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Global Village - Telecom und Stadtentwicklung
zolltexte

Über Stadtstrukturen, Städtesysteme und die Entwicklung des ländlichen Raumes im Kommunikationszeitalter.

30. März 1996 - Kurt Puchinger
Die grundlegende Dynamik ist, daß sich die zentralen Funktionen in den Global Cities umso stärker konzentrieren, je mehr die Ökonomie globalisiert wird.
Sassen, 1994

Erster Versuch der Annäherung:

Wenn ich im Prückl, im Landtmann oder im Europa sitze, zeitungslesend, mit Freunden plaudernd, manchmal auch nachdenkend, dann bin ich immer wieder froh in einer Stadt zu leben. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemals bei mir der Wunsch aufgetaucht wäre, in einem Welt-Dorf zu leben. Manchmal ist mir Wien schon zu provinziell. Die Vorstellung, längere Zeit meines Lebens in einem Dorf zu sitzen, in Tobaj z.B., vor dem online-Bildschirm und mir einzubilden, der Tastenklick verschafft mir mehr, als ich im Prückl, im Landtmann oder im Europa haben kann, finde ich mehr als seltsam. Ähnlich seltsam finde ich die Aufgeregtheit gegenüber dem Thema, die mir das Hauptcharakteristikum der einschlägigen Literatur zu sein scheint. Ich gebe ein Beispiel, verfaßt von einem Professor aus Darmstadt, der mir erklärt, was alles passierte, würde ich in Tobaj vor dem Bildschirm sitzen: „Durch Telekommunikation kommen Kommunikationspartner, die örtlich getrennt sind, zeitlich zusammen. Über Telepräsenz können wir uns fortbewegen, ohne uns von der Stelle zu bewegen. An jedem Ort können potentiell alle Orte telepräsent sein. Der Ort,den man als Telerealität wahrnimmt und der Ort, an dem man diese wahrnimmt, sind zeitgleich. Reale Nähe läßt sich durch das Image der Nähe ersetzen. Die Realzeit setzt sich gegenüber dem Realraum durch. Raum und Zeit fallen auseinander“ (MAURER, 1994). Wenn also schon in Tobaj Raum und Zeit auseinanderfällt, was muß sich erst in unseren Städten abspielen, wenn die Telepräsenz so richtig das Alltags- und Wirtschaftsleben durchsetzt? Oder: wenn an allen Orten potentiell alle Orte telepräsent sein können, warum soll ich dann nach Tobaj gehen, dann kann ich genausogut in Wien bleiben. Beim besten Willen, auf dieser Perry Rhodan-Schiene aus Darmstadt komme ich an das Thema nicht heran.

Zweiter Versuch einer Annäherung:

Telekom-Systeme, Datenhighways u.ä. sind hochrangige, teilweise leitungsgebundene Infrastruktursysteme. Die Peripherie dieser Systeme ist, gemessen an den Mittelschichtstandards der hochindustrialisierten Länder relativ klein, einfach und billig, die Zentralen sind teuer, oftmals hochkomplex und relativ groß. Die Attraktion des Internet liegt wohl nicht in seinem Charakter als ein schriftliches Telefon, sondern eher in der Zugriffsmöglichkeit auf zentrale Angebote. Insofern ist auch Internet hochgradig zentrenorientiert und -abhängig. Rasch sind die Netze dann, wenn das Transportgut in transportfähiger Form, also in irgendeiner elektronischen Form vorliegt. Auf den Vorgang, der dieser Formgebung vorausgeht - zu dem manchmal auch arbeiten und nachdenken gehört - haben die Netze keinen Einfluß. Deshalb wage ich die Hypothese zu formulieren, daß der ganze Telekombereich geeignet ist, verschiedene wirtschaftliche und soziale Trends zu verstärken, daß es die Raumstrukturen und Städte aber nicht grundlegend verändern wird. Ich finde mich mit dieser Hypothese in guter Gesellschaft, z.B. mit Saskia Sassen, die ich kurz zu Wort kommen lassen möchte: „Es wird so getan, als sei die Art von Raum, wie ihn die größeren Städte darstellen, aus dem Blickwinkel der Wirtschaft hinfällig geworden, insbesondere für die führenden Industriezweige, da diese den besten Zugang zur Datenfernverarbeitung haben und von ihr auch den fortgeschrittensten Gebrauch machen. Der Fähigkeit zu globaler Übertragung wird in dieser Beschreibung mehr Bedeutung beigemessen als den räumlich konzentrierten Infrastrukturanlagen, die diese Übertragung überhaupt erst ermöglichen; dem Informationsoutput wird mehr Bedeutung beigemessen, als der Arbeit, die diesen Output hervorbringt, der Arbeit von Fachleuten bis zur Arbeit von Sekretärinnen“ (SASSEN, 1994). „Wirtschaftliche Globalisierung“ kann aller Erfahrung nach nicht so interpretiert werden, daß es dadurch zu einer Gleichverteilung der Kommandozentralen der Wirtschaft auf der Welt kommt. Was ablesbar ist, ist eine Erweiterung des Systems der Zentralen von europäischen und US-amerikanischen Städten auf japanische und einige fernöstliche Städte bei gleichzeitiger weiterer Konzentration von Funktionen in den bisherigen „Weltzentren“. Wenn die Austrian Airlines ihre ganze Buchhaltung nach Indien auslagern, dann ist das mit Sicherheit erst durch die entsprechenden Telekomverbindungen möglich geworden. Wo aber in Indien wird diese Buchhaltung gemacht? Nicht am Land, sondern wieder in einer Stadt, mit einem hohen Potential an indischen EDV- SpezialistInnen und ProgrammiererInnen. „Die grundlegende Dynamik ist, daß sich die zentralen Funktionen in den Global Cities umso stärker konzentrieren, je mehr die Ökonomie globalisiert wird“ (ebd.). Die räumliche Wirkung dieser Dynamik zeigt sich in der extrem hohen Verdichtung in den Zentren dieser Städte. Die weitverbreitete Vorstellung, daß Verdichtung unnötig wird, wenn globale Telekommunikationssysteme eine maximale Dezentralisierung ermöglichen, ist nur teilweise richtig. Gerade auf die durch Telekommunikation ermöglichte räumliche Dezentralisierung ist zurückzuführen, daß die Agglomeration zentralisierender Aktivitäten so immens zugenommen hat. „Zur räumlichen und technischen Reorganisation der Wirtschaftstätigkeit gehören die geografische Verteilung von Produktionsanlagen, Büros, Dienstleistungsangeboten einerseits, die stark angestiegene Nachfrage nach hochspezialisierten Dienstleistungen im Zusammenhang mit Fortschritten in der Mikroelektronik andererseits. Diese beiden Prozesse, Verteilung und Dienstleistungsspezialisierung überlappen und beeinflussen sich gegenseitig. Die globale Verteilung von Produktionsanlagen und Büros erfordert die Zentralisierung der leitenden Unternehmensfunktionen. Gesellschaften, zu denen viele Betriebe, Büros und Dienstleistungsunternehmen gehören, müssen Planung, interne Administration, Distribution, Marketing und andere Aufgaben der Hauptverwaltung koordinieren. Wenn sich große Konzerne auf dem Gebiet der Produktion und des Verkaufs von konsumentenbezogenen Dienstleistungen betätigen, wird eine breite Skala von Aktivitäten, die vorher von selbständigen Unternehmen ausgeübt wurden, in die Firmenzentralen verlagert. Kurz gesagt, neben Dezentralisierungstendenzen zeigen sich neue Zentralisierungstendenzen“ (ebd.). Diese Befunde weisen nicht darauf hin, daß die Dichotomie von Zentrum und Peripherie obsolet geworden ist oder wird, sondern eher darauf, daß bislang hierarchisch gedachte Städtesysteme die klassische Christaller‘sche Pyramide zu verlassen beginnen und sich Cluster von räumlichen Bezugsmustern auf zueinander nahen städtischen Hierarchiestufen herausbilden, sich das System der Städte erweitert und sich die funktionellen, nicht so sehr die räumlichen Muster der Zentrenstrukturen innerhalb von Agglomerationen verändern.

Telekom als Element der Standortplanung in der Agglomeration

Die klassische Interpretation der Zentrenstruktur in einer konzentrischen Agglomeration, wie z.B. Wien, erfolgt in den Kategorien: City, Bezirkszentrum, Bezirksteilzentrum etc., mit der Implikation, daß die City Funktionen bereitstellt, die für das gesamte Stadtgebiet relevant sind, Bezirkszentren Funktionen bereitstellen, die für den Bezirk relevant sind. Die „Standorttrends“ gehen in die Richtung eines Splittings innerhalb von zentralen Funktionen. Die Zentralen wachsen im Verhältnis zum Zuwachs ihrer Aufgaben am ursprünglichen City-Standort geringer und verlagern ihre wachsenden Funktionen in andere zentrale Standortbereiche. Bisher hat sich das, wenn man beim Wiener Beispiel bleibt, in den „City-Erweiterungsgebieten“ abgespielt, im 2., 3. und 4. Bezirk. Die neuen Hochleistungsnetze ermöglichen aber nunmehr eine ganz andere Entwicklung: die Herausbildung von City-Komplementärzentren z.B. in Bezirkszentren, oder überhaupt an neuen zentralen Standorten. In dieser Logik lag die (verspielte) Chance für das Donaufeld und liegt das kurzfristige Problem der Platte, weil sie derzeit noch teurer ist als die City selbst. Diese City-Komplementärzentren weisen in ihrer funktionellen Struktur ganz andere Charakteristika auf als „Bezirksteilzentren“. Sie übernehmen immer häufiger „gesamtstädtische“ Funktionen, also Funktionen, die es in der Stadt „nur einmal“ gibt, was dem bisherigen Paradigma der Zentrenhierarchie ziemlich widerspricht. Die Anordnung der Telekom-Hochleistungsnetze in einer Agglomeration hat somit Standortqualitäten zu schaffen, wenn diese dem Gesetz der Kombination mit anderen zentralitätsbildenden Standortfaktoren (Erreichbarkeit, personenorientierte Dienstleistungsausstattung etc.) folgt.

Versuch einer Schlußfolgerung

Stadtstrukturen und Städtesysteme gehorchen nicht den Prospektphilosophien der Unterhaltungselektronik und auch nicht den darauf aufbauenden akademischen, tendenziell stadtfeindlichen Phantasmagorien. Ihre Strukturveränderungen sind im wesentlichen bestimmt von den Anforderungen der Standortnachfrage einer expansiven, zentralisierenden Wirtschaft, der die Romantik des Dorfes mit PC- Ausstattung fremd ist, auch jene des globalen Dorfes. Die Anordnung von Telekom-Hochleistungssystemen in der Agglomeration kann als Instrument zur Entwicklung von City-Komplementärzentren genutzt werden. Solche Komplementärzentren sind dann als Standorte für zentrale Einrichtungen geeignet, wenn alle anderen Zentralitätsanforderungen infrastrukturell abgedeckt werden. Die Chance für die Entwicklung von Komplementärzentren ist dann gegeben, wenn in der City und in den Cityerweiterungszonen keine Expansionsmöglichkeiten mehr vorhanden sind und/oder die Kostenstrukturen am neuen Standort sich deutlich günstiger darstellen als am Citystandort. Für Wien heißt das vor allem, die zentralen Standorte linksseits der Donau vorrangig mit diesen Netzen an die City und damit auch an die internationalen Netze anzubinden. Unabhängig davon mag es dörfliche Net-Jetter geben. Aber das ist gemessen an den Städtenetzen ein anderer, viel kleinerer Maßstab und auch - und da schließt sich der Kreis zum Cafe Prückl - eine andere Geschichte.


Literatur: MEURER, B. (Hrsg.) (1994): Die Zukunft des Raumes. Frankfurt a.M. SASSEN, S. (1994): Wirtschaft und Kultur in der globalen Stadt. In: MEURER, B. (Hrsg.) (1994): Die Zukunft des Raumes. Frankfurt a.M.

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