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Hirschstettner GRÜNde
Hirschstettner GRÜNde, Foto: Landesbildstelle Wien
Hirschstettner GRÜNde, Plan: Ivancsics & Langenbach
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Ein Landschaftsplanungswettbewerb als Kurs für TrockenschwimmerInnen?

30. September 1996 - Thomas Proksch
Wenn man sich der Meinung von Th.W. Adorno sinngemäß anschließt, ist es das Mögliche und nicht das Wirkliche, das der Utopie im Wege steht. Das Mögliche in Wiens Planungslandschaft ist am Grün- und Freiflächensektor eine Residualgröße – es gilt Restflächen zu verwerten und Zwischenräume zu nutzen.

Ausnahmen in diesem Planungsalltag stellen lediglich spezifische Anlässe dar, etwa eine Internationale Gartenschau in Wien, die bereits zweimal in Wiens Weichbild nachhaltige Spuren hinterlassen durfte (Donaupark, WIG-Gelände Oberlaa), oder die Notwendigkeit der Realisierung eines wasserbaulichen Großprojektes (Donauinsel, Bau des Kraftwerkes Freudenau).

Es besteht – betrachtet man die Situation in Wien in Hinblick auf die Grün- und Freiflächenversorgung – die Notwendigkeit weiterer äußerer Anlässe, wenn man davon ausgeht, daß die Periode der in Schubladen gut abgelegten Projektvorhaben und grünen Pläne für weiße Wände langsam zu Ende gehen sollte. Ein solcher Anlaß ist ein Wettbewerbsverfahren. Es thematisiert einen Ort, schafft Öffentlichkeit und läßt sich als Inszenierung politisch vermarkten.

So kam es, daß noch rechtzeitig vor den Wiener Gemeinderatswahlen mit Unterstützung des Bezirkes, des (noch) zuständigen Planungsstadtrates sowie der tangierten Magistratsdienststellen die Freiflächen um den alten Ortskern Hirschstettens zur Bühne der österreichischen LandschaftsarchitektInnenszene gemacht wurden. Über die Zweckmäßigkeit und Opportunität des Zieles der Erhaltung der Lesbarkeit der alten Ortsstruktur und der langfristigen Aufwertung der umliegenden Freiflächen zu einem hochwertigen stadtteilbezogenen Erholungsgebiet sollte es keine Diskussion geben. In Anbetracht der Tatsachen, daß einerseits der Stadterweiterung im Nordosten Wiens ohne Zweifel für die nächste Zeit die Luft ausgegangen ist und aus diesem Grund der Bebauungsdruck auf das gegenständliche Freiraumsystem vergleichsweise gering ist, andererseits aber zahlreiche Stadtteile Wiens sowohl aus qualitativer als auch quantitativer Sicht eklatante Defizite in Hinblick auf die Versorgung mit öffentlichen Grün- und Freiflächen aufweisen, erscheint die Dringlichkeit und Priorität des Vorhabens allerdings fraglich. So würde sich etwa ein Ideenwettbewerb, der die Frage der Grünflächenmobilisierung in den dicht bebauten Bereichen Margaretens (5. Wiener Gemeindebezirk) oder der Josefstadt (8. Wiener Gemeindebezirk) zum Gegenstand hat, direkt aufdrängen. Baulückenparks und freiraumplanerische Kleinmaßnahmen (z.B. Organisation des Straßenraumes) könnten so hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Potentiale hinterfragt werden und gegebenenfalls neue, keineswegs lehrbuchhafte Ansätze gefunden werden.

Diese Dringlichkeit des Nachdenkens und Handelns ist für das Thema des „Landschaftsplanerischen Ideenwettbewerbes Hirschstettner GRÜNde“ jedenfalls nicht gegeben gewesen. Dennoch sollte sich der beschrittene Weg präsumtiv als richtig erweisen, geht man davon aus, daß in Wien die Skepsis gegenüber der Disziplin Landschaftsarchitektur, ihrer handwerklichen Fertigkeiten und möglichen Beiträge im Planungsalltag noch vergleichsweise groß ist. So gilt das Prinzip, daß der/die SchwimmerIn zuerst am Trockenen zu zeigen hat, daß er/sie die Schwimmtempi beherrscht und nicht untergehen würde, müßte er den Sprung ins kalte Naß wagen.

Der landschaftsplanerische Ideenwettbewerb Hirschstettner GRÜNde ist in diesem Sinn ein Spielboden der TrockenschwimmerInnen, die zu beweisen haben, daß sie tragfähige Ideen selbstbewußt zu Papier bringen können, die sich auch in den Planungsdiskussionen im Rahmen der Stadt Wien ausspielen lassen und politisch besser vermarktbar sind als die alltäglichen Auftragsarbeiten, die von Hand zu Hand zu Schublade gereicht werden.

Betrachtet man nun die Ergebnisse der Inszenierung, so spiegelt sich in der Palette der abgegebenen Wettbewerbsarbeiten die jüngere Geschichte der Landschaftsplanung und ihrer akademischen Ausbildung in Österreich anschaulich wider. Neben einigen wenigen Arbeiten, die bereits langjährige Büropraxis und auch Wettbewerbserfahrungen in der Präsentation und graphischen Aufbereitung erkennen lassen, sieht man den meisten übrigen Beiträgen an, daß in den letzten Jahren das Zeichenhandwerk nicht unbedingt im Mittelpunkt der Ausbildung an der Universität für Bodenkultur Wien stand und es für die meisten TeilnehmerInnen überhaupt die erste Konfrontation mit einem landschaftsplanerischen Wettbewerb war. Blickt man – wie es auch das Preisgricht zu tun bemüht war – hinter die Schwächen der graphischen Aufbereitung und den häufig geübten Dilettantismus in der Präsentation, so waren allerdings bei zahlreichen Projekten trotz unkulinarischer Aufbereitung teils erstaunlich kreative planerische Ansätze zu finden, Einzelideen, die in ihrer Schlüssigkeit bisweilen bestachen und strategische Überlegungen, die von einer eingehenden Analyse der örtlichen Rahmenbedingungen zeugen.

Die Palette der Ideen und planerischen Lösungsansätzen unterschied sich in diesem Sinn nicht wesentlich von den Ergebnissen vergleichbarer internationaler Wettbewerbsverfahren, lediglich aus der Betrachtung des Bildes der Wettbewerbsarbeiten begründet sich das vermeintlich „geringe Niveau“.

Das Siegerprojekt von Roman Ivancsics und Heike Langenbach war der logische Gewinner, spielt die Kenntnisse des Ortes, seiner Rahmenbedingungen und Landschaftsgrammatik geschickt aus und besticht duch die klare Logik eines ruhigen und zurückhaltenden Entwurfes. Wenn es so etwas wie Diplomatie in der Landschaftsplanung gibt, ist dieser Wettbewerbsbeitrag ein nahezu perfektes Beispiel dafür.

Zu wenig dieser Diplomatie zeigt andererseits etwa der perfekt und plakativ dargebotene Beitrag des Schweizer Landschaftsarchitekten Roland Raderschall, der in seiner Neuinszenierung der Hirschstettner Gärten den Bogen zwischen stadtteilbezogener Erholungslandschaft und Gartenschauglück offensichtlich zu weit überspannte und deshalb seitens der Jury nur – wie auch die postmoderne, allerdings jedenfalls originelle Landschaftsinszenierung von Andrea Cejka – nur mit einem Ankauf bedacht wurde.

Die Schwierigkeiten, gute konzeptive Ansätze auch auf Ebene des Entwurfs plakativ umzusetzen, zeigen zahlreiche Projekte, unter anderem auch die Arbeit von Therese Brandl, der die Jury wohl nahezu ausschließlich für die Analyse, die übergeordneten Gestaltungskonzeptionen und die dargebotenen Ansätze zur Planungsumsetzung einen 2. Preis zuerkannte. Betrachtet man ihren Gestaltungsplan, so findet sich kaum noch etwas von der analytischen Klarheit, die den Überbauteil noch auszeichnet.

Auffallend war, daß sich in der Palette der eingereichten Projekte kaum jener Zeitgeist widerspiegelte, der derzeit die internationale Landschaftsarchitekturszene prägt. Am ehesten nahm hier noch Gernot Supper bezug, der für sein modisch-zeitgeistig dargebotenes Projekt einen 3. Preis erhielt. Auch wenn dem Projekt noch die Klasse und Routine eines West 8- oder etwa B&B-Projektes fehlt, so sind die Anleihen bei den trendsettenden holländischen Landschaftsarchitekturfabriken in der Form der Darstellung wie auch der Herangehensweise bei der Dokumentation der Planungsüberlegungen unverkennbar. Das gut durchgearbeitete Projekt bietet in seiner eigenen Landschafts- und Raumgrammatik allerdings eine Fülle an interessanten Entwicklungsansätzen, ist in diesem Sinn keineswegs nur als leere bunte Hülle zu betrachten, bleibt allerdings hinsichtlich der Maßnahmenpräzisierung viele Antworten schuldig.

Auf der anderen Seite hatte eine stille intellektuelle Arbeit, die noch dazu gegen den Strich gebürstet war, wie jene des Schweizer Landschaftsarchitekten Guido Hager, gegen ein schrilles Projekt, wie das vorhin angesprochene, keine Chance und fand bei der Jury nicht jene Würdigung, die sie meines Erachtens verdiente.

Entscheidend für das Werturteil über dieses Wettbewerbsverfahren sollte allerdings nicht die Diskussion über die Darstellungsqualitäten der einzelnen Arbeiten, die planlich und textlich vermittelten Gestaltungsideen und Entwicklungsziele, sondern schlußendlich ausschließlich das Ergebnis des Prozesses in der Hirschstettner Landschaft sein. Dazu bedarf es mehr als nur der Leitideen und -ziele für die Grün- und Freiflächenentwicklung, sondern des weiterführenden planerischen Prozesses, der verbindlichen Willensbekundung seitens des Bezirkes und der tangierten Magistratsdienstellen bzw. des (künftigen neuen) Planungsstadtrates sowie nicht zuletzt einer wohnansässigen Bevölkerung, die als Trägerin der Kontinuität einer Planungsdiskussion fungiert, die zuguterletzt auch Spuren in der Landschaft hinterläßt. Die Voraussetzungen dafür, daß sich etwas bewegt, sind gar nicht so schlecht. Einerseits gibt es die Hirschstettner Initiativgruppe, die sich stetig artikuliert, andererseits die äußeren Anlässe, die in Wien immer notwendig sind, um Anstehendes nicht auf die lange Bank zu schieben. Die S 80 wird ausgebaut und auch die Realisierung des Straßenbauprojektes B 3d ist wahrscheinlich.

Der Wettbewerb hat seine Schuldigkeit getan, die Botschaft wurde gehört. Jetzt bedarf es nur noch der ersten Schritte in Richtung einer Umsetzung des von den Preisträgern „gedanklich Vorweggenommenen“. Dann wird man einmal zurecht sagen können, daß der landschaftsplanerische Ideenwettbewerb Hirschstettner GRÜNde kein „Kurs für TrockenschwimmerInnen“ war und kann mit guter Berechtigung an die Vorbereitung des nächsten Wettbewerbsverfahrens am Grün- und Freiflächensektor in Wien gehen.

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