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Am Anfang war Grillparzer
Spectrum

Den Ausstellungsarchitekten des neuen Wiener Literaturmuseums gelangen Räume der Verführung und eine überzeugende Klammer zwischen alter und neuer Nutzung. Der atmosphärisch dichte Ort macht Lust auf Lesen.

24. April 2015 - Franziska Leeb
Mit dem Ausstellen von Literatur verhält es sich ähnlich wie mit dem Ausstellen von Architektur oder Musik. Denn nie vermag die Ausstellung dem Erleben des Originals – dem sinnlichen Erlebnis eines beeindruckenden Raumes, den Klang eines Orchesterwerks im Konzertsaal oder die Lektüre eines guten Romans – das Wasser zu reichen. Gute Ausstellungen können jedoch neben der Vermittlung von Wissen den Besuchern auch ein auratisches Erlebnis bereiten, das überhaupt erst Interesse und Begeisterung zu entfachen vermag.

Im Fall des jüngst eröffneten Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek bot schon die räumliche Ausgangslage günstige Voraussetzungen für dieses Erlebnis: Das von Hofbaurat Paul Sprenger geplante Gebäude in der Johannesgasse6 beherbergte ab 1848 das Hofkammerarchiv. Die Übersiedlung des Archivs aus dem Kaiserspital am Ballhausplatz fand unter Franz Grillparzer statt, der von 1832 bis 1856 als Archivdirektor amtierte. In den 1980er-Jahren wurden die zahlreichen Standorte des Staatsarchivs im neuen Zentralarchivgebäude im dritten Bezirk zusammengeführt. Das Hofkammerarchiv mit zigtausenden Archivalien hingegen verblieb bis 2006 im Biedermeierhaus in der Innenstadt. Ein Segen, denn so blieb auch die originale Inneneinrichtung erhalten. Darunter nicht nur Grillparzers Arbeitszimmer, sondern auch die Archivregale, die eine beeindruckende Raumstruktur bilden. Sie zu erhalten war Pflicht. Zur Kür zählt, wie die aus einem zweistufigen Wettbewerb hervorgegangenen Ausstellungsgestalter sich die Regallandschaft für die neuen Zwecke zunutze gemacht haben. Die beiden in Ausstellungs- und Museumsangelegenheiten bereits mehrfach positiv aufgefallenen Wiener Architekturbüros BWM und Planet haben es gemeinsam mit dem Grafikdesignbüro Perndl+Co geschafft, die Aura des historischen Archivs trotz neuer Nutzung auf eindrückliche Weise zu erhalten.

Im Wesentlichen unternahmen sie nichtsanderes, als die Regale wieder zu befüllen: Vitrinen, Displays, Guckkästen oder Hörstationen wurden maßgeschneidert so eingefügt, dass sie eine Symbiose mit dem Bestand eingehen, diesen aber nicht überlagern. Bis oben hin bestückt sind die Regale, wobei alle wesentlichen Elemente, wie die Vitrinen mit den Originalen, in einer für den Betrachter leicht zu erfassenden Ebene angebracht sind. Darüber und darunter findet sich ergänzend Illustrierendes.

Es ist eine dichte Packung an Eindrücken, abwechslungsreich und doch aus einem Guss. Einheitlich schwarze Metallrahmen wirken homogenisierend und heben die neuen Interventionen – stets mit Abstandfugen – von der historischen Einrichtung ab. Als unaufdringliches Leitsystem fungieren die hinterleuchteten Einführungen in die Kapitel und die aus der obersten Regalebene in den Raum ragenden quaderförmigen „Reiter“, die wie herausgezogene Bücher wirken. „Sackgassen sind der Tod eines Museums“, sagt Johann Moser von BWM Architekten. Die dichte Anordnung der Archivregale hielt etliche davon bereit. Daher schuf man an einigen Stellen neue Durchgänge und entschied sich im Bereich der Entrees der Ausstellungsgeschoße zu geringfügigen Entfernungen von Regalen, um Raum zum Verweilen zu schaffen.

Gut – nämlich sparsam – eingesetzt ist das Licht. Ermüdende Kunstkabinettstimmung tritt dennoch nie auf, was daran liegt, dass die untersten – oft leer gelassenen Regalreihen heller ausgeleuchtet sind. Das wirft auch Licht auf den schönen alten, von den Trampelpfaden von Generationen an Archivaren ausgetretenen Holzboden und betont die unprätentiöse Tischlerarbeit der historischen Regale, die ein Meisterwerk im Hinblick auf Effizienz und Sparsamkeit sind, was sich unter anderem darin äußert, dass die Stellflächen nur im vordersten Drittel lackiert sind. Im dritten Stock, der den Wechselausstellungen vorbehalten ist, kann man derzeit noch den Raumeindruck des unbefüllten Archivs mit seinen mannigfaltigen Durchblicken auf sich wirken lassen. Erst im kommenden Jahr, wenn sich hier zehn junge österreichische Autorinnen und Autoren vorstellen werden, müssen die historische Regalstruktur und das Gestaltungskonzept ihre Robustheit und Flexibilität für temporäre, wohl auch aus budgetären Gründen weniger aufwendig zu produzierende, Präsentationen beweisen.

Das Literaturmuseum ist ein attraktiver Ort, um sich niederschwellig erste als auch vertiefte Informationen zur österreichischen Literaturgeschichte abzuholen – dank der Ausstellungsgestaltung, die anregend inszeniert ist und dennoch nicht ins oberflächliche Spektakel abgleitet, in einem Ambiente, das Lust macht zu verweilen. Und es animiert zum Lesen. Deshalb ist es bedauerlich, dass es gerade hier keinen Museumsshop gibt, den man sich gut in Form einer kleinen Buchhandlung mit ausgewähltem Sortiment vorstellen könnte. Platz dafür gäbe es theoretisch noch im Erdgeschoß, das die atmosphärische Dichte, die einen in den Ausstellungsgeschoßen erwartet, derzeit kaum erahnen lässt. Rechter Hand der ehemaligen Einfahrt befindet sich der Kassenbereich des Museums, der nicht den ganzen Raum ausfüllt. Links davon zeigt das Staatsarchiv noch Präsenz und unterhält hier eine Veranstaltungslocation, die vermietet wird. Auch die beiden Türpaare, die diese Räumlichkeiten vom Foyer trennen, sind ein Wermutstropfen im sonst im Detail sehr sorgfältig von der Planungsgemeinschaft Wehdorn Architekten und dem Ingenieurbüro Ste.p sanierten Gebäude. Die in die Wände der ehemaligen Einfahrt zwischen die Pfeilerstellungen eingefügten Glasportale schaffen zwar einerseits Durchblicke und einen hohen Grad an Offenheit. Im geöffneten Zustand, und das wird wohl öfter der Fall sein, ragen ihre Flügel jedoch weit in das Foyer und bilden unangenehme Barrieren.

Keine Hürde sollte es allerdings sein, das Literaturmuseum zu finden, obwohl an der Fassade nur zarte Schriftzüge den Inhalt des Hauses kundtun und kein Schild in den Straßenraum ragt. Zum Zwecke des Aufmerksamkeitsgewinns bediente man sich des Stückes Feuermauer, das aus der Baulinie der jüngeren Nachbarhäuser hervorsteht. In ähnlicher Manier, wie man es von Aufnahmen Wiener Straßenzüge um 1900 kennt, feiert hier in plakativer Typografie ein typisches Element des Wiener Straßenbildes seine Auferstehung und macht weithin sichtbar auf das Museum aufmerksam.

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