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Verkehrspolitik via Alpenkonvention?
zolltexte
1. Juli 1998 - Reinhard Gschöpf
Anläßlich der jüngsten Transitdebatte im Innsbrucker Landtag berichteten die Medien nicht über substantielle Weichenstellungen, sondern über die Höhe des Stapels einschlägiger Anträge seit 1994 – 121 sind es übrigens gewesen. Im Verhältnis zu den real erzielten Fortschritten für Mensch und Natur dokumentiert dies den Abschied regional legitimierter Politik aus der Gestaltung des Lebensraumes ihres Souveräns. Dem Tiroler Anti-Transit-Vorkämpfer Fritz Gurgiser ist voll zuzustimmen, wenn er die Wichtigkeit des Bürgerengagements zum Füllen des von der Politik hinterlassenen und notdürftig medial übertünchten Vakuums hervorstreicht.


Am lautesten wird der Kompetenzverlust Richtung Brüssel beklagt. Gestaltungsspielräume innerhalb des etablierten politischen Systems sind in EUropa massiv beschnitten, allerdings verschärft durch Deregulierung und Fehlentscheidungen im eigenen Einflußbereich, wo lieber in den hochautomatisierten Straßenbau als in beschäftigungsintensive, kleinregionale Wirtschaftsnetze investiert wird. Ob sich letzteres zum Besseren ändert, wenn mit der Bundesstaatsreform die Bundesstraßen in die Kompetenz der Länder überführt werden?

Optionen ...

Bürgerfernen Entscheidungen – in hochzentralisierten Systemen wie der EU zwangsläufig die Norm – muß ein Mix aus Bürgerartikulation, eigenem Gestaltungswitz der Regionen und grenzüberschreitenden Allianzen neuer Art entgegengestellt werden. Innovationen von offizieller Seite fehlen weitgehend: Regionen und Wirtschaftsministerium setzen nach wie vor auf Straßenbau. Der grundsätzlich erfreuliche neue Bundesverkehrswegeplan Österreichs stellt den Bahnausbau, nicht die Logistik in den Mittelpunkt; wenig Gefahr also für die „heilige Betonkuh“. Die Betroffenen wissen sich hingegen zu artikulieren, wie die im Juni bevorstehende Blockade der Brennerautobahn und das anhaltende Engagement von Vereinen, Initiativen und Verbänden für ein Umsteuern im Verkehrsgeschehen beweist. Daran kann auch das finanzielle Aushungern, wie es beispielsweise beim „bit“, dem Dachverband der Bürgerinitiativen Tirols, versucht wurde, nichts ändern.
Das Schmieden grenzübergreifender Allianzen steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Direkter als europäische NGO-Headquarters können inhaltliche Zusammenschlüsse mit aktiver Einbindung von Politik und Verwaltung wirken. Alpenstaaten und EU haben dafür mit der Alpenkonvention ein verhältnismäßig weitgehendes Instrument als integrale Grundlage gemeinsamen Vorgehens zur Hand. Auch die Übertragung auf die kommunale Ebene und damit in den individuellen Lebenskontext ist möglich und zielführend, wie das alpenweite Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ bewiesen hat.

Verkehrsprotokoll gegen Verkehrsdebakel

Die in der Alpenkonvention verbriefte Sondersituation des Alpenraumes muß allerdings gerade im Verkehrsbereich noch den Sprung in die Verbindlichkeit schaffen. Wer wischt alpine Begehren effektvoller vom Tisch, so scheint bislang das Spiel zwischen EU-Verkehrsministern und KommissionsvertreterInnen zu lauten. EU, Deutschland & Co haben sich zwar mit der Ratifikation der Alpenkonvention zum Senken der Belastungen aus dem Verkehr für Mensch und Natur verpflichtet, das Festschreiben griffiger Maßnahmen im Verkehrsprotokoll ist allerdings Schwerarbeit. Zwar wurden nach dreijähriger Blockade zu Jahresbeginn wenigstens neue Verhandlungen aufgenommen, doch sie werden nur Erfolg haben können, wenn tatsächlich grenz-überschreitend gedacht, Verantwortung übernommen und gehandelt wird. Eine EU-Politik, welche die Schweiz für den Straßentransit öffnen und Österreich bei Gebührenfestlegungen diskriminieren will, aber in grundlegenden Fragen (z.B. den LKW-Wegekosten) nicht handlungsfähig ist, hat keine Chance auf Akzeptanz an der Basis. Konsequenz dieser Nicht-Politik: Die jüngste EU-eigene Verkehrsprognose sagt für 1992 bis 2010 Zuwächse von bis zu 100 Prozent im Straßengüterverkehr durch die Alpen voraus.

Für das ehestmögliche Übertragen der Intentionen der Alpenkonvention bezüglich der Verkehrsproblematik in die Realpolitik würde sich der Raum des Rheintales samt Zulauf im Norden und Süden anbieten: Zur absehbaren Lockerung des restriktiven Rahmens für den Straßentransit tritt hier die territoriale Betroffenheit von sechs der neun Vertragspartner der Alpenkonvention (A, CH, FL, D, I, EU) – und eine Vorarlberger „Verkehrspolitik“, die sich weithin im Straßenbau samt entsprechender Rhetorik erschöpft. Für ein konstruktives Miteinander muß allerdings rundum reiner Tisch gemacht werden – in Österreich wie in der Schweiz wird mehr Beton vergraben als Kreativität entwickelt.

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