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Versuchte Eigen-art: Region und Kreativität
zolltexte

Betrachtungen zur Betonung des Regionalen.

30. Juni 1996 - Konrad Köstlin
Dahoam bleibt dahoam!
Slogan der EU-Beitritts-Werbung, 1995

Die Belebung der Region geschieht vor Ort auf dreierlei Weise: einmal durch Soziokulturarbeit (einem in der Stadt entwickelten Modell), dann durch ein unter dem Schirm der Regionalität gepflegtes und gefördertes Brauchtum und schließlich durch Pop-Events, bei denen die Schürzenjäger, Tina Turner oder Elton John Menschen in die „Provinz“ locken, oder wo mit regionalem Dialekt versehene Theaterstücke, etwa von Felix Mitterer, ein Publikum von Wien bis München auf eine Tiroler Bergwiese bringen wollen. Der Bürgermeister von Obertauern schickt sich gerade an, seine Gemeinde bis zum Jahr 2000 zu „Österreichs Beatles-Pilgerstätte Nummer 1“ (Neue Kronenzeitung, 7.4.1996) zu machen; die vier hatten dort vor dreißig Jahren einen Film gedreht. Kurz: der ländliche Raum wird mit einer Geschichte angefüllt, die ihm Eigenart geben und ihn unterscheidbar machen soll.

Das geschieht auch mit Mitteln der „Volkskultur“. Da wird Oberösterreich zum Goldhaubenland, Most oder Wein werden ebenso wie die Ostarrichi-Urkunde als so prägend angesehen, daß sie eine Region zur Bindestrich-Landschaft machen. Die historisch genannte Kultur steht im Rufe, vielfältig, an jedem Ort und in jeder Region anders zu sein und von der Ökonomie und den jeweiligen Lebensbedingungen her, „ökologisch“ geradezu, die Mentalität der Menschen geprägt und damit unterscheidbar gemacht zu haben. So haben sich im Wort „Region“ eine Vielzahl von Hoffnungen und Perspektiven des Eigen-Sinns angelagert, die sich gegen die Globalisierung richten und in „Kultur“ ihren Ausdruck finden, genauer noch: in der Regionalkultur. Sie gilt durch Traditionen und Bräuche reguliert und steht im Rufe, eine angemessene, humane Kultur zu sein: entstanden und ausgebildet von den Menschen und für die Bedürfnisse der Menschen, die auf diesem Fleckchen Erde leben.

Regionalkultur gilt als die traditionale Kultur der Region, sie wird oft gleichgesetzt mit „Volkskultur“ und ist damit für die Region „wesentlich“. Dem eher konservativen Modell der Heimatschutzbewegung liefert „Region“ ein neues Unterfutter. Seit zudem die moderne Sozialgeschichte anthropologisch argumentiert und in der Mentalitätsforschung das Modell der „longue durée“ als tief eingegrabenen Charakter der Regionalkultur und ihrer Menschen praktiziert, wird auch das Regionale wieder anthropologisiert, ethnisiert und mit einer Affinität zu einer Vorstellung vom „Wesen“ von Landschaft und „Stamm“ ausgestattet, eigentlich einer nur wenig eleganten Variante der Rede vom „Menschenschlag“.

Manche reden von der „Brennenden Provinz“, so als ob sich das eigentliche Leben dort abspiele und sich nur noch dort Widerstand gegen die Zentralen formulieren ließe. Sie nutzen moderne Kommunikationsmittel und zelebrieren im Internet die „Heile Heimat“. Das könnte - gut gefördert - ein trostreicher Euphemismus sein. Beide, Brennende Provinz und Heile Heimat, tiefen ihre Aktionen mit Feuerkulten archaisch ein und feiern eine regionale Kommunion mit „Feuer in den Alpen“ und „1000 Feuer entlang der Grenze“. Die Heimat soll offen und so heil gemacht werden, daß der Unterschied zwischen Metropole und Region - mental und durch Technik - unerheblich wird. Damit wird eine These vom „Verschwinden der Region“, wie sie der Philosoph Paul Virilio formuliert hatte, exekutiert und zugleich aufgehoben.

Paradeiser und Identität

Im Gegensatz zu Zukunftsvisionen aber graben sich viele Menschen (freilich nicht alle) geradezu in der Region ein. Zur Zeit des Europawahlkampfs im vergangenen Jahr waren auf den Autobahnen rings um Wien Schilder aufgestellt worden, die regional- heimatlich argumentierten. Man las dort „Dahoam bleibt dahoam“, „Wien bleibt Wien“ und „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat“. Offenbar glaubten ihre UrheberInnen auf Ängste vor fernen Zentralen in Brüssel oder anderswo reagieren zu müssen. „Maastricht“ war eines der Reizwörter. Diese Zentralen stehen im Ruf, das Eigene, das Unterscheidbare zu bedrohen und schließlich zugunsten einer europaweiten Gleichschaltung von Birnen, Rindern und Menschen zu zerstören. Als beruhigende Versicherung wurde den AutofahrerInnen mitgeteilt, daß die regionale Eigenheit des Heimatlichen von der Bürokratie der europäischen ZentralistInnen nicht tangiert würde. Gleichzeitig las man in der Presse, daß insgesamt 22 österreichische Begriffe in Brüssel geschützt worden waren. Es handelte sich dabei ausschließlich um die Namen von Agrarprodukten, um Fisolen und Paradeiser, Ribisel und Erdäpfel. Das Festhalten an diesen idiomatischen Bezeichnungen sakralisierte die Wörter und machte sie zu Kultworten, zum symbolischen Kapital des Eigenen: vorzeigbar als Unterschied. Auf der Frankfurter Buchmesse 1995 wurden den BesucherInnen des österreichischen Pavillons ein österreichisches Wörterbuch geschenkt. Nun ist Österreich nicht eine Region, aber die Regionalisierung von Kultur, die man als eine neue Tendenz beobachten kann, funktioniert. Dieser „kulturelle“ Akzent läßt ahnen, daß symbolische Besetzungen - jedenfalls in diesem neuen Zusammenhang - zentrale Bedeutung zugesprochen bekommen und zum Schibboleth werden können. Alltägliche Selbstverständlichkeiten von einst werden heute zu Besonderheiten. Selbst Banalitäten können so auf dem Altar des Regionalen nobilitiert werden.

Region statt Klasse

Man kann fragen, ob mit der Verräumlichung der Identitätskonstruktion die Region nicht den sozialen Aspekt der Klasse oder der Schicht für das, was „Identität“ genannt wird, übernommen hat. Denn im Diskurs über die Region (im Gegensatz zum lebensweltlichen Alltag in der Region) scheint das Soziale kaum noch auf. „Region“ überwölbt (wie ehedem „Heimat“ oder „Volk“) die sozialen Unterschiede und homogenisiert die Menschen im Raum; die sind dann nicht ArbeiterInnen, sondern zuerst TirolerInnen. Mit der räumlichen Bestimmung wird ein Homogenisierungsmuster angeboten.

Nun wird die Region in den letzten Jahren immer häufiger auch ethnisch gedeutet. Das Wort „Ethnizität“ ist ins Gerede gekommen. Die „ethnische“ Bestimmung (die ebenfalls das Soziale camoufliert) und die regionale, die das Soziale nicht kennen will, lassen sich weiterdenken. Sie führen zu „ethnisch“ genannten Kriegen um „ethnisches“ Territorium, deren Philosophie sich bis in „Blut und Boden“ verlängern läßt.

Insgesamt, um im moderateren Ton scheinbarer Harmlosigkeiten zu bleiben, läßt sich statt der sozialen Bestimmungen eine verstärkte Suche nach Raumbildern beobachten. Zu ihnen gehört die Region ebenso wie das Stadtquartier oder das Grätzel. Sie scheinen verläßlich, von langer Dauer und bilden Inseln im Meer der Unbeständigkeit und des Wandels, dem wir uns ausgesetzt fühlen. Je schneller und unabsehbarer sich der Fortschritt gebärdet, umso wichtiger scheinen Fixpunkte zu werden, umso wichtiger wird die persönliche Erdung innerhalb einer Region, die dann Heimat-Region genannt werden darf. Handelt es sich dabei doch um Räume, die mit einem Image ausgestattet, vor allem durch „kulturell“ genannte Faktoren, die als sowohl dauerhaft, weil tief aus der Geschichte herkommend, und deshalb als besonders identitätsproduktiv gedeutet werden können.

Die milde Region als Ort der Demokratie?

In der Tat hat das Wort „Region“ in unserer Zeit einen eher milden und in jedem Falle gegen die Globalisierung gerichteten Klang bekommen. Regionalkultur wird gegenüber der als nivellierend gedeuteten Weltkultur allemal als die bessere Kultur gesehen: vielfältig statt einfältig, mild statt aggressiv. Deshalb läßt sich Region auch gegen die gleichmacherischen Globalisierungstendenzen ausspielen. Wer heute etwas gegen die Region sagt, wird so scheel angesehen, wie jemand, der einen Hund tritt.

Im Raumbild „Region“ schwingen viele Zuschreibungen der letzten dreißig Jahre mit, die vom „Aufstand der Regionen“ sprachen und die damit jene Dezentralität einforderten, die sich gegen die Entscheidungen in den fernen und „fremden“ Zentralen richtete. Diese Bewegung, die eng an das „small is beautiful“ angelehnt war und oftmals links-grün-ökologisch argumentierte, fühlte sich verantwortlich für den kleinen Raum. Sie sah gleichzeitig in diesem kleinen Raum die Chance zu demokratischer Partizipation und damit eine Perspektive, soziale Unterschiede in diesen Räumen zu relativieren. „Satisfaktionsraum“ (Ina-Maria Greverus) war ein Wort und eine Idee, die den Lebensraum nicht mehr bloß als Heimat, sondern als Territorium deutete, in dem man durch Mitbestimmung auch Zufriedenheit und Identität finden konnte. Was als liberale Spielart von „Heimat und Identität“ in der Moderne verstanden wurde, hat längst Schlagseite bekommen. Denn wir erleben heute auch in den reichen Ländern, wie das Behaupten und Festhalten an der Eigenart der Region immer auch eine Tendenz entwickelt, die vor Einmischung und Durchmischung bewahren und sich „rein“ halten will.

Das Land macht Angst - Stadtluft macht frei

Der Philosoph Georg Simmel hat einmal gemeint, die Menschen bezögen ihre Kraft aus Dingen, die sie selbst zuvor mit dieser Kraft ausgestattet hätten. Genau das passiert mit der Region. In der Region wittern die Menschen heute ihre verlorene Transzendenz und den großen Zusammenhang der Natur. Sie imaginieren in ihr die beständig gegenwärtige, ewig dauerhafte, immer wieder verschüttete Moral; vielleicht auch einen Ersatz für den aufgegebenen und damit verlorenen Gott.

Die Regionalität, in der Kreativität und Selbstbestimmung möglich scheinen, gewinnt ihre Konturen und ihre Sympathiewerte erst vor ihrem Gegenstück, der Stadt. Als Idee ist die Region im modernen Sinn erst denkbar vor der Folie der Erfahrungen mit der Stadt. Es gab keine entschiedenere Absage an die Region, an die Provinz und die Natur als die europäische Stadt. Die Stadt war, historisch und ideengeschichtlich, der gesicherte Raum. Sie war durch hohe Mauern umgrenzt, mit denen Feindliches, Natur und Wildheit, jede ungeregelte Gesetzlosigkeit ausgeschlossen sein sollte. Im Innern der Stadt galten eigene, strengere Gesetze. Die Stadt war von Anbeginn an der Versuch einer Regulierung des Unregulierten, der Herstellung von Verläßlichkeit, der Verbannung des Chaos. In der Stadt war man vom „flachen“, ungegliederten Land, von der angstmachenden Natur abgeschlossen. Man hatte sich geordnet, umgrenzt, „definiert“, eingeschlossen.

Das Land galt den StädterInnen als schmutzig, unrein, ungeordnet: Es war eine Art „dritte Welt“, die Rohstoffe lieferte und später als Sommerfrische diente, war Entsorgungsraum und Kolonie der Stadt, die ihrerseits den Mehrwert durch Veredelung der Land-Produkte abschöpfte. Die Stadtmauer war das Zeichen der Unterscheidung von Stadt und Land, von BürgerInnen und Landmenschen. Sie war Symbol der städtischen Freiheit und erscheint auf alten Stadtsiegeln. Die Stadt war ein für unsere Vorstellungen unglaublich eng bebauter und ummauerter Wohnplatz. Gärten befanden sich außerhalb der Mauern. In der Stadt war lange kaum Platz für Grün, Bäume oder Parks. Selbst die einfachste Kulturtechnik, mit der man Natur in die Stadt holte, der Blumenstrauß im Zimmer, hat eine kurze, bürgerliche Geschichte.

Die aus der Stadt verbannte Natur war die angstmachende, aber auch faszinierende Wildnis, war vor allem der Wald. Die Märchen und Sagen, die im Wald spielen wie „Hänsel und Gretel“, erzählen uns davon. Im Wald lokalisierte man die „wilden Leute“, die Vogelfreien, die zwischen Legende und Wirklichkeit, Projektion und Realität angesiedelt waren. Der Wald, das war der Ort, an dem das Gesetz nicht taugte, den die Gesetzlosen (und damit auch Ungebundenen) bewohnten. Ein Ort der Furcht, jedenfalls für die Braven, denn im Wald, da waren die Räuber. Diesen Vogelfreien neidete man das unschätzbare Privileg, ungebunden zu sein. Im Wald trieben sie ihr wildes Wesen und ihre lästerlich-erotischen, freien Spiele. In der Symbolik der wilden Leute, wie sie die mittelalterlichen Bildteppiche in Basel, Köln oder Regensburg zeigen, bündelten sich Projektionen der Naturhaftigkeit. Die ließ sich im ummauerten Terrain, in Stadt oder Burg, nicht leben, nur denken und dann spielen. Das Bild vom Leben der wilden Leute wurde Gegenstand höfischer Spiele. Im 18. Jahrhundert spielte die Oberschicht Landleben. In Passau baute sich der Fürst und Bischof Auersperg außerhalb der Stadt in Freudenhain sein sommerliches „Holländisches Dörfchen“. Für den Erzherzog Johann wurde im Schönbrunner Park ein Tirolerhaus aufgestellt, in dem ein Senn zwei Kühe versorgte.

Die Stadt macht Angst - Landluft macht frei

Im 19. Jahrhundert, das uns bis heute bestimmt, werden in einer Romantisierung von Natur und Land die Lebensbedingungen des Landes als „natürliche“ wahrgenommen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden Stadtmauern und Wälle geschleift und die Stadttore abgerissen. Auf ihren Trümmern legt man den Grüngürtel der Stadt an, den Anlagenring und die Promenaden. Man erfindet eine neue Gangart, den Spaziergang. Das ist mehr als nur ein symbolischer Akt. Ein Denken, das „Land“ und „Natur“ als „gut“ deutet, nimmt hier seinen Ausgang. Bisher galt „Stadtluft macht frei“, nun floh und sang man „Aus grauer Städte Mauern“. Seit es die moderne Großstadt gibt, sind die Rollen vertauscht. Die Stadt übernimmt in einem atemberaubenden Wechsel die Eigenschaften der (ehemals wilden) Landnatur. Das Land wird von da an als Hort gesicherter, traditioneller, beständiger Lebensweise und bescheidener, dafür aber überschaubarer Geborgenheit gezeichnet. Die Stadt und ihre Explosion in die Großstadt gelten seitdem als verwirrend, chaotisch, unübersichtlich und die Menschen gefährdend.

Die historische Stadt also war die entschiedenste Absage an die Natur. „Stadtluft macht frei“ sagte man zuvor. Da war die Luft gemeint, in der es keine Leibeigenschaft gab. Landluft, die wir heute die „gute“ nennen, war jene Luft, die Menschen fesselte: durch die Bindung an die Scholle und den Grundherrn, ohne dessen Zustimmung es keine Mobilität geben konnte, später durch die Bodenideologie, die die Menschen als verwurzelte Wesen interpretierte und ihnen „Heimat“ so erklärte, als ob der Mensch ein Baum sei und deshalb Wurzelgefühle nötig habe. Seit dem 19. Jahrhundert scheint es „Heimat“ nur mehr in der Region zu geben. Mit „Wo’d hischaugst Hoamat“ warb kürzlich ein Urlaubsprospekt aus Oberbayern, dem Eldorado inszenierter Ländlichkeit. Die ästhetische Sicht der „Schönheit der Natur“ ist neu. Sie treibt Menschen - vor allem aus der Stadt - seit dem 19. Jahrhundert in die Wälder, wo sie im Dom aus Bäumen meditieren, Waldkapellen erstellen und ihre Andacht in der Waldeinsamkeit verrichten. Der Wald, einstmals undurchdringliche und angstmachende Wildnis, war nun Ort der Unmittelbarkeit zu Gott und zur Natur. Die Region ist die gezähmte Natur, die den Menschen nicht bedrohen kann. Dazu allerdings mußte sie hergerichtet werden, durfte nicht roh sein. Was man pflegt, ist freilich immer schon Kultur, ist domestiziert und handsam gemacht, verfügbar. Der Drang ins Grüne, in den Wald, den wir als „natürlich“ erleben, ist „kultürlich“ gelernt.

Land als Produktionsort

Gleichzeitig und für jenen großen Teil der Menschen, die nicht dichteten, nicht intellektuell und nicht am „Diskurs“ beteiligt waren, war - und daran muß erinnert werden - am Anfang des 19. Jahrhunderts das Land (keine Rede von „freier Natur“) Wohn- und Arbeitsplatz. „Land“ war als Sphäre der Produktion eine ökonomische Kategorie. Bauern und Bäuerinnen, Fischer, Bergleute und HandwerkerInnen hatten gelernt, Zeichen zu lesen. Sie waren auf Kenntnisse angewiesen, mit denen sie ihr lokales Ökosystem interpretieren konnten. Die Veränderung des Wetters, auffälliges Verhalten der Tiere wurden registriert, weil der Arbeitsplatz Land und sein Ertrag sich dadurch verändern konnten. Dieses Wissen hatte sich in einer langen Traditionskette akkumuliert und garantierte den Älteren als den Besitzern des Wissens eine Schlüsselposition.

Off-Road

Daß sich die Region nicht in der Planungssprache, sondern in der Alltagserfahrung immer weiter von den Städten entfernt, macht fast nichts. Mit dem Auto kann man nicht nur zur Natur fahren, man kann sogar in sie hinein, in eben die Natur, die man vorgibt zu lieben. Das Interesse am Automobil ist geblieben, als ob es keine sich beschleunigende Umweltkrise gäbe, die wesentlich durch das Auto bestimmt wird. Das Automobil zerstört sozusagen die „Region“, die man mit ihm erreichen will. Für diese Fahrt gibt es Fahrzeuge, denen ihre Regionaltauglichkeit implantiert ist. Das Automobil bekommt ein Natur-Image, es verwandelt sich, und das Recht, in die Region zu fahren, wird durch eine naturnahe Ausstattung sinnlich-argumentativ gestützt. Ich rede vom Geländewagen. Manchmal könnte man meinen, wir lebten in einem Agrarland, soviele Geländewagen - Bestandteil einer neuen Popularkultur - gibt es. Folgt man der Aufforderung der Werbung, dann hat das Fahren im Gelände eine Philosophie. Man kann „Eigene Wege gehen“, hat einen Namen: „Off-road“. Auch gibt es eine alltägliche Bereitschaft, sich der Natur werktags zu stellen: Schweizer Offiziersmesser, mit Säge und anderen Überlebenswerkzeugen ausgestattet, finden mehr Absatz als je zuvor; man wäre in der Lage, einen Fisch sofort auszunehmen. Trekking-Kleidung mit Schenkeltaschen trägt man auch im Büro; mit Schuhen, mit denen man Berge besteigen könnte, tritt man auf Bürotreppen. In manchen Büros wähnt man sich angesichts von Flanellhemden, Arbeitsklamotten und nordischen Pullovern in die kanadische Holzfällerwildnis oder in winterliche Hafenstädte Norwegens versetzt, so als ob man jederzeit in der Lage sei, die Konfrontation mit der Natur aufzunehmen. Die symbolische Praxis wird immer wichtiger. Sie verrät mehr über die Aneignung, die Nutzung der Region und das Bild, das wir uns von ihr machen.

Der Regionalzug ist der langsame Zug. Region ist das, was sich dem schnellen Wandel zu widersetzen scheint. Die Regionalisierung unserer Lebenswelten ist Bestandteil der Modernisierung unserer Lebenswelten. Sie zielt scheinbar gegen die Globalisierung, ist ihr aber, genau besehen, zugehörig. Das zeigt als jüngstes Beispiel der regionale Herkunftsnachweis, der vom Rindfleisch verlangt wird. Der Glaube, daß das eigene Regionale gut sei, bewirkt auch hier eine Stabilisierung.

Dabei denken und handeln wir auch in diesem Fall sowohl regional als auch global. Aber es sieht so aus, als bräuchten wir angesichts der Transformationsprozesse eine Einbindung ins Verläßliche und Dauerhafte, wie sie die Region verspricht. Auch die sichtbare Renaissance regionaler Ökonomien gewinnt ihre nur scheinbar gegenläufige Kontur und damit ihre Marktchancen erst angesichts der globalen Ökonomie.

Die andauernde und immer wieder erneuerte Rede von der Region schafft und entwickelt Region als neue Wirklichkeit und als Gegenbild zur Globalisierung. Moderne Identitätsdiskurse statten die BewohnerInnen der Regionen mit bestimmten Eigenschaften aus, die selbst als unsympathisches Image der Gesichtslosigkeit vorzuziehen sind. Sie verräumlichen Eigenschaften. Die Ortlosigkeit der Globalisierung, die wie das Internet überall und nirgends stattfindet, erzwingt die „Topolatrie“, wie Karl Markus Michel „die Magie des Ortes“ genannt hat, die damit ein Kennzeichen der Moderne ist.

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