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Narzissen sind nicht alles
Spectrum

Gut gemeint heißt nicht gut gelungen, wieder einmal: das neue Wellnesshotel Vivamayr von Hohensinn Architektur im steirischen Salzkammergut.

18. April 2015 - Karin Tschavgova
Ein erfolgreicher Industrieller, der einst als jüngster österreichischer Finanzminister Bekanntheit erlangte, errichtet in Altaussee ein Gesundheitszentrum als Ganzjahresbetrieb. Auch wenn sich der Tourismus im steirischen Salzkammergut bis heute kaum zweisaisonal etablieren konnte, könnte dieses Projekt erfolgreich werden. Seine Gäste konzentrieren sich auf innere Einkehr, Entschlackung und Ernährungsumstellung. Ungünstige äußere Bedingungen – im Ausseer Becken liegt an 100 bis 120 Tagen im Jahr Schnee – und kurze Zeiten der Sommerfrische sollten Gäste von dieser Form der Erholung nicht abhalten. Investments wie dieses braucht ein Ort, in dem das jährliche Narzissenfest das größte touristische Ereignis darstellt.

Der Investor plant gründlich. Er setzt ein beratendes Projektteam ein, lässt gut aufbereitete Projektunterlagen zusammenstellen und lädt fünf renommierte Architekturbüros ein – zur Erstellung eines Gesamtkonzepts (Giselbrecht, Hohensinn, Jabornegg und Pálffy, Johannes Kaufmann, Wissounig). Übliche Regeln des Architektenwettbewerbs kommen ebenso wenig zum Einsatz wie eine Fachjury. Entscheidungen behält man sich selbst vor. Das erworbene Grundstück in Ufernähe des Sees, unmittelbar an die naturbelassene Uferpromenade angrenzend, enthält Teile, die als allgemeines Wohngebiet und Erholungsgebiet ausgewiesen sind, darf also bebaut werden.

Als Intellektueller und Ortsansässiger weiß der Investor, dass Bauen in einer Kulturlandschaft, die zum UNESCO-Welterbe zählt, an einem Ort, der seine Bedeutung aus dem mehr als 800 Jahre währenden Salzbergbau erlangte und schon im 15. Jahrhundert als Luft- und Salzkurort genannt wurde, nach hoher Sensibilität verlangt. Die Erstellung eines Bebauungsplans und zahlreiche Verordnungen der Gemeinde und der Landesregierung, die den Altausseer See 2002 zum Naturschutzgebiet erklärt hat, waren die rechtliche Grundlage des Projekts. „Die Baukörper sind in Proportion, Situierung und äußerer Gestaltung dem Ortscharakter beziehungsweise dem Landschaftsbild entsprechend auszubilden“ lautet der Kernsatz der Bebauungsrichtlinien der Gemeinde, was für Altaussee hieße, Gebäudehöhen auf zwei Etagen und ein ausgebautes Dachgeschoß zu beschränken. Dementsprechend hielt man in den Ausschreibungsunterlagen fest, dass davon ausgegangen werden könne, bei Ausnutzung der größtmöglichen Bebauungsdichte eine Hotelanlage in drei Geschoßen zu errichten.

Mit diesen Vorgaben und einem detaillierten Raumprogramm ausgestattet, machten sich die fünf Geladenen an die Arbeit. Zum Zeitpunkt der Projektvorstellung scheint die Gemeinde mit an Bord geholt worden zu sein, denn vom Bürgermeister ist der Ausspruch überliefert, dass ein Gebäude mit einer mehrfach geknickten Dachform, wie es das Projekt des Büros Hohensinn aus Graz vorsah, überall, aber sicher nicht in der Gemeinde Altaussee errichtet werden kann. Vier der fünf Teilnehmer unterwarfen sich dem Wunsch nach Überarbeitung ihres Entwurfs, Jabornegg und Pálffy stiegen aus, obwohl ihr Vorschlag die Vorgabe von Dreigeschoßigkeit und Satteldach erfüllt hatte.

Letztendlich wurde das Projekt von Hohensinn Architektur zur Realisierung ausgewählt. Seine Grundfigur war in der Dachform, der Fassadengliederung und der Fassadengestalt so lange abgeändert worden, bis die Vorstellungen aller Beteiligten von einer gelungenen Einfügung in das Orts- und Landschaftsbild befriedigt waren. Über die zu erwartende Höhenbeschränkung hatte sich der Architekt schon in seinem Erstentwurf hinweggesetzt. Wie Gesamtnutzflächen von rund 8.000 Quadratmetern in funktionell zusammenhängende Baukörper bringen, die den Charakter der historischen Bauten im Ort wiedergeben? Der Architekt hatte dreigeschoßige Zimmertrakte – aufgeteilt auf drei Baukörper, die durch eine innen liegende Y-förmige Erschließung zu einem Ganzen verbunden sind, auf einen Sockel gesetzt. Diese horizontale Schichtung unterbrach ein Zwischengeschoß für die medizinischen Einrichtungen des Hotels. Mit seiner verglasten Fassade, die zurückspringt, sollte es eine horizontale Zäsur sein und zu einem Ausdruck von Kleinteiligkeit beitragen. Die Gesamthöhe der fünf Geschoße konnte nicht geleugnet werden, ihre Wirkung sollte durch die gliedernde Gestaltung jedoch gebrochen und gemildert werden. Auch die Teilung der Dächer in kleinere, unterschiedlich flach geneigte Flächen im Erstentwurf war ein Beitrag dazu.

Überraschenderweise stieß sich niemand an der Höhenentwicklung des Projekts. Mag sein, dass man schon bei der Präsentation des Erstentwurfs eingesehen hat, dass sich ein derartiges Volumen nicht in der Typologie eines Ausseer Hauses unterbringen lässt. Dennoch wird zu diesem Zeitpunkt die Forderung nach dem ortstypischen Satteldach in Steilform zur unabänderlichen Macht des Faktischen, wie es der Architekt ausdrückt. Und so macht er seinen Entwurf „ortsverträglich“. Die Chance auf den Auftrag, der in greifbarer Nähe ist, will er nicht verlieren. Kann man ihm das verübeln? Der Kanon an Formen und Materialien, den er entwickelt, orientiert sich nun stärker an traditionellen Elementen.

Geschnitzte Holzsteher werden neu interpretiert und das Bild von ornamentierten Holzbrüstungen in gepixelte Holzschalungen transformiert. In vermeintlicher Analogie zum massiven Sockel aus rosafarbigem ortsüblichem Bruchstein an einem historischen Nachbargebäude, dem Parkcafé, wird das Sockelgeschoß des Neubaus als „Steinsockel“ tituliert, obwohl nur ein Rahmen, der mit Marmorplatten im gleichen Farbton verkleidet ist, um den weitgehend verglasten Sockel gezogen wird. Zitate ruraler Gebäudeausstattung finden sich auch zahlreich an der Innenraumgestaltung, für die das Architekturbüro BWM verantwortlich zeichnet.

Am gebauten Ergebnis lässt sich exemplarisch ablesen, dass sich die Orientierung an regionalen Eigentümlichkeiten nicht auf jede Bauaufgabe übertragen lässt. Ein Projekt in der Größenordnung des Anfang April eröffneten Hotels kann schon wegen der großen zusammenhängenden Flächen, die das Ergebnis funktioneller Vorgaben sind, und aufgrund seines daraus entstehenden Volumens nicht nach Maßstäben und Richtlinien beurteilt werden, die von den Baumassen traditioneller Ein- und Zweifamilienhäuser abgeleitet werden. Vorgaben zur traditionellen lokalen Formensprache führten zu einem Ergebnis, das nun in Höhe und Volumen – subjektiv empfunden – massiver wirkt als der Erstentwurf. Der Architekt hat guten Willen gezeigt und den Begehrlichkeiten der Gemeinde und der Auftraggeber entsprochen. Sein Bestes konnte er nicht geben.

Man muss den Diskurs über die Zukunft des touristischen Bauens nicht über ein Extremvorhaben wie den 381 Meter hohen Turm, der ins Schweizer Bergdorf Vals gesetzt werden soll, führen. Diskurs ist auch anhand von gebauten Beispielen möglich, die anschaulich demonstrieren, dass strikte Bebauungsrichtlinien für landschaftsverträgliches Bauen zur Farce werden, wenn sie maßstabslos angewandt werden. Neue Tourismuskonzeptionen brauchen die Möglichkeit, neue Typologien und Gestaltformen zu entwickeln. Fragen nach der Angemessenheit eines Bauvorhabens dieser Größe an einem besonderen Ort wie dem Altausseer Seeufer müssten am Anfang stehen.

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