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Schamrot-Weiß-Schamrot
Schamrot-Weiß-Schamrot, Plan: Grossruck
Spectrum

Frisch eingeflogenes Hochquellwasser, ein Modell des Hundertwasser-Thermalbads Blumau, auf den Boden projizierte Wellen: das fiel den Gestaltern des Österreich-Pavillons der Lissaboner Expo 98 ein. Kein Scherz! - Eine Empörung.

30. Januar 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die nächste Weltausstellung steht vor der Tür. Sie findet in Lissabon statt, das 1992 den Zuschlag vor Toronto erhalten hatte. Als Thema hat man „Die Ozeane - Ein Erbe für die Zukunft“ gewählt, weil Vasco da Gama vor 500 Jahren den Seeweg nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung entdeckt hat. Am 22. Mai 1498 legte sein Schiff an der indischen Westküste an, auf den Tag genau 500 Jahre danach, am 22. Mai 1998, werden sich die Pforten der Expo 98 öffnen. Es wird die letzte Weltausstellung in diesem Jahrtausend sein, und wie so oft bei derartigen Anlässen überschlägt sich die Statistik schon im vorhinein mit neuen Rekorden.

Das Ausstellungsgelände liegt im Osten der Stadt, am Tejo, und war bisher Standort von Raffinerien, Lagerhallen und Hafenanlagen. Es umfaßt eine Fläche von 60 Hektar und soll später das Zentrum eines neuen Wohn- und Geschäftsviertels mit einer Ausdehnung von 350 Hektar bilden.

Soviel haben die portugiesischen Veranstalter von den leer stehenden Expo-Ruinen der Spanier immerhin gelernt: daß man sich schon vorher sehr genau überlegen muß, was man nachher mit dem Ausstellungsgelände macht.

Denn allein um die Besuchermassen - in Portugal rechnen die Veranstalter mit rund 15 Millionen Menschen - bewältigen zu können, gilt es aufwendige und kostenintensive Verkehrsmaßnahmen zu treffen. Im konkreten Fall sorgt ein neuer Expo-Bahnhof - geplant von Santiago Calatrava - in Verbindung mit einem Verkehrsknotenpunkt für die gute Erreichbarkeit des Areals.

Dieser Bahnhof bleibt selbstverständlich auch nach der Weltausstellung bestehen, ebenso wie die Hauptgebäude - darunter das schwimmende Ozeanarium mit flossenartig auskragenden Glasdächern von Peter Chermayeff sowie der silbrig glänzende, spektakuläre Utopia-Pavillon von SOM - und die vier Hallen mit den Länder-Pavillons. Letztere basieren auf einem Modulsystem - pro Aussteller stehen ein bis fünf solche Module zur Verfügung - , das sich auch nach der Expo nutzen läßt: als neues Messegelände der Stadt.

149 Staaten und internationale Organisationen nehmen an dieser Weltausstellung teil; damit ist sie die größte, die es jemals gegeben hat. Auch Österreich ist unter den Ausstellern. Aber da wir als Binnenland zum Thema „Ozeane“ nicht viel vorzuweisen haben, wurde das Expo-Motto für unsere Zwecke ein wenig modifiziert. „Österreich - Land gesunder Wasser“ steht über der heimischen Präsentation, denn wir wollen natürlich versuchen, uns „von den übrigen Teilnehmerländern abzuheben“ (Pressemappe). Das dürfte auch gelingen.

Denn was ist den verantwortlichen Herrschaften an Beiträgen eingefallen? - Hundertwasser. Ausgerechnet! Der hat nämlich irgendwann etwas für eine portugiesische U-Bahn-Station geplant, und da ist ihm ein Fries mit dem Titel „Atlantis“ übriggeblieben. Den hat er für die Außengestaltung des zwei Module großen österreichischen Pavillons kostenlos zur Verfügung gestellt.

Allerdings: Der Fries sollte in Keramik ausgeführt werden, aber das können wir uns nicht leisten. Also wurde auf photographischem Weg eine Reproduktion hergestellt, und die pappte man - in Verbindung mit „zwei typischen Hundertwasser-Torbögen“ (Pressemappe) - auf die Fassade.

Drinnen stehen uns auf mehreren Ebenen insgesamt 885 Quadratmeter zur Verfügung. Für die Gestaltung dieser Ausstellungsfläche hat es angeblich einen Wettbewerb gegeben - hat je irgend jemand davon gehört? - , den ein gewisser Franz Grossruck gewonnen hat, der mit seinen Ausstellungsgestaltungen für die Wirtschaftskammer anscheinend schon öfter nicht aufgefallen ist.

Für die Expo hat sich Herr Grossruck folgendes einfallen lassen: Im Inneren ist unser Pavillon dunkel gehalten; ein Mediamix aus Rauminstallation, Projektion und Geräuschkulisse beherrscht die Szene. „Der Besucher taucht in eine futuristisch anmutende Bild- und Klangwelt ein“ (Pressemappe). Diese österreichische Variante des Futurismus besteht aus Lichtprojektionen auf Nesselvorhängen, sodaß es zu „interessanten Raumperspektiven“ kommt; sie besteht aus einer Projektion von Wasserwellen auf den Hallenboden; und sie setzt „teilweise spitz nach oben hin verlaufende architektonische Gestaltungsmittel“ ein, durch die „Österreichs Bergwelt abstrahiert symbolisiert“ werden soll.

Auch sonst entsprechen diverse gestalterische Details dem Thema Wasser. Das Informationspult präsentiert sich mit seiner geschliffenen, geschwungenen, wasserumspülten Marmorplatte als „Info-Welle“; im Hintergrund schirmt eine wellenförmige Wand die Nebenräume und die VIP-Lounge vom Ausstellungsbereich ab.

Apropos VIPs: Denen bieten wir etwas ganz Besonderes - zeitgenössische österreichische Kunst! Sie wird - nein, nicht von Hundertwasser, sondern von einem Herrn Wassermann und einem Herrn Newrkla stammen (hat diese Namen eigentlich schon jemals irgendein Kunstexperte gehört?) und durch Wasserobjekte der Firma Art Aqua ergänzt.

Sollte hier der Eindruck entstehen, daß es sich bei meiner Schilderung nur um einen verfrühten April-Scherz handeln kann, so darf ich versichern: Das Gegenteil ist der Fall. Die Sache ist todernst. Die Ausstellung spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, die durch Rampen mit integriertem Lichtleitband rollstuhlgerecht miteinander verbunden sind. Hauptattraktion auf der untersten Ebene sind das Modell des Blumauer Thermalbads von Hundertwasser, ein sogenanntes Internet-Café und ein drei Meter hoher Lapislazuli-Brunnen (der Stein stammt aus Chile und soll der größte Lapislazuli sein, der jemals gebrochen wurde) - den wer künstlerisch gestaltet hat? - Der Wiener Brunnen-Muhr!

Und so geht es weiter: Auf der nächsten Ebene, die als Aussichtsplattform gestaltet ist, wird eine sogenannte „Drop-in- Bar“ installiert, wo wir österreichisches Wasser kostenlos an die Besucher ausschenken. Es wird österreichisches Mineralwasser sein, aber auch frisch eingeflogenes Hochquellwasser. Über dieser Wasserbar setzt Herr Grossruck mit einem überdimensionalen, glitzernden, gläsernen Wassertropfen einen zusätzlichen, allgemein verständlichen Gestaltungsakzent.

Und das ist noch lange nicht alles. Wir haben noch viel mehr zu bieten: Bilder aus unseren Naturparks zum Beispiel; Bilder österreichischer Schlösser einschließlich eines Replikats der Wasserspiele von Hellbrunn aus dem 16. Jahrhundert; die Salinen Austria stellen Salzobjekte aus; die Besucher können auf den Internet-Seiten der heimischen Wirtschaft wasserbezogene Informationen abrufen; sie können aber auch eine Wasserdrehorgel manuell bedienen und selbst Wasserfiguren erzeugen.

Ein besonders bewegendes Ereignis wird schließlich der Österreich-Tag (jeder Expo-Teilnehmer kann sich an einem Tag speziell präsentieren) sein. Man stelle sich vor: Auftritt des Damenorchesters „Walzerperlen“, des K & KString Quartetts, einer Blasmusik- beziehungsweise Trachtenkapelle, und die Wiener Symphoniker spielen Strauß.

Ach ja, etwas Wichtiges hätte ich beinahe vergessen. In der Ausstellung rücken wir selbstverständlich auch die österreichischen Leistungen auf dem Hochtechnologie-Sektor ins rechte Licht. Wir tun das mit einem Kalkschutzgerät, das ein heimisches Unternehmen entwickelt hat. Punktum.

Was soll man dazu sagen? Wie kommt man als gebürtiger Österreicher eigentlich dazu, sich durch solchen Unfug international repräsentiert zu sehen?

Irgendwer wird auswandern müssen: entweder die Mehrheit, nämlich all jene, die versuchen, irgend etwas zu tun, was diesem sehr kleinen Land trotzdem einen internationalen Stellenwert sichert - und dazu gehören die österreichischen Künstler an vorderster Stelle, aber es gehören bestimmt auch profilierte Firmen dazu, denn so ist es ja nicht, daß wir die nicht hätten - , oder die Minderheit der Expo-Verantwortlichen, die sich in ihrer schier grenzenlosen Einfalt anschickt, unser aller Ansehen nachhaltig zu ruinieren.

Es ist schlichtweg unfaßlich. Es ist so unbegreiflich, was da passiert ist, daß einem die Worte fehlen. Wenn Kultur Chefsache ist und wenn die Kultur dieser Chefsache so aussieht, dann kann nur der Chef falsch sein. Ein anderes Resümee ist weder möglich noch zulässig. Diese Expo-Präsentation kann jedem halbwegs vernünftigen Österreicher einfach nur die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Und da sage niemand, es waren lediglich 15 Millionen Schilling Budget da, mehr kann man damit nicht machen. Wenn es wirklich so wäre, dann hätte man eben nichts machen dürfen. Aber es ist nicht so. Es gibt genug Geld in diesem Land. Und es gibt auch genug qualifizierte Leute, die verantwortlich und auf höchstem Niveau damit umgehen könnten. Nur die selbsternannten Chefs an den Schaltstellen, die können es nicht. Das ist unser Drama.

Nachsatz: Das Genre der Polemik ist in unseren Tagen in Mißkredit geraten, zumindest wird es nicht mehr gepflegt. Das ist ein Verlust. Denn immer wieder haben wir es mit Phänomenen zu tun, die in ihrer abgründigen Eindeutigkeit nicht nach sachlicher Argumentation verlangen, sondern nach Empörung schreien. Und ich bin empört.

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