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Von der Enge zur Weite
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Flüsse sind „multifunktionale Räume“. Schutzwasserwirtschaftliche Strategien nehmen heute vermehrt darauf Bezug. In diesem Zusammenhang haben sich Flußaufweitungen als praktikabler und erfolgversprechender Maßnahmentyp erwiesen.

30. Juni 1997 - Klaus Michor
Flüsse sind in vielerlei Hinsicht die prägenden Elemente der alpinen Tallandschaften. Sie sind nicht nur Abfluß- und Retentionsraum für Geschiebe- und Hochwasser, sie erfüllen auch vielfältige Funktionen als Erholungs- und Erlebnisraum für den Menschen. Naturnahe Flußsysteme besitzen zudem hohe Selbstreinigungskraft und bilden sehr oft die Basis für die Grundwasservorkommen in den Tallagen.
In den durch Fragmentierung und Monotonisierung geprägten Tallandschaften bilden Flüsse zudem wichtige Lebensräume für seltene gewässerspezifische Tier- und Pflanzenarten. Ihre Uferbegleitgehölze bieten aber auch Versteck- und Rückzugsraum für Tiere aus der angrenzenden Kulturlandschaft. In Verbindung mit den Zubringern und Nebengewässern sind sie oft die letzten durchgängigen Migrationssysteme für wandernde Tiere. In der Vielfalt und dem Mosaik an Lebensräumen, die die Flußlandschaft bereithält, finden sensible Spezialisten, Pioniere und Kämpfer, Kreative und Hartnäckige ihre Nische im Überlebenskampf.

Die Strategie

Im Talraum und noch stärker im Flußraum ist der Platz knapp geworden. Unterschiedlichste Nutzungsinteressen treffen hier aufeinander: Verkehr, Erholung, Siedlung, Gewerbe, Industrie, Landwirtschaft, Freizeit. Alles drängt zum Fluß. Dieser Nutzungsdruck hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß viele Gewässer eng reguliert und damit ihrer natürlichen Dynamik und Vielfalt beraubt wurden mit großen Folgewirkungen für die Landschaft, die Tier- und Pflanzenwelt und den Grundwasserhaushalt.

Ganzheitliche schutzwasserwirtschaftliche Projekte versuchen neue Wege einzuschlagen. Einerseits wird der Dynamik des Flusses stärkere Beachtung geschenkt, andererseits werden die vielfältigen Funktionen des Flußraumes stärker in die Planung und Umsetzung einbezogen. War es früher hauptsächlich der Hochwasserschutz, der Regulierungsprojekte planerisch dominierte, so sind es mittlerweile auch landschaftsplanerische, ökologische und raumplanerische Kriterien:
Es werden nicht mehr kurze Flußabschnitte isoliert für sich betrachtet und bearbeitet, sondern stets längere Flußläufe in ihrem regionalen Zusammenhang. Wichtige Faktoren dabei sind Geschiebehaushalt, Abflußdynamik, Gewässerökologie und Nutzung des Fluß- bzw. Talraumes.
Schutzwasserwirtschaftliche Strategien, die eine Verbesserung der natürlichen flußmorphologischen und -dynamischen Situation zum Ziel haben, werden in der Planungspraxis immer wichtiger.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlichster Fachdisziplinen und vermehrte BürgerInnenbeteiligung sind Voraussetzung für die Realisierung größerer wasserwirtschaftlicher Projekte. Nur gemeinsam können FachbeamtInnen, KulturtechnikerInnen, Landschaftspla-nerInnen, betroffene AnrainerInnen, Fischereiberechtigte, GemeindevertreterInnen und sonstige Interessensgruppen optimale Lösungsstrategien erarbeiten. Als fächerübergreifende Arbeitsplattform hat sich das Instrument des „Gewässerbetreuungskonzeptes“ gut bewährt.

Der Raum

Eine im Flußbau mittlerweile bewährte Methode, natürliche flußmorphologische Prozesse zu initiieren und gleichzeitig die Eintiefung der Flußsohle zu verhindern, ist der Bau von Flußaufweitungen. Sie können je nach Gefällsverhältnissen, Geschiebehaushalt, Abflußgeschehen, vorhandenen Flächenpotentialen, Umlandnutzungen, ökologischen Leitbildern etc. sehr unterschiedlich aussehen. Die durchgehende Verbreiterung des Abflußprofils ist ebenso möglich wie die Gestaltung von Nebenarmen oder der Bau großer linsenförmiger Aufweitungen. Wesentlich für die Projektierung ist, daß es bei Flußaufweitungen immer zu Veränderungen am Abflußgeschehen bzw. Geschiebehaushalt und damit zu einer verstärkten flußmorphologischen Dynamik im und unterhalb des Aufweitungsbereiches kommen kann.
Die bildlich dargestellten Beispiele sollen Erfahrungen mit Flußaufweitungen vermitteln und aufzeigen, wie unterschiedlichste Zielsetzungen, Anwendungsbereiche, „Bauweisen“ und Funktionen erfüllt werden können.
Der Bau von Flußaufweitungen steht auch beispielhaft für eine Trendwende in der Schutzwasserwirtschaft: vom Fluß zum Flußraum, von der Enge zur Weite.
Angesichts der aktuellen EU-Landwirtschaftspolitik, die naturschutzfachlich motivierte Extensivierungen und Flächenstillegungen explizit fördert, dürfte sich diese Entwicklung noch verstärken. Im Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Landschaftsplanung liegt es, sie im Sinne eines ressourcenschonenden Umgangs mit Natur und Landschaft optimal zu nützen.

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