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Regionalentwicklung im Grenzraum Nördliches Weinviertel – Südmähren
Regionalentwicklung im Grenzraum Nördliches Weinviertel – Südmähren
Regionalentwicklung im Grenzraum Nördliches Weinviertel – Südmähren, Foto: Büro für Landschaftsplanung
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30. März 1998 - Johannes Schaffer
Eigenständige Regionalentwicklung im Grenzraum (EREG) ist der thematische Schwerpunkt eines Projektes, das im Rahmen der INTERREG II Initiative der Europäischen Union im niederösterreichischen Grenzraum - etwa zwischen Laa/Thaya und Hohenau bzw. Breclav - durchgeführt wurde.1

Um Entwicklungsmöglichkeiten aus der Region selbst heraus zu entwickeln, muß Vorhandenes gestärkt und nicht – zumindest nicht primär – von außen etwas Neues in die Region gebracht werden. Dazu müssen die Stärken und Schwächen der Region, ihre Entwicklungspotentiale, aber auch mögliche Fehlentwicklungen analysiert und aufgezeigt werden. Auf Grundlage dieses Wissens können Strategien vorgeschlagen werden, welche vorhandenen Möglichkeiten und Chancen unterstützt, gefördert, ausgebaut und damit zu einem wirtschaftlichen Nutzen für die Region entwickelt werden können. Die Schwerpunkte der eigenständigen Regionalentwicklung im Grenzgebiet Niederösterreich/Südmähren liegen in den Bereichen Tourismus, Landwirtschaft und Kulturlandschaft.

Die Stärken ...

Die sehr fruchtbaren Böden der Region erlauben grundsätzlich die Herstellung vielfältiger und hochwertiger landwirtschaftlicher Produkte. Außerdem liegt der Anteil der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen vielfach weit über dem mitteleuropäischen Durchschnitt. Die Bedeutung des Weinbaues konnte mit der Erzeugung von Qualitätswein und einer entsprechenden Vermarktung in den letzten Jahren gestärkt werden.
Durch die Nähe zu großen Bevölkerungs- und Wirtschaftszentren (Wien, Bratislava, Brno) ergibt sich ein großes und vielfältiges Arbeitsplatzangebot in Tagespendlerentfernung, wobei die resultierende Pendlerproblematik mit all ihren negativen Folgeerscheinungen sicherlich nicht vernachlässigt werden darf.

Die Randlage und die damit verbundene Stagnation der Entwicklung bewahrte der Region eine relativ ungestörte Kulturlandschaft (Laaer Becken, Hügelland um Falkenstein und Poysdorf, Pollauer Berge, Stauseen von Nové Mlyny, March-Thaya- Auen) mit einem beträchtlichen touristischen Potential. Weiters sind - insbesondere auf tschechischer Seite - bedeutende Sehenswürdigkeiten vorhanden, zuvorderst ist das Lednice-Valtice-Areal zu nennen. Mit den Kellergassen und Kellerbergen besitzt die Region darüber hinaus ein ganz spezifisches Kulturerbe, das momentan – vor allem für den Tourismus – nur in Ansätzen genutzt wird. Probebohrungen in den letzten Jahren haben überdies das Vorhandensein von Thermalwässern bestätigt. Bei allen Überlegungen hinsichtlich Tourismus ist die Nähe der Region zum internationalem Tourismuszentrum Wien herauszustreichen.

… und die Schwächen der Region

Die relativ guten Bedingungen für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte haben bislang im Gegensatz zu anderen Regionen keinen besonderen ökonomischen Reformdruck ausgelöst. Momentan ist die Landwirtschaft überwiegend auf Mengenproduktion ausgerichtet, die durch die Erzeugung von Standardprodukten mit relativ geringer Wertschöpfung pro Hektar charakterisiert ist. Eine regionale Produktidentität fehlt bislang weitestgehend, auch Aktivitäten im Bereich Direktvermarktung sind nur in Ansätzen vorhanden. Darüber hinaus weist die Landwirtschaft auf österreichischer Seite typische strukturelle Probleme auf, nämlich einen hohen Anteil an Nebenerwerbsbauern und -bäurinnen, eine oftmals geringe Flächenausstattung der Betriebe und eine relativ starke Überalterung der BetriebsinhaberInnen. Die Übernahme von Betrieben durch junge, Innovationen aufgeschlossene Bauern und Bäurinnen findet immer seltener statt, die Flächen auslaufender Betriebe werden zumeist von anderen zugepachtet.

Der Tourismus in der Region hat bis auf wenige Ausnahmen (Lednice/Valtice, Falkenstein) kaum Tradition. So werden Besucher als Fremde und nicht als Gäste angesehen. Aber auch die touristische Infrastruktur weist starke Defizite auf. In der Region besteht ein Mangel an Beherbergungsbetrieben, insbesondere an qualitativ hochwertigen Unterkünften.

Durch den „Eisernen Vorhang“ und die damit verbundene jahrzehntelange Trennung hat sich eine Grenzlandmentalität entwickelt, die sich so schnell nicht wieder auflösen läßt. Die mentale Barriere im Bewußtsein der Bevölkerung stellt einen wesentlichen Nachteil hinsichtlich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dar. Die Sprachbarriere ist vor allem für die österreichische Bevölkerung ein großes Problem. Belastet werden die Beziehungen zusätzlich durch die hohen Lohn- und Preisunterschiede und das damit verbundene Wohlstandsgefälle. Innerregionale Zusammenarbeitsformen sind erst in Ansätzen entwickelt. In der Region herrscht eine „Einzelkämpfermentalität“, die Kooperationen erschwert. Das regionale Bewußtsein ist schwach ausgeprägt.

Die Gefahren ...

Es besteht die Gefahr, daß die Landwirtschaft auf österreichischer Seite nicht bzw. nicht rechtzeitig der enormen Konkurrenz innerhalb der EU ausweicht. Bestimmte Produkte, insbesondere Getreide, werden am EU-Markt nicht konkurrenzfähig bleiben. Die derzeit als Übergangshilfe ausbezahlten, in wenigen Jahren auslaufenden Direktsubventionen an die Landwirtschaft werden im Weinviertel zu wenig für Umstrukturierungsmaßnahmen genützt.

Die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft wird in Teilbereichen die Wasserknappheit verschärfen. Bei einem zukünftigen Beitritt der Tschechischen Republik zur EU werden diese Probleme - wenn auch in modifizierter Form - ebenso die Landwirtschaft auf tschechischer Seite betreffen.

Wenn auch der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union langfristig das Ende der Grenzland- bzw. Randlagenproblematik mit sich bringen wird, so könnte es dadurch mittelfristig doch zu negativen ökonomischen Auswirkungen insbesondere auf österreichischer Seite kommen. Dies ist aber weitgehend von den Ergebnissen der Beitrittsverhandlungen und ihrer Detailregelungen bzw. Förderungsmaßnahmen abhängig. Diese sind derzeit nicht abschätzbar.
Die Qualität des Landschaftshaushaltes nimmt vor allem auf tschechischer Seite ab. In den ausgeräumten Landschaften treten eine Reihe von Problemen auf, wie z.B. Bodenerosion. Ein weiterer Problemkreis ist der Stausee Nové Mlyny, der ohne gezielte Gegenmaßnahmen rasch zu verlanden droht.

… und die Chancen der Entwicklung in der Region

Die Entwicklungschancen der Region liegen vor allem im Ausbau der agrarischen Potentiale (z.B. durch die Produktion von Gewürzen, Haselnüssen, Trockenblumen, Trüffel usw.), in der Erschließung biogener Rohstoffe, in der verstärkten Förderung des Biolandbaues und in einer Förderung bestimmter Tourismusformen.

Auch die energetische Nutzung von Stroh und Holz stellt für bestimmte Teile des Weinviertels ein großes Potential dar. Mit der Gründung der FEX GmbH zur Verwertung und zum Vertrieb von ökologischen Produkten auf Strohbasis durch ca. 100 LandwirtInnen existiert bereits ein Vorzeigeprojekt in diesem Bereich.

Die Voraussetzungen für den Biolandbau sind in der Planungsregion sehr gut. Bedingt durch die Trockenheit liegen die Hektarerträge auch bei intensiver Bewirtschaftung nicht im Spitzenbereich, dadurch ist der quantitative Ertragsrückgang bei extensiver Bewirtschaftung nicht so gravierend und kann durch höhere Preise - wie sie vor allem bei den Getreideprodukten noch bestehen - aufgefangen werden.
Um das touristische Potential der Region besser nutzen zu können, müssen spezielle Tourismuspakete zu Sachbereichsschwerpunkten entwickelt werden. Dadurch besteht die Möglichkeit, bestimmte Zielgruppen - z.B. Wein-, Besichtigungs- und Gesundheitstourismus, usw. - anzusprechen.

Umsetzungsstrategien

Für eine positive endogene Regionalentwicklung scheinen zusammengefaßt folgende Punkte wesentlich zu sein:

• Es gibt keine große und einfache Lösung zur Bewältigung der Entwicklungsprobleme der Region. Vielmehr muß durch eine Vielzahl von kleinen, unterschiedlichen, aber aufeinander abgestimmten Aktivitäten ein Prozeß eingeleitet werden, der mittel- bis langfristig zur Lösung der Entwicklungsprobleme führen wird.

• Insbesondere bei der Durchführung einer Reihe von kleinen Aktivitäten ist die Zusammenarbeit von essentieller Bedeutung. Diese Vorhaben sind nur dann effizient durchführbar und erfolgversprechend, wenn sie bereits von Beginn an aufeinander abgestimmt und koordiniert werden und eine breite Unterstützung vor Ort finden.

• Grenzüberschreitende Kooperationen werden sich nur dann sinnvoll realisieren lassen, wenn der beiderseitige Nutzen klar definiert ist. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit läßt sich nicht verordnen, sondern muß sich langsam entwickeln.

• Um lokale und regionale Aktivitäten und Initiativen besser vernetzen zu können, sollten Entwicklungsverbände als Plattformen ins Leben gerufen werden. Diese Kristallisationspunkte der regionalen Identität dürfen sich jedoch nicht auf einen Sachbereich beschränken, sondern müssen ein möglichst großes Spektrum berücksichtigen. Der oft zitierte „Blick aufs Ganze“ darf nicht verloren gehen.

Erfolgversprechende Projektideen

Der Großteil der im EREG-Gebiet bereits vorhandenen Projekte konzentriert sich auf die Verbesserung von Freizeiteinrichtungen sowie die Hebung des Qualitätsstandards in Gastronomie und im Bettenangebot. Der Reit- und Radtourismus sind weitere Schwerpunkte. Auch die Weinvermarktung wird in zahlreichen Projektvorschlägen, die vom Ausbau regionaler Marken bis zur Verbindung von Wein und Kultur reichen, propagiert. Die Veredelung und Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte ist noch stark ausbaufähig. In Südmähren werden vor allem Freizeiteinrichtungen sowie Gastronomie- und Hotelprojekte forciert.
Die folgenden Projektideen wurden im Rahmen der EREG-Studie als grundsätzlich erfolgversprechend identifiziert und ihre Entwicklungsmöglichkeiten ausführlicher dargelegt.

„Liechtenstein“ als gemeinsame Entwicklungschance im Grenzraum

Die Fürsten von Liechtenstein hatten bis in die Zwischenkriegszeit ihren Hauptwohnsitz im Schloß Valtice/Feldsberg in der Tschechischen Republik, wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Aber auch im Weinviertel verfügten und verfügen die Liechtensteiner über ausgedehnten Grundbesitz und ihre Spuren sind überall in der Gegend festzustellen. Zahlreiche Schlösser, Kirchen und anderen Bauten, aber auch manche Ortsgründungen gehen auf sie zurück. Schloß Wilfersdorf war durch einige Jahrhunderte der eigentliche Stammsitz der Liechtensteiner und befindet sich auch noch heute in ihrem Besitz. In einem Nebengebäude des Schlosses ist das Heimat-Museum Wilfersdorf untergebracht, dessen Sammlungen auch zahlreiche Schaustücke zum Thema „Liechtenstein“ aufweisen.
Im Zuge der Bearbeitung der EREG- Studie wurde die Idee entwickelt, als eine Möglichkeit zur touristischen Erschließung des Weinviertels das Thema „Die Liechtensteiner“ stärker zu forcieren. Dabei soll das Schloß Wilfersdorf eine zentrale Bedeutung erhalten.
Die für die Projektentwicklung im Rahmen der EREG - Studie maßgeblichen Grundelemente sind:

• „Liechtenstein“ ist ein international bekannter Name (Marketing!).

• Wien ist das zu den Hauptsehenswürdigkeiten (Schlösser Valtice und Lednice samt riesigem Landschaftspark) nächstgelegene internationale Tourismuszentrum als Ausgangspunkt für z.B. Tages-Bustouren (von Prag aus nicht in Tagestouren zu erschließen).

• Diese touristische Erschließung von Wien aus muß über das Weinviertel erfolgen und maximal ausgenützt werden: durch ein „Liechtenstein“-Museum im Schloß Wilfersdorf samt Informationszentrum für weitere Besichtigungstouren, die Einbeziehung von „Liechtenstein“-Sehenswürdigkeiten im Weinviertel und durch Vermarktung von regionalen Produkten (z.B. Weinverkauf in ausgewählten Kellergassen etc.) an die von den Besichtigungen zurückkehrenden TouristInnen.

Dieses bereits in Angriff genommene Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus einer kleinen lokalen Initiative, dem Heimatmuseum in Wilfersdorf, ein Vorhaben entwickelt werden kann, das durchaus ökonomische Bedeutung für eine ganze Region erlangen könnte.

Kellergassen - Refugien für trunkene Geister

Mit den Kellergassen und Kellerbergen besitzt die Region ein ganz spezifisches Kulturerbe, das momentan nur in Ansätzen genutzt wird und dessen Attraktivität außerhalb der Region nach wie vor weitgehend unbekannt ist. Die wirklich besondere Atmosphäre dieser Kellergassen als Ort des Weintrinkens ist die eigentliche Qualität, die über die Region hinaus (Wien) vermarktet werden kann. Allerdings wird unter den gegebenen Umständen als Voraussetzung für eine ständige Nutzung dieser Kellergassen als Orte des Weintrinkens in den meisten Fällen die Schaffung kooperativer Organisationsformen, die letztlich auf einer Trennung von Produktion und Vermarktung aufbauen, erforderlich sein. Dann aber können diese Kellergassen auch von fast allen anderen möglichen Zielgruppen des Weinviertel-Tourismus als gastronomische Refugien und auch für den Verkauf anderer regionaler Produkte genützt werden.

Die Suche nach Alternativen in der Landwirtschaft

Grundsätzlich sind die Voraussetzungen für die Produktion vielfältigster agrarischer Erzeugnisse gegeben. Es ist jedoch für die einzelnen Betriebe unmöglich, das wirtschaftliche Risiko des Suchens nach neuen Produkten, ihrer Verarbeitung sowie ihrer Vermarktung allein zu übernehmen. Die wesentlichste Voraussetzung für die erfolgreiche Suche nach Neuem ist es, die Einstiegsschwelle durch Risikostreuung zu vermindern. Dies sollte geschehen durch:

• Aufwertung der landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen (Landwirtschaftliche Fachschulen in Mistelbach und Poysdorf, Fakultät für Gartenbau in Lednice) und ihre Kombination mit Versuchsstationen oder Betrieben, die neue Kulturpflanzen erschließen.

• Einrichtung von Kooperativen und Vereinen zur Ernte, Verarbeitung und Vermarktung von neuen agrarischen Erzeugnissen. Dadurch entsteht eine regionale Produktidentität. Mittelfristig werden in der Region Arbeitsplätze für Zu- und Nebenerwerbslandwirte geschaffen.

Anmerkungen:

1 Das Projekt wurde vom Amt der NÖ Landesregierung, dem BMWV sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie in Auftrag gegeben und von der PHARE Program Managing Unit des Wirtschaftsministeriums der Tschechischen Republik unterstützt. Es wurde vom Institut für Landschaftsplanung und Gartenkunst und dem Institut für Städtebau, Raumplanung und Raumordnung der Technischen Universität Wien sowie von ExpertInnen der Technischen Universität Brno bearbeitet.

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