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Screens, Inserts - und Events
Screens, Inserts - und Events, Foto: Heinz Pachernegg
Spectrum

Licht und Film, Ton und Musik, Bilder, Namen, Stichworte: ein Gestalterteam um Rüdiger Lainer setzt bei der steiermärkischen Landesausstellung in Bad Radkersburg zum Thema Jugendkulturen auf sinnliche Erfahrung, nicht auf Belehrung.

8. August 1998 - Walter Zschokke
Tief im Süden der Steiermark, nahe dem Dreiländereck Österreich-Slowenien-Ungarn, liegt das Städtchen Bad Radkersburg, dessen schmuck herausgeputzter Kern noch heute von historischen Wallanlagen umgürtet und mit einem kleinen Glacis von der Umgebung abgesetzt ist. Am neu gepflasterten Hauptplatz spannt sich vor der breiten Fassade des ehemaligen Rathauses ein roter „Screen“, als läge dahinter eine Großbaustelle, darauf prangt in großen Lettern „YOUgend“. Darunter lesen wir „Jugendkulturen '68 - '98“. Die diesjährige steiermärkische Landesausstellung widmet sich dem Thema Jugendkultur und tut dies mit einer Rückschau auf die vergangenen dreieinhalb Jahrzehnte.

Für die Ausstellung wurde die Revitalisierung des alten Rathauses, mit der das Grazer Architektenteam Florian Riegler und Roger Riewe betraut ist, im Rohbauzustand angehalten. Zwischen Altbausubstanz, bestehend aus einem Straßentrakt mit zwei Seitenflügeln, und einem neu hinzugefügten Quader aus Stahlbeton im hinteren Bereich des Grundstücks öffnet sich ein großzügiger Hof, der mit einem provisorischen Dach überspannt wurde.

In diese Struktur legte der Wiener Architekt Rüdiger Lainer zusammen mit Werner Silbermayr und dem Graphik Designer Erich Monitzer eine Ausstellungslandschaft, die über mehrere Ebenen führt. Den Rhythmus geben geschlossene Stimmungsräume, denen Vertiefungszonen nachfolgen. Teils über offene Rampen und Stege, teils durch die Räume des Altbestands führt die Chronologie von den sechziger bis zu den neunziger Jahren. Als wissenschaftliche Berater zog das Team Robert Buchschwenter, Roman Horak und Siegfried Mattl bei, die inhaltliche Leitung seitens der Kulturabteilung des Landes lag bei der landesausstellungserfahrenen Ileane Schwarzkogler.

Nun könnte man einwenden, was das Thema Jugendkultur denn im hübschen Landstädtchen hart an der Grenze zu suchen habe; doch haben sich in ebendiesen Jahrzehnten auch in scheinbar peripheren Lagen die Verhältnisse gewandelt. Der Anschluß an den Lauf der Welt ist durch gewachsene Mobilität und mediale Vernetzung in einem Maß möglich geworden, daß der Informationsstand der Jugendlichen auf dem Land nicht schlechter ist als in den Zentren. Mag sein, daß gewisse Veranstaltungen der Hochkultur etwas entfernt stattfinden mögen, die Organisatoren von „Events“ für Jugendliche legen ihre Informationskanäle jedenfalls weit hinaus, um ihre potentiellen Kunden anzusprechen.

Ein weiteres Argument ist die Lage nahe dem Dreiländereck, wo sich Kulturen aus drei Sprachräumen begegnen, die nur zwischenzeitlich scharf getrennt waren. Und wer, wenn nicht die Jugend würde den Sprung über die Sprachbarrieren am ehesten schaffen. Folgerichtig sind die Objektbeschriftungen dreisprachig, deutsch, slowenisch und englisch.

Die Ausstellung selbst ist dezidiert auf Schauen angelegt, weniger auf Lesen und Wissensvermittlung, zu diesem Zweck gibt es einen interessanten Katalog. Sie vermittelt daher vor allem Bilder, bewegte und statische, und natürlich Musik, jenes Medium, über das sich in den nachwachsenden Generationen seit Jahrzehnten die Gruppenzugehörigkeiten definiert haben.

Durch die lange Toreinfahrt gelangt man in den Hof, der durch die Vorgaben der beiden Grazer Architekten eine ausgeprägte „backstage“-Anmutung erhalten hat, was vielleicht zuerst etwas verwirrt, aber dann die Neugier weckt, einmal hinter die Kulissen zu schauen. Hier bietet ein Internet-Café seinen Service an, und in einer anderen Raumzone stehen einige Computer zur Interaktion bereit.

Der Zugang zum Ausstellungsparcours liegt im Hintergrund des Hofes, angezeigt von einem leuchtenden Pfeil. Durch einen schmalen gebogenen Gang, der sich als geschickt gestaltete Schallschleuse herausstellt, gerät man unvermittelt in den ersten „Stimmungsraum“, der den sechziger Jahren gewidmet ist, wird von Musik- und Filmsequenzen aus dieser Zeit umfangen, schaut fragend oder sich erinnernd auf die animierten Bilder: Bonnie and Clyde werden von Schüssen durchsiebt, Charles Bronson glost unter der in die Stirn gezogenen Hutkrempe hervor, ein junger Sean Connery begründet den James-Bond-Mythos, und Peter Fonda und Denis Hopper sind „on the road“. Manch anderes verweist in kürzesten „Inserts“ auf die Stimmung der endsechziger Jahre, jener Zeit des Aufbrechens ohne klares Ziel, doch mit überzeugter Absage an das Bestehende.

Die ausgezeichnet gemachte visuelle und akustische Einstimmung mit Film, Dia, Licht und Ton nimmt einen gänzlich gefangen, doch nach wenigen Minuten hellt sich der unregelmäßig gerundete Raum auf, ein projizierter Lichtpfeil zeigt zum Ausgang, einer weiteren Schallschleuse, die überleitet zu einer gewundenen Rampe, an der entlang die erste thematische Vertiefung mit Objekten, Bildern, Namen, Schlag- und Stichworten zu sehen ist.

Nach der „Druckkammer“ des Stimmungsraumes kommt es hier zur Entspannung, auch in räumlicher Hinsicht. Die Rampe schraubt sich durch das große Volumen des Stahlbetonquaders, es gibt Blickbeziehungen in den Hofbereich hinunter, sodaß die Orientierung nach dem „Gefühlsinput“ wieder möglich wird.

Die Materialisierung von Rampen und Raumhüllen ist unter extremen „low-cost“-Bedingungen erfolgt: ein Handlauf aus Rundstahl, Geländerfüllungen aus roh belassenen Hartfaserplatten, die der Krümmung folgen.

Auf der ersten Obergeschoßebene angelangt, stoßen wir auf den nächsten Stimmungsraum, diesmal gilt er den siebziger Jahren. Die unregelmäßigen Volumen dieser Projektions- und Schallräume sind innenseitig teils akustisch ausgekleidet, teils als Bildwand neutral geweißt. Außen ist der gespachtelte Gipskarton farbig gestrichen. Damit wird das „backstage-image“ des Rohbaus relativiert, die großen klaren Farbflächen treten zeichenhaft strukturierend hervor, das Besucherinteresse herauszufordern.

Die Vertiefungsinstallationen und -collagen sind nach den Begriffen „Ich“, „Wir“, „Hülle“, „Sinne“ und „Bildung“ aufgebaut. Bilder aus den Medien, an die wir uns erinnern oder die denen gleichen, an die wir uns zu erinnern meinen, rufen Bedeutungszusammenhänge auf, einzelne Objekte stehen für den Kult, der zuweilen um sie getrieben wurde. Sie sind Signale aus der jüngsten Vergangenheit, die rascher veraltet als das, was jeweils vorher geschah, und daher ebenso schnell vom Vergessen erfaßt, weil sie schlicht „mega-out“ sind.

Im weiteren Verlauf erreicht man einen mit psychedelisch weichen Formen ausgestalteten Entspannungsraum, der nicht zuletzt das Abhandenkommen von Inhalten und die Entpolitisierung Ende der siebziger Jahre symbolisiert, was dann Anfang der achtziger Jahre jedenfalls da und dort in diffus argumentierten Gewaltaktionen ausbrach.

Den Vertiefungszonen sind immer auch Kunstwerke aus dem entsprechenden Jahrzehnt zugeordnet. Naturgemäß stehen dabei steirische Künstler und Werke aus den Sammlungen des Landes etwas mehr im Vordergrund. Bei der angestrebten Vermittlung der Zeitstimmung ist Kunst im Original, gerade bei dem hohen Anteil reproduzierter Bilder in der gesamten Ausstellung, unabdingbar.

Für die achtziger Jahre ist der Stimmungsraum nicht rund, sondern gezackt, und ein spiegelmäßig verdoppelter Arnold Schwarzenegger ballert sich durch eine Serie von Gewaltszenen. Auf einer langen Rampe über dem Hof kann man nach soviel filmischem Pulverdampf wieder frische Luft schnappen. Es folgen der Stimmungsraum der neunziger Jahre und eine komprimierte Technodisco.

Als eine Art Ausklang folgt darauf eine Serie von offenen Klangkabinen in neutralem Weiß, von deren Decken aus jeweils zwei Lautsprechern Beispiele für die Parallelität zeitgenössischer Musikstile zu hören sind. Nach der kompakten Bilderflut ist diese klösterlich anmutende Raumstruktur von einprägsamer Wirkung. Mit ihrer Leere, der Absenz von Bildern wird noch viel deutlicher, wie sehr diese drei Jahrzehnte von den visuellen Medien beherrscht wurden und wie anspruchsvoll es dagegen ist, ein Dutzend Musikstile nur mit dem Gehör zu differenzieren.

So kurz wie die Zeit zurückliegt, hat die Geschichtsforschung noch keine abschließenden Deutungen über die Epoche nach der ersten Mondlandung verfaßt. Das Terrain ist noch kaum betreten, das Konzept und die Gestaltung der Ausstellung sind daher mutig und zwangsläufig subjektiv zugleich, doch immer dicht genug, daß ein zweiter Durchgang noch neue Einsichten bringt.

Wir schließen aus dem Gezeigten, daß in jeder Generation die jungen Menschen den Zwängen ständiger Instrumentalisierungsversuche sowohl unterliegen als auch immer wieder ausweichen, indem sie durch eine Änderung der Weltsicht diese Zwänge relativieren.

Dieses Sich-nicht-fassen-Lassen von einer tendenziell verknöchernden Erwachsenenwelt ist sicher einer der Hauptgeneratoren für die ungebrochene Innovationskraft, die den steten Wechsel in der Kultur der Jungen auszeichnet. Denn den Heranwachsenden ist vieles Neuland. Dagegen ist Stil ein Phänomen der Erwachsenenwelt.

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