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Graphische Lärmerregung
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Ob Prag oder Paris, Spanien oder die Schweiz: der Markt für touristische Architekturführer boomt. Ob Renzo Piano oder Frank O. Gehry: Werkmonographien zählen zu den Highlights der Architekturbuch-Saison. Warnungen und Empfehlungen.

21. März 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Prag ist zweifellos eine Architekturreise wert. Und neuerdings stehen dem interessierten Stadtflaneur dabei sogar zwei handliche Führer zur Seite. Den einen hat der Linde Verlag herausgebracht, er ist auf das Prag des 20. Jahrhunderts beschränkt und stellt 220 Bauten vor. Der zweite ist bei Hatje erschienen und behandelt die Prager Stadtgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Dieser gewaltige Zeitraum führt zwangsläufig dazu, daß nur die allerwichtigsten historischen Baudenkmäler, an denen Prag bekanntlich nicht arm ist, vorgestellt werden können. Und da überdies ein inhaltlicher Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert liegt, läßt sich guten Gewissens eigentlich nicht empfehlen, beide Publikationen im Reisegepäck mitzuführen: Es gibt zu viele Überschneidungen.

Wer sich für die höchst interessante, noch immer weitgehend unbekannte Prager Moderne interessiert, der wird vom Linde Verlag eindeutig besser bedient. Außerdem ist das Buch praktikabler aufbereitet, es ist übersichtlich gegliedert und enthält ausklappbare Stadtpläne, die das Auffinden der einzelnen Objekte erleichtern.

Architekturführer scheinen in diesem Frühjahr überhaupt Saison zu haben: Hatje legt einen neuen durch Paris vor, der ebenfalls nach dem Schema aufgebaut ist, „das ganze Paris“ quer durch die Jahrhunderte zu behandeln, und daher den gleichen Makel wie die Prag-Publikation hat. Für Architekturinteressierte bieten diese schmalen Bände zuwenig.

Die Architekturführer des Birkhäuser Verlages decken zwar jeweils ein ganzes Land ab, sind also nicht für den Städtetouristen gemacht, aber im Fall von Spanien oder der Schweiz - um die zwei neuesten Bücher der Reihe zu nennen - konzentrieren sich die Autoren auf den Zeitraum 1920 bis 1999 beziehungsweise auf das 20. Jahrhundert; man findet also auch die wichtigen aktuellen Bauten. Außerdem enthalten die Bände thematische Aufsätze - so komprimiert wie möglich und so informativ wie nötig - , in denen Basisinformationen zu Regionen und Entwicklungen geliefert werden, deren Lektüre für ein vertieftes Verständnis unerläßlich ist.

Zu den Highlights in den Verlagsprogrammen des Frühjahrs 1998 zählen Monographien. Allen voran der dritte Band des Gesamtwerks von Renzo Piano: ein mächtiges Werk und daher nicht gerade billig, aber auf einer „Weltrangliste“ der zeitgenössischen Architekten würde Piano nach wie vor ganz an der Spitze rangieren, möglicherweise nur überholt von Rem Koolhaas.

Der Band ist nicht nur ein schönes Bilderbuch, Peter Buchanan versucht auch inhaltliche, also konzeptuelle, und konstruktive Aspekte in Wort und Bild - es gibt zahlreiche Pläne und Konstruktionszeichnungen - herauszuarbeiten. Er bildet textlich aber auch die Arbeitsweise des „Building Workshop“ ab, und die ist als dynamischer Gemeinschaftsprozeß schon ungemein spannend. Die Projekte, um die es in diesem Band geht, reichen von der Renovierung des Lingotto-Werks in Turin über Arbeiten „in progress“ bis zum Kansai International Airport Terminal in Japan.

Und wenn wir schon bei Werkmonographien sind: Im Gebr. Mann Verlag ist kürzlich ein repräsentativer Band über die Bauten und Projekte von Jürgen Sawade erschienen, einer der renommiertesten Berliner Architekturgrößen. Das Buch ist ebenfalls nicht gerade billig, es kommt ausschließlich mit - sollte man sagen: modischen? - Schwarzweißabbildungen aus (gedruckt in novatone, also wirklich erstklassig) und dokumentiert die Arbeiten Sawades zwischen 1970 und 1995. O. M. Ungers hat einen „Prolog“ zum Buch geschrieben, damit ist schon viel gesagt; Sawade selbst stellt seinen Aufsatz „Großstadtarchitektur: Programmatik und Philosophie“ unter das Motto „Weniger ist mehr, weniger ist besser, weniger ist alles“. Ich selbst bewahre mir seit einigen Jahren eine gewisse Distanz gegenüber der Lochfassaden-Ästhetik, die den „Berliner Block“ ausmacht. Aber in dieses Schema paßt die Architektur Sawades nur zum Teil, da gibt es schon auch ganz andere Bilder. Und deswegen ist die Auseinandersetzung mit seiner Arbeit doch lohnend.

Trotzdem weht einem aus den Birkhäuser-Bänden etwa über Erick von Egeraat ein frischerer Geist entgegen. Wobei es auch da zu differenzieren gilt. Denn die „Sechs Anmerkungen zur Architektur“ des Holländers stellen zwar äußerst interessante Bauten vor, aber insgesamt ist das Buch schlichtweg unerträglich. Da hat Rem Koolhaas mit seinem graphischen Konzept für „S, M, L, XL“ einiges angerichtet, denn seither glauben Architekten, unbedingt auf der Höhe der Zeit sein zu müssen, indem sie kein weißes Fleckchen mehr auf einer Buchseite zulassen, alles muß „flächig“ sein.

Bei van Egeraat führt das dazu, daß es überhaupt keinen durchgängigen Seitenumbruch mehr gibt. Jede Seite ist farblich anders unterlegt, auch die Schrift ist farbig, die Spaltenbreite variiert, es gibt laufend Bilder im Bild und darüber noch eine Schicht feinster Strichpläne, die man überhaupt nicht mehr lesen kann. Dabei wäre das erstaunlich umfangreiche Werk des „Mecanoo“-Mitbegründers qualifiziert genug, um ohne solche Attitüden auszukommen. Es gibt ein Kapitel „Stille“ in diesem Buch. Und dann diesen graphischen Lärm.

Dem Zeitalter der Architekturbücherflut verdanken wir auch immer wieder mehr oder weniger umfangreichen Publikationen über ein einzelnes Bauwerk. Hier seien zwei genannt: jene über das Bilbao-Museum von Frank O. Gehry und über die Commerzbank in Frankfurt von Norman Foster. Letztere ist in der Edition Axel Menges erschienen und ein Bildband der üblichen Art, der auch jede Menge Pläne enthält - wie soll man sonst 80 eher großformatige Seiten mit einem einzigen Haus füllen? - und einen Einleitungsessay von Volker Fischer; aber man erfährt nichts, was über das in Zeitschriften Publizierte wesentlich hinausginge.

Auch beim Bilbao-Museum von Gehry muß es - via Guggenheim - so zugegangen sein. Und dieses Buch hat, wie gesagt, auch noch einen ziemlichen Umfang. Komischerweise wird einem trotzdem nicht langweilig. Man muß Coosje van Bruggen zugute halten, daß sie die Projektgeschichte so strukturiert hat, daß man einfach weiterlesen möchte. Außerdem sind Gehrys Handskizzen, und davon zeigt das Buch sehr viele, unglaublich reizvoll.

Ein Buch aus der Fülle des Frühjahrsangebots sollte man vielleicht noch speziell erwähnen. Es stammt von Sabine Kraft und heißt „Gropius baut privat“. Der textlastige Band, dem es um Inhalt geht, hat Gropius' eigene Wohnhäuser in Dessau (1925 bis 1926) und in Lincoln/Massachusetts (1938) zum Gegenstand. Kraft analysiert die Wohnhausentwürfe, die Gropius für sich selbst entwickelt hat, sie wirft aber auch die Frage auf, inwieweit Gropius bei seinen eigenen Wohnhäusern den sozialen Ansprüchen, die er in Fragen des Wohnbaus artikuliert hat, selbst gerecht wird.

Dramatisch könnte man sagen: Für sich selbst hat er Villen gebaut, privilegierte Wohnstätten für einen Reichen. Aber mit solchen „kleinen“ Abweichungen von den hehren Zielen der Moderne muß man offenbar leben.

Prag - Architektur des XX. Jahrhunderts
198 S., brosch., S 348, Euro 25 (Linde Verlag, Wien)

Radomira Sedlákova
Hatje Architekturführer Prag
148 S., brosch., S 227, Euro 16,3 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Heinfried Wischermann
Hatje Architekturführer Paris
148 S., brosch., S 227,Euro 16,3 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Mercedes Daguerre
Birkhäuser Architekturführer Schweiz
20. Jahrhundert, 448 S., geb., S 497, Euro 35,8 (Birkhäuser Verlag, Basel)

Ignasi de Solà-Morales, Antón Capitel, Peter Buchanan und andere
Birkhäuser Architekturführer Spanien
1920 bis 1999, 416 S., geb., S 497, Euro 35,8 (Birkhäuser Verlag, Basel)

Peter Buchanan
Renzo Piano Building Workshop
Sämtliche Projekte, Band 3, 240 S., geb., S 934, Euro 67,2 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Wolfgang Schäche (Hrsg.)
Jürgen Sawade - Bauten und Projekte 1970 bis 1995
290 S., geb., S 1445, Euro 104 (Gebrüder Mann Verlag, Berlin)

Erick van Egeraat
Sechs Anmerkungen zur Architektur
172 S., geb., S 716, Euro 51,5 (Birkhäuser Verlag, Basel)

Sir Norman Foster and Partners
Commerzbank, Frankfurt am Main
80 S., geb., S 569, Euro 40,9 (Edition Axel Menges, London)

Coosje van Bruggen
Frank O. Gehry - Guggenheim Museum Bilbao
208 S., geb., S 569, Euro 40,9 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Sabine Kraft
Gropius baut privat
120 S., brosch., S 277, Euro 20 (Jonas Verlag, Marburg)

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