Bundesforste Nägel mit Köpfen gemacht, die mittels zweistufigen Generalplaner-Wettbewerbs nach einem hochqualitativen Holzbau mit möglichst viel sichtbarem Holz suchten.

Treberspurg und Partner nahmen das vorgeschlagene städtebauliche Muster von drei winkelförmigen Häusern um einen Platz auf. Die Häuser schmiegen sich so geschmeidig um den fünfeckigen Freiraum mit Spielhügel, dass das rechteckige Grundmodul, das den Baukörpern zugrunde liegt, nicht gleich erkennbar ist. Das Modul ist Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit der Holzbauweise. Durch das paarweise Anordnen der Rechtecke in unterschiedlichen Winkeln gelang es zudem, die Häuser gut an die Grundstücksform anzupassen und wieder viele Eckwohnungen zu erzeugen. Balkone betonen die Enden der Baukörper und reduzieren optisch die Fassadenlänge.

Hier wird ebenfalls mit Erdwärme geheizt und gekühlt, die gesamte Dachfläche ist mit Fotovoltaik belegt. Errichtet aus österreichischem Massivholz mit einem hohen Vorfertigungsgrad, blieb in den Wohnungen und Stiegenhäusern das Holz an Boden, Wand und Decke sichtbar. Gäbe es keine Tiefgarage, wäre die CO2-Bilanz des wohlriechenden Gebäudes negativ. Warum nicht mehr davon? So schafft man im Geschoßwohnbau lebenswerte und ökologische Alternativen zum Einfamilienhaus.

9. August 2025 Spectrum

Um Eckhäuser besser: Gutes Klima in einem Mietwohnungshaus in Wien-Ottakring

Das Mietwohnungshaus von Zeininger Architekten in Wien-Ottakring bietet in mehrfacher Hinsicht ein gutes Klima: Es gibt eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage, der Strom kommt von der PV-Anlage auf dem Dach, und auf dem hofseitigen Balkon spürt man selbst bei Hitze einen angenehmen Durchzug.

Dichte spart einerseits Fläche und ermöglicht leistbares Wohnen. Andererseits steht sie synonym für Enge, Überhitzung, Renditemaximierung. Fix ist, dass eine hohe städtebauliche Dichte nicht automatisch belebte und lebenswerte Stadtquartiere garantiert – und eine geringe ebenso wenig. Es seien „Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit und Mangel an gutem Willen, welche uns moderne Stadtbewohner dazu verurteilten, lebenslänglich in formlosen Massenquartieren den geisttötenden Anblick ewig gleicher Mietshausblöcke, ewig gleicher Straßenfluchten zu ertragen“, stellte Camillo Sitte schon vor über 130 Jahren fest. Was aber sind, um mit diesem Wiener Wegbereiter des modernen Städtebaus zu sprechen, „Ursachen der schönen Wirkung“?

In der Hasnerstraße in Wien-Ottakring finden wir Hinweise. Sitte würde zwar die kerzengerade Alleestraße eintönig finden, mit dem neuen Haus an der Ecke zur Sulmgasse hätte er wohl Freude. Es fällt zunächst wegen seiner orangeroten Balkone auf – ein fröhlicher Farbakzent und eine Abwechslung zu den üblich gewordenen Investorenhäusern, die anthrazitfarben modern und schick sein wollen, aber schlussendlich bloß Tristesse verbreiten. Aber auch sonst ist vieles anders, als wir es von üblichen neuen Lückenfüllern in den Gründerzeitblocks gewohnt sind. Unmittelbare Nachbarin ist an der Hasnerstraße die ehemalige Brotfabrik des „Ersten Wiener Consumverein“, ein damals fortschrittliches und heute denkmalgeschütztes Gebäude von Franz und Hubert Gessner aus den Jahren 1908/09.

Abwärme bleibt im Kreislauf

Technisch wegweisend ist auch das Mietswohnhaus Sulmgasse: Es verfügt über eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage. 14 Tiefenbohrungen ermöglichen die Nutzung der Erdwärme, die in Kombination mit einer Wärmepumpe für Heizung und Kühlung sorgt. Durch Rohrleitungen in den Betondecken fließendes Wasser heizt im Winter die Wohnungen, im Sommer erfolgt so die Kühlung. Anders als bei konventionellen Klimageräten, die viel Strom verbrauchen und mit ihrer Abluft die Umgebungsluft erwärmen – also das Symptom, das sie bekämpfen, sogar noch mit verursachen –, bleibt die Abwärme im Kreislauf. Strom kommt von der Fotovoltaikanlage auf dem Dach.

Es reicht nicht, nur den öffentlichen Raum zu transformieren – wie es zum Bespiel einen Block weiter nördlich in der Thaliastraße in den vergangenen Jahren schon geschehen ist. Auch die Art, wie in den hitzebelasteten Gründerzeitvierteln nachverdichtet wird, trägt zur Atmosphäre im öffentlichen Raum und zum Stadtklima bei. Diesbezüglich etwas Richtiges zu tun sei der Anspruch bei der Entwicklung der Liegenschaft an der Ecke zur Sulmgasse gewesen, erklärt Johannes Zeininger.

Der Architekt führt mit seiner Frau Angelika das Atelier Zeininger Architekten. Die beiden sind nicht nur die Planer, sondern mit einem weiteren Miteigentümer aus der Familie auch die Bauherren. Hätten sie es sich leicht gemacht, hätten sie den Block um einen kleinen Innenhof geschlossen, jede Wohnung straßenseitig mit einer kleinen Loggia und hofseitig mit Mini-Balkonen versehen und versucht, mit ein paar Ausnahmegenehmigungen möglichst viel Volumen herauszuschinden, um die vermarktbare Wohnfläche im Dach zu maximieren. Die Zeiningers sind aber keine Spekulanten. Deshalb haben sie Ausnahmen erkämpft, die nicht ihrer Rendite, sondern der Lebensqualität im Haus und im Grätzl dienen.

Fast wie in Barcelona

Sie nutzten das L-förmige Grundstück nicht zu Gänze aus, sondern ließen an der Sulmgasse einen Straßenhof frei. Das hat einen klimatischen Vorteil, weil ein offener Hof nicht so stark überhitzt wie ein geschlossener, ist aber auch aus dem Blickwinkel des Verhältnisses von privatem und öffentlichem Raum ein couragierter Zugang. Der Einschnitt öffnet den engen Gassenraum zur Brotfabrik, die somit weiterhin auch an dieser Seite in Erscheinung treten kann. Die im Erdgeschoß angesiedelten Gewerbeflächen erhalten einen attraktiven Vorbereich abseits des Gehsteigs, an der Grenze zur Brotfabrik entstand eine begrünte Terrasse als Vorfeld zum Gemeinschaftsraum.

An der Straßenecke weichen sie von der Baufluchtlinie zurück, verzichten also auch hier auf verwertbare Fläche und betonen damit das Motiv der im ganzen Stadtquartier verbreiteten abgeschrägten Ecken. Wir kennen sie in stärkerer und konsequenterer Ausprägung aus dem von Ildefons Cerdà geplanten Stadtteil l’Eixample in Barcelona, wo sie der besseren Übersichtlichkeit der Kreuzungen dienen und neuerdings die Entstehung von verkehrsberuhigten Plätzen begünstigen. In Wien werden die schrägen Ecken oft vernachlässigt. Statt klei­ner Loggien und Balkone umfängt die Wohngeschoße eine Balkonlandschaft, die in der Fernwirkung einen räumlichen Akzent in der Straßenflucht erzeugt.

Fixe Trennungen gibt es nicht, nur Zonierungen in Form tieferer Aufenthaltsbereiche und Engstellen, wo Blumentöpfe die Grenze markieren. „Die Architektur erwartet, dass man einander grüßt“, schmunzelt Johannes Zeininger. Das Konzept geht auf, wie Frau J. bestätigt, die sich sehr bewusst für dieses Haus entschieden hat. Auf dem hofseitigen Balkon spüre man auch dann, wenn die Hitze drückend über der Stadt liegt, einen angenehm leichten Durchzug. Man kenne die Nachbarn, könne aber – auch auf dem Balkon – sehr gut für sich sein. Das ist ganz im Sinne der Architekten, die hier kein Dorf in der Stadt schaffen wollten, das zum Miteinander zwingt, sondern ein urbanes Haus, das eine gute Nachbarschaft begünstigt.

Dazu trägt ebenso die Lage der beiden Eingänge im Straßenhof bei. Man „fällt“ nicht unmittelbar auf den Gehsteig, kann verweilen und miteinander plaudern. Eine Bank neben den Briefkästen und das Waschbecken im Foyer sind kleine Investitionen, die das Ankommen zu Hause komfortabel machen und ebenso beiläufige Begegnungen begünstigen. An der Hasnerstraße bietet ein Parklet Aufenthaltsraum für das ganze Grätzl an, mit Wildblumen gestaltete Rabatten tragen zur Biodiversität bei.

Weniger Tiefgaragenplätze als Problem?

Während der Bauzeit gab es eine Novelle der Bauordnung, im Zuge derer die Verpflichtung der Herstellung von Kfz-Stellplätzen bei Neubauten reduziert wurde. Daher entschieden sich die Bauherren, der neuen Gesetzeslage zu folgen, und realisierten sieben Tiefgaragenstellplätze weniger. Der Amtsschimmel sieht das anders, weshalb die Sache derzeit vom Verwaltungsgerichtshof überprüft wird. „Warum darf ich eine Verbesserung nicht aufgreifen?“, fragt Zeininger. Die Garage steht fast leer. Die Gegend ist bestens an den öffentlichen Verkehr angeschlossen.

Nicht nur deshalb ist für die Architekten das Projekt noch nicht abgeschlossen. Sie wollen allen Häusern in der Hasnerstraße einen Garten geben. Noch sind die Alleebäume arg vom ruhenden Verkehr bedrängt, aber Initiativen wie die „Sommeroase“ zwischen Habichergasse und Haymerlegasse zeigen, dass vor Ort ausreichend zivilgesellschaftliches Engagement vorhanden ist, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

15. Mai 2025 Spectrum

Ökologisch bauen? Das geht heute ganz anders als vor zehn Jahren

Nur ein Jahrzehnt liegt dazwischen, aber das sind Welten in der Ästhetik des ökologischen Bauens: Im niederösterreichi­schen Ernstbrunn hat Architekt Juri Troy den Firmensitz eines Windkraftunternehmens erweitert.

Die Eröffnungsfeier war ein Volksfest – sogar für die Architektur, obwohl der niederösterreichische Landtagspräsident es sich nicht nehmen ließ, volksnah zu witzeln, dass er sich im Gegensatz zu seinem Vorarlberger Amtskollegen keinen Architekten leisten kön­ne. Die Ortsbevölkerung strömte aber nicht nur heran, um im Festzelt zu launigen Sprüchen, Blasmusik und Freibier lustig zu sein. Mit großem Interesse nahm sie an den Hausführungen teil, und der Vortragssaal war voll, als Architekt Juri Troy am späteren Nachmittag seine konzeptuellen Überlegungen für die Erweiterung des Firmensitzes des Energieunternehmens Windkraft Simonsfeld erläuterte.

Ohne in abgehobenen Architektenjargon zu verfallen, sprach der gebürtige Vorarlberger, der bereits mehrfach in Niederösterreich gewirkt hat, über den Boden als wichtigste Ressource, die Möglichkeiten und Grenzen von Materialien, über Funktionalität, Präzision und Stim­mung. Aufmerksam hörten die Leute zu, fragten nach, und am Ende fühlten wohl alle, dass man sich Architektur nicht nicht leisten darf, und was unter Baukultur zu verstehen ist.

Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit

Im Jahr 1998 als erster österreichischer Betreiber mit zwei Windrädern gestartet, hatte das Unternehmen erst 2014 ein „richtiges“ Firmengebäude bezogen. Den Standort am Ortsrand von Ernstbrunn konnte man mit der bislang unerfüllten Hoffnung argumentieren, dass im benachbarten Bahnhof der 1988 eingestellte Personenverkehr nach Wien wiederaufgenom­men werde. Geplant von Architekt Georg Reinberg, einem Pionier des ökologischen Bauens, spiegelte das Haus mit seiner gläsernen Solarfassade das Geschäftsfeld – erneuerbare Ener­gie – ebenso wider wie seinen Status als Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit.

Keine zehn Jahre später machte das rasante Wachstum des Unternehmens dringend eine Verdreifachung der Bürofläche notwendig, und auch die Erwartungshaltung an das Gebäude hatte sich verändert. Die Technik musste man nun nicht mehr vor sich hertragen: Deutlich mehr als 50 Prozent der über 1400 österreichischen Windkraftanlagen stehen in Nieder­österreich, Windkraft Simonsfeld ist einer der großen Produzenten. Nun war es wichtiger, sich als attraktiver Arbeitsplatz zu positionieren.

Wie schon beim Erstling setzten die Windproduzenten auf professionelle Projektentwicklung durch die Beratungsfirma M.O.O.CON und luden vier Architekturbüros zu einem Generalplanerwettbewerb. Reinberg war nicht darunter. Auch wenn man offensichtlich neue Wege gehen wollte, so sollte seine prägnante Solarfassade unverstellt bleiben. Erweiterungsflächen sah die Wettbewerbsauslobung vor allem an der Rückseite des jungen Bestandes vor. Genau dieser Vorgabe widersetzte sich Juri Troy als Einziger – und reüssierte.
Bereits in der Errichtungsphase klimapositiv

Um nur minimal in die vorhandene Substanz einzugreifen, schloss er den Neubau an zwei Punkten beiderseits der Solarfassade an den Bestand an. Somit entstand ein Vierkanter, der nicht in Alt und Neu unterscheidet, sondern eine zusammenhängende Arbeitswelt um einen begrünten Hof bildet. Reinbergs gebogene und geneigte Solarfassade und die dahinter liegende zweigeschoßige Halle korrespondieren gut mit dem neuen Hof und bilden mit ihm eine großzügig-luftige Begegnungszone für die hundertköpfige Belegschaft und Gäste, um die sich das ganze Gebäude entwickelt. An der Rückseite bleibt eine potenzielle Erweiterungsfläche für einen weiteren Büro-Vierkanter erhalten und damit der Standort auf längere Zeit gesichert. „Hätten wir jetzt schon alles nach hinten gelegt, würde das Gebäude stets verkehrt herum funktionieren“, erläutert Jury Troy die Entscheidung.

Schon der Bestand war ein Plus-Energiehaus gewesen, nun lautete das ehrgeizige Ziel, nicht nur im Betrieb mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen, sondern bereits in der Errichtungsphase klimapositiv zu bilanzieren. Der Zubau besteht im Wesentlichen aus nachwachsenden Rohstoffen, die Bodenplatte ist aus Recyclingbeton. Architekt Georg Marterer hatte die örtliche Bauaufsicht inne. Um das Baustellengeschehen bestmöglich im Auge zu behalten, bezog er sogar eine Wohnung vor Ort. Ob die Bestandteile des vorhandenen Energiesystems, Schächte oder Wegebaumaterialien: „Wir haben so gut wie alles wiederverwendet, wo schon einmal Energie hineingeflossen ist“, erklärt er.

Kerne aus Stampflehm

Der Holzbau ist nach einem ablesbaren stringenten Prinzip so pur wie möglich angelegt. Alle Knoten sind als reine Holzverbindungen ausgeführt, wodurch große Mengen an stählernen Verbindungsmitteln eingespart werden konnten. Bei einer stützenfreien Spannweite von über acht Metern und Zwischenwänden, die auf dem fertigen Fußboden stehen, sind Raumkonfigurationen in Zukunft leicht veränderbar.

Einen Gegenpol zur fragil wirkenden Holzkonstruktion bilden im straßenseitigen Südtrakt zwei Kerne aus Stampflehm. Sie sorgen für die Aussteifung, beinhalten alle Erschließungs- und Versorgungsstränge sowie die Bauteilaktivierung zum Heizen und Kühlen und tragen maßgeblich zur Regulierung des Raumklimas in den direkt daran angelagerten stark frequentierten Bereichen bei. Das Material stammt aus dem Aushub und hat die Baustelle nie verlassen. Den Zuschlag zur Erhöhung der Druckfestigkeit holte man aus einem nahen Kalkbruch und setzte ihn auch gleich im Terrazzoboden ein.

Wie ein Schatzkästchen mit unterschiedlichen Laden bergen die Lehmkerne als Kontrast zur farblich zurückhaltenden Bürolandschaft abwechslungsreich ausgestattete Räume. Als besondere Preziosen überraschen die kleinen, in den Farben der Weinviertler Landschaft ausgepolsterten Rückzugsräume. Die Künstlerin Viviana Schimmenti hat sie aus unterschiedlich strukturierten, mit Pflanzenextrakten gefärbten Stoffen gestaltet und holt so das Kolorit der Weinviertler Landschaft – ein­mal die Farben des Himmels, einmal jene der blühenden Felder – in das Bürogebäude.

Viel menschliche Energie floss in das durchdachte Konzept, fein aufeinander abgestimmte Details und handwerkliche Qualität. Überraschend harmonisch gelang wohl auch deshalb die Fusion gegensätzlicher Raumkonzepte zweier Architektengenerationen. Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit sind omnipräsent, werden aber gestalterisch nicht überhöht. Man traut der Struktur zu, noch in Jahrzehnten – auch für andere Zwecke – nützlich zu sein. Vielleicht kommen dann irgendwann doch noch Gebäudenutzer in den Genuss eines reaktivierten Bahnanschlusses.

19. März 2025 Spectrum

Wie eine findige Bürgermeisterin den Ortskern erneuert: „Pardon, ich brauch’ Ihr Haus!“

Über Jahre adaptierte die Bürgermeisterin von Niederwerrn in Unterfranken alte Gebäude, um eine neue Ortsmitte zu erschaffen. Dafür ging sie auf Besitzer von leer stehenden Häusern zu.

In ihrem Regierungsprogramm bekennt sich die österreichische Dreierkoalition zu einer nachhaltigen Bodenpolitik und kündigt an, sich um die Stärkung der Ortskerne zu kümmern, die Nutzung und Revitalisierung historischer Gebäude zu erleichtern und Initiativen zu setzen, damit die heimische Bauwirtschaft zum Vorreiter der Kreislaufwirtschaft wird. Zum Vorbild nehmen kann man sich dazu die Zentrumsentwicklung in einem Dorf 600 Kilometer nordwestlich von Wien.

Im Sommer 2024 wurde das neue Bürgerzentrum von Niederwerrn mit 2000 fränkischen Bratwürsten eröffnet, kürzlich erhielt es den renommierten BDA-Preis Bayern des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Bis es so weit war, dauerte es. „Du kaufst ja nur Häuser“, hatte so mancher Einwohner Bürgermeisterin Bettina Bärmann vorgeworfen. Denn ehe im Jänner 2023 Spatenstich war, hatte Frau Bärmann der Kommune über Jahre Vorkaufsrechte gesichert, Überzeugungsarbeit geleistet und Immobilien gekauft und getauscht, bis in der künftigen Ortsmitte das Puzzle an Gebäuden und Plätzen komplett war, um für die notwendigen Bedarfe adaptiert zu werden. Begleitet wurde und wird die Gemeinde seit 2017 vom Architekturbüro Schlicht Lamprecht Kern.

Verantwortung wahrnehmen

„Jenseits der Metropolen braucht es mehr Mut und Weitsicht bei den Entscheidungsträgern, mehr Verständnis für die regionale Baukultur bei den Bürgern, mehr Leidenschaft und Engagement bei den Planern“, stellt Architekt Stefan schlicht fest. Deshalb hat sich sein Büro auf Ortsentwicklung und das Bauen im Bestand spezialisiert, um hier Verantwortung wahrzunehmen und zu beweisen, was alles geht, wenn man gut zusammenarbeitet.

Niederwerrn ist ein attraktiver Wohnort für die Beschäftigten in den Industriebetrieben im benachbarten Schweinfurt und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr schnell gewachsen. Das historische Zentrum rund um den Kirchplatz liegt schon lang nicht mehr in der Mitte. Seit Jahrzehnten fehlt ein Ort zum Zusammenkommen und zum Feiern. Eine neue Ortsmitte zu schaffen war daher eine der Maßnahmen, die im ab 2014 unter Bürgerbeteiligung erstellten „Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK)“ festgelegt wur­den. Sie liegt am Übergang vom Altort zu den östlichen Siedlungsgebieten, nahe beim Rathaus, zwischen der Gemeindebibliothek in der ehemaligen Synagoge und dem Seniorenzentrum.

Recyclingbeton günstiger als normaler

Der einzige Neubau im Ensemble ist das in zwei Häuser gegliederte „Mitten im“. Im westlichen Teil steckt das Abbruchmaterial der einstigen Talbrücke Rothof, das in einem nahen Betonwerk aufbereitet wurde; der östliche ist ein Massivholzbau über einem Sockelgeschoß aus Recyclingbeton. Mit den scharrierten und gespitzten Oberflächen, die mit traditioneller Steinmetztechnik den steinernen Charakter des Betons verstärken, der Dachform und den geringen Dachüberständen sowie den Fenstergewänden griff man Gestaltungselemente aus der traditionellen Architektur der Region auf. Das Gebäude mutet edel an. „Sieht außergewöhnlich aus, war aber nicht außergewöhnlich teuer“, pariert Stefan Schlicht die Frage nach den Kosten. Der Kubikmeterpreis des Recyclingbetons war niedriger als der von normalem Beton. Man benötigte keine Putze oder Verkleidungen, und auch beim Holzbau kam man nahezu ohne Folien oder Verklebungen aus.

Der neue Bürgersaal wird gern als Raum für private Feiern gebucht, Hochzeiten sind sowieso der Renner. Das liegt vielleicht an den Balkonen vor den bodentiefen Fenstern des Trauungszimmers, auf denen sich perfekte Hochzeitsfotos inszenieren lassen. Beliebt ist auch das Café im Obergeschoß des Holzhauses. Die Stühle stammen aus einem aufgelassenen Wirtshaus im Ort. Der Mann der Bürgermeisterin hat sie abgeschliffen, der Tischler neu ­lackiert.

Westlich des Neubaus wurde eine historische Scheune als Energiescheune adaptiert. Darin sind die technischen Anlagen zur Energieversorgung des gesamten Ensembles untergebracht, zusätzlich entsteht hier ein Informationszentrum für nachhaltige Energiekonzepte. Die Holzverkleidungen der Einbauten im Inneren wurden aus den Schalungsbrettern des Betonhauses gezimmert. Auf der anderen Seite wurde ein bestehendes Fachwerkhaus zum Ladenmuseum umgebaut, das die einzigartige Sammlung des Kaufmanns Winfried Maul aufnimmt. Dank einer großen Schaufensterwand kann der über 100-jährige Kolonialwarenladen auch ohne Museumspersonal besichtigt werden. Treppen und Sitzstufenanlagen, Pflanzbeete, Bäume und ein Wasserbecken gliedern den öffentlichen Raum und sorgen für eine Vielfalt an allein, zu mehreren und in großen Gruppen gut nutzbaren Verweilorten. Das Regenwasser von den Dächern der umliegenden Häuser wird in Zisternen gesammelt und für die Bewässerung der Grünflächen genutzt.

Alte mit neuen Siedlungsteilen verbunden

Als graue Energie bezeichnet man die Energiemenge, die sämtliche Herstellungsschritte bis hin zur Entsorgung eines Produktes nach sich ziehen. Davon wurde so wenig wie möglich verwendet. Höher ist der Aufwand an goldener Energie. Unter diesem ansprechenden Begriff sind all die immateriellen Werte zusammengefasst: die vielen schönen Erinnerung an besondere Erlebnisse und Menschen, die mit den Bestandsbauten in Zusammenhang stehen.

Von allen Seiten zugänglich fügt sich das Ensemble vorzüglich ein, verbindet alte und neue Siedlungsgebiete. Hier ist keine schicke Kiste gelandet, die erst angeeignet werden muss, sondern ein architektonisches Gefüge, das eine neue Ästhetik und neue Themen ins Zentrum rückt, die vertraut und zugänglich wirken. Es gelang vortrefflich, aus dem Vorhandenen Neues zu schaffen und Topografie, individuelle Gegebenheiten, die kleinteilige Ortstruktur und lokale Bautraditionen aufzunehmen, ohne auf einer bloßen Zitatebene zu bleiben.

Deutsche Städtebauförderung

„Wichtig ist, dass viele Menschen ganz unterschiedliche Gründe finden können, um hierherzukommen“, betont Bürgermeisterin Bettina Bärmann. Die Neue Mitte soll die Keimzelle sein, die den gesamten Altort wiederbelebt. Denn schon geht es weiter: In einem weiteren Bestandsgebäude werden die Musikschule und Bereiche der Bibliothek eine neue Heimstatt finden, weiters sind eine Gemeinschaftspraxis, neue Wohnformen für Senioren und Menschen mit Behinderung geplant. Alles zusammenhalten und erschließen wird die verkehrsberuhigte und fußgängerfreundliche Neugestaltung der Schweinfurter Straße.

Dass dies alles für die Gemeinde zu stem­men ist, liegt an der in Deutschland seit über 50 Jahren bestehenden Städtebauförderung. Ein Programm nach diesem Vorbild wird auch in Österreich seit Jahren von der Fachwelt eingefordert. Wenn es die österreichische Bundesregierung mit ihren Ansagen zu Baukultur und Ortskernbelebung ernst meint, sollte sie die Sache nun angehen. So wären auch hierzulande Bürgermeister:innen besser in der Lage, auf Leerstandsbesitzer zuzugehen und zu sagen: „Pardon, ich brauch’ Ihr Haus“, um die Innenentwicklung voranzutreiben zu können.

19. Dezember 2024 Spectrum

So gelingen Freiräume mit Flair

Die Landschaftsarchitekten Auböck + Kárász sind seit 40 Jahren in der Stadterneuerung tätig: „Wir komponieren wie bei einem Musikstück mit langsamen und schnellen Teilen. Die Partitur soll sich entwickeln und unterschiedlich gespielt werden können.“

Sie sind die prominentesten Landschaftsarchitekten Österreichs, seit 1987 betreiben sie ihr gemeinsames Atelier in Wien-Neubau. Erstaunlich, dass erst jetzt eine Monografie über ihre Arbeit erscheint. Es ist keine klassische Werkdokumentation, die mit Hochglanzfotos und detailreichen Plänen das Lob auf die realisierten Arbeiten singt. „Wir wollten einen Parcours entfalten, den man erwandern kann wie eine Landschaft“, erklärt János Kárász die Grundidee. Entlang dieses Parcours nehmen sie die Leserin mit auf eine Tour zu ausgewählten eigenen Bauten und lassen sie teilhaben an der Gedankenwelt und dem Wissen des universell gebildeten Paares.

Die aus der berühmten Architekten- und Designerfamilie stammende Maria Auböck und der in Ungarn geborene Janosz Kárász haben beide in Wien Architektur studiert, er zusätzlich Sozialwissenschaften. Für Auböck fiel die Entscheidung, keinesfalls in ein großes Architekturbüro zu gehen, sondern sich in der Stadterneuerung und für kommunale Grünflächen zu engagieren, schon im Studium. Bereits in ihrer Diplomarbeit befasste sie sich mit dem Wiener Augarten, der sie später über viele Jahre beschäftigte, um das historische Gartendenkmal zu revitalisieren, es in das Stadtgewebe einzubetten und zugleich als modernen Volksgarten nutzbar zu machen.

Sozialer Anspruch

Kárász kuratierte kulturhistorische Ausstellungen und forschte über die junge Generation in den Dörfern. So entdeckten sie in den 1980er-Jahren zusehends, dass sie mit dem gemeinsamen Wissen etwas bieten konnten, was es so in Österreich bisher nicht gegeben hatte. Der soziale Anspruch, die architektonische Ausbildung: „Das ist ein anderes Raumverständnis, als wenn man von der Universität für Bodenkultur kommt.“

Nicht besser oder schlechter, nur anders, betont János Kárász. So sei der grundsätzliche Zugang jener, Aufgabenstellungen für Freiräume zunächst funktional zu entrümpeln, damit sich offene Räume für variables Geschehen entfalten können. „Wir komponieren ähnlich einem Musikstück, bei dem es langsame und schnelle Teile gibt, und so, dass sich diese Partitur entwickeln und unterschiedlich gespielt werden kann.“

Auf diese Weise entgehen sie dem Dilemma, das zwischen immer komplexer werdenden Anforderungen und präzisen, mitunter einander widersprechenden Nutzungsvorstellungen entsteht. Besonders ist ihnen das im Furtwänglergarten in Salzburg gelungen, wo sehr unterschiedliche Gruppen jeweils ein starkes Partikularinteresse gehabt hatten, etwas Bestimmtes unterzubringen. „Nichts davon gibt es, und nun haben es alle gern.“

Die Unterscheidung nach den soziologischen Kategorien privat, halb öffentlich und öffentlich werde zwar nach wie vor eingefordert, erweise sich aber zusehends als immer weniger tragfähig. Private finanzieren öffentlich zugängliche Freiräume und etablieren dort ihre Spielregeln. Städtische Grünflächen als auch historische Grünflächen werden benutzt wie Wohnzimmer im Freien; weil Wege eher nur noch Empfehlungscharakter haben, entstehen Trampelpfade durch die Wiesen. Werden im Straßenraum aufwendigere Bepflanzungen umgesetzt, neigt man dazu, sie mit Einfriedungen zu schützen. Das sei alles weder schlecht noch gut, aber man müsse darauf reagieren.

„Schwimmende Inseln“

Für den zentralen Freiraum im Stadtquartier „In der Wiesen Süd“ an der Carlbergergasse in Wien-Liesing haben Auböck + Kárász eine Lösung gefunden, wie mit einer neuen Art von Gliederung diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann. Unter dem Titel „Îles Flottantes“, also „Schwimmende Inseln“, was in Frankreich ein Dessert bezeichnet, das bei uns „Schneenockerl“ und in Ungarn „Madártej“ („Vogelmilch“) heißt, schufen sie eine Landschaft aus Grüninseln und geschwungenen Wegen.

Ob im Kleinen im Wohnbau, in der „Neuen Mitte“ von Bad Gleichenberg oder im Central Park von Baku: Es geht um Freiräume mit Atmosphäre und unterschiedlichen Milieus, in denen Unterschiedliches gleichzeitig stattfinden kann, ohne miteinander in Konflikt zu geraten.

Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem Druck, etwas ökologisch Gerechtes zu machen, beherrschen heute Kennzahlen und Zertifizierungen die Diskussion. „Etwas durchzusetzen, das über das Quantifizierbare hinaus zusätzliche Qualitäten hat, wird immer schwieriger“, stellt Kárász fest. Funktionalität, Nachhaltigkeit und Klimaresilienz sollten ohnedies selbstverständlich sein. Das Schöne ist im professionellen Architekturdiskurs wie in der Landschaftsarchitektur ein prekäres Ding geworden, über das selten explizit gesprochen wird. Vielleicht weil das Bemühen um Poesie und Schönheit am Ende oft in Kitsch abgleitet. Davor sind die Arbeiten von Maria Auböck und Janos Kárász schon allein deshalb gefeit, weil ihre Arbeiten auf einem festen Wissensfundament aufbauen, das bei typologischen Experimenten für Sicherheit sorgt.

Raumauffassung und -bewältigung

Die beiden arbeiteten an zahlreichen historischen Gärten und wissen um die Herausforderung, die richtige Strategie zu finden, damit die Anlagen langfristig zwischen ökonomischen Rahmenbedingungen und steigendem Nutzungsdruck gut über die Jahrzehnte kommen. Die persischen Teppichmustern nachempfundenen Broderien im Park von Schloss Belvedere wurden schon zu Zeiten Maria Theresias als zu pflegeaufwendig erachtet und daher vereinfacht, wie ein Vergleich der ursprünglichen Muster mit der bekannten Ansicht von Canaletto veranschaulicht. Letzteres diente bei Renovierungen in den 1990er-Jahren als Vorbild.

Zum 50-Jahr-Staatsvertragsjubiläum wünschte die Regierung eine Rekonstruktion des Originalzustandes, der mit viel Akribie und Forschungsarbeit hergestellt wurde. Eine wichtige Erkenntnis daraus: Das Muster führte zu einer optischen Täuschung, die das Panorama von Wien wie durch ein Teleobjektiv näher rücken ließ. „Das Beschäftigen mit dem Freiraum in Bezug zur Architektur hat ganz viel mit Raumauffassung und Raumbewältigung zu tun“, betont Maria Auböck. Keine zwei Jahrzehnte später erweist sich der personelle und finanzielle Aufwand, der mit der Erhaltung des neu geschaffenen Originalzustandes einhergeht, für die Republik als zu hoch. Frankreich, Italien oder England gehe es wirtschaftlich nicht besser, dennoch sei das dort undenkbar, zieht Kárász einen Vergleich.

Die Lektüre der „Partituren für offene Räume“ liefert Dutzende Argumente dafür, warum uns die kontinuierliche Pflege von Gärten und anderen Freiräumen nicht egal sein darf. Herausgegeben haben die publizistische Kostbarkeit Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek mit ihrem Verein Diachron, den sie zwecks „Verbreitung und Vertiefung des Wissens über Architektur“ gegründet haben. Gemeinsam mit Auböck + Kárász vertiefen sie nun auf kurzweilige Weise das Wissen über die Landschaftsarchitektur.

8. November 2024 Spectrum

Prinzersdorf in Niederösterreich: Im Haus am Fluss treffen sich alle

Das neue Flusshaus an der Pielach in Prinzersdorf ist Treffpunkt für diverse Vereine und bietet Platz für Yogakurse, Feste, Seminare und Konzerte. Zudem ist es Teil eines Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts sowie des Flussparks.

Die Bilder vom Hochwasser im September sind noch im Gedächtnis verankert – auch das Pielachtal hat es arg getroffen. Am unteren Flusslauf der Pielach, die bei Melk in die Donau mündet, befindet sich die Gemeinde Prinzersdorf. Der nahe am Ortszentrum gelegene Uferabschnitt ist ein beliebtes Naherholungsgebiet und Schauplatz großer Feste. Schon aus den 1960er-Jahren sind Sonnwendfeiern mit 4000 Gästen überliefert.

Im August fand das 54. Sommernachtsfest des bereits seit 70 Jahren bestehenden Verschönerungsvereins statt. Dieser Verein hatte dort in den 1960er-Jahren in Eigenregie ein einfaches Vereinshaus errichtet, das ebenso vom Musikverein „Die Pielachtaler“ genutzt wurde. Über die Jahre hatten sich einige Nebengebäude angehäuft – alles recht nett, aber längst unzulänglich.
Lebensraum verbessern

Vor wenigen Monaten wurde nun an seiner Stelle das neue Flusshaus eröffnet. Es ist Teil eines gemeindeübergreifenden Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts, das in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll, sowie Teil des vom Architektenduo Ernst Beneder und Anja Fischer konzipierten Flussparks. Die Entwurfsidee des Duos basiert auf einer Aufweitung des ab dem 19. Jahrhundert begradigten Flussbetts und der Herstellung von Biegungen, um Erosionen, Strömungsgeschwindigkeit und Überschwemmungsgefahr zu vermindern. Zugleich geht es darum, den Lebensraum zu verbessern – für Fauna und Flora als auch für die Menschen. Höchste ökologische Standards, minimaler Bodenverbrauch, maximale Entsiegelung und das Haus so anlegen, dass die Flusslandschaft erlebbar ist: So lautete die Devise der Architekten. Wie zum Dank blieb es von den knapp daran vorbeitosenden Fluten verschont.

Das aus Brettschichtholz konstruierte Haus steht etwas höher als das Vorgängergebäude – hoch genug, wie man nun weiß, auf einem umlaufenden Sockel auf einer Fundamentplatte. Zum Festplatz im Süden ist der niedrigere Teil mit den Nebenräumen als begehbare Dachterrasse mit vorgelagerten Sitzstufen ausgeführt. Die Dachfläche über dem großen Saal ist begrünt und mit einer Fotovoltaikanlage ausgestattet.

Freitreppen zum Pielachstrand

Die Fassadengestaltung zielt mit der Zweiteilung in eine mit dunkel lasierten Lärchenbrettern verkleidete untere und eine geschindelte obere Hälfte auf die Betonung der Horizontalität ab. Verstärkt wird das durch den ebenfalls dunkel gehaltenen Bügel auf dem Dach, das fast sechs Meter weit als riesige Pergola über der Terrasse im Norden auskragt, die bei Bedarf mit einer Markise wetterfest gemacht wird.

Die in der Gegend an sich nicht verbreiteten Lärchenschindeln habe man gewählt, weil sie zum einen natürlich und robust seien, und zum anderen, damit eine homogen wirkende Fläche herstellbar ist, die nicht durch Stoßfugen unterbrochen wird, erklären Beneder und Fischer. Zwischen den beiden Fassadenteilen verläuft rundum ein Profil aus Cortenstahl. Es überbrückt den Übergang zwischen der dunklen und der hellen Schicht und birgt vor Hochwasser und Unfug geschützt die Beleuchtung sowie einen Kabelkanal mit Elektroauslässen, von dem bei Veranstaltungen die Kabel über Kopf dorthin geführt werden können, wo man sie braucht. Freitreppen leiten zum Pielachstrand über, die Sockelzone dazwischen – darauf legt die Architektin wert – ist aus Neuhauser Granit gefügt, nicht aus den heute omnipräsenten Wurfsteinen chinesischer Herkunft.

Richtung Süden wurde ein Sommerbuffet integriert, das die allseits beliebte Gösnbar in neuer Form weiterführt. Das Haus steht nun einer größeren Anzahl von Nutzergruppen zur Verfügung als zuvor. Dass der Fußabdruck im Gelände dennoch nicht größer wurde, ist dem klugen Raumkonzept zu danken, das in intensivem Austausch mit den Vereinen entstanden ist. Sich zu arrangieren ist ein Aspekt des Teilens von Raum und Gerätschaften. Wie gut das gelingt, hängt davon ab, wie gut die Räumlichkeiten die soziale Kompetenz der Beteiligten zu unterstützen vermögen.

Weiterhin bildet das Flusshaus den Treffpunkt des Verschönerungsvereins und das Probelokal der Musikkapelle. Nun kommt aber auch der Dorferneuerungsverein hierher, und der Männergesangsverein lässt seine Stimmen unter deutlich besseren akustischen Bedingungen erklingen als bisher im Heizungskeller der Schule. Vom Yogakurs bis zu privaten Feiern, von Seminaren bis Vortragsveranstaltungen oder Kabarettaufführungen und Konzerten ist hier vieles machbar.

Möglich ist das, weil die einen abends kommen, die anderen untertags, die einen wochentags und andere am Wochenende. Und vor allem, weil Beneder und Fischer den Raum anpassbar für viele Situationen gemacht und trotzdem einen großen feierlichen Saal zur Verfügung gestellt haben. Die Wände des Raums sind mit einer textilen Bespannung verkleidet, die mit einem stark vergrößerten Ausschnitt einer Landkarte aus dem Jahr 1828 bedruckt ist. Sie bildet den damaligen Verlauf der „Bielach“ ab und vergegenwärtigt so auf sehr eindrückliche Weise die Notwendigkeit, das Leben am Fluss im Einklang mit diesem zu gestalten.

Das Gelände setzt enge Grenzen

Der Clou, der das Miteinander der verschiedenen Gruppierungen löst, ist die in drei Segmente geteilte Wand aus Rollschränken, mit denen sich der Raum so mannigfaltig wie eine Theaterkulisse zonieren lässt. Stehen die Rollschränke am Rand, ist der Saal vollflächig nutzbar. Werden die Musikerstühle und Instrumente nicht in den reichlich vorhandenen Stauraum verräumt, verschwinden sie hinter der Schrankwand, während im anderen Teil des Saals Yoga praktiziert wird. Jutepaneele an den Schränken und an der Decke sorgen – wie auch die Wandbespannung – für eine gute Akustik. Über den von einer Person leicht mittels Kurbel bewegbaren Schränken läuft die unterspannte Holzkonstruktion durch, womit stets die ganze Dimension des Saales erlebbar ist.

„Unlösbare Konstellationen erzeugen neue Bilder“, fasst Ernst Beneder die Situation zusammen. Bei großen Flächenbegehrlichkeiten seitens der Nutzergruppen setzte die Topografie des Geländes enge Grenzen. So entstand die mobile Lösung, die Möglichkeitsräume eröffnet, die sich die Prinzersdorfer:innen nun erobern müssen und die womöglich zu neuen Kooperationen inspirieren.

13. September 2024 Spectrum

Leiben nahe Melk: Der bewohnbare Wehrturm erzählt die besseren Geschichten

Ein 600 Jahre alter Wehrturm in Leiben bei Melk: Am Anfang standen eine romantische Idee und die Veräußerung von Staatsbesitz. Erst die nächsten Generationen fanden ein tragfähiges Nutzungskonzept und einen Architekten, der für zwei Ferienwohnungen denkmalgerecht Raum schuf.

Am Südrand des Waldviertels, auf einem Felssporn über dem Tal des Weitenbachs, erhebt sich die Festungsanlage von Leiben. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde sie dem Invalidenfonds zugewiesen und gelangte nach 1945 in die Verwaltung der Österreichischen Bundesforste.

Etwas abseits des Renaissanceschlosses liegt ein wuchtiger spätmittelalterlicher Batterieturm. Ihn bewohnbar zu machen war der Traum von Mechtildis „Tilde“ Kleinberger. Am liebsten hätten ihn ihr die Bundesforste nur zusammen mit dem ganzen Schloss verkauft; sie blieb hartnäckig und erwarb 1974 mit ihrem Mann den Wehrturm. Das Schloss wurde erst 1989 von der Marktgemeinde Leiben angekauft und mit EU-Mitteln als „Europaschloss“ zu einem kulturellen Zentrum entwickelt.

Traumprojekt der Mutter

Ambitioniert und mutig, gar naiv, aber voller Tatendrang und Liebe zur alten Substanz machte sich das Ehepaar Kleinberger an das Projekt der Bewohnbarmachung des denkmalgeschützten Objekts. Mit Rat und Tat stand der Bauforscher Gerhard Seebach zur Seite. Dennoch wurde der Umbau in einen Alterssitz zu Lebzeiten von Frau Tilde nicht vollendet. Verkaufen oder behalten und bewohnbar machen? Es war keine leichte Entscheidung für Tochter Susanne Kleemann, die schließlich mit Sohn Sebastian, einem Gastronomieprofi, den Ehrgeiz entwickelte, das Traumprojekt der Mutter zeitgemäß, nachhaltig und denkmalgerecht zu einem glücklichen Ende zu führen.

Im aus der Region stammenden Architekten Ernst Pfaffeneder fand sie einen kongenialen Partner, der es verstand, das Kleinod mit all seinen Facetten zunächst zu analysieren und schließlich neu zu organisieren. Heute enthält der Turm zwei Ferienwohnungen, womit der Traum vom Wohnen im Wehrturm für eine größere Anzahl von Menschen erfüllbar wird. Zu besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel demnächst beim Tag des Denkmals am 29. September, macht die Familie den Turm für die Öffentlichkeit zugänglich.

Wie damit umgehen?

Er ist ein fabelhaftes Anschauungsbeispiel dafür, dass Methoden der Denkmalpflege Kinder ihrer Zeit sind. Denn manche Veränderung wäre aus heutiger Sicht kaum genehmigungsfähig. Im Grundriss hufeisenförmig, hat der Wehrturm Richtung Schloss eine gerade Wand, zur Angriffsseite hin ist er gerundet. Just dort wurde damals ein Anbau mit Treppenrampe und Terrasse ergänzt. Im untersten­ Geschoß war begonnen worden, ein Schwimmbad einzubauen, und im ganzen Gebäude wurden diverse Flohmarktfunde und Bauteile von anderen Gebäuden verbaut.

Nicht immer erschließt sich auf den ersten Blick, was authentisch ist und was eine neue Zutat. Wie damit umgehen? Rückbauen, als hätte es diese Phase nicht gegeben, obwohl sämtliche Veränderungen der 1970er-Jahre mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes erfolgten? Pfaffeneders Lösung lautete, das zeitliche Kontinuum weiterzuschreiben, innen ein räumliches Kontinuum herzustellen und zugleich den Turm und seine Geschichte besser lesbar zu machen. Das bedeutet, dass viele Ingredienzien aus den vergangenen 50 Jahren bleiben durften oder neue Verwendung fanden. Die Zubauten blieben als Funktionsräume für Haustechnik und Ähnliches erhalten. Im Turminneren wurde der desolate Bestand auf die wesentlichen tragenden Elemente zurückgebaut und technisch ertüchtigt.

In die Historie eintauchen

Die massive Außenwand wurde freigespielt, zum Teil das Natursteinmauerwerk sichtbar gelassen, und wo notwendig, wurden Fehlstellen mit Ziegeln ergänzt, wie das auch schon in früheren Jahrhunderten praktiziert worden war. Ergänzt wurden neue Einbauten aus Holzwerkstoffen in Form von Küchen, Sanitärräumen, Trennwänden und einer Zimmerbox, die über der Küche im Erdgeschoß im Raum hängt. Mit einer Beschichtung in einem weichen Goldton werden sie als neue Intervention kenntlich gemacht und bilden einen ruhigen Konterpart zu den eklektischen Einbauten und dem historischen Gemäuer, auf dem alte Rötelzeichnungen und Notizen freigelegt wurden und dazu einladen, in die Historie einzutauchen.

Ob die vom Bauforscher einst selbst aus Beton gegossene Balustrade auf der Terrasse oder das farbige Gussglas, mit dem die Scharten in der Außenwand geschlossen wurde – sie blieben erhalten und erzählen vom ersten erfolglosen Versuch der Zähmung des doch recht martialisch anmutenden Bauwerks. Was nicht unverändert integrierbar war, wurde passend gemacht, so wie die aus der Pfarrkirche im benachbarten Lehen stammende Kommunionbank, die einst als Raumteiler eingesetzt worden war und nun beim freistehenden Küchenblock Verwendung fand. Bestehende Fenster wurden ertüchtigt oder mit Isoliergläsern und zarten Holzprofilen erneuert.

Turm-Feeling wurde bewahrt

Im unteren Geschoß, wo das „Angstloch“ in der gewölbten Decke noch von den grimmigen Zeiten, in denen der Raum als Verlies diente, kündigt, wurde die unfertige Schwimmbadwanne in mühevoller Arbeit weggestemmt und eine Tramdecke eingezogen. Wie in den drei Ebenen darüber sorgt auch hier ein geschoßübergreifender Luftraum dafür, dass das Turm-Feeling nicht abhandenkommt. Über eine bestehende interne Treppe in der Mauer können die beiden Wohnungen zu einer zusammengelegt werden. Eine schon in den 1970er-Jahren geschlagene Öffnung erwies sich als nützlich, um die Erdwärme einzuleiten, die nun die Fußbodenheizung im neuen Estrich speist und die alte Ölheizung ersetzt.

Stünde es der angeblichen Kulturnation Österreich nicht gut an, systematisch Bestehendes für touristische Zwecke zu aktivieren? Der 600-jährige Wehrturm ist schon allein durch sein Alter punkto Nachhaltigkeit den grüngewaschenen Ferienchalets, die wie die Schwammerl aus den Böden der Urlaubsregionen wachsen, um Längen voraus – und die besseren Geschichten erzählt er allemal.

21. Juni 2024 Spectrum

Hier waren Kinder am Werk: ein neues Kunstlabor in St. Pölten

St. Pölten präsentiert sich als Kulturstadt von europäischem Rang. Das Besondere an ihrem Flaggschiff, dem Kinderkunstlabor: Der Kinderbeirat hatte ein Mitspracherecht bei der Form des Parks und der Museumsräume.

Es ist schwierig, etwas zu beschreiben, was es noch nicht gibt“, bringt Mona Jas das Problem auf den Punkt. Dass in St. Pölten ein Ort für zeitgenössische Kunst entstehen soll, bei dem die Perspektive der Kinder die Hauptsache ist, lockte die künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors von Berlin in die Stadt. Das Kinderkunstlabor war das Herzstück der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2024 und sollte unabhängig vom Bewerbungserfolg realisiert werden. Zunächst hatten wohl viele kein klares Bild, was so ein Haus leisten kann und wie seine architektonische Beschaffenheit sein soll.

Kunstvermittlungsprogramme für Kinder gibt es heute in fast jedem Museum. Auch Kindermuseen, die altersgerechte Ausstellungen und Mitmachprogramme anbieten, sind nichts Neues. Ein Kunsthaus aber, bei dem Kinder an inhaltlichen, programmatischen und gestalterischen Entscheidungen beteiligt sind, dafür findet sich selbst international kein Beispiel.

Von Schenker Salvi Weber Architekten aus Wien

Um die Architektur ebenso partizipativ zu entwickeln, hätte es mehr Zeit gebraucht. Immerhin wurde ein offener einstufiger Realisierungswettbewerb ausgelobt, der kreativen, kleineren Architekturbüros die Beteiligung ermöglichte. Gewonnen wurde er von Schenker Salvi Weber Architekten aus Wien, die mit ihren Schulbauten schon gezeigt haben, dass sie für die Bedürfnisse von Kindern planen können, ohne sie zu verniedlichen.

Während der Planungs- und Bauphase war der aus Kindergartengruppen und Schulklassen gebildete Kinderbeirat in die weitere Ausgestaltung des Parks und der Museumsräume ebenso einbezogen wie in die Programmgestaltung. Er stand im direkten Austausch mit dem Architekturbüro und vielen Künstlern und Künstlerinnen und hatte zum Beispiel eine Stimme in der Wettbewerbsjury für die Spielskulpturen im Park. Schon das ist eine Leistung: Kinder einzubinden und so ernst zu nehmen, dass sie sich im fertigen Produkt wiederfinden.

Die Wege sind nun wassergebunden

Standort ist der nach der amerikanischen Partnerstadt in Pennsylvania benannte Altoona-Park an einer stadträumlich wenig attraktiven Kreuzung am Schulring, etliche Schulen liegen in der Umgebung. Nur wenige Schritte sind es zur kürzlich als Zentrum für Kultur und Geschichtsvermittlung wiedereröffneten Ehemaligen Synagoge St. Pölten. Der städtebauliche Ansatz, direkt an der Kreuzung in die Höhe zu gehen, den Schwung der Straße im Baukörper aufzunehmen und ein Gelenk zwischen Innenstadt und Kulturbezirk zu bilden, bringt mit sich, dass der Park eine räumliche Fassung erhält und der Fußabdruck möglichst gering bleibt. Gesegnet mit einem schönen dichten Baumbestand und der Lage am Mühlbach, zuvor aber unambitioniert gestaltet, erfuhr die Grünanlage eine Neugestaltung durch das Landschaftsarchitekturbüro Bauchplan. Die Wege sind nicht mehr asphaltiert, sondern wassergebunden.

Bei der Eröffnung Ende Juni wird die Ausstattung noch nicht ganz fertig sein. Ein Wasserspiel und (Spiel-)Skulpturen von Andrea Maurer, Christine und Irene Hohenbüchler, Mischer Traxler und Regina Möller versprechen einen angenehmen Erholungs- und Erlebnisort – nicht nur für Kinder. Die Gebäudefigur ist aus der Fernsicht kaum zu erfassen. Aus manchen Blickwinkeln wirkt der viergeschoßige Baukörper wie ein schlanker Quader. Doch im Grundriss handelt es sich um ein Dreieck mit gekappten Ecken und drei leicht nach innen genickten Seiten, also um ein Sechseck, das als Motiv im Inneren immer wieder auftaucht.

Ursprünglich als reiner Holzbau erdacht, stellte sich in der weiteren Bearbeitung ein reines Holztragwerk nicht nur als zu teuer, sondern auch als zu wuchtig heraus. Also entwickelten die Tragwerksplaner aus dem Büro von Werner Sobek eine neue konstruktive Lösung mit einer Baumstütze aus Beton, von deren „Stamm“ in der Gebäudemitte sechs „Äste“ abgehen, und die die Lasten auf zartere Weise aufnehmen. Dieser innere Kern mit der zentralen Stütze nimmt das Raumprogramm auf, um ihn schraubt sich über die ganze Gebäudehöhe ein Erschließungsraum nach oben: Helixtreppe nennen ihn die Architekten.

Nach außen bilden Holzlamellen einen beschattenden und durchlässigen Filter zur Umgebung. Kontrastierend zum weichen hölzernen Kleid wirken die drei Gebäudeeinschnitte mit akkurat gekanteten Gewänden würdevoll streng. Das breiteste markiert den Eingang am Vorplatz, ein Portal führt vom Park in das Café im Erdgeschoß, und das dritte dient als Fenster zum angrenzenden Indoorspielplatz, den der polnische Architekt und Künstler Jakub Szczęsny als vielseitigen Raum, der erobert werden will, gestaltet hat.

Der nach oben zu schmäler werdende Treppenraum erfüllt den Anspruch, „Möglichkeitsräume“ bereitzustellen, zweimal weitet sich die Zone zwischen innen und außen zu zweigeschoßigen Loggien. „Etwas zum Klettern“ wollten die Kinder. Mit diesem Wunsch konfrontiert, entdeckte Mona Jas die Arbeiten der Japanerin Toshiko Horiuchi MacAdam. Die Kinder waren begeistert, und mit ihrem Votum im Rücken kontaktierte Mona Jas die Künstlerin, die für einen der Bereiche ein riesiges buntes Kletternetz häkelte, „das gut erklärt, wofür das Kinderkunstlabor steht“: höchste künstlerische Qualität und immersive Erfahrung. Treppenkonzerte sind geplant, und auch sonst kann sich hier noch vieles entwickeln.

Gefühl des Willkommenseins

Der große Ausstellungsbereich im ersten Stock wird mit einer Ausstellung der gern mit sozialen Interaktionen arbeitenden brasilianischen Künstlerin Rivane Neuenschwander nach den Sommerferien richtig in Betrieb gehen. Im Stock darüber gibt es einen Begrüßungsraum, in dem sich die Kinder sammeln können, bevor sie in den Laboren aktiv werden. Ein Highlight im obersten Stock ist die mit einem runden Oberlicht ausgestattete Kinderbücherei. Ein Gefühl des Willkommenseins ist spürbar, das Materialkonzept macht das Gebäude nahbar. „Die Kinder sollen erkennen, wie das Haus gebaut ist“, erklärt Michael Salvi. Holz und Beton sind sichtbar, ebenso die Leitungsführungen. Metalloberflächen, die berührt werden, etwa die Handläufe, erhielten einen blassgrünen Anstrich. Robuste Basisstrukturen wurden gepaart mit feinen Tischlerarbeiten in Birke.

Manches Kind hätte den Eltern gern den Zutritt verwehrt, das Kinderkunstlabor ist jedoch ein Ort für alle, selbst für kinderlose Erwachsene. „Andere Institutionen beschäftigen sich damit, wie sie ihre Inhalte auch Kindern vermitteln können – wir befassten uns damit, was wir Erwachsenen anbieten können“, erklärt Mona Jas. Die Senior:innen aus dem benachbarten Betreuten Wohnen hat sie schon eingeladen.

26. April 2024 Spectrum

Das Torfmoor bei Budapest: Naturlehrpfad statt Parkplatz

Zivilgesellschaftlicher Protest bewahrte das Torfmoor in der ungarischen Stadt Dunakeszi vor der Verbauung. Nun lädt ein Lehrpfad zu spannenden Erkundungen ein.

Naturlehrpfade präsentieren sich üblicherweise recht rustikal, als architektonische Aufgabe werden sie dagegen selten wahrgenommen. Anders verhält es sich beim Schildkröten-Lehrpfad von Dunakeszi in Ungarn. Dieser führt durch ein Torfmoor, außerhalb der nördlichen Stadtgrenze von Budapest, direkt neben dem Einkaufszentrum des internationalen Konzerns Auchan, der über eine Immobilientochter zugleich Bauherr ist. Es gibt eine langwierige und komplizierte Vorgeschichte, die Kurzversion lautet, dass wir ohne den langen Atem einer zivilgesellschaftlichen Protestbewegung anstelle der Moorlandschaft hier ein Parkhaus mit Tausenden Stellplätzen besichtigen müssten.

Das Moor von Dunakeszi ist einer der wenigen Überreste eines großen zusammenhängenden Feuchtgebietes in der Region um Budapest. Zu dessen Dezimierung hat schon die Donauregulierung beigetragen, viel mehr aber noch die Entwicklungen der allerjüngsten Vergangenheit, die mit Autostraßen und Gewerbe-Agglomerationen samt den damit einhergehenden Zu- und Abfahrten die Landschaft unwiederbringlich versiegelten.

Immerhin: In dem kleinen verbliebenen Gebiet gibt es eine abwechslungsreiche und dichte Vegetation, die für 50 Vogelarten geeignete Nistplätze anbietet. Selten sichtbar, aber für den Lehrpfad namensgebend und der Star des Moors ist die vom Aussterben bedrohte Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die hier die geeignete Nahrungsgrundlage und die ideale Bodenstruktur zum Brüten vorfindet.

Bevor das sensible Ökosystem verschwunden war, kapitulierte der Handelskonzern Auchon schließlich und investierte statt in einen weiteren Parkplatz in den Naturlehrpfad. Ganz uneigennützig – das gibt man auch zu – ist das Engagement freilich nicht. Direkt vom Parkplatz des Shoppingcenters den Zugang zu einem einzigartigen Naturerlebnis zu haben ist ein Alleinstellungsmerkmal, und umgekehrt kalkuliert man damit, dass die Naturliebhaber sich aus dem Moor ins Kaufhaus locken lassen. Beim Lokalaugenschein an einem regnerischen Tag ist jedenfalls beides gut besucht.

Das mit der Planung beauftragte junge Budapester Architekturbüro Paradigma Ariadné ist bekannt für spannende Interventionen, die aus der Auseinandersetzung mit der Topografie und lokalen Bautraditionen sowie der Kunstgeschichte und Architekturtheorie gespeist sind. Den drei Inhabern, Attila Róbert Csóka, Szabolcs Molnár und Dávid Smiló, ist es in kurzer Zeit gelungen, im internationalen Architekturdiskurs wahrgenommen zu werden. Im Wiener Architektur-Ausstellungsraum Magazin präsentierten sie vor fünf Jahren die Resultate ihrer Beschäftigung mit den für Ungarn typischen Würfelhäusern. Indem sie mit ihren Bauten Geschichten erzählen und die Vorstellungskraft der Rezipienten stimulieren, schaffen sie trotz ihrer konzeptuellen Herangehensweise im besten Sinne populäre Bauten. So übersetzten sie beim vor drei Jahren fertiggestellten Büffellehrpfad in einem schilfbedeckten Natura-2000-Gebiet in Sándorfalva Geometrien mitteleuropäischer landwirtschaftlicher Bauten in heiter anmutende, vertraut wirkende Baustrukturen.

Für den Schildkrötenlehrpfad stand das surrealistische Gemälde „Die Blankovollmacht“ (im Original „Le Blanc-Seing“) von René Magritte Pate. Es zeigt eine Reiterin im dichten Wald, ein an sich banales Sujet, das durch die irritierende Darstellung, die mit räumlichen Beziehungen und dem Davor und Dahinter spielt, fesselt. Paradigma Ariadné entwickelten aus diesem Bild der geschichteten Zwischenräume abgestufte architektonische Elemente aus einer geometrischen Grundform.

Sie dienen als Ausstellungspavillons, Aussichtspunkte und Klettergerüste. In Blau – jener Farbe, die in der Natur am seltensten vorkommt – werden sie als künstlicher Eingriff kenntlich gemacht. Mit „The Blue Signature“ übertitelten die Architekten, angelehnt an das englische Bild „The Blank Signature“, daher den Entwurf, mit dem sie 2022 die Ausschreibung gewannen.

Das Spiel mit dem Davor und Dahinter, das Changieren zwischen real und irreal, zwischen künstlicher Intervention und harmonischem Aufgehen in der Landschaft, bestimmt die Architektur des Lehrpfades. „Wir wollten kein falsches Gefühl von naiver Natürlichkeit erzeugen, sondern deutlich machen, dass der Pfad ein Eindringling in der Natur ist“, erklärt Architekt Szabolcs Molnár. Während der viermonatigen Bauzeit verbrachte er viel Zeit im Moor, da Paradigma Ariadné erstmals in der Bürogeschichte als Generalunternehmer beauftragt war und somit die Errichtung des Lehrpfades verantwortete. Die fachliche Betreuung übernahmen die Expertinnen des Nationalparks Donau-Ipoly.

Ein rund 900 Meter langer Rundweg verbindet die einzelnen Stationen. Auf festem Boden, der bei feuchtem Wetter rasch matschig wird, halten auf Staffelhölzern gelagerte Holzbohlen die Füße trocken. Da sie auch als Bänke dienen, können sich so ganze Schulklassen an verschiedenen Stellen zur Rast niederlassen. Über die Feuchtgebiete und die zwei permanenten Teiche führen schmale Holzbrücken, die mit Erdschrauben nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs im Boden verankert sind. Die schlichten Fachwerkgeländer werden früher oder später von den vor Ort vorhandenen Kletterpflanzen umrankt sein, sodass irgendwann nur noch die blauen Pavillons zwischen den Grüntönen des Laubs hervorleuchten werden.

Sehr schnell hat man nach Eintritt in den Lehrpfad die Unwirtlichkeit der Stadtperipherie vergessen und taucht ein in einen magischen Ort, fühlt sich entschleunigt und eins mit der Natur – und ist zugleich froh, dass eine kultivierte Struktur Halt und Sicherheit gibt. Ansprechende Informationsgrafiken erklären, wie Moore entstehen, welche Rolle sie im Kampf gegen den Klimawandel spielen, zudem werden Geologie, Fauna und Flora des Dunakeszi-Moors erläutert. Alles zwar nur auf Ungarisch, aber der Schildkrötenlehrpfad ist allein schon wegen seiner architektonischen Lösung und ihrer Integration in die Natur einen Besuch wert. Die Botschaften, die man von hier mitnimmt: Es lohnt sich, für den Erhalt von Natur zu kämpfen. Und: Architektur kann ein Mittel sein, um das Naturverständnis auf einer emotionalen und intellektuellen Ebene zu fördern.

29. Dezember 2023 Spectrum

Hier wird gelebt und Glas geblasen: Handwerk in Wien-Währing

Die Glashütte Comploj fügt sich in einen Hinterhof in Wien-Währing ein, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass Handwerk und Wohnen in der Großstadt gedeihlich koexistieren.

Es ist wie ein Stimmungsbild aus einer längst vergangenen Zeit: Auf der Straße klappert der Hufschlag eines Fiakers, im Hofgebäude glüht der Hochofen. Seitdem die Liegenschaft an der Martinstraße in Wien-Währing bebaut ist, wurde hier nicht nur gewohnt, sondern auch produziert.

In historischen Adressbüchern und Zeitungen findet man unter der Adresse von der Milchwirtschaft über die Putzpasta- und Kunststein-Fabrikation der Firma Karl v. Schmoll bis hin zu einem Parfümerie-Großhandel ganz unterschiedliche Betriebe. Schon 1887 preist ein Inserat einen „großen Hofraum zur Errichtung von Schupfen geeignet“ zur Vermietung an. Im aus der Nachkriegszeit stammenden Gebäudeensemble im Hof war zuletzt eine Automobilgarage untergebracht. Rund ein Jahrzehnt lang stand es leer, ehe es nun nach einer behutsamen Revitalisierung durch das Architekturbüro Berger + Parkkinen zur Betriebsstätte der Glashütte Comploj wurde.

Der Hochofen bildet das heiße Herz

Alfred Berger und Tiina Parkkinen befreiten die drei Bestandhäuser von Anbauten an der Grundstücksgrenze, die der natürlichen Belichtung abträglich waren, und fanden für jedes die passende Funktion. Die Garagenhalle, eine Stahlbetonrahmenkonstruktion, bot perfekte Bedingungen für die Werkstatt. Die Dachverglasungen liefern ideales Tageslicht von oben, im Zentrum bildet der Hochofen das heiße Herz. Der direkt anschließende Ziegelbau wurde zum Schau- und Verkaufsraum mit Büro. Das dritte auf dem Grundstück befindliche Gebäude, ehemals ein Büro mit Flachdach, wurde mit einem Satteldach aufgestockt zum Wohnhaus für den Glaskünstler und seine Familie.

Die große bestehende Grünanlage mit altem Baumbestand, die der Hinterhofbe­bauung vorgelagert ist, wurde durch die Landschaftsarchitekten Lindle Bukor überarbeitet. „Durch die Entfernung der Nebengebäude ist nun sogar etwas weniger Boden versiegelt als davor“, betont Architekt Alfred Berger.

350.000 Follower auf Instagram

Die architektonische Sprache blieb zurückhaltend. Schlichtes Beige an den Putzfassaden von Werkstatt und Schauraum, im gleichen Ton das Strangfalzblech der Dächer, das beim Wohngebäude dem ganzen Haus eine schützende Hülle gibt. Alles unprätentiös. Aber handwerklich sorgfältig ausgeführt.

Gut, dass sich die Architekten nicht zu ­Larifari hinreißen ließen. Immerhin folgen 350.000 Menschen in aller Welt dem Instagram-Kanal des Studio Comploj. Da hätte man mit formalen Extravaganzen schon einige Aufmerksamkeit erlangen können. Aber das hätte weder in diesen Hof noch zur Person des Robert Comploj gepasst.

Der gelernte Tischler fand noch während seiner Ausbildung Gefallen am Glashandwerk. Von der Glasfachschule Kramsach führten ihn Lehr- und Wanderjahre durch die USA und Europa. Seit zehn Jahren führt er seinen eigenen Betrieb, zunächst in Traun in Oberösterreich, dann ab 2017 im siebenten Bezirk in Wien. Von der Christbaumkugel bis hin zu großen Rauminstallationen produziert Comploj Schönes in allen Maßstäben, arbeitet mit Künstlerinnen wie Nives Widauer und Michaela Ghisetti zusammen, kooperiert mit Designerinnen und Architekturbüros ebenso wie mit Spitzenköchen. Wenn ihm dann noch Zeit bleibt, widmet er sich seinen eigenen Skulpturen.

Der Hochofen der Glashütte läuft bis auf kurze Unterbrechungen – zum Beispiel zu Weihnachten – das ganze Jahr über mit 1100 Grad Celsius. Damit er nicht unversehens erkaltet, ist es nützlich, dass die Familie gleich nebenan wohnt – ein Ideal, dass Comploj zunächst nur in einem Vierkanter auf dem Land für realisierbar hielt, bis eine Bekannte ihn auf den leerstehenden Bestand in Wien-Währing aufmerksam machte.

Für den Glasmacher wäre eine Ansiedlung in dieser keineswegs besonders noblen, aber doch urbanen Lage nie und nimmer aus eigener Kraft erschwinglich gewesen. Dietrich Mateschitz, für den Robert Comploj schon zuvor einige Arbeiten umgesetzt hatte, kaufte und entwickelte die Liegenschaft und bot ihm eine Pacht zu fairen Konditionen an. Der im Vorjahr verstorbene Multimilliardär machte sich mehrfach um Handwerk und Baukultur verdient, indem er Schlösser, Villen und andere historische Immobilien erwarb und fachgerecht renovieren ließ. In ­diesem Fall ermöglichte er einem kleinen Handwerksbetrieb den Verbleib in der Stadt und bewahrte den Hinterhof als das, was er seit jeher war: ein Ort der Produktion mitten in der Stadt, zugänglich für alle, die Interesse haben.

Damit trifft dieses Projekt zwei wichtige Anliegen der heutigen Zeit. Zum einen ist das der Erhalt von Orten der Produktion im urbanen Milieu, wie es in Wien – formuliert im Fachkonzept „Produktive Stadt“ – strategisches Ziel der Stadtplanung ist. Zum andern der Erhalt von Bestand und die Vermeidung von Abriss und Neubau, wie es uns diverse Klimaziele und die Vernunft schon seit Längerem gebieten. Dass es eine ökosoziale Bauwende braucht, darin sind sich nicht nur die Planer, sondern auch große Teile der Bauwirtschaft einig. Bloß die Politik ist zögerlich und lässt es an der Bereitstellung der gesetzlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen fehlen, die das Bewahren und Weiterbauen des Bestandes fördern. Derzeit ist das normale Prozedere noch der Abriss und der ­Neubau.

Aufwertung von Lehre und Handwerk

Anknüpfend an Forderungen von Initiativen wie countdown2030 in der Schweiz oder das Abrissmoratorium Deutschland formierte sich daher heuer die von zahlreichen Architekturinstitutionen, Umwelt- und Wissenschaftsinitiativen unterstützte „Allianz für Substanz“. Von Bundesministerin Leonore Gewessler fordert sie per Petition einen Paradigmenwechsel im Bauwesen, der vom Erhalt bestehender Substanz ausgeht. Ein verbindlicher Substanzschutz, Herstellung von Kostenwahrheit durch zweckgebundene Besteuerung von Treibhausgasemissionen, finanzielle Anreize für die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden, die Abschaffung von Regelungen, die den Abriss begünstigen, sowie von Förderungen für Ersatzneubauten sind wesentliche Hebel, mit denen ein neuer Kurs eingeleitet werden kann. Ein zentraler Punkt ist der Ruf nach mehr Transparenz bei öffentlichen und geförderten Planungsvorhaben.

Eine solch neue Kultur des Bauens würde auch die Lehrberufe und das Handwerk aufwerten und wirtschaftlich stärken. Dann wäre für junge Handwerkerinnen eine Produktionsstätte in der Stadt – dort, wo die meiste Arbeit wartet – auch ohne Umweg über Investoren wieder leistbar. Wäre eigentlich ganz normal.

3. Mai 2023 Spectrum

Ein würdevolleres Leben für pakistanische Frauen

Bauen für die Zukunft: So lautet der Auftrag von Yasmeen Lari, der ersten Architektin Pakistans. Galt es zunächst eine architektonische Sprache für den Aufbau des jungen Staates zu finden, unterstützt sie heute mit ihrer Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung die Ärmsten der Armen.

Es ist nicht bloß die – längst fällige – Würdigung der Arbeit einer großen Architektin. Die Ausstellung, die das Architekturzentrum Wien derzeit der pakistanischen Architektin Yasmeen Lari widmet, ist auch Weckruf, über eine Architektur nachzudenken, die jenseits oberflächlicher Greenwashing-Methoden für Menschen und Natur Sorge trägt. Das 225 Millionen Einwohnerinnen zählende Pakistan ist das fünftbevölkerungsreichste Land der Welt und eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen, trägt aber selbst kaum dazu bei: Die CO2-Emission pro Person ist in Österreich siebenmal so hoch. Jede vierte Person lebt in Armut, fast die Hälfte der Kinder ist unterernährt, Frauen – sofern sie nicht der urbanen Oberschicht angehören – sind massiv von Diskriminierung betroffen.

Die in privilegierten Verhältnissen aufgewachsene Yasmeen Lari erhielt ihre Architekturausbildung in Oxford. 1964 kehrte die heute 82-Jährige nach Pakistan zurück, in ein Land, das sie kaum kannte. 1947 mit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft von Indien abgetrennt, befand sich der junge Staat im Aufbau und im Prozess der Nationenbildung. Auf der Suche nach Antworten, wie eine neue Architektur mit der pakistanischen Identität umgehen kann, bereiste die junge Architektin mit ihrem Mann, mit dem sie später die „Heritage Foundation Pakistan“ gründete, das Land.

Sie lernte das kulturelle Erbe kennen, kam erstmals mit der herrschenden Armut in Kontakt und wurde sich bewusst, wie sehr die über hundertjährige Kolonialherrschaft ihre eigene Sicht beeinflusst hatte – Erfahrungen, die ihre Arbeit durchgängig prägen. Sie nennt diese Zeit auch „meine Verlernphase“, denn während des Studiums „war Le Corbusier unser Gott“. Ihre ersten Bauaufgaben waren modernistische private Wohnhäuser, in den 1980er- und 1990er-Jahren machten sie prestigereiche Großbauten zur „Star-Architektin“.

Keine Zeit für Ruhestand

Zuvor hatte sie schon Widerständiges geleistet. Im Rahmen eines von der Regierung von Zulfikar Ali Bhutto ausgerufenen Wohnbauprogramms, im Zuge dessen 6000 Wohnungen errichtet werden sollten, erhielt sie 1973 den Auftrag für die 787 Wohnungen umfassende Siedlung Angoori Bagh in Lahore. Modernistische Plattenbausiedlungen galten zu der Zeit international als Standard. Lari hingegen orientierte sich an lokalen Bautraditionen, den klimatischen Verhältnissen und insbesondere den Bedürfnissen der Frauen.

So erweitern Höfe und Terrassen den Aktionsradius über die kleinen Wohnungen hinaus, ohne sich dem öffentlichen Blick auszusetzen, bieten Raum für spielende Kinder und Platz, um Hühner und Gemüse zu züchten. Frauen zu einem würdevolleren Leben zu verhelfen, das ist bis heute ihre Mission. Ihren im Jahr 2000 gefassten Plan, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und sich der Dokumentation und Bewahrung des kulturellen Erbes zu widmen, durchkreuzte fünf Jahre später das große Erdbeben in der Kaschmir-Region: „Es hat mein Leben verändert.“ Die Flutkatastrophen von 2010 und 2022, die Millionen von Menschen obdachlos machten, forderten sie erneut. In der Erkenntnis, dass die von den internationalen Hilfsorganisationen eingesetzten industrialisierten Bauweisen aus Beton und Stahl an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen, nutzte sie, die in Pakistan als lebende Legende gilt, ihr Wissen und ihren Einfluss und begründete eine Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung.

Seit einigen Jahren verbreitet sie über die sozialen Medien ihre Kurzvideos zu klimaneutralen Selbstbauweisen, die leicht verständliche Schritt-für-Schritt-Anleitungen für den Selbstbau von erdbeben- und flutresistenten Unterkünften liefern. „Soziale Barfuß-Architektur“ nennt sie das. Die traditionellen Häuser bestehen aus Lehm, Holz und Kuhdung, sie haben keine Fundamente und sind dementsprechend wenig gerüstet, um Erdbeben und Überflutungen standzuhalten. Yasmeen Lari nutzte ihre Erfahrungen aus der Denkmalpflege und entwickelte das System „Lari Octa Green (LOG)“. Dabei handelt es sich um achteckige Bauten, in deren wasserbeständiges Fundament aus Kalkziegeln vorgefertigte Bambusrahmen als leichte, robuste Tragkonstruktion eingespannt sind. Indem der Lehm für die Wände mit Kalk gemischt wird, löst er sich in Wasser nicht auf. Auf diese Weise entstehen auch Gemeinschaftshäuser – wie etwa das auf Stelzen stehende „Green Women's Centre“.

Eine Gesellschaft ohne Müll

Dieses ist ein Treffpunkt und Lernort für Frauen, in dessen Obergeschoß im Fall einer Flut auch Hausrat und Kleintiere in Sicherheit gebracht werden können. Im Repertoire sind zudem hygienische Sanitärräume, damit die Frauen nicht mehr darauf angewiesen sind, bei Dunkelheit die Büsche aufzusuchen. Der Würde und der Gesundheit zuträglich ist auch die von ihr entwickelte rauchfreie Selbstbau-Außenküche.

Um die Arbeit mit internationalem Know-how weiterzuentwickeln, pflegt Lari die Kooperation mit internationalen Architektur-Hochschulen. Als erste vor Ort waren Studierende der TU Wien unter der Leitung von Andrea Rieger-Jandl, Professorin am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, und Christine Lechner, beide im Vorstand des „Netzwerk Lehm“ für Forschung und Weiterbildung in Sachen Lehmbau engagiert. Mit Kolleginnen der University of Lahore betrieben sie Feldforschung im Pono Village in der Provinz Sindh.

Nicht nur die österreichischen Studierenden, auch jene aus Pakistan kamen dort erstmals in Berührung mit einer Gesellschaft, die keinen Müll produziert. Sie erstellten einen Bericht, der die Erkenntnisse aus der Analyse der lokalen Lehmarchitektur zusammenfasst und anderen Forschungsteams, zum Beispiel vom Polytechnikum Mailand oder der Cambridge University, zur Verfügung gestellt wird, um sukzessive Yasmeen Laris Ansatz weiterzuentwickeln. So wird der Bambus von relativ weit hertransportiert – ein Kritikpunkt, den Lari sofort aufnahm und Bambuspflanzen setzen ließ, um zu untersuchen, ob sie unter den örtlichen Bedingungen gedeihen. Weiters wurden Wandsysteme entwickelt, um bei der Ausfachung der LOG-Bambusstruktur ohne Kalk auszukommen. Eine Flut würde dann zwar den Lehm wegspülen, die Wände könnten aber innerhalb kürzester Zeit von den Familien mit kostenlos vor Ort vorhandenem Lehm repariert werden.

Was wir aus der inhaltlich dichten Ausstellung lernen: Architektur muss Vergangenheit und Gegenwart, Politisches, Soziales, Ökonomie und Ökologie in Zusammenhang bringen, um gerecht, sozial und klimafreundlich zu sein.

Yasmeen Lari erhält im Juni die Royal Gold Medal for Architecture vom Royal Institute of British Architects (RIBA).

25. Februar 2023 Spectrum

Frauen auf der Baustelle

In Österreich waren Frauen erst ab 1919 zum Architekturstudium zugelassen. Bis heute ist der Beruf des Architekten eine Männerdomäne. Seit zehn Jahren jedoch verzeichnet die TU Wien mehr Studienabschlüsse von Frauen als von Männern, Tendenz zugunsten der Frauen steigend.

Unter all den auch von Frauen ausgeübten Berufen ist der des Architekten am längsten eine Domäne des Mannes geblieben, weil zu dessen Ausübung nicht allein originelle, sondern gleichzeitig und in sehr weitgehendem Maße auch aggressive Talente, bis zu diktatorischer Strenge gegenüber maskuliner Brutalität, zu bewähren sind“, schrieb der Publizist und Architekt Hans Adolf Vetter in einer der „schaffenden Frau“ gewidmeten Ausgabe der Monatsschrift „Profil“ der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs (ZV) im Jahr 1933. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade einmal vier Frauen Mitglied der ZV, die 1907 mit dem Zweck gegründet worden war, die Standesinteressen der freischaffenden Architekten zu vertreten und die künstlerische Qualität in der Architektur zu sichern.

Bedenkt man, dass Frauen in Österreich erst ab 1919 zum Architekturstudium zugelassen waren, verwundert es nicht, dass der Beruf in den 1930er-Jahren eine Männerdomäne war. Er ist es bis heute. Seit zehn Jahren jedoch verzeichnet die TU Wien mehr Studienabschlüsse von Frauen als von Männern, Tendenz zugunsten der Frauen steigend, 61 Prozent waren es 2021. In der Berufspraxis bildet sich dieser Frauenüberhang noch nicht ab. Der Frauenanteil der im Fachgebiet Architektur registrierten Mitglieder der Ziviltechnikerkammer beträgt ein Fünftel. Bedenkt man die notwendigen Praxisjahre, ehe sich Absolventinnen Architektin nennen dürfen, wird es noch dauern, bis sich die Quote der im Studium annähert.

Die österreichische Architekturgeschichtsschreibung erweckt den Eindruck, als hätten Frauen jahrzehntelang nur in Ausnahmefällen Relevantes beigetragen. Erst seit sich eine zunehmende Zahl an Forscherinnen systematisch auf die Spuren der Frauen in der Architektur macht, kommt mehr über die ersten Architektinnen und ihr Werk ans Licht. Sichtbar gemacht werden die „Architekturpionierinnen“ zum Beispiel auf einer gleichnamigen Website und in einer neuen Publikation, zu der die Mitgliederakten im Archiv der ZV wertvolle Anhaltspunkte lieferten. Die Kunst- und Architekturhistorikerin Ingrid Holzschuh befasst sich seit einigen Jahren mit dessen Aufarbeitung. Gemeinsam mit der Kunstgeschichteprofessorin Sabine Plakolm-Forsthuber von der TU Wien legte sie nun den vom Grafikbüro seite zwei vorzüglich gestalteten Band „Pionierinnen der Wiener Architektur“ vor.

Elitärer Männerklub

In der kollektiven Wahrnehmung war die ZV stets ein elitärer Männerklub. Geführt von Präsidenten wie dem Gründer Ludwig Baumann, später Siegfried Theiß, Clemens Holzmeister, Erich Boltenstern, Eugen Wörle oder Hans Hollein. Es dauerte bis in die 1980er-Jahre, ehe mit Maria Auböck, Margarethe Cufer und Bettina Götz die ersten Frauen in den Vorstand des Landesverbandes für Wien, Niederösterreich und das Burgenland einzogen. Als 2007 mit Marta Schreieck die erste Frau Präsidentin wurde, änderte sich der Name des Vereins auf Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs; aktuell steht mit Maria Auböck die zweite Frau an der Spitze. Diese Konstellationen beförderten zweifellos das Interesse an der Aufarbeitung des Archivs, insbesondere im Hinblick auf die Frauen in der ZV. Für den Zeitraum von 1925 bis 1960 konnten bis dato 58 weibliche Mitglieder festgestellt werden. Selbst dem Fachpublikum sind nur wenige der Namen geläufig. Dabei waren die Aufnahmekriterien streng.

Bis 1938 war der Abschluss des Architekturstudiums an einer der Meisterschulen der technischen Hochschulen, der Akademie der bildenden Künstler oder einer gleichgestellten Hochschule im Ausland Voraussetzung, und es galt eine mindestens fünfjährige erfolgreiche Tätigkeit im Atelier eines anerkannten Architekten nachzuweisen. Die erste Frau in der ZV war Ella Briggs, nach ihr Leonie Pilewski, beide 1925 aufgenommen, was nur durch den Umweg über ein Studium in Deutschland möglich war. Mit ihrer beider und neun weiteren Biografien stellt das Buch exemplarisch Lebenswege und Karrieren im Kontext der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen vor.

Für viele der ersten Architektinnen fiel der Berufseinstieg in die Zeit des Nationalsozialismus. Manche traten der NSDAP bei, aus Überzeugung oder des beruflichen Fortkommens wegen, andere mussten emigrieren. Als viele männliche Kollegen zum Kriegsdienst eingezogen waren, war an Hochschulen und in der Praxis die Kompetenz von Frauen gefragt – bis nach dem Krieg Frauen häufig wieder zugunsten der zurückkehrenden Männer aus dem Berufsfeld gedrängt wurden.

Wohnhaus für Alleinstehende

Eine, die es schaffte, ein respektables Werk zu hinterlassen, ist Edith Lassmann (1920–2007). In der Nachkriegszeit war sie ehrenamtlich für den Bund Österreichischer Frauenvereine als Beraterin für die Adaptierung zerstörter Wohnungen tätig. Für die 1949 gegründete Gemeinnützige Baugenossenschaft berufstätiger Frauen entwickelte sie das Konzept eines Wohnhauses für alleinstehende berufstätige Frauen, das 1954 in der Hadikgasse 112 als eleganter Bau mit feingliedrigen Balkonen und ausgestattet mit Annehmlichkeiten wie Zentralheizung, Müllschlucker und Dachterrasse umgesetzt wurde. Sie plante das erste Pensionistenheim der Stadt Wien, den Sonnenhof in Stadlau und beim Wettbewerb zur „Stadt des Kindes“ belegte sie den zweiten Platz hinter Anton Schweighofer.

Ihre spektakulärste Bauaufgabe war eine Reihe an Planungen im Zuge der Errichtung des Kraftwerks Kaprun. Den Auftrag erhielt sie in Folge ihrer Teilnahme beim geladenen „Ideenwettbewerb für die Ausbildung der Limbergsperrenkrone“, wo sie nur Dritte wurde – womöglich, weil der Beitrag erst als der einer Frau identifiziert werden konnte, als es zu spät war. In der zeitgenössischen Berichterstattung fand das Mitwirken einer Frau an einer stark mit männlichen Mythen konnotierten Großbaustelle keinen Widerhall. Erst die jüngere Zeitgeschichtsforschung (durch Frauen) würdigte ihre Leistung.

Dutzende Biografien von Architektinnen gilt es noch aufzuarbeiten. Jahrzehntelang fokussierte die vornehmlich von männlichen Autoren erzählte Architekturgeschichte auf männliche Protagonisten. Es ist also an der Zeit, dass die weiblichen Akteurinnen nicht nur in den – sehr wertvollen – „Frauenpublikationen“ anerkannt werden, sondern Eingang in Lexika und Übersichtswerke finden.

„Pionierinnen der Wiener Architektur – Das Archiv der Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs (ZV)“, hrsg. von: Ingrid Holzschuh, Sabine Plakolm-Forsthuber (Birkhäuser).

6. Januar 2023 Spectrum

Lascher Umgang mit historischer Substanz: Pionierbau in Wien-Neubau

Ein Fabriksgebäude zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse repräsentiert die technologisch innovative Zeit der Jahrhundertwende in Wien. 117 Jahre hat es gut überstanden. Was kommt jetzt?

Es ist vielleicht eines der authentischsten Gebäude im siebten Wiener Gemeindebezirk: Das auf einer Parzelle zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse errichtete Fabriks- und Werkstättengebäude der Brüder Demuth markiert einen Wendepunkt im Bauen. Ab den 1860er-Jahren ist das von Anton Demuth begründete Unternehmen, das unter anderem Maschinen für die Textilindustrie erzeugte, am Standort nachweisbar. Seine Söhne Carl und Edmund errichteten den Fabriksneubau im Hof, mit dem die Schlosserei und Metallstreckerei die Wandlung zum „fabriksmäßigen Betrieb des Maschinenbaugewerbes“ vollzog. Im Juni 1905 wurden die Pläne eingereicht, im Oktober die Baubewilligung erteilt. Schon im Frühjahr 1906 war der Bau fertig, der sich nun im Zuge von Forschungen eines Teams um Otto Kapfinger als Pionierbau der Eisenbetonarchitektur erweist. Die erst später errichteten straßenseitigen Wohnhäuser erscheinen im Vergleich dazu konservativ und bieder.

Errichtet wurde der viergeschoßige Fabriks-Trakt von der Baufirma Ed. Ast & Co., die zusammen mit Firmen wie G. A. Wayss, Pittel + Brausewetter oder Rella eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung der neuen Eisenbetontechnik spielte und im Tiefbau wie im Hochbau die konstruktive Grundlage des modernen Wiens schuf. Der armierte Beton ermöglichte gegenüber dem Ziegelbau schlanker dimensionierte Konstruktionen von hoher Tragfähigkeit mit größeren Spannweiten und offeneren Grundrissen. Eduard Ast erwarb 1989/99 die Lizenz des damals führenden Betonbausystems des französischen Ingenieurs François Hennebique exklusiv für den Raum der k.u.k. Monarchie und entwickelte es zum eigenen System Ast weiter, kongenial unterstützt von seinem Schwager, Firmenmitinhaber und Chefingenieur Hugo Gröger.

Feingliedrige Konstruktion

Die viergeschoßige Fabrik im Hof zwischen Kaiserstraße 67–69 und Wimbergergasse 12 besticht mit einer äußerst feingliedrigen Konstruktion im System Ast, das sich gegenüber dem Hennebique-System dadurch auszeichnet, dass die Stützen an den Auflagerpunkten der Balken nicht dreiecksförmig verbreitert sind, sondern orthogonal anschließen. Von Etage zu Etage werden die Betonpfeiler, die den etwa 20 mal 20 Meter messenden Grundriss in zwölf Felder teilen, schlanker. Im Erdgeschoß, wo sie die höchste Last zu tragen haben sind sie noch mit 40 mal 40 Zentimetern dimensioniert, ganz oben nur noch halb so stark. Ebenso nimmt die Deckenstärke ab. Neun Zentimeter dünn ist die Deckenplatte unten, oben nur noch sieben. Die wahre Innovation aber liegt darin, dass hier erstmals in Wien beide Fassaden als unverkleidete, nach dem Ausschalen noch steinmetzmäßig nachbearbeitete Betonstruktur gegossen wurde.

Die großen Fensterflächen mit kleinteiliger Eisen-Glas-Rasterung verfügen abgesehen vom Erdgeschoß noch über die originalen zarten Profile, im ersten und dritten Stock wurde die alte Einfachverglasung einfühlsam durch eine zweite innere Schicht ergänzt. Dieser Prototyp der Eisenbetonarchitektur vereint bauliche Ökonomie, räumliche Flexibilität und gestalterische Eleganz. Dass er in dieser Form erhalten blieb, ist wohl auch der durchgehenden Nutzung als Betriebs- und Arbeitsstätte zu verdanken. In den 1980er-Jahren adaptierten Künstler die großzügigen hellen Räume als Atelier, verschiedene Firmen waren und sind eingemietet, seit ein paar Jahren auch eine Bürogemeinschaft von Architekten.

 Vernichtung von Kulturgut

Das Idyll trügt. Ein Immobilienunternehmen, das 2014 die Liegenschaft erwarb, bekam unter Zuhilfenahme des berühmt-berüchtigten Paragrafen 69 der Wiener Bauordnung, der Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes regelt und elastisch interpretiert wird, einen aus drei Wohnungen bestehenden zweigeschoßigen Aufbau samt Klimaaußengeräten bewilligt.

Die für das Stadtbild zuständige MA 19 gab ihren Sanctus, weil sie die Wirkung des nach der Devise „form follows paragraph“ gestalteten Aufbaus auf das örtliche Stadtbild aufgrund der Hoflage für nicht relevant hielt. Der Bauausschuss des Bezirks lehnte das Vorhaben zunächst ab, gab im Jänner 2020 aber trotz Überschreitung der höchstzulässigen Gebäudehöhe und anderer Abweichungen grünes Licht. Die Vorteile würden die Nachteile überwiegen und der Umbau eine zweckmäßigere oder zeitgemäße Nutzung des Bauwerkes bewirken.

Die Investoren verfolgen mithilfe willfähriger Architekten nur ihren Geschäftszweck. Den Vorwurf, mit der historischen Substanz und dem städtischen Gefüge zu lasch umzugehen, muss man Politik und Behörden machen. Die Vernichtung von Kulturgut ist das eine. Das andere ist, dass man keinen Zusammenhang zwischen der nicht enden wollenden Verdichtung und Ausbeutung der ohnedies schon dichtest bebauten Stadtteile und deren Überhitzung erkennen will. Die überhitzten Preise bewirken, dass jene, die zum viel gerühmten Flair des Bezirks beigetragen haben, sich das Wohnen und Arbeiten dort nicht mehr leisten können oder wollen. So viele kühlende Sprühnebeldüsen kann man zu ebener Erde gar nicht installieren, dass sie die Wärme wettmachen, die auf den Dächern von den Klimageräten zur Kühlung der Geldanlagen hinausgeblasen wird.

10. November 2022 Spectrum

Was ein Hinterhof alles kann

Zu ebener Erde neu bauen und dennoch den Boden entsiegeln: Ein Wohnhaus anstelle eines Lagers in der Wiener Neubaugasse bringt beides auf besonders ausgeklügelte Weise in Einklang.

„Die schönste Straße mit nahezu 16.000 Einwohnern ist die Neubauer Hauptstraße“, heißt es über den siebten Wiener Bezirk in einer Geschichte der Wiener Vorstädte aus dem 19. Jahrhundert. Bis heute ist die Neubaugasse so etwas wie die Hauptstraße des Bezirks: In den vergangenen Jahren verkehrsberuhigt und begrünt, behaupten sich hier immer noch nächst der längst von den internationalen Marken in Beschlag genommenen Mariahilfer Straße viele kleine, eigentümergeführte Läden. Die Straße liegt in einer Schutzzone, die historischen Strukturen sind daher noch gut ablesbar. Unter Denkmalschutz stehen sehr wenige Häuser in der Gasse. Er schützt aber ohnedies nicht vor der Abrissbirne – wie sich diesen Sommer beim Abbruch des Biedermeierhauses im Ensemble des Klosters zum göttlichen Heiland in der Kaiserstraße zeigte. Dort erlaubte es die Gesetzeslage, Schutzzone und Denkmalschutz auszuhebeln: Abbruchbewilligung nur „wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder sein Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung technisch unmöglich ist oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden kann“, steht in der Wiener Bauordnung. Unzumutbar scheint manchen bald etwas zu sein, umso wichtiger wäre es, den Paragrafen schleunigst nachzubessern.

Ein Inserat, das einen Hausteil mit Gartenwohnung in der Neubaugasse zum Verkauf feilbot, lockte neben Investoren auch eine junge Wiener Familie an. Weil die Eigentümerin mehr an einer guten Nachbarschaft als an renditeorientierten Spekulanten interessiert war, bekam die Familie den Zuschlag. Um auszuloten, was im Hoftrakt an Veränderungen möglich ist, wurde als Erstes der Rat der zuständigen Magistratsabteilung 19 und des Bundesdenkmalamtes eingeholt. Das Haus mit einem Kern aus dem 17. Jahrhundert und einer Fassade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist nicht denkmalgeschützt, wohlgemerkt.

Mikroklima verbessern

Der zur Disposition stehende eingeschoßige Lagertrakt stellte sich als Ergänzung aus der Zwischenkriegszeit heraus, das einfache Ziegelmauerwerk als untauglich, um weitere Belastungen aufzunehmen. Ein Neubau war also möglich. Das beauftragte Architektenduo Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami (PSLA Architekten) legte seinen Entwurf mit Bedacht auf die bestehende Stadtstruktur an und mit dem Ziel, Flächen zu entsiegeln, um das Mikroklima zu verbessern.

4,6 Meter schmal und 24 Meter lang, nimmt der Neubau die Gebäudeflucht des bestehenden Hoftraktes und des abgetragenen Lagers auf und fiel zwar etwas kürzer, dafür höher aus als der Bestand. Die Architekten unterteilten den Grundriss in einen Raster von 20 quadratischen Feldern, aus denen sie die dreidimensionale Struktur mit Vor- und Rücksprüngen, unterschiedlich hohen Räumen im Inneren und Terrassen auf allen Niveaus erzeugten. Das ist mehr als eine nette Spielerei, weil so in einer beengten Situation ein Maximum an Licht, Luft, Aus- und Durchblicken sowie Freiraum gewonnen wurde. Innen hat das dreigeschoßige Haus 16 verschiedene Raumlichten, außen zwölf Gebäudehöhen. Der Raster bildet sich auch an der Fassade ab: am Rhythmus der Fenster, die an der Front fixverglast und außen bündig eingesetzt wurden, damit innen mehr Raum bleibt – bei dieser geringen Trakttiefe zählt jeder Zentimeter. Öffenbare Fenster in den Seiten der Einschnitte ermöglichen das Querlüften. Dezent zeichnet sich das zugrunde liegende Quadratformat ebenso am abwechselnd horizontal und vertikal in Besenstrichtechnik strukturierten Putz ab, der in zartem Rosa die Farbe des Bestands aufnimmt. Im Hof blieben alle Bestandsbäume sowie die Kletterpflanzen zur Nachbarliegenschaft erhalten.

Terrassen unter freiem Himmel

Ergänzend kamen Staudenbeete dazu, die eine Distanz zu den ebenerdigen Räumen herstellen, und deren Umrandung aus den Ziegeln des Abbruchs geformt wurde. Die wasserundurchlässige Betonoberfläche wurde durch ein kleinteiliges Pflaster ersetzt, sodass das Regenwasser versickern kann; auf den Dachterrassen wurde die gesamte bebaute Fläche mit Gründächern kompensiert. An einigen Stellen wurde die Substratschicht so hoch ausgebildet, dass sogar Bäume und größere Sträucher gut überleben können. Eine Retentionsschicht speichert das Regenwasser, überschüssiges wird in Kaskaden bis in den versickerungsfähigen Hof abgeführt, sodass wertvolles Nass nur in Ausnahmefällen in den Kanal eingeleitet werden muss; das wird kühlend auf das Mikroklima des Hauses und des Innenhofs einwirken.

Eine „Mischform aus Garten und Haus“ nennen die Architekten ihre Schöpfung; zu ergänzen ist, dass die Abfolge der teils von Attika-Mauern flankierten Gartenterrassen sich wie eine Wohnung unter freiem Himmel anfühlt, deren Räume je nach Lust und Sonnenstand bewohnt werden können. Innen gliedern wenige Schiebetüren und viele Vorhänge die Wohnbereiche, was zahlreiche Szenarien an Offenheit und Intimität ermöglicht und die Vielfalt der Nutzungen erhöht.

Obwohl einzigartig, ist es kein überkandideltes Haus, sondern eines, das die Bedürfnisse der Familie auf entspannte Weise erfüllt. Die Tatsache, dass so etwas in der von Investoren getriebenen Entwicklung des siebten Bezirks möglich ist, entspannt ein wenig und lässt auf Nachahmer hoffen. Zugleich schwingt aber die Sorge mit, dass wie bei den ausgebauten Dachgeschoßen im Windschatten sinnvoller Einzelinitiativen die Investoren entdeckten, wie sich auf den Dächern viel Geld mit schlechter Architektur verdienen lässt. Mögen die Verantwortlichen in Stadt und Bezirk daraus gelernt haben, damit den Hinterhöfen nicht das gleiche Schicksal droht. Es zeichnet sich in der Nachbarschaft schon ab, dass nicht überall eine so sachverständige und sensibel agierende Bauherren- und Architektenschaft am Werk ist.

1. September 2022 Spectrum

Eine Oase und gar nicht teuer

Wild, organisch und magisch: So lauten die zentralen Qualitäten, die von den Begründern des Wohnprojekts Auenweide vor vier Jahren definiert wurden. Nun ist die Siedlung im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern bezogen. Ökologisch, sozial, leistbar: Es geht!

Möglichkeiten positiver Einflussnahme auf typische Wohn- und Siedlungsformen im ländlichen Raum“ lautete der Titel einer von den Architekten Herbert Prader und Franz Fehringer Ende der 1970er-Jahre initiierten und lang nach dem Tod Praders 1987 publizierten Forschungsarbeit. Sie kritisierten den „Landschaftsfraß“, die hohen Aufschließungs- und Erhaltungskosten und auch die Lebensqualität in den neuen Einfamilienhäusern. „Ist es wirklich erstrebenswert, ein Leben fernab der größeren Gemeinschaft zu leben? Ist es wirklich soo angenehm, immer auf das Auto angewiesen zu sein? Ist es wirklich das Geld oder gar eine lang belastende Verschuldung wert?“, fragten die Studienautoren. „Anstelle lebendiger Dorfgemeinschaften treten, wuchernd wie Krebsgeschwüre, unmenschliche Siedlungen, die die Kulturlandschaft unwiederbringlich ruinieren.“

Als Gegenmodell zum Üblichen stellten sie auch partizipativ entwickelte Wohnsiedlungen vor, darunter die Ökosiedlung Gärtnerhof in Gänserndorf von Architekt Helmut Deubner. Auf einem rund 6000 Quadratmeter großen Grundstück in St. Andrä-Wördern hatte Deubner rund drei Jahrzehnte nach seiner Pioniersiedlung mit einer soziokratisch organisierten Gruppe ein Wohnprojekt bis zur Umsetzungsfähigkeit fertiggeplant, das schließlich 2015 wegen einer verhängten Bausperre scheiterte. Als das Grundstück wieder zur Verfügung stand, fanden sich eine Baugemeinschaft, die ab 2018 mit Architekt Markus Zilker und seinem Team von einszueins Architektur ein neues Projekt in Angriff nahm, in dem seit heuer 45 Erwachsene und 30 Kinder leben.

„Ohne Gemeinschaft würde ich nicht in ein Dorf ziehen“, betont eine der Bewohnerinnen. Isoliert vom Rest der Dorfgesellschaft ist die Auenweide trotz der oasenhaften Anmutung nicht. In der Zuzugsgemeinde St. Andrä-Wördern gibt es eine Reihe von Initiativen, Vereinen und Unternehmen, die sich nachhaltiges, solidarisches Leben und Wirtschaften auf die Fahnen geheftet haben – da fiel es leicht, anzudocken.


Die 25 Wohneinheiten mit Größen von 35 bis 115 Quadratmetern sind in acht Mehrfamilienhäusern untergebracht, gruppiert um einen zentralen Platz. Der Platz im Zentrum mit seinen geschwungenen unversiegelten Wegen, der begrünten Mulde, in der das Regenwasser versichern kann und der mit Aushubmaterial geformte Spielhügel signalisieren auf den ersten Blick, wie hier hohe ökologische Standards mit alltagstauglicher und gleichermaßen ästhetischer Gestaltung verbunden wurden. Kein Zaun umgrenzt die Siedlung, allein die Position der Häuser schafft eine geborgene Mitte und definiert einen klaren Siedlungseingang. Der liegt dort, wo sich zwei auf runden Grundrissen komponierte Gemeinschaftsgebäude an das Wäldchen schmiegen, das im Osten etwa ein Sechstel des Grundstücks einnimmt. Hier gibt es unter anderem Platz für kleine Konzerte und andere Veranstaltungen sowie eine große Gemeinschaftsküche. Ein Terrassenplateau verbindet die Häuser und bildet Richtung Siedlungsmitte eine Art „Dorfloggia“, während sie an der Waldseite zum wildromantischen Wandelpfad und Rückzugsort unter Bäumen wird.

Die Wohnhäuser unterliegen einem hohen Grad an Standardisierung, was einerseits wirtschaftliche Gründe hat, andererseits auch der Harmonie des Erscheinungsbildes zuträglich ist. Es wurden stets Grundmodule mit gleichen Deckenspannweiten eingesetzt, die gedreht und gespiegelt zu einander ähnlichen Häusern mit (Maisonette-)wohnungen zusammengebaut wurden. Mit Satteldächern auf den dreigeschoßigen Häusern im Norden ist die Silhouette der Auenweide gut in das vorhandene Siedlungsgefüge integriert.

Unter drei straßenseitigen Häusern wurden die Stellplätze in einem nach außen kaum in Erscheinung tretenden Parkdeck versenkt. Trotz der Lage am Übergang zu den Feldern ist ein eigener Pkw nicht lebensnotwendig, der Bahnhof ist in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar. Zwei Häuser sind mit Technikräumen unterkellert, die anderen berühren die Erde nur mittels Punktfundamenten. Eine Grundwasser-Wärmepumpe, ein Niedertemperatur-Nahwärmenetz und Fotovoltaik liefern umweltschonende Energie.

Das Hauptbaumaterial ist Holz, gedämmt wurde mit Stroh sowie Jute aus recycelten Kaffeesäcken. Außen schützt eine hinterlüftete Holzfassade, innen kamen statt Gipskartonwänden Lehmbauplatten und als Oberfläche ein Lehmputz zum Einsatz. Möglichst naturnahe, gesunde und in der Entsorgung unproblematische Baustoffe, lautete die Devise. Während es im privaten Einfamilienhausbau wie auch im mehrgeschoßigen Wohnbau diesbezüglich meist heißt, „aus Kostengründen nicht möglich“, mussten hier keine Abstriche gemacht werden. Das hat u. a. damit zu tun, dass nach vorheriger Anleitung durch Fachleute einfachere Arbeiten wie das Anbringen des Lehmputzes oder die Verlegung der Terrassenbeläge die Gruppe im Selbstbau erledigte.

Zur Leistbarkeit trug auch die Finanzierungsform bei. Zur Hälfte wurde über das relativ neue Modell Vermögenspool finanziert. Das funktioniert so, dass kleinere und größere Anleger:innen, die nicht zwangsläufig in der Siedlung wohnen, ihr Geld in ein sinnvolles Projekt mit realem Gegenwert investieren, statt es dem Finanzmarkt zu überantworten. Die Einlagen werden treuhänderisch verwaltet, sind in Höhe der Inflation wertgesichert und können bei Bedarf entnommen werden. So war es möglich, dass für den einmaligen Finanzierungsbeitrag von 1100 Euro pro Quadratmeter nicht zwangsläufig die Bewohner selbst aufkommen mussten, womit auch weniger finanzkräftige Menschen in der Siedlung wohnen können. Eigentümer der Siedlung ist der Verein Wohnprojekt Wördern, die Bewohner:innen sind Vereinsmitglieder und mieten ihre Wohnungen um neun Euro pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten und Heizung, womit man durchaus mit dem Segment des geförderten Wohnbaus konkurrenzfähig ist.

Wenn Architekt und Bewohnerinnen von den Mühen der Projektentwicklung berichten, dann unterscheiden sich die Problemstellungen insofern von jenen der Häuslbauer oder Bauträger, dass sie lustvoller und kreativer bewältigt wurden. Neben den Architekten hatten auch einzelne Vereinsmitglieder Erfahrung mit selbstorganisierten Wohnprojekten, womit in Eigenregie hochprofessionell agiert werden konnte. Zwei halbtags angestellte Vereinsmitglieder kümmerten sich um die Projektkoordination. Gemeinsam und achtsam mit der Natur besser leben: Die Auenweide zeigt, dass und wie es geht.


Eine Bauvisite der Reihe „Orte vor Ort“ gibt am 16. September ab 16.30 Uhr Gelegenheit zum Lokalaugenschein. Infos und Anmeldung: www.orte-noe.at

27. Juni 2022 Spectrum

Was ist schon ein Schloss ohne Park?

Wo bleibt der Innovationsgeist? Anstatt benötigte Arbeitsplätze im Bestand von Schloss Droß unterzubringen, sollen im Park ein Neubau und Autoabstellplätze errichtet werden. Auftraggeber: die Bundesforste – in deren Leitbild das Bewahren von Natur- und Kulturgütern festgelegt ist.

Nicht mit Holz, sondern mit Immobilien machen die Bundesforste die meisten Gewinne, ist im jüngsten Nachhaltigkeitsbericht zu erfahren. Gleich neben der Jubelmeldung über Rekordergebnisse aus Grundstücksverkäufen, Baurechtsvergaben und die Nachfrage nach Parkflächen – womit der Bedarf an Parkplätzen für Naturerlebnishungrige gemeint ist – fällt eine andere Notiz auf: Keine andere Region sei von den Folgen des Klimawandels so betroffen wie das Waldviertel. Trockenheit und steigende Temperaturen begünstigen, dass der Borkenkäfer den Namensgeber der Region zum Absterben bringt.

Dass das eine mit dem anderen in Zusammenhang steht, scheint angesichts eines Bauvorhabens in Droß ausgerechnet in jenem Unternehmen, das sich in seinem Leitbild als Bewahrer der ihm „anvertrauten Immobilien, Flächen, Natur- und Kulturgüter“ darstellt, noch nicht angekommen zu sein. Es ist kein Novum, dass die Versiegelung von Flächen und die von der Baubranche verursachten Treibhausgase maßgebliche Treiber der Klimakatastrophe sind.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte die Schlossanlage von Droß, wenige Kilometer nördlich von Krems, in den Besitz der Bundesforste. Mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes wurde 1975 das Schloss um 1,2 Millionen Schilling an private Käufer veräußert, die in Aussicht stellten, daraus ein Ambulatorium zu machen. Die Bundesforste behielten die Wirtschaftsgebäude und die zeitgleich mit dem barocken Ausbau des Schlosses angelegten Gartenanlagen. Historische Bilder und Pläne zeugen von einer in drei Terrassen angelegten, nach allen Regeln der barocken Gartenkunst gestalteten Anlage. Gemeinsam mit der sorgfältig restaurierten mittelalterlichen, als Aufbahrungshalle genutzten Schlosskapelle ein Ort von dichtester denkmalpflegerischer Bedeutung.

Um 3,5 Millionen Euro zu erwerben

Eine „sorgliche und vor Verwahrlosung schützende Hand“ war schon 1885 in der Topografie von Niederösterreich als Wunsch für Gebäude und Garten formuliert. Für Letzteren gibt es seit einem oberstgerichtlichen Beschluss von 1967, nach dem die gestaltete Natur vom Denkmalschutz ausgenommen wurde, wenig Handhabe, wie Gerd Pichler vom Bundesdenkmalamt erklärt. Immerhin wurden in jüngerer Vergangenheit der Meierhof sowie die baulichen Strukturen des Parks, also Schlossmauer, Wegesystem, zwei Brunnenbecken und Terrassierung, unter Schutz gestellt.

Zu spät für die unterste Terrasse, die ab den 2010er-Jahren mit Einfamilienhäusern bebaut wurde: innerhalb der aus diesem Grund durchbrochenen Schlossmauer auf Baurechtsgründen, außerhalb auf verkauften Parzellen. Das Schloss erhielt nie die beabsichtigte Nutzung. Schwer sanierungsbedürftig steht es aktuell um 3,5 Millionen Euro zum Verkauf. Zugleich lancieren die Bundesforste im Schlosspark einen Büroneubau, der den bisherigen Standort des Forstbetriebs Waldviertel-Voralpen in Gneixendorf ersetzen soll. Das dortige Gebäude sei in die Jahre gekommen und entspreche nicht mehr den Anforderungen, eine Sanierung sei „kostenseitig nicht zielführend“. Fünf Architekturbüros wurden im Frühjahr eingeladen, einen Vorentwurf für einen „energetisch hochwertigen“ Neubau in Massivholzbauweise auf einer nicht aufgeschlossenen Fläche im Park zu liefern – im am wenigsten attraktiven Teil, wie man versichert. Einen asphaltierten Autoabstellplatz für jeden der 20 Mitarbeiter braucht es auch, zudem Besucherparkplätze und eine Anbindung an die Straße.

Ist es in Zeiten wie diesen angebracht, einen Neubau in die grüne Wiese zu setzen, statt vorhandenen Bestand zu aktivieren? Von der Umnutzung der bestehenden Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Meierhofes sei man abgekommen: zu kompliziert. Einen Neubau ins Meierhof-Areal zu integrieren wäre insofern problematisch, als hier die einzige Entwicklungsfläche für das Schloss sei, sollte dies jemals von einem Investor wachgeküsst werden. Im Mai haben die Projektanten ihre Entwürfe vorgestellt. Bis auf einen, der den Neubau beim Meierhof anordnete und daher ausgeschieden wurde, hielten sich alle an die Vorgabe und platzierten das Gebäude im Grünland. Beurteilt wurden die Beiträge von Mitarbeitern der Bundesforste. Ein Juryprotokoll, wie es in einem derart sensiblen Umfeld und einem im Besitz der Republik befindlichen Unternehmen aus Transparenzgründen erwartbar wäre, gibt es nicht. Darauf angesprochen, rudern die Bundesforste zurück.

Vergaberechtliche Mängel

Man prüfe derzeit diverse Möglichkeiten für einen Neubau des Betriebsgebäudes, eine Überlegung betreffe das Areal im Schlosspark, da land- und forstwirtschaftliche Betriebsstandorte im Grünland errichtet werden dürfen, teilt Unternehmenssprecherin Andrea Kaltenegger mit. „Architekt:innen wurden eingeladen, erste Ideen für eine mögliche Umsetzung zu entwickeln.“ Da man sich noch in der Entscheidungsfindungsphase befinde, wurde dezidiert kein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, daher auch keine Jury und kein Juryprotokoll. Aufgrund des geringen Projektvolumens von unter zwei Millionen Euro wäre dies rechtlich nicht notwendig, zudem unwirtschaftlich. Es wurde entschieden, mit dem ausgewählten Architekturbüro Hochform „nächste mögliche Entwicklungsschritte zu setzen und zu klären, ob und wie ein solches Bürostandort-Projekt sinnvoll umsetzbar“ sei. Man stehe in engem Austausch mit Bundesdenkmalamt und Gemeinde. Die Denkmalspfleger kennen das konkrete Projekt noch nicht und können daher keinerlei Aussagen dazu machen.

Die Bundesforste wären gut beraten gewesen, sich im Vorfeld bei der Ziviltechnikerkammer zu erkundigen. Die Auslobung des Verfahrens, das kein Wettbewerb sein will, aber zugleich die Leistungen „Generalplaner und Bauaufsicht“ ausschreibt, weise vergaberechtlich einige Mängel auf, so Heinz Priebernig vom für Niederösterreich zuständigen Wettbewerbsausschuss der Ziviltechnikerkammer. Je nach Auftragssumme hätte sie österreich- oder EU-weit angekündigt werden müssen. Spätestens dann wären die Defizite aufgefallen.

Vor fünf Jahren beschloss der Ministerrat die Baukulturellen Leitlinien des Bundes. Die darin definierten qualitätsorientierten, transparenten Abläufe für Vorbereitung, Planung und Umsetzung von Projekten scheinen bei den ausgegliederten Gesellschaften weniger im Vordergrund zu stehen als schnelle Erlöse. Als Staatsbürgerin erwarte ich mir von einer Aktiengesellschaft im Eigentum der Republik breitere Expertise und Innovationsgeist – von der Politik entsprechende Anweisungen. Unverständlich, warum für einen Betrieb, der über 4000 Bauten sein Eigen nennt, die Versiegelung neuer Flächen die erste Wahl ist. Traut man Architekt:innen nicht zu, 20 moderne Arbeitsplätze denkmalgerecht im Bestand unterzubringen?

26. Januar 2022 Spectrum

Bauland, günstig abzugeben

Siedlungsentwicklung nach Milchmädchenart: Pro Minute werden in Österreich 37,4 Quadratmeter Boden versiegelt, pro Stunde 2,6 neue Gebäude fertiggestellt – zwei Drittel davon sind Einfamilienhäuser. Die Folgen der Flächenwidmung werden kaum kommuniziert.

Die Zahlen aus der Ausstellung „Boden für alle“ des Architekturzentrums Wien, die seit der Präsentation im Vorjahr durch das ganze Land tourt und noch bis 27. Februar in Waidhofen an der Ybbs zu sehen ist, sind eindrücklich. Manifest werden sie zum Beispiel nördlich von Hollabrunn im Weinviertel. Wenn man das ausgedehnte Gewerbegebiet, das die Ortschaft Suttenbrunn zum Wurmfortsatz der Bezirkshauptstadt degradiert, hinter sich gelassen hat, wächst einem seit zehn Jahren das Siedlungsgebiet von Schöngrabern entgegen. Trat früher das Dorf einen Kilometer vor der Ortseinfahrt nur durch die romanische Kirche und Scheunen in Erscheinung, breitet sich das Siedlungsgebiet nun rasant ins beste Ackerland aus. „Siedlungen nach solchem Planschema sind besonders häufig im unteren Manhartsberg anzutreffen, deren schönste, regelmäßigste Anlage Schöngrabern bei Oberhollabrunn ist“, schrieb der Bauforscher und Denkmalpfleger Adalbert Klaar in seiner Analyse der Siedlungsformen Niederösterreichs im Jahr 1930.

Während selbst der Strukturwandel in der Landwirtschaft dem auf das Mittelalter zurückgehenden Typus des planmäßig angelegten Angerdorfs wenig anhaben konnte, zerstörten zehn Jahre Siedlungsentwicklung das Bild nachhaltig – hier reden wir noch gar nicht von der Gestalt der Bauten. Rund 80 Einfamilienhäuser sind allein in der Neubausiedlung Hübelgrund auf umgewidmetem Ackerland entstanden. Während in dieser Zeit die Bevölkerung der aus fünf Katastralgemeinden bestehenden Gemeinde Grabern um 22 Prozent wuchs, stieg sie von 2011 bis 2021 allein in Schöngrabern von 752 auf 1048 Einwohner, also um fast 40 Prozent. Zum Vergleich: In Wien-Donaustadt, einem Hotspot der Stadtentwicklung, kamen in der Zeit nur 25 Prozent neue Bewohner hinzu. Wer annimmt, der extreme Zuzug sei auf eine attraktive Gemeindeinfrastruktur zurückzuführen, irrt. Denn die hält mit dem Wachstum nicht Schritt.

Infrastruktur? Fehlanzeige!

Warum dennoch enormer Andrang auf Bauplätze besteht, ist leicht erklärt: Um die 20 Euro waren vor zehn Jahren für einen Quadratmeter Bauland zu bezahlen, maximal 35 Euro sind es aktuell. Ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass in Nachbargemeinden das Dreifache eher die Regel als die Ausnahme ist. Zugleich platzen Volksschule und Hort aus allen Nähten. Außer einem Bäcker gibt es kein Lebensmittelgeschäft mehr. Ein Bahnanschluss fehlt, der letzte Bus nach Hollabrunn fährt um 18 Uhr, in die Gegenrichtung ist vor 19 Uhr Schluss mit öffentlichem Verkehr. Doppelgaragen vor den neuen Eigenheimen künden davon, dass ein Auto pro Familie nicht reicht, um den Pendleralltag zu bewerkstelligen. Wann der 2020 beschlossene Volksschulneubau im benachbarten Mittergrabern kommt, steht in den Sternen. Der in der Gemeindezeitung veröffentlichte Budgetvoranschlag für heuer sieht nun einmal den Ankauf eines Klassencontainers vor. Zwei Zeilen davor macht eine andere Position, stolze 800.000 Euro, unter dem Titel „Grundankäufe für Siedlungsentwicklung“, stutzig. In der lokalen ÖVP-Parteizeitung liefert der Bürgermeister die einfachen Argumente dafür: Mangels Tourismus und Betriebsgebieten blieben nur die von der Einwohnerzahl abhängigen Ertragsanteile von Bund und Land sowie eben Erträge aus Grundstücksverkäufen, um die Gemeinde auf wirtschaftlich gesunde Beine zu stellen.

Das erinnert an die Fabel vom Milchmädchen Lisette, das auf dem Weg zum Markt erträumt, was es von den Einnahmen für die Milch alles wird kaufen können – und im Freudensprung darüber den Topf ausleert. Wie hoch der Preis ist, den die Kommune durch unvorsichtiges Wachstum und hemmungslose Bodenverschwendung zu tragen hat, geht aus den Rechnungen der Zersiedler nicht hervor. Abgesehen von der Errichtung der notwendigen Straßen, Wasser- und Kanalanschlüsse, ist auch deren Instandhaltung zu kalkulieren. Was bedeutet der Bodenfraß für die wenigen verbliebenen landwirtschaftlichen Betriebe, denen zur Produktion weniger und teurer werdende Ackerflächen zur Verfügung stehen? Was bedeutet das Wachstum für das soziale Zusammenleben? Wo finden sich – jenseits von Feuerwehrfest und Kirtag – Orte der Begegnung? Wo es kein fußläufig erreichbares Geschäft gibt, verlagern sich die Einkäufe umso mehr ins Internet, es steigen Transportverkehr und Bodenverbrauch. Was passiert, wenn sich auf nahen Äckern ein Logistikzentrum ansiedelt, um die Versorgung und das Retourenmanagement effizienter zu gestalten? Ein notwendiges Übel, das den Ruf nach Lärmschutz laut werden lässt? Wer bezahlt dafür? Die Allgemeinheit.

Die Ausstellung „Boden für alle“ erläutert ebenso gut recherchiert wie anschaulich die historischen, politischen und rechtlichen Hintergründe sowie die wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhänge der Bodenfrage. Sie zeigt aber auch, dass es Wege gibt, dem Teufelskreis zu entkommen und die Entwicklung in gesündere Bahnen zu lenken. Eigens für die niederösterreichische Ausstellung machte man den Güterverkehr zum Thema. Jakob Tuna erklärt in seiner Diplomarbeit „Wohin mit der Logistik“, warum es notwendig ist, die Logistik in der Raumplanung stärker zu berücksichtigen, und legt einen Entwurf für ein entsprechendes sektorales Raumordnungsprogramm für Niederösterreich vor.

Von der Fabrik zum Gartencenter

Man sollte sich auch damit befassen, wie Bestehendes adaptiert werden kann. Ein Forschungsteam an der New Design University St. Pölten zeigt anhand des industriellen Leerstandes im Bezirk Baden auf, dass diese Strukturen zum einen über Jahrzehnte und Jahrhunderte durch einfache Maßnahmen wieder für andere Zwecke nutzbar zu machen sind, und zum anderen viel Bestand da ist, der nur darauf wartet, wieder sinnvoll verwendet zu werden, anstatt immerzu neue Flächen zu versiegeln. So wurde zum Beispiel die aus dem 19. Jahrhundert stammende Bettfedernfabrik in Pfaffstätten im Vorjahr ohne allzu großen Aufwand in ein Gartencenter der Firma Starkl verwandelt. Gleichermaßen ist es an der Zeit, neue Wohnformen innerhalb bestehender Siedlungsstrukturen zu entwickeln.

Raumordnung und Siedlungsentwicklung sind komplexe Themen. Milchmädchenrechungen helfen da nicht. Die Schuld an der Misere wird oft (und oft nicht zu Unrecht) den Bürgermeistern umgehängt. Die örtliche Raumplanung fällt in den Wirkungsbereich der Gemeinden, dem Land obliegt aber die Prüfung des Geschehens. Wie sehr Ziele wie Bodenschutz und Klimaschutz die kommunalen Siedlungsentwicklungen leiten, hängt also auch davon ab, wie sehr die Rolle als Aufsichtsbehörde wahrgenommen wird. Aber auch davon, wie transparent die Folgen einer Flächenwidmung an die Bevölkerung kommuniziert werden.

30. Oktober 2021 Spectrum

Hoppauf ohne Fahrstuhl

Was haben eine Liftkabine, ein VinziDorf, ein Steinbockzentrum, das Sigmund-Freud-Museum, eine Auferstehungskapelle und ein Schulzentrum gemeinsam? Sie alle wurden mit dem diesjährigen Bauherrenpreis ausgezeichnet.

One of the most difficult design issues: how to go from A to B?“ lautet eine handschriftliche Notiz auf einem Grundrissplan der Villa dall'Ava in Paris, den Rem Koolhaas anno dazumal in seinem Buch „S, M, L, XL“ veröffentlichte. Die Herstellung einer guten Verbindung von A nach B hat auch die Verantwortlichen der Stadt Steyr immer wieder beschäftigt. Die Stadtteile Steyrdorf und Tabor sind durch eine 35 Meter hohe Geländestufe getrennt. Bis vor genau 70 Jahren, Ende Oktober 1951, die Taborstiege eröffnet wurde, war man nur auf Umwegen auf die Höhe gelangt. Als „eine dem Gelände und dem Baucharakter der Umgebung vorzüglich angepasste Stiege“ beschrieb ein Reiseführer aus den 1950er-Jahren die nach Plänen von Architekt Josef Preyer errichtete und seit 2009 denkmalgeschützte Anlage, die mit 243 Stufen nach oben führt.

Statt der Treppe einen Aufzug zur Überwindung der Höhendifferenz hätte sich nicht nur der Lehrkörper des Bundesrealgymnasiums am Michaelerplatz gewünscht, als in den 1960er-Jahren einige Klassen in einer Expositur auf dem Tabor untergebracht waren: Während der fünfminütigen Pausen mussten die Lehrer die steile Stiege – angespornt von Hoppauf-Rufen der Schüler – hinaufsprinten, ehe der Direktor die Anfeuerungen strengstens verbot, berichtet die Maturazeitung des Jahres 1967. Der Architekt Helmut Reitter war zu dieser Zeit Gymnasiast in Steyr. 2017 gewann er den Wettbewerb für einen Lift auf den Tabor, dem mehrere Machbarkeitsstudien vorangegangen waren. „Mehr Reichtum kann Einfachheit nicht generieren“, heißt es im Juryprotokoll zum Siegerprojekt, das im Sommer vergangenen Jahres eröffnet und heuer mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet wurde. Der Zugang führt durch einen Teil des im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern errichteten Luftschutzstollens. Eine Grafik vom Stollensystem und ein Text des Mauthausenkomitees erinnern an diese traurige Vergangenheit.

Schlicht und zweckmäßig

Ein paar Sekunden fährt die verglaste Liftkabine durch den Berg, ehe sie im vor dem Felsen geführten Liftturm den Blick auf die Stadt freigibt, um schließlich auf dem oberen Zugangssteg zu landen, der zugleich Aussichtsplattform ist. Ein vertikaler und ein horizontaler Balken, minimalistisch und so gesetzt, dass weder die Stiege noch die Grotte im Konglomeratgestein beeinträchtigt wird. Beton und Stahl, in der rostbraunen Farbigkeit auf die Natur und die Dachlandschaft der Stadt abgestimmt. Schlicht und zweckmäßig ist er, der Panoramalift, der ohne gestalterische Verrenkungen zu einem markanten Zeichen in der Stadt wurde, das alltägliche Wege erleichtert und bereichert.

Über zehn Jahre lang kämpfte der Grazer Pfarrer Wolfgang Pucher Seite an Seite mit Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Architekturbüro Gaupenraub gegen kleinliche Einwände, die wohl in erster Linie zum Ziel hatten, das VinziDorf für alkoholkranke Obdachlose in Wien-Hetzendorf zu verhindern. Der Bauherrenpreis dafür würdigt nicht nur das soziale Engagement, sondern auch die großartige Architektur, die trotz der prekären Umstände gelungen ist.

Die Errichtung der kleinen Siedlung aus Holzhäusern unter Bäumen und die Umwandlung eines Wirtschaftsgebäudes zum gastlichen Gemeinschaftshaus wurden dank Spenden und von Firmen geschenktem Baumaterial sowie tatkräftiger Hilfe von Schülerinnen und Schülern der HTL Mödling möglich. Nur neun Quadratmeter stehen den Bewohnern in den unter den Bäumen verteilten Häusern zur Verfügung. Bei der Gestaltung und Positionierung der Häuser wurde aber alles bedacht, was in luxuriöseren Wohnanlagen oft vergessen wird: Gedeckte Wege und auskragende Dächer schützen den Zugang zu den Wohneinheiten, keine Eingangstür liegt einer anderen gegenüber, aus keinem Fenster gibt es Einblick in ein anderes, sodass die Privatheit der Bewohner, die Mühe haben, sich mit den Bedingungen in herkömmlichen Quartieren für Obdachlose zu arrangieren, gewahrt bleibt. Hier finden sie einen achtsam gestalteten Ort vor, der ihnen Sicherheit und Geborgenheit bietet und mehr als bloß ein Dach über dem Kopf gibt.

Der Geschichte der Wiederansiedlung des Steinbocks und der Kulturgeschichte der Region ist das Tiroler Steinbockzentrum in St. Leonhard im Pitztal gewidmet. Dass neben Wissenswertem über den Steinbock hier auch die spannende Geschichte der Männer und Frauen aus dem Pitztal erzählt wird, die als Pioniere der Fotografie Porträts der Region schufen und als Wanderfotografen ganz Europa bereisten, ist dem Engagement der Gemeinde unter Bürgermeister Elmar Haid und den Architekt:innen Rainer Köberl und Daniela Kröss zu verdanken. Es ist ein Gebäude, das architektonisch und inhaltlich mit der Landschaft eins ist, keine für Tourismusdestinationen typische modische Spektakel-Architektur.

Vorstellungskraft statt Inszenierung

Geschichte und Zusammenhänge zu erläutern ist auch die Aufgabe des Sigmund-Freud-Museums in der Wiener Berggasse. Unter der Regie der Sigmund-Freud-Stiftung und Direktorin Monika Pessler sowie der Architekten Artec, Hermann Czech und Walter Angonese wurde es saniert, um neue Besucherservice-Einrichtungen erweitert und allgemein ein Museum geschaffen, das nicht die gängige Erwartungshaltung einer Inszenierung, wie es hier einmal gewesen sein könnte, erfüllt, sondern die Vorstellungskraft der Besucher stimuliert.

Viele Mitwirkende – allen voran die Mitglieder des Kapellenvereins, die selbst Hand anlegten, sowie Architekt Tom Lechner – ermöglichten auch ein weiteres preisgekröntes Objekt: die Auferstehungskapelle in Straß im Attergau. Der feine Sakralbau aus (gespendetem) Holz über einer Klammer aus gespitztem Beton ist nicht nur ein Ort der Andacht geworden, sondern ebenfalls ein Anziehungspunkt für viele Menschen aus der Umgebung.

Fichtenholz und Lärche dominieren die Raumstimmung im Schulzentrum Gloggnitz von Dietmar Feichtinger Architectes. Gefordert und realisiert wurde ein nachhaltiges Gebäude, womit einerseits die ökologischen Faktoren gemeint waren und andererseits eine Schule, die auf vielfältige Weise gestisch und funktional mit der Stadt in Dialog tritt sowie zeitgemäßen Bildungskonzepten, Inklusion und Diversität Raum gibt. Das ist so vortrefflich gelungen, dass die Stadt Gloggnitz und Bürgermeisterin Irene Gölles als Bauherrschaft geehrt wurden. Dieses vielschichtige Gebäude wie auch die anderen fünf Preisträger werden wohl nicht nur noch lange ihren Anforderungen gerecht werden, sondern ihren Benutzerinnen und Benutzern auch viel Freude bereiten.

27. August 2021 Spectrum

Hol die Sonne in den Hof!

Das von Ernst Pfaffeneder geplante Dreihaus in Obermallebarnhat nicht nur die dicksten Wände des Weinviertels. Es ist auch ein rares Beispiel für kluges Weiterbauen im Ortskern – nach der Bauphilosophie der Ahnen, mit zeitgenössischem Ausdruck.

Seit dem Mittelalter prägen kompakte Straßen- und Angerdörfer die Siedlungslandschaft des Weinviertels. Gehöft reiht sich an Gehöft, meist Zwerchhöfe; parallel zur Straße der Wohntrakt, anschließend der Längstrakt mit den Stallungen und einer den Hof abschließenden Scheune. Über Jahrhunderte entwickelte sich der Typus weiter, ohne die Dorfstrukturen aus der Balance zu bringen. Eine einfache Erweiterung der Höfe nach hinten war diesen Siedlungen ebenso eingeschrieben wie eine Vergrößerung der Ortschaften durch Anfügen weiterer Parzellen. Als „nachhaltig“ würde man dieses Siedlungslayout heute bezeichnen, als „harmonisch“ das Ortsbild. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die Bodenpolitik der Gemeinden haben beides ohne große Not vielerorts zerstört. Ab den 1970er-Jahren künden unterkellerte und aufgestockte Wohnhäuser mit breiten Fenstern von einem Bedürfnis nach einem neuen Lebensstil. Vergrößerte Toreinfahrten und mit Faserzement-Wellplatten gedeckte Scheunen trugen der maschinellen Aufrüstung Rechnung. Oft verschwanden die „Trettn“, die witterungsgeschützten Verbindungsgänge zwischen Hof und Stall.

Anfang der 1980er-Jahre leitete die Aktion „Niederösterreich schön erhalten – schöner gestalten“ einen erneuten Wandel der Ortsbilder ein. Die Fenster wurden kleiner, mit Sprossen (oft aufgeklebt) unterteilt, und Gestaltungselemente wie Faschen, Gesimse, Giebel und Säulen hielten sinnentleert Einzug an den gern in deftigen Farben gehaltenen Fassaden. Immerhin wurde innerhalb der bestehenden Strukturen modernisiert und weitergebaut, ehe die ehemals kompakten Siedlungen ausfransten, um zunächst den Bauernkindern mit frei stehenden Einfamilienhäusern den Verbleib in der Gemeinde schmackhaft zu machen und schließlich den Zuzug und die Zersiedelung zu befeuern. Höchste Zeit, mit tauglichen Konzepten der Ratlosigkeit im Umgang mit den alten Strukturen zu begegnen, um zu retten, was noch zu retten ist.

So geschehen in Obermallebarn, wo die Unternehmer- und Bauernfamilie Brandtner einen modernen Landwirtschaftsbetrieb führt. Mit Architekt Ernst Pfaffeneder gelang es, im ererbten Hof Wohnqualitäten zu etablieren, wie sie in einer Einfamilienhaussiedlung am Ortsrand niemals erreichbar wären. Straßenseitig scheint es auf den ersten Blick so, als hätte sich außer neuen Kastenfenstern und der Sanierung des Putzes inklusive fein abgestimmter dezenter Farbgebung nicht viel verändert. Tatsächlich wurden Straßen- und Hoftrakt völlig neu organisiert. Prinzipiell sind alle Häuser in der Zeile so angelegt, dass Längstrakt mit den Stallungen an der westlichen Parzellengrenze liegen, also Fensteröffnungen nach Osten haben. Da aber bereits beim Nachbarhaus im Zuge einer Neustrukturierung der Stalltrakt entfernt worden war, lag es nahe, den Hoftrakt der Brandtners von der westlichen an die östliche Parzellengrenze zu legen, um die Abendsonne in den Hof zu holen. Statt der Einfahrt im Osten führt also nun das Tor an der Westseite in eine geräumige Diele, an die straßenseitig eine an Wiener Altbauwohnungen erinnernde Zimmerflucht anschließt. Hofseitig wurde der Altbestand entkernt und in eine Sala terrena verwandelt, einen erdgeschoßigen Gartensaal, in dem Kunden und Besucher empfangen und Feste gefeiert werden, und der als öffentlichster Bereich einen Schwellenraum zu den familiären Wohnräumen bildet. Die schwarz-weiß karierten Zementfliesen auf dem Boden stammen aus der alten Volksschule, die einst vis-à-vis stand.

Um die Flügeltüren zwischen den Zimmern selbst anfertigen zu können, besorgte sich der Bauherr gebrauchte Tischlereimaschinen: Vorhandenes wiederverwerten und selbst Hand anlegen lautete Devise, ganz so, wie früher die Bauern mit Bedacht und ökonomischem Materialeinsatz ihre Höfe um- und weiterbauten. Ferner gab es 80 Paletten 25 Zentimeter starker Hochlochziegel zweiter Wahl, die der Vater des Bauherrn vor langer Zeit günstig erworben hatte. Aus diesem Materialschatz konstituiert sich der Neubautrakt, den Ernst Pfaffeneder unter drei verschieden dimensionierten Giebeldächern aus massivem zweischaligem Mauerwerk entwickelte. Die äußere Mauerwerksschicht wurde zu den Giebelachsen hin nach außen gefaltet, während die innere Schale gerade geführt wird. Die Hohlräume in den so entstandenen, bis zu einem Meter dicken Wänden wurden mit Schuttmaterial befüllt. Die tiefen Laibungen der bodentiefen Verglasungen verleihen dem Inneren Geborgenheit, die Westsonne verstärkt im Wechselspiel von Licht und Schatten den Eindruck der Faltung und Körperhaftigkeit.

Unter den mächtigen Doppelbalken, auf denen die Dachsparren aufliegen, wurden dienende Zonen wie die Küchenzeile und Sanitärzellen angeordnet. An der Rückwand lagern die Balken auf ziegeldicken Wandpfeilern. Die so entstehenden Nischen wurden für Möbeleinbauten genutzt. 3,8 bis 5,8 Meter beträgt die Raumhöhe unter den weiß lasierten Dachuntersichten, durch die Fensterbänder zusätzlich Zenitallicht von Norden einbringen. Um die Plastizität des neuen Baukörpers nicht durch die Kleinteiligkeit eines Ziegeldachs zu konterkarieren, erhielt er ein leichtes helles Blechdach. Strukturell Teil des Mehrdachhauses und der lebendigen dörflichen Dachlandschaft, hebt es sich farblich als neue Zutat ab.

In der Scheune wurde in Verlängerung des Neubaus neben Wirtschafts- und Haustechnikräumen eine Sommerküche eingerichtet, aus der sich der luftige Essplatz unter dem Scheunendach, der einen Belag aus den Dachbodenziegeln des Altbestandes erhielt, unkompliziert bedienen lässt. Das grüne Feld des Gartenhofs wird mit Holzterrassen eingefasst zum Wohnzimmer im Freien. Ein Karree aus vier Platanen spendet Schatten, Staudenrabatten und Spalierobst malen im Lauf der Jahreszeiten abwechslungsreiche Vegetationsbilder, und aus dem Nachbarshof grüßt die Krone einer pink blühenden Blutpflaume über die Mauer.

Das Dreihaus ist keine Baukunst zum Selbstzweck, sondern entstand aus dem Bedürfnis, räumliche Weite in die dörfliche Enge zu bringen. Es führt das traditionelle Bauprinzip auf authentische Weise fort, interpretiert es aber auf eine zeitgenössische Weise, die in ihrer konzeptuellen Schlüssigkeit vorbildhaft ist.

29. April 2021 Spectrum

Kleiner Eingriff, große Wirkung

Zu Tode sanierte Gründerzeithäuser gibt es zur Genüge. Wenn das Ziel der Besitzer nicht die große Rendite, sondern die pflegliche Erhaltung ist, bleibt ihre Ausstrahlung jedoch bewahrt und ihre Zukunft gesichert. Ein gelungenes Beispiel aus dem Wiener Servitenviertel.

„Tuberkelburg“ lautete einst ein Spottname für mehrstöckige Zinskasernen, deren „architektonischer Ausdruck lediglich in möglichst vielen Fenstern und zahlreichen Stockwerken gipfelte“. Denn „wer diese Burgen öfters ersteigt, unterliegt der Möglichkeit, die Lungenschwindsucht zu bekommen“, erklärt der Wiener Lokalhistoriker Wilhelm Kisch in seiner in den 1880er-Jahren erschienenen Kulturgeschichte „Die alten Straßen und Plätze von Wien's Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser“. Etliche davon entstanden auf dem Teil des Wiener Glacis, der 1853 zwischen Berggasse und Türkenstraße zwecks Finanzierung von Arsenal und Franz-Josefs-Kaserne zur Parzellierung und Bebauung freigegeben worden war.

Neu-Wien benannte man den neuen Stadtteil, der auf 60.000 Quadratmetern als Generalprobe für die Stadterweiterung der Ringstraßen-Ära entstand. Der erste Investor war der General Franz Schlik zu Bassano und Weißkirchen, der sich über die Jahre 1956 bis 1958 von Carl Tietz ein repräsentatives Mietpalais errichten ließ, auf das der despektierliche Spitzname nicht zutrifft.

Ob Tuberkelburg oder nicht – das Flair des Grätzels, das heute als Servitenviertel unter den beliebtesten Wiener Wohngegenden rangiert, machen nicht nur die zahlreichen kleinen Läden aus, sondern auch die gut erhaltenen Häuser aus der Gründerzeit. In einem davon revitalisierte kürzlich Architekt Karl Langer eine Wohnung im Hochparterre. Das geschah – wie es bei Arbeiten im Bestand immer sein sollte, aber selten passiert – erst nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte und Struktur des Gebäudes. Auf den ersten Blick im Vorbeigehen fällt daran nichts Besonderes auf. Es ist Teil einer gründerzeitlichen Straßenfront, ähnlich den Nachbargebäuden, doch im Innehalten lässt sich rasch ablesen, dass es hier nicht bloß um möglichst viele Fenster und Stockwerke ging.

Für eine wohlhabendere Schicht

Mit drei Obergeschoßen hat es um eines weniger als die Nachbarhäuser, mit sieben Fensterachsen zwei weniger als das gleich breite Haus gegenüber. Dass es für eine wohlhabendere Gesellschaftsschicht gebaut wurde, darauf deuten auch Fassadengliederung und -dekor hin. Die Betonung durch Eckrisalite und eine zumindest dezente Akzentuierung einer Beletage – die Bezeichnung trifft hier nicht zu.

Das Haus wurde 1871 nach Plänen des an der Akademie der bildenden Künste bei Pietro Nobile ausgebildeten Architekten Anton Baumgarten errichtet, etwa zeitgleich mit seinem Palais Esterházy in Budapest. Obwohl er das Bild der Wiener Ringstraßen-Zone mit zahlreichen Mietshäusern mitprägte, ist Baumgarten wenig bekannt – wohl auch, weil seine Bauten zu Lebzeiten wenig publiziert wurden. Wie ein Blick in die historischen Adressbücher zeigt, waren es in den ersten Jahrzehnten vornehmlich Kaufleute, Banker und Akademiker, die das Haus bewohnten.

Im ursprünglichen Grundriss wurde pro Wohnung ein ganzes Geschoß eingenommen. Auch hofseitig wurde auf Fassadendekor nicht verzichtet. Ende des 19. Jahrhunderts wurden nachträglich zarte Eisenbalkone angefügt. Da sie nicht den Hauptwohnräumen zugeordnet sind, dienten sie wohl als Wirtschaftsbalkone. Und doch sind sie um so vieles eleganter – und vermutlich auch nicht schwieriger zu montieren gewesen – als die heute so beliebten Fertigbalkone aus feuerverzinktem Stahl, die allerorts die Gründerzeithäuser um private Freiräume „aufwerten“, dem Straßenbild aber den Charme einer Legebatterie verleihen. Spätestens 1905 kam das Haus für längere Zeit in den Besitz der Familie des Textilfabrikanten Ludwig Ritter von Liebieg. Deren Wappen findet sich bis heute an der Verglasung des Tors zum Hof, wo noch die ehemalige Kutschenremise und der Zugang zum Pferdestall im Keller erkennbar sind.

Das Haus ist dank der Obsorge der privaten Besitzerinnen in einem großartigen Zustand. Nicht geschleckt zu Tode saniert, sondern gut gepflegt und trotz vieler Veränderungen über anderthalb Jahrhunderte ein Paradebeispiel für die Flexibilität und Qualität der guten Gründerzeitbauten. An Nutzungen finden sich unter anderem wechselnde Textilfirmen, ein technisches Büro, ein Radiogeschäft, ein Schuhsalon sowie ein Hutmodenhaus.

Der Modisterei wurde auch in jenen Räumlichkeiten nachgegangen, die Karl Langer nun fit für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts machte. Erreichbar sind sie durch einen eigenen Zugang gegenüber dem Hauptstiegenhaus. Schon der kurze Treppenaufgang kündigt eine große architektonische Virtuosität an. Über einen seitlich verglasten Windfang mündet er in einen überhohen Vorraum, von dem über ein paar Stiegen Richtung Hof zwei weitere Zimmer erreichbar sind. Zuletzt als Hausmeisterwohnung genutzt und in recht desolatem Zustand wären die Qualitäten dieser Rauminszenierung leicht zu übersehen gewesen. Darum, sie wieder ins Licht zu rücken und mit seinen eigenen Implantaten möglichst minimalistisch zu bleiben, ging es Langer zum einen. Zum anderen war es ihm daran gelegen, dass im Hinblick auf eine langfristige flexible Nutzbarkeit hier sowohl gewohnt werden als auch ein Büro eingerichtet werden kann.

Ursprünglich reichte die Wohnung bis zur Straßenfassade. Im Zuge eines Geschäftseinbaus im Erdgeschoß wurde Ende des 19. Jahrhunderts straßenseitig ein Teil als Lagerfläche abgetrennt. Entlang dieser fensterlosen Wand wurde eine dienende Nebenraumgruppe mit Küche und Bad angeordnet, die als liegendes niedriges Prisma dem hohen stehenden Prisma des einstigen Vorraums eingeschrieben ist. Sein oberer Abschluss wurde aus schwarzen Aluminium-Lamellen gebildet, womit der Luftaustausch nach oben gewährleistet ist, das Bad aber von der im rechten Winkel dazu eingefügten Galerie nicht von oben einsehbar ist. Eine Latexbeschichtung und einbrennlackiertes Glas markieren diese Nebenzone außen wie innen in zartem Grün.

Neues Tafelparkett

Am gegenüberliegenden Ende ist eine Treppe eingefügt, die das im rechten Winkel dazu liegende „schwebende Galerieprisma“ zugänglich macht, mit dem dank der Raumhöhe zusätzliche Quadratmeter gewonnen werden konnten. Es wurde aus Buchenfurnierschichtholz konstruiert, das über hohe Festigkeit und Steifigkeit verfügt und materialsichtig eingesetzt werden kann, ohne an wohnlichem Charakter einzubüßen.

Was vom alten originalen Parkettboden noch zu verwenden war, wurde in diesem ersten Raum verlegt. In den beiden anderen Räumen kam ein neues Tafelparkett im gleichen Muster zum Einsatz. Kastenfenster, Flügeltüren und der luftig wirkende Zugangsbereich wurden sorgfältig instand gesetzt, die Decke zum Keller sicherheitshalber verstärkt. Es sind sparsame Eingriffe von großer funktionaler Wirkung, ohne die Ausstrahlung der Originalsubstanz zu mildern.

Umbau statt Abriss, bedachter Materialeinsatz, statt künftigen Sondermüll zu produzieren, und weiterverwenden, was noch gut ist – so einfach ist es, Bestehendes tauglich für heutige und zukünftige Zwecke zu machen. Um die notwendige Dekarbonisierung des Gebäudesektors zu erreichen, braucht es nicht nur neue Technologien, sondern Hirn sowie Zuwendung zu den Dingen, die da sind.

27. März 2021 Spectrum

Amt mit Ausblick

Keine Verwaltungsburg, sondern ein einladender Ort: Das neue Gemeindezentrum von Großweikersdorf setzt ein zeitgenössisches Zeichen in der Ortsmitte. Zu Besuch im niederösterreichischen Weinviertel.

Stark sanierungsbedürftig, nicht barrierefrei, längst zu klein geworden und nicht erweiterbar war das bestehende, im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammende Gemeindeamt von Großweikersdorf. Ein Neubau musste her. Überlegungen, ihn am Ortsrand nächst dem Bauhof zu errichten, wurden bald verworfen. Da aber im Ortszentrum immer weniger los war, berichtet Bürgermeister Alois Zetsch, sei klar gewesen: „Das Gemeindeamt muss am Hauptplatz bleiben.“ Dank der Lage an der Horner Bundesstraße und der Franz-Josefs-Bahn erfreut sich die Gemeinde starken Zuzugs – aus Wien ebenso wie von Waldviertlern, die näher an Wien wohnen wollen. Flächenmäßig wächst sie nicht nur durch neue Siedlungen. Die Gewerbeflächen nördlich des Ortskerns, darunter gleich drei Supermärkte – jeder mit Parkplatz –, nehmen mehr Raum ein als der alte Ortskern, wo immerhin noch Bank, Trafik, Nahversorgermarkt und zwei Gasthäuser die Erfüllung der Bedürfnisse des täglichen Lebens sicherstellen.

Es traf sich gut, dass die Gemeinde ein paar Schritte weiter von der nach Plänen von Josef Emanuel Fischer von Erlach errichteten Pfarrkirche die Liegenschaft einer seit Jahren leer stehenden Fleischerei erwerben konnte. Vier Architekturbüros wurden um Entwürfe für einen Neubau auf dem normal zum Hauptplatz und seiner zentralen Grünanlage ausgerichteten Grundstück gebeten. Nicht nur die Gemeindeverwaltung sollte Platz finden, sondern auch Raum für örtliche Vereine und eine Arztpraxis. Zudem galt es eine Anbindung an einen Gewölbekeller im Untergrund herzustellen, um weiteren Raum für Veranstaltungen im Lokalkolorit der Weinbaugemeinde zu schaffen.

Drei der eingeholten Entwürfe hielten die traufständige geschlossene Bauweise bei. Der von Philipp Buxbaum und Christian Kircher, die in Wien seit 2013 das Büro Smartvoll betreiben, tanzte aus der Reihe. „Ein Lückenschluss hätte das Areal zum Platz hermetisch abgeschlossen“, argumentiert Christian Kircher. Daher beschlossen die Architekten das Bauvolumen giebelständig mit beidseitigem Abstand in die Lücke zu schieben. Durch die Gliederung in eine Kette aus fünf seitlich gegeneinander verschobenen Giebelhäusern entstanden kleine Plätze zum Verweilen und eine der Ortsstruktur entsprechende Kleinteiligkeit. Die durchgehende Firstlinie fasst die Segmente mit unterschiedlichen Dachneigungen zu einem großen Ganzen zusammen. Gesäumt von Grün (EGKK Landschaftsarchitekten), umspült der öffentliche Raum das Gebäude und führt auf einen Platz, der in die parallel zum Hauptplatz leitende Winzerstraße mündet. Zusätzliche Parkplätze mit Elektrotankstelle, ein Spielplatz und eine neue fußläufige Verbindung wurden so gewonnen.

Die Trag- und Dachkonstruktion aus Holz um einen Betonkern bildet sich außen schon auf dem Platz vor der zurückgesetzten Fassadenfront ab, wo der überdeckte Vorbereich die Ankommenden empfängt und ein offener Schlitz den Blick in Richtung Kirche freigibt. Noch einmal zurückgesetzt ein gebäudehoher Glasschlitz über dem Rathauseingang, der ankündigt, was uns innen erwartet: hohe Räume und viel Tageslicht. Von außen wird die Transparenz der Gebäudehülle hingegen nicht zelebriert. Hier wirken die schlanken seitlichen Lichtschlitze rhythmisierend im einheitlichen Kleid aus engobierten Tondachziegeln, die als hinterlüftete Fassaden bis zum Boden reichen. Farblich darauf abgestimmt die Bodenpflasterung, die vom Hauptplatz bis zur Winzerstraße durchläuft.

Den Eingang flankiert das Bürgerbüro als erste Anlaufstelle, ehe der als Wohnlandschaft gestaltete Wartebereich willkommen heißt. Er geht in eine Stufenanlage über, die ohne räumliche Trennung in den Sitzungssaal unter dem Dachgiebel führt. Seine Offenheit signalisiert eine Einladung, an demokratischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben, und so sind außer den monatlichen Gemeinderatssitzungen auch zahlreiche andere Nutzungsszenarien denkbar. Die Fichtenholzoberflächen, vor allem das über Dachfenster und seitliche Fensterflächen reichlich einfallende Tageslicht, bestimmen den Eindruck des Raumes, der trotz seiner Hallenkonfiguration äußerst behaglich wirkt.

Büros, Besprechungszimmer und Teeküche sind im Erdgeschoß angeordnet, alle leicht auffindbar und mit Fenstertüren nach außen ausgestattet. Der noch des endgültigen Ausbaus harrende Gewölbekeller ist über das Untergeschoß zugänglich, ein Außenzugang ist vorbereitet. Umspült von öffentlichem Raum – ähnlich wie das klerikale Pendant der Kirche –, ist das neue Gemeindezentrum zu einem einladenden Ort geworden, an dem sich außen wie innen lebendiges Miteinander – ob zufällig oder geplant – entfalten kann.

Welches Gebäude man als Haus für die Bürger haben will, wurde von den gewählten Mandataren entschieden. Die Frage, warum kein Architekturwettbewerb mit einer Fachjury ausgelobt wurde, beantwortet der Bürgermeister kurz und bündig: „Wir wollten es uns selbst aussuchen.“ Erfahrungen aus anderen Gemeinden hätten gelehrt, dass zu starke Mitbestimmung durch Fachleute von außerhalb die Gefahr berge, ein Siegerprojekt zu erhalten, mit dem am Ende die Gemeinde nicht glücklich sei. Nun gibt das rundum gelungene Gemeindezentrum der Strategie der Großweikersdorfer recht. Die Skepsis gegenüber dem Instrument Architekturwettbewerb zeigt aber auch auf, dass es dringend Wettbewerbsszenarien braucht, in denen sich die Kommunen nicht als Statistinnen eines von externen Experten choreografierten Verfahrens wiederfinden. Hier ist alles gut gegangen, wohl auch, weil klare Vorstellungen vorhanden waren, was man will, und man offen genug gegenüber einem unkonventionellen Vorschlag war.

Daran, dass das frei stehende, in Häuser aufgeteilte Gebäude auch eine gute Wahl für Krisenzeiten sein wird, dachte in der Planungszeit wohl noch niemand. Heute zeigt sich, dass das pandemiebedingt noch nicht in Betrieb gegangene Vereinshaus eine vorzügliche Coronavirus-Teststraße abgibt. Als eigene Einheit inmitten von Rathaus und Arztpraxis gelegen, lässt sich mit dem separaten Eingang an der Nordseite und dem Ausgang über die Terrasse an der Südseite der Ablauf perfekt organisieren. Sobald möglich, soll heuer das offizielle Eröffnungsfest nachgeholt werden, dann wird das klug gesetzte Gefüge erstmals seine Potenziale ausspielen können und ganz gewiss auch über eine längere Zukunft unter Beweis stellen.

12. Januar 2021 Spectrum

Aufbruchstimmung – Sankt Pölten gibt den Ton an

Offene Kommunikation, Bürgerbeteiligung, transparente Wettbewerbe, pfleglicher Umgang mit der Substanz: Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas blieb zwar erfolglos, verhalf der niederösterreichischen Hauptstadt aber zu einer neuen Planungskultur.

Nachhaltig verfestigte sich das Bild der farblosen Provinzstadt – vor allem in den Köpfen jener, die Sankt Pölten nicht kennen. Als attraktive Stadt mit Potenzial wurde Sankt Pölten trotz zunehmend dynamischer Entwicklung und einer lebendigen Kulturszene von außen kaum wahrgenommen; auch die Innensicht war eine nur mäßig stolze. Hier das Regierungsviertel und der Kulturbezirk des schwarzen Landes, da die rote Arbeiter-, Kultur-, Bildungs- und Barockstadt. Ineinander verquickte und doch einander fremde Universen, die nicht so recht zusammenwachsen wollen, weder mental noch stadträumlich. Als „Ehefrau, die immer fleißig, geduldig, fruchtbar und vernünftig war, für Make-up blieb keine Zeit“, beschrieb der Schriftsteller Alfred Komarek Sankt Pölten vor zehn Jahren zum 25-Jahr-Jubiläum als Hauptstadt Niederösterreichs. Im Zuge der in partnerschaftlicher Allianz von Stadt und Land betriebenen Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 wurde Beziehungsarbeit geleistet. Nie wirkte die Stadt jünger und selbstbewusster als in dieser Phase, in der in Bürgerforen und Arbeitskreisen an der Zukunft gearbeitet wurde. Als im November 2019 der Kulturhauptstadttitel an die Kaiserstadt Bad Ischl ging, trat in der Sankt Pöltner Aufbruchsstimmung Plan B in Kraft: die Umsetzung der Kernprojekte der Bewerbung. Für eines davon, das KinderKunstLabor, wird Ende Jänner der Architekturwettbewerb entschieden sein, und vor Weihnachten 2020 nahm endlich der vehement eingeforderte Gestaltungsbeirat seine Arbeit auf.

Vorangetrieben wurde auch ein Vorhaben, das Stadtbild und urbanes Zusammenleben stark beeinflussen wird. Schon während des Bewerbungsprozesses entstand unter reger Beteiligung der Bevölkerung die Leitkonzeption Öffentlicher Raum für die Weiterentwicklung der Innenstadt. Ein Schlüsselbereich ist der Promenadenring um die Altstadt. Derzeit in erster Linie ein autodominierter Verkehrsraum, soll er in Hinkunft seinem Namen gerecht werden und als einladender Begegnungsraum sowie als Kontur der historischen Stadt gestärkt werden.

Präzisierung der Nutzerbedürfnisse

Für die Politik sei es wichtig, Argumente der Planung aus der Perspektive der Bevölkerung zu untermauern. Es bestehe sonst die Gefahr, dass aus einer großen Idee nur ein kleiner Wurf hervorgehe, so Stadtplaner Jens de Buck. Ehe im März der EU-weite Wettbewerb für Landschafts- und Verkehrsplaner zur Findung eines konkreten Konzepts ausgelobt wird, wurde daher zur Präzisierung der Nutzerbedürfnisse erneut die Bevölkerung eingebunden.

Die Corona-Pandemie brachte neue Beteiligungsformate in Gang. Via interaktiven Online-Fragebogen wurde eingeladen, Qualitäten und Defizite des Straßenzugs zu benennen sowie Bedürfnisse und Wünsche für die Zukunft zu artikulieren. In der einfach zu bedienenden Applikation konnten in einem Stadtplan aus Fußgänger-, Autofahrer- oder Radlersicht als unsicher empfunden Orte markiert oder fehlende Verbindungen eingetragen werden. Ergänzend standen in Online-Sprechstunden auf Facebook Fachleute Rede und Antwort. Carina Wenda, Mitarbeiterin im Stadtplanungsamt, war eine davon. Ohne die junge Kollegin wäre diese Form der Beteiligung nicht abwickelbar gewesen, meint ihr Chef, Jens de Buck. Die jüngere Generation in der Verwaltung habe gewiss eine geringere Hemmschwelle, soziale Medien und digitale Tools anzuwenden. Um die weniger Internetaffinen nicht auszuschließen, sei es dennoch wichtig, auf eine crossmediale Kommunikation zu setzen, betont Wenda. Die per Post versandten analogen Dialogkarten wurden vorwiegend von Personen in der zweiten Lebenshälfte – die Älteste war 92 – ausgefüllt. Digital hingegen erreichte man die Jüngeren und auch Externe, die in Sankt Pölten arbeiten oder studieren.

Die Erreichbarkeit der Zielgruppen sei entscheidend für das Resultat, ist Daniela Allmeier überzeugt. Ihr Planungsbüro Raumposition hatte bereits die Leitkonzeption erarbeitet und nun auch den Beteiligungsprozess für den Promenadenring aufgesetzt. Mehr Grün, eine klimasensitive und radfahrerfreundliche Planung sowie Kunst und Kultur im öffentlichen Raum wünschen sich tendenziell die Jungen. Bei den Älteren überwiegen konservativere, eher auf eine Behübschung abzielende Lösungen. Mit etwa 85 Prozent sei die Zustimmung zur vorgestellten Vision erfreulich hoch, so Carina Wenda. Im Februar werden die Ergebnisse präsentiert – in einer Ausstellung im öffentlichen Raum und digital. René Ziegler, wie Allmeier Partner bei Raumposition: „Wenn ich Menschen bitte, sich einzubringen, muss ich auch über die Ergebnisse informieren, schon allein als Zeichen der Höflichkeit!“

Beteiligung bedeutet Arbeit

Beteiligung bedeute auch Arbeit für jene, die sich beteiligen. „In Präsenzveranstaltungen reden oft stets die gleichen, womit hochgradig manipulative Situationen entstehen können. In digitalen Formaten werden auch andere Stimmen sichtbar“, benennt Allmeier Vorteile der Kommunikation im digitalen Raum. Obwohl niederschwelliger, seien sie allein nicht die Lösung, da atmosphärisch viel verloren gehe. An die 500 Personen haben sich eingebracht. So könne man besser verstehen, wo der Schuh drückt, und Politik wie Planung in der Marschrichtung bekräftigen. Bürgerbeteiligung sei nicht geeignet, Menschen zu bekehren, dämpft Ziegler allfällige Erwartungen, ebenso könne sie politische Entscheidungen nicht abnehmen oder planerische Kompetenz ersetzen. Sie schafft aber Verständnis für ein Thema und vermag die Komplexität einer Planungsaufgabe zu verdeutlichen.

Der Wunsch vieler, solche Tools öfter anzubieten, generiert Erwartungsdruck. Prinzipiell sei man dazu bereit, so Jens de Buck. Ob begrenzter personeller Ressourcen sei dies nur mit externer professioneller Begleitung möglich, was Kosten verursacht. „Partizipation muss früh, ehe es noch konkreten Planungsüberlegungen gibt, einsetzen.“ Ein weiterer Beteiligungsprozess steht jedenfalls bereits für den neuen Park auf dem ehemaligen Areal des Traditionsklubs FC Sturm 19 in den Startlöchern.

Wie sehr aus diesen ersten Ansätzen einer neuen Planungskultur robuste Lösungen hervorgehen, die gestalterisch und funktional europaweit präsentabel und nicht nur Schminke an der Oberfläche sind, wird sich weisen. Die richtig harte Arbeit – die Leitbilder mit allen anderen Instrumenten der Stadtplanung und der Arbeit des Gestaltungsbeirats gut zu verknüpfen – steht noch bevor. Mit guter Kommunikation gegenüber der Bevölkerung, sorgfältig vorbereiteten transparenten Wettbewerben und einem pfleglichen Umgang mit der reichlich vorhandenen wertvollen Substanz kann die Landeshauptstadt aus der duldenden Rolle in die Position des tonangebenden Vorbilds aufsteigen.

16. Oktober 2020 Spectrum

Stadtflucht mit Zukunft

Ein Leben auf dem Land erscheint für viele wieder erstrebenswert. Doch welche Wirtschaftsmodelle und Baustrukturen vermögen es, das Bestehende so weiterzuentwickeln, dass auch Ansässige bleiben wollen? Dieser Frage stellen sich zwei Ausstellungen – in Graz und im slowenischen Grad.

Der ländliche Raum sei Profiteur der Covid-19-Pandemie, ist allenthalben zu hören. Die Luft ist besser, das soziale Distanzhalten einfacher und das Konsumentengewissen beruhigt, wenn man die Eier ab Hof holt. Strukturschwäche der Landregionen werden die neuen Stadtflüchtigen nicht beheben; das Phänomen des erwachten Interesses am Land macht sie bloß sichtbarer.

Zwei Ausstellungen lenken in dieser Zeit, die eine Renaissance des Landlebens verspricht, den Blick auf Wege, dieselbe in Gang zu setzen. Das Haus der Architektur Graz zeigt in strohballendekoriertem Ambiente aktuelle Strategien für das Landleben von morgen. Eingestimmt von Monika Müllers Dokumentation „Landflucht“ über Abwanderung und Dörfer im Südburgenland, in denen die jüngsten Einwohner den 50. Geburtstag hinter sich haben, holen zehn internationale Beispiele neuer Denkansätze die Besucher wieder aus der mentalen Abwärtsspirale. In der Hügellandschaft der südchinesischen Provinz Songyang realisierte die Architektin Xu Tiantian mit der Bevölkerung Orte der Kultur, des lokalen Handwerks und der Begegnung. Mit geringem Budget wurde Ortstypisches weiterentwickelt und das Selbstverständnis der Gemeinden zum Positiven verändert. Im Dorf Pingtian wurden in einer bestehenden Gebäudegruppe eine Ausstellung über landwirtschaftliche Geräte und eine Blaufärberei eingerichtet und wurde demonstriert, wie mit lokalen Mitteln zeitgenössische Lösungen umzusetzen sind. Wenn Politik, Bevölkerung und Gestalter gut zusammenarbeiten, lässt sich vieles bewegen, so die Botschaft dieses Beitrags aus Fernost.

Dass baulicher Verfall nicht zwangsläufig ein Zeichen des Niedergangs ist, behauptet der US-amerikanische Wissenschaftler Jason Rhys Parry. Mit seinen aus aller Welt zusammengetragenen Beispielen von Ruinen, derer sich die Natur bemächtigt hat, zeigt er auf, dass Reste von Gebäuden als Biotop für Tiere und Pflanzen neuen Nutzen bekommen: ein Appell, bei der Planung neuer Gebäude zu bedenken, dass wir nicht nur für uns Menschen planen.

Einzelne Ortschaften dem Lauf der Natur zu überantworten wäre vermutlich in der Region Goričko eine leichte Übung. Im hügeligen Teil der Prekmurje, dem Übermurgebiet, gelegen, ist sie im Dreiländereck von Slowenien, Ungarn und Österreich Teil des trilateralen Naturparks Raab-?rség-Goričko. Die Kulturlandschaft ist von kleinteiliger Landwirtschaft geprägt. Meist erfolgt die Bewirtschaftung im Nebenerwerb, erklärt Stanka Dešnik, Landschaftsarchitektin und Direktorin des Naturparks Goričko. Die einst typische Milchwirtschaft ist fast verschwunden. Es breitet sich die Agrarindustrie aus, und mit zunehmendem Interesse österreichischer Bauern an Agrarland steigen die Preise, wodurch trotz Vorkaufsrechts lokale Kleinbauern chancenlos sind. Stanka Dešniks Büro befindet sich im Besucherzentrum des Nationalparks, Schloss Grad, einer ringförmigen Anlage, die auf einem Hügel über dem Dorf thront. Von September bis Anfang Oktober gaben sich neben Touristen Schulklassen, Unternehmer und Bürgermeister aus der ganzen Nationalparkregion die Klinke des Schlosstors in die Hand.

Groß war das Interesse an der Ausstellung „Goričko: Countryside revisited“, in der Studierende der Architektur aus Wien, Graz und Ljubljana ihre Semesterprojekte präsentierten. Unter Auslotung lokaler Potenziale lieferten sie auf hohem Niveau Beiträge zu neuen Formen des Lebens und Arbeitens in der Region und zeigten auf, wie Architektur, Natur und Kulturlandschaft einander zu befruchten vermögen.
Wir baut man auf dem Land? Diese Frage sei vielleicht in Vorarlberg geklärt, meint András Pálffy, für den das vergangene Semester sein letztes als Professor für Gestaltungslehre an der TU Wien war. „Im Zusammenwirken mit der Landschaft sind es oft historische Ensembles, die einen Ort charakterisieren und zur Identität der Region beitragen.“

Es gelte daher Antworten zu finden, wie man mit einer durch den Strukturwandel einer Erosion ausgesetzten Landschaft umgehen und sie wieder positiv besetzen könne. Gemeinsam mit Tina Gregorič, Professorin an der Abteilung Gebäudelehre, Professor Hans Gangoly aus Graz sowie Vasa J. Perović und Maruša Zorec, die beide eine Professur in Ljubljana innehaben, wurde parallel zu den Entwurfsseminaren ein umfassendes Begleitprogramm angeboten. In Exkursionen und Vorträgen erhielten die Studierenden Einblick in die Geschichte der Kulturlandschaft, in regionale Bau- und Handwerkstraditionen, nachhaltiges Bauen und bäuerliche Produktionsweisen. Sie befassten sich mit den Bauten und Skulpturen von Walter Pichler in St. Martin an der Raab im Burgenland und erhielten Know-how aus der Ziegelindustrie. Dieser ist es durch bereitgestellte Drittmittel zu verdanken, dass das umfangreiche Programm und die Ausstellung umgesetzt werden konnten. Vorgaben seitens der Geldgeber gab es keine, betont András Pálffy.

Spannendes zum Thema Ziegel, einem Baustoff, den laut Pálffy viele nicht mehr auf dem Radar haben, gab es dennoch zu sehen. Tina Gregorič stellte ihren Studierenden die Aufgabe, sich im Sinne der Kreislaufwirtschaft mit neuen Methoden der Ziegelherstellung, die ob der lehmigen Böden in der Region Tradition hat, zu befassen und eine Ziegelakademie für Grad zu entwerfen. Neue Flugasche in Kombination mit Abbruchmaterial ermöglicht das Aushärten der Ziegel ohne Verbrennungsprozess, somit mit minimierten CO2-Emissionen. Abfälle aus der Landwirtschaft wie Maisstroh oder Viehmist verbessern mechanische und thermische Qualitäten des Baustoffs. Maruša Zorec, die mit ihrem Büro Arrea die einfühlsame Renovierung von Schloss Grad verantwortet, hielt ihre Studierenden zum bewussten Umgang mit regionalen Materialien an, um inspiriert von den Bautypologien der Vergangenheit eine zeitgemäße Architektur zu entwickeln. Von Wohnformen für alte Menschen über touristische Infrastrukturen bis zu diversen Manufakturen und landwirtschaftlichen Gebäuden reicht das Spektrum der bearbeiteten Themen.

Für die Architektur bieten sich zahlreiche Aufgaben in diesem Themenfeld der Reaktivierung dörflicher Potenziale. Der Nachwuchs ist bereit – es braucht diesseits wie jenseits der Grenze noch das Bewusstsein, dass eine Stärkung des ländlichen Raums ohne Baukultur ein Ding der Unmöglichkeit ist.

24. Juli 2020 Spectrum

Mehr Würde für den Sekt

Willi Bründlmayer leistete in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit – auch als Bauherr. Das neue Sekt-Rüttelhaus des Weinguts Bründlmayer in Langenlois etabliert einen neuen Bautypus und nimmt zugleich historische Bauelemente auf.

Die Weinkellerei Bründlmayer baut auf dem historischen Keller der Vorfahren auf. Ein Rundgang durch den Betrieb in Langenlois ist eine Zeitreise durch die Geschichte und ein Lehrstück zur Tradition des landwirtschaftlichen Weiterbauens. Ökonomisch, funktionell und im Einklang mit der Landschaft. Das ist bei den heutigen Produktionsmethoden und Betriebsgrößen gar nicht so einfach. Für die temperaturkontrollierte Gärung in Stahltanks, die Reifung, Flaschenabfüllung, Lagerung und Vertriebslogistik sind die alten Presshäuser und Kellerröhren längst nicht mehr geeignet. Nachdem Willi Bründlmayer in den 1980er-Jahren den elterlichen Betrieb übernommen hatte, entschied er sich, auf ökologische Bewirtschaftung zu setzen. Ein Schritt, der damals ebenso wenig selbstverständlich war, wie einen Architekten für die Erweiterung des Weinguts zu engagieren.

Freund Helmut Hempel, der für Bründlmayer schon das Wohnhaus als passives Solarhaus plante, zeichnet für den Pionierbau der neuen österreichischen Weinarchitektur verantwortlich. Ein schlichtes weiß verputztes Presshaus, das unter Ausnutzung der Schwerkraft die schonende Verarbeitung der Trauben gestattete. Zeitgleich begann Bründlmayer 1989 Sekt nach traditioneller Methode, in aufwendiger Flaschengärung, herzustellen und stieß damit den Boom der heimischen Winzersekte an. Der zunehmende Erfolg und das Wachsen des Betriebes bedingten 2012 weitere Baumaßnahmen, erneut mit Hempel. Adlerschwingen gleich überspannt seither ein mächtiges Flugdach die Produktionsstätten, doch trotz großer Kubatur ist klar: Hier ging es nicht darum, einen Signalbau für einen Paradewinzer, sondern ideale Produktionsbedingungen zu schaffen und bestmöglich den Einklang mit Umgebung und Natur zu finden.

Mittlerweile ist sowohl beim Weinmachen als auch beim Weiterbauen die nächste Generation am Werk. Christian Prasser (CP Architektur) gestaltete zunächst den Schankbereich des Heurigenhofs im Stadtkern neu. Da der Architekt bereits vor Ort war, schien es sinnvoll, auch gleich das betrieblich notwendige Sekt-Rüttelhaus mit ihm zu besprechen. „Die passenden Ideen kamen sehr rasch, sodass beide Projekte unmittelbar hintereinander verwirklicht werden konnten, was glücklicherweise auch viele Fahrkilometer sparte“, so der Bauherr, der Prasser drei Vorgaben machte: Erstens sollte der Neubau niedrig bleiben, den Nachbarn nicht die Sicht verstellen und harmonisch von der dörflichen Struktur zum bestehenden Betriebsgebäude überleiten. Zweitens galt es möglichst energieautark ein kühles Klima für die edlen Tropfen bereitzustellen, und drittens sollten Baufirmen aus der Umgebung beauftragt werden.

Die Remuage, das Rütteln des Sekts, durch das die Hefe in den Flaschenhals sinkt, erfolgt in Großbetrieben meist maschinell. Das spart Zeit und Platz. Bründlmayer setzt dennoch auf Handarbeit. Ob man das schmeckt? „Eher nicht“, meint der Winzer, „aber es bringt dem Produkt mehr Würde, Respekt und Menschlichkeit entgegen.“ Kopfüber werden die Flaschen in die Löcher der dachförmigen Pulte aus Eichenholz gesteckt und zwei bis drei Wochen lang täglich ein Stück weitergedreht und steiler gestellt, bis beim Degorgieren der Hefepfropfen entfernt werden kann. Architekt Prasser entschied sich dafür, der Prozedur den passenden Rahmen in Form eines klassischen Presshauses zu geben. Um dessen Proportion zu halten, wurde das Volumen zweigeteilt, nach Osten mit einem Versatz versehen und mit einer vorgeblendeten, weiß geschlämmten Ziegelfassade mit abgetreppten Giebeln versehen. Die Neigung der zwei ziegelgedeckten Dächer lehnt sich an jene des parallel dazu liegenden Presshauses an, womit sich die Dachlandschaft des gesamten Anwesens langsam mit sich wiederholenden Formen in die Höhe entwickelt und ein stimmiges Ensemble entsteht. Das ganze Gebäude aus Ziegeln zu errichten wäre wegen der verkehrsbedingten Druckbelastung von der Straße nicht möglich gewesen, zudem liegt der Großteil des Bauvolumens im Untergrund. Die Hülle wurde also in Fertigteilbauweise aus Betonhohlwandelementen errichtet. Die erdberührten Wände des Sektlagers im Untergeschoß blieben ungedämmt, um die Erdkühle nach innen zu bringen. Darüber erhielt der Beton eine Kerndämmung.

Oben, in der zweischiffigen Halle, stehen die Rüttelpulte in drei Reihen. Die Eichenholzverkleidung an der Dachuntersicht nimmt das Material der Rüttelpulte auf, scheibenförmige Hängeleuchten sorgen für warmes Licht. Fast sakral mutet der Raum an. Mit einfachen Mitteln, ohne Schnickschnack, entstand ein Ambiente, das einem der Leitprodukte des Betriebes zur Ehre gereicht und jenen, die darin arbeiten, ein angenehmes Milieu bereitet. Weil jedes Öffnen der Tür und menschliche Körperwärme das konstant kühle Raumklima aus der Balance bringen würden, werden Besuchergruppen nicht ins Innere geführt. Sie erhalten Einblick durch die zwei Fenster an der Stirnseite, wo sich von außen ein Rollo hochfahren und das Licht aufdrehen lässt – ein kleiner Showeffekt. Dem Erhalt des Raumklimas dient auch die von durchlöcherten Holzschwertern, an denen man die Struktur der Rüttelpulte wiedererkennt, gegliederte Rankkonstruktion, deren Bewuchs die Südseite vor der Sonne schützt.

Erweitern oder neu bauen müssen viele Winzer. An den Ortsbildern der Weinbaugemeinden lässt sich ablesen, dass es ihnen oft schwerfällt, die notwendigen Kubaturen zu integrieren und eine formale Sprache zu finden, die den feinen Weinen, die landauf, landab gekeltert werden, gerecht wird. Viel mehr als so manch spektakulärer Bau anderer international renommierter Weinmacher kann das Weingut Bründlmayer ein taugliches Vorbild für eine Vielzahl kleinerer Betriebe sein. Auch die Stadt Langenlois wäre gut beraten, ihr baukulturelles Erbe besser zu pflegen. Nicht nur, wenn es um die historischen Bürger- und Winzerhäuser geht, sondern auch um den Siedlungswildwuchs im Zaum zu halten. So raubt dem Loisium und dem benachbarten Hotel von Steven Holl das stetig wachsende neue Siedlungsgebiet Neue Sonne längst die Ausstrahlung als solitäre Skulpturen in der Landschaft. „Liubisa“ lautet die älteste Form des Stadtnamens, „die Liebliche“ lautet dessen Deutung. Siedlungspolitische und architektonische Lieblosigkeiten sollte man sich schon deshalb nicht leisten.

Publikationen

2021

Architektur in Niederösterreich 2010–2020
Band 4

Der vierte Band der erfolgreichen Reihe Architektur in Nieder­österreich dokumentiert das Baugeschehen in diesem Bundes­land zwischen 2010 und 2020. Hundert mittels Text, Bild- und Planmaterial beschriebene Projekte legen Zeugnis ab von der Vielfalt und der Qualität ausgewählter Beispiele in sieben Ka­tegorien.
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Franziska Leeb, Eva Guttmann, Isabella Marboe, Gabriele Kaiser, Christina Nägele
Verlag: Park Books

2019

querkraft – livin‘ architecture / Architektur leben lustvoll querdenken

Menschen Raum zu geben, Bühnen für das Leben in all seinen Facetten zu schaffen, querzudenken und den Mut zu haben, von eingetretenen Pfaden abzuweichen und nicht alles bierernst zu nehmen – so könnte man die Arbeitsweise von querkraft in kürzester Form zusammenfassen. Zum 20-jährigen Bestehen des Wiener
Hrsg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz
Verlag: Birkhäuser Verlag

2013

Walter Zschokke. Texte
Gesammelte Texte des Architekten und bedeutenden Architekturpublizisten und Kurators Walter Zschokke (1948–2009)

Der Aargauer Architekt Walter Zschokke (1948–2009) hat über drei Jahrzehnte das Architekturschaffen und baukulturelle Geschehen in seinen beiden Heimaten, Österreich und Schweiz, beobachtet, kommentiert und analysiert. Der vorliegende Band ist die erste Sammlung seiner pointierten, ungebrochen aktuellen
Hrsg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz, Claudia Mazanek, ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, ZV der Architekt:innen Österreichs
Verlag: Park Books

2011

ORTE. Architektur in Niederösterreich III. 2002 – 2010

Die von Walter Zschokke initiierte und von ORTE herausgegebene Publikationsreihe setzt mit Band 3 die Bestandsaufnahme qualitätsvoller Architektur in Niederösterreich fort. Das Autorinnenteam – Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Franziska Leeb – hat aus einer Fülle an Bauwerken eine exemplarische Auswahl
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Franziska Leeb, Eva Guttmann, Gabriele Kaiser
Verlag: SpringerWienNewYork

2009

Wohnen pflegen leben
Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser

Die Publikation liefert einen umfassenden Diskussionsbeitrag darüber, was zeitgemäße Raum- und Funktionsprogramme von Pflegeeinrichtungen leisten sollen und können und stellt dar, was Geriatrieplanung heute bedeutet und wie sich eine Kommune den Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich
Autor: Franziska Leeb
Verlag: Verlag Holzhausen GmbH