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Genuß- und Tourenfahrer
Genuß- und Tourenfahrer, Foto: Walter Zschokke
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Verkehrstechnisch ist sie schlicht die Verbindung zwischen Neuwaldegg und Kloster- neuburg; kulturgeschichtlich ein Denkmal kollektiver Mobilitätseuphorie; und touristisch ist sie nach wie vor eine Attraktion: die Wiener Höhenstraße. Eine Nachschau

31. Mai 1998 - Walter Zschokke
Das Automobil dürfte als Leitfossil des 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Dies war in den zwanziger Jahren noch nicht absehbar, als in Europa vorerst die Angehörigen der Oberschicht auf staubigen, für Kutschen und Fuhrwerke ausgelegten Straßen einherfuhren. Über den Grad der Motorisierung darf man sich freilich keine Illusionen machen: Auf ein Automobil kamen 1937 in Österreich noch 134 Einwohner - in den USA nur mehr viereinhalb. Verhältnisse, die wir uns heute nur schwer in Erinnerung zu rufen vermögen.

Einer, der sich intensiv mit dieser Zeit und dem Phänomen der Automobilisierung und den damals für ein genießerisches Befahren angelegten Straßen befaßt hat, ist der Historiker Georg Rigele. Seine Forschungen über die Glocknerstraße, erbaut von 1925 bis 1935, und über die 1934 bis 1938 errichtete Wiener Höhenstraße sind in Buchform zugänglich (1998 bei WUV und 1993 im Verlag Turia & Kant erschienen). Rigele belegt, daß diese Straßen nicht primär einem Verkehrsbedürfnis gedient haben, etwa um von da nach dort zu gelangen, sondern als attraktive Fahrstrecke für touristische Zwecke gesehen und auch so genutzt wurden.

Natürlich kann man über die Höhenstraße von Hütteldorf nach Klosterneuburg gelangen, aber selbst wenn man dies jeden Tag tun würde, bliebe die Fahrt ein kinetisch-visuelles Ereignis von hohem ästhetischem Gehalt. Und das war von Anfang an so eingeplant. Wir dürfen davon ausgehen, daß bereits in den dreißiger Jahren die hedonistischen Aspekte des Autofahrens voll erkannt waren und auch das filmische Sehen sowie die Panoramaschwenks in engen Kurven bewußt reflektiert wurden. Dies umso mehr, als eine automobilbesitzende Oberschicht sich noch mehrheitlich chauffieren ließ, die Augen daher frei für die Vorzüge der Landschaft hatte und mit Muße über allerlei Zusammenhänge nachdenken konnte.

In den zwanziger Jahren entstand eine neue Freizeitkultur: Wochenenden und Ferienaufenthalte wurden von den Mittelschichten für Ausflüge und Reisen genutzt, und auch die Organisationen der Arbeiterkulturbewegung nahmen jede Gelegenheit wahr, einen Aufenthalt in der freien Natur zu realisieren.

Das Schlüsselwort jener Zeit hieß „Wandern“. Vorgespurt wurde das spätere Massenphänomen bereits vor dem Ersten Weltkrieg vom „Wandervogel“, der sich zur unabhängigen „Freideutschen Jugend“ zählte, die neben anderen Initiativen zur breiten lebensreformerischen Aufbruchbewegung im Jahrzehnt nach 1900 gehörte: kein Alkohol, kein Nikotin - aber eben Wandern, gemeinsames Singen und Musizieren.

Man darf sich diese Entwicklungen ähnlich vorstellen wie in den achtziger Jahren, als das Windsurfen aktuell war, oder wie in den neunziger Jahren das Massenphänomen der Skater. Jedenfalls übertrugen sich der Begriff des Wanderns und die damit einhergehende Landschaftserfahrung auf die neuen Verkehrsmittel: Fahrrad und Automobil.

Autowandern galt als touristische Attraktion, und exakt dafür wurden Straßen wie die Höhenstraße, die Glocknerstraße, die deutsche Alpenstraße und die schweizerische Sustenstraße gefordert, geplant und errichtet. - Die Höhenstraße ist ein kulturgeschichtliches Denkmal dieser autoseligen Zeit, der Fahrgenuß ist noch gleich wie damals. Man wird nun vielleicht einwenden, daß sie unter einem autoritären Regime errichtet worden und daher als Denkmal problematisch sei. Ähnlich wie bei den Reichsautobahnen wird erzählt, sie sei vor allem eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gewesen. Dies wird von Georg Rigele für die Höhenstraße an Hand von Quellen widerlegt. Und auch der Reichsautobahnbau war bei der Arbeitslosigkeit der dreißiger Jahre von geringer Wirkung.

Daß diese Projekte propagandistisch genützt wurden, ist eine andere Sache. Sie hätten aber nicht soviel Widerhall gefunden, und die Propaganda wäre versickert, wenn es nicht bereits diese kollektive Mobilitätseuphorie, diese Erwartungshaltung auf ein motorisiertes Bewegen, ob auf vier oder auf zwei Rädern, gegeben hätte. In der Schweiz, wo aus demselben Fühlen heraus und mit derselben Argumentation für den Tourismus von 1938 bis 1946 die Sustenstraße gebaut wurde, läßt sich trotz frontistischer Bewegungen und tiefer Verstrickungen in die Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches kein autoritäres oder totalitäres Regime nachweisen.

Auf ikonologischer Ebene finden sich kaum eindeutige Zeichen. Die Höhenstraße ist gestalterisch eher sparsam instrumentiert. Das mit Kleinsteinpflasterung versehene Straßenband wird von einem schmalen Streifen aus längsrechteckigen Pflastersteinen gesäumt, die Bankette waren ursprünglich geschottert und mager mit Gras bewachsen, mittlerweile sind sie asphaltiert. Am niederösterreichischen Ast nach Klosterneuburg hinunter läßt sich dies noch nachvollziehen.

Mit wenig Abstand folgt eine eng gesetzte Reihe Wehrsteine. Ursprünglich dafür gedacht, abweichende Kutschenräder abzuwehren, haben sie zur Straße hin eine gerundete Seite. Auf Paßstraßen signalisierten sie bei einem sommerlichen Wintereinbruch den Straßenverlauf. Der kurze Abstand von etwa zweieinhalb Metern läßt die begleitende Reihe in der Schrägsicht fast verschmelzen, und leichte Kurven kündigen sich in der Fernsicht durch die scheinbar lockerer werdende Folge aufragender Steine an.

Eine einfache, aber formschöne Steinmetzarbeit, die schon damals nicht besonders modern war, sind die feinkörnigen, gestockten Granitzapfen an der Rückseite gerade, die Oberseite ist nach vorn abgeflacht. Ein Automobil können die Steine natürlich nicht aufhalten, darum sind jene zwei Exemplare, die jeweils die Peitschenkandelaber der Straßenbeleuchtung flankieren, eher als warnende Wächter zu interpretieren denn als Anfahrschutz.

Da und dort wurde überstehendes Erdreich abgetragen, um den Ausblick freizugeben, aber meist fügte sich die Straßenführung so schmiegsam ins Gelände, daß nur selten Stützmauern erforderlich waren. Überhaupt ist es die Linienführung, die neben der Pflasterung den besonderen Reiz dieser Straße ausmacht.

Obwohl sie mehrheitlich durch den bodenständigen, mit einzelnen Buchen durchsetzten Eichen-Hainbuchen-Wald führt, ist an jenen Stellen, wo sich ein Überblick auf die nahe Großstadt bietet, darauf Bedacht genommen worden. Daran läßt sich ablesen, wie sehr sie als Ausflugsstraße geplant worden ist, und auch die großzügig angelegten Parkplätze sind nur selten zu klein, an schönen Sonntagen aber gut genutzt. Das Fehlen von kleinen Ausstellplätzen mag typisch sein für eine Zeit, in der dem geordneten Massenverhalten vor dem spontanen eines Individuums der Vorzug gegeben wurde.

Wie Georg Rigele aufzeigt, ist auch der Fußweg, der den östlichen Umkehrpunkt der Höhenstraße, den Leopoldsberg, mit dem Kahlenbergerdorf verbindet, im gleichen Duktus gestaltet.

Der in der „Architekturabteilung“ (damals MA 24) der Wiener Stadtverwaltung an leitender Stelle tätige Architekt Erich Leischner wirkte offiziell „beratend“. Seine zahlreichen Zeichnungen von der Straße und ihrer landschaftlichen Einbindung lassen aber ein sehr „aktives Lektorat“ der Ingenieurplanungen vermuten.

Dem aufmerksamen Fuß- und Autowanderer wird bald klar, daß es sich hier um eine integrale landschaftsgestalterische Planung handelt, ein sehr langes lineares Element, das durch seine geschickt gewählte Höhenlage nicht bloß die Topographie, durch die sie führt, spannungsvoll interpretiert, sondern das mit der Linienführung immer wieder die Blickbeziehung zur Großstadt sucht und darüber hinaus eine Aussicht bis zu den Kuppen der Voralpen im Süden anzubieten weiß.

Das Erleben dieser Straße beim Durchfahren ist nicht an hohe Geschwindigkeiten gebunden. Eigenartigerweise pendelt sich der Genußfahrer bei etwa 50 Stundenkilometern ein - 60 sind erlaubt. Auch wenn früher einmal Rennen gefahren wurden, ist sie keine Rennstrecke.

Nicht unwesentlich an diesem Kulturdenkmal ist, daß es kaum verändert wurde. Die Glocknerstraße ist seit den dreißiger Jahren stark erneuert worden, auch die Sustenstraße und die deutsche Alpenstraße sind längst glatt asphaltiert. Der Kleinsteinpflasterbelag, der noch immer die Fahrbahn bildet, ist mehrheitlich in erstaunlich gutem Zustand, nur leider da und dort unsachgemäß mit Asphalt geflickt. Hier eine Belagsänderung vorzunehmen kommt einer Zerstörung dieses Kulturdenkmals gleich.

Wie die Stadtbahn von Otto Wagner ist die Wiener Höhenstraße ein besonderes Verkehrsbauwerk und bezüglich der weitgehend originalen Erhaltung das letzte seiner Zeit und seiner Art. Die Stadt Wien ist gut beraten, es zu pflegen und als Teil ihrer touristischen und Naherholungsinfrastruktur wieder ernst zu nehmen.

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