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Hochgebirge am Handlauf
Hochgebirge am Handlauf, Foto: Fritz Simak
Hochgebirge am Handlauf, Foto: Fritz Simak
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Gräben, Klüfte, Geländekanten: So vielgestaltig wie die alpine Topographie präsentiert sich auch die Ausstellungsarchitektur. János Kárász hat zum Thema „Über die Berge“ nichts weniger als ein kleines Gebirge in die Sankt Pöltner Shedhalle gestellt.

7. März 1998 - Walter Zschokke
Das Thema Alpen bewegt bereits seit Jahrhunderten Künstler und regt sie zu Werken an. Dieser Aspekt wurde in den vergangenen Monaten in den Kunsthallen Krems und Wien breit abgehandelt. Die soeben eröffnete Ausstellung „Über die Berge“ in der Shedhalle St. Pölten sucht den Zugang zum europäischen Hauptgebirge auf der kulturgeschichtlichen Achse über essayartige thematische Schnitte, die von der Inbesitznahme durch maßstäblichen Reliefbau über die Anpreisung alpiner Kurorte auf Plakaten und die Wahrnehmung der Landschaft durch Maler verschiedener Epochen bis zum Lebensraum der Problem- und anderer Bären reichen.

Nach einer Idee von Erich Steiner und Direktor Peter Zawrel betreute ein Redaktionsteam, bestehend aus Karl Brunner, János Kárász, Wolfgang Kos, Hermann Schacht und dem Team ZISLAWENG (Sara Schmidt, Wolfgang Tobisch), ein gutes Dutzend Kuratoren, die je einen Aspekt, zuweilen auch mehrere behandelten.

Neben Werken von bergsteigenden Malern und zahlreichen kulturgeschichtlichen Zeugnissen zum Alpinsport sind es zwei Arbeiten mit neuen Medien, die hervorstechen: Peter Tschermenig erläutert den Wandel besonderer Landschaftsansichten an den Beispielen von Annaberg, Gutenstein, Lilienfeld und dem Lassnigfall bei Wienerbruck, wobei anhand verschiedener Darstellungen, die teilweise bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, in einer Art Überblendtechnik der historische und räumliche Perspektivenwechsel nachvollzogen wird.

Robert Zemann zeigt vier parallelgeschaltete und inhaltlich koordinierte Viedeofilme, die vier verschiedene Zugänge und zugleich Nutzungsweisen in demselben Landschaftsraum der Hohen Wand wiedergeben. Da ist der Bauer, der mit seinem Balkenmäher geschickt, aber nicht ohne nötige Anstrengung eine abschüssige Wiese mäht. Während ein Wanderer über steiler werdende Steige der Höhe zustrebt, braucht der Autofahrer eher Geschicklichkeit beim Lenken, Schalten und Gasgeben. Dem Paragleiter breitet sich dagegen zu seinen Füßen ein rundum reichender Tiefblick beim stetigen Sinkflug nach dem Sprung von der schroffen Klippe aus.

Die Ausstellungsarchitektur bietet verschiedene Zugänge und Abfolgen durch die Themenbereiche an, sodaß der Besucher nach Lust und Laune auf dem vielgestaltigen Gebilde herumsteigen kann und sich seinen Weg durch die unabhängigen Kapitel der Ausstellung selber zusammenstellen darf. Dieser Freiheitsgrad stellt schon zu Beginn jede zwanghaft belehrende Absicht in Abrede. Er bereitet Vergnügen, bietet Entdeckerfreude und befriedigt hinter Wegkehren und in Schlupfen die geweckte Neugier.

János Kárász vom Atelier Auböck & Kárász, in Architektur und Sozialwissenschaften gleichermaßen ausgebildet, hat nichts weniger als ein kleines Gebirge in die Shedhalle gestellt.

Man erinnert sich an die Eröffnung des Bauwerks, als einigen Kritikern die zirka 19 auf 38 Meter messende Halle mit fast zwölf Metern als zu hoch erschien. Jetzt zeigt sich, daß diese Höhe den Ausstellungskonzeptoren in der Vertikalen ungewöhnliche Freiheiten einräumt. Die komplett rollstuhlgängige Anlage weist eine kontinuierliche Steigung auf, die nur von kleinen Absätzen unterbrochen wird, die ein kurzes Rasten erlauben.

Die schlanke und luftige Holzkonstruktion wurde zusammen mit dem jungen Bauingenieur Richard Woschitz entwickelt. Sie scheint die Halle auszufüllen und reicht bis wenige Meter unter das steil gezackte Sheddach, das der Kunsthalle den Namen lieh. In autonomer Schrägstellung reicht die Installation aus Scheiben und Platten da und dort recht nahe an die umfassenden Wände. Dadurch ergeben sich Engnisse, wie sie in einem Gelände mit lebendiger Topographie nicht selten vorkommen und und die in abstrakter Form an den Weg durch Gräben und Klüfte erinnern. Im Unterbau sind nahezu grottenartige kleine Kabinette zugänglich, die jeweils einzelnen Themen gewidmet sind.

Mit zunehmend gewonnener Höhe gelangt man auf eine kleine Plattform, die - mit spürbarem Gefälle - als eine Lichtung oder als kleiner Geländeabsatz interpretiert werden kann. Über einen abschließenden Höhenweg, von dem man nach beiden Seiten hinunterblicken kann, gelangt man zu einer stegartigen Brücke, die in flachem Bogen zum oberen der beiden kleineren Säle des Hauses führt, wo man, vom sicheren Boden der permanenten Baustruktur wieder empfangen, in die kartesianische Normalität zurückkehrt.

Da man der Gesamtinstallation immer sehr nahe steht, ergeben sich perspektivische Verzerrungen, die eine rasche Analyse erschweren. Das Strukturkonzept ist daher einfacher, als man glauben möchte. Selbst in der Rückschau von der Brücke her bietet sich das Bild einer „zerklüfteten Karstlandschaft“, in der keine zwei Kanten parallel zu verlaufen scheinen.

Ein Studium der Pläne zeigt allerdings, daß es sich in Wahrheit viel einfacher verhält: Zwei längsrechteckige Strukturelemente kreuzen sich in schiefem Winkel. Das größere beginnt mit einer flachen Rampe an der Eingangsseite. Sie wendet sich im hinteren Bereich wieder nach vorn, um in das andere Strukturelement überzuwechseln, während das erstere in luftiger Höhe in einer auf zwei schlanken hölzernen Scheiben aufgestelzten Platte ausläuft. Fast in Greifnähe stehen die Besucher in halber Raumhöhe vor der Südwand des Hauses, die ein Landschaftspanorama aus der Jahrhundertwendezeit ziert. Das strahlende Licht auf dem Gemälde stimmt zufällig mit der klaren Luft des kühlen, windigen Vorfrühlingssonntags überein, die draußen der Landschaft kristalline Schärfe verleiht.

An beiden Flanken weist das hölzerne Gebirge im großen Binnenraum zwei Treppenläufe auf, die vom Hallenboden zu den oberen Niveaus hinaufführen, sodaß diese allseitig zugänglich sind. Neben extrem schlanken, scheibenartigen Brettschichtholzbindern kamen vor allem englische Chipboard-Spanplatten zum Einsatz, die hierzulande auch unter dem Namen OSB-Platten bekannt sind. Die großen Späne bestimmen die Oberfläche und geben ihr einen rohen Ausdruck, der in seiner Direktheit an die Rauhigkeit von Fels erinnert, ohne formal ähnlich zu sein.

Einige unabhängiger eingesetzte Großtafeln dieser Präsentationsstruktur wurden mit einer petroleumfarbigen Lasur versehen. Auch sie sind extrem schlank und scheinen fast zu schweben. Als Bodenbelag eingesetzt, sind die genannten Spanplatten rutschfest, da die ohnehin flache Steigung kaum Probleme bietet. Ihre Textur läßt zudem an Waldboden mit Blättern denken.

Das Bauwerk, das an tektonische Platten geologischer Verwerfungen erinnert, leistet vielerlei: Es spielt mit Ahnungen, Vermutungen und Erfahrungen, ist aber rational aus beidseitig beplankten, im Inneren versteiften Rahmenelementen hergestellt.

Natürlich gehört János Kárász nicht zu den ersten, die das Muster der OSB-Platten gestalterisch als Bedeutungsträger einsetzen. Man kann es beispielweise in der kleinen, von Hans Holbein gestalteten Trafik neben dem Haas-Haus sehen, wo die Platten an der zeltartigen Decke Tabak assoziieren. In St. Pölten sind sie sowohl konstruktiv als auch als mehrfacher Bedeutungsträger eingesetzt. Hier erweist sich auch eine relative Neutralität des Holzwerkstoffs im Ausdruck. Eine Aussage ergibt sich erst im Kontext der benachbarten oder gesamthaft vermittelten Inhalte. Und die Verfremdung ist mit eingeschlossen.

Wie immer bei solchen temporären Aufbauten stellt sich die Frage, ob und wie mit einer Nachnutzung Kosten, wo nicht gespart, so doch teilweise wieder hereingespielt werden können. Da die gesamte Konstruktion aus Elementen zusammengesetzt und verschraubt wurde, läßt sie sich nach Gebrauch wieder demontieren, sodaß sie einer weiteren Verwendung zugeführt werden kann.

Im Prinzip lassen sich mit den zimmermannsmäßigen Halbfabrikaten zwei Einraumvolumen herstellen, wobei bei einer Verwendung im Außenbereich noch eine Klimaschicht dazukommen muß. Da es sich um unspezifische Elemente handelt, ist der Spielraum für eine herzustellende Form und Struktur relativ groß. Architekt und Tragwerksplaner werden daher zusammen mit dem ausführenden Zimmereiunternehmen W. P. Handler nach dem Abbau in Frage kommende Nutzungen prüfen und eine optimale Kombination der Elemente entwickeln.

Dieses Vorgehen ist nicht neu, denn schon bei manchen Ausstellungen wurde versucht, die Hallen oder Pavillons einer neuen Nutzung zuzuführen, nicht selten scheiterte man jedoch an der gebundenen Struktur der Großräume. In diesem Fall ist jedoch durch die Aufgliederung in vergleichsweise neutrale Elemente weder die Größenordnung noch das äußere Erscheinungsbild festgelegt, so- daß unter Zuhilfenahme zusätzlicher Teile das Spektrum möglicher Nutzungen breiter ist.

All dies sieht man aber der Konstruktion im jetzigen Zustand nicht an. Es ist eine dienende Struktur, die, kurzweilig und mehrdeutig interpretierbar, die an sie gestellten Forderungen in selbstverständlicher Weise erfüllt. Ein potentielles späteres Weiterbestehen schlummert noch im Material.

Die Ausstellung „Über die Berge - Europäische Kulturlandschaften und Niederösterreich“ in der St. Pöltner Shedhalle ist noch bis 30. August zu sehen.

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