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Von den Details zur Hauptsache
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Eben erst mit dem höchstdotierten Architekturpreis ausgezeichnet, dominiert Peter Zumthor auch den einschlägigen Bücherherbst. Weiters herausragend: Monographien über Joseph Frank und Franz Baumann sowie ein sorgfältigst dokumentierter Band über M.Breuer.

3. Oktober 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Es ist der Bücherherbst des Peter Zumthor. Denn von ihm beziehungsweise über ihn stapeln sich derzeit gleich drei Publikationen auf den Tischen der Fachbuchhändler. Bei Lars Müller erschien eine erste repräsentative und umfassende Monographie. Sie trägt den bescheidenen Titel „Häuser“ und ist mit den ungewöhnlich delikaten Architekturphotos von Hélène Binet illustriert. Natürlich vor allem schwarzweiß - die Farbaufnahmen sind ganz bewußt eingesetzt und meistens kleinformatig - und natürlich brillant gedruckt.

Man kann die Art und Weise, wie Zumthor seine Bauten dokumentiert, nur „erlesen“ nennen. Wobei dieses Adjektiv wohl auch seine Architektur nicht verfehlt, und nicht zuletzt deswegen hat er, so steht zu vermuten, gerade den Carlsberg-Architekturpreis bekommen, die höchstdotierte einschlägige Auszeichnung überhaupt.

Zumthors Architektur wird nicht jedem liegen, dafür zelebriert er sie vermutlich zu sehr, bis hin ins scheinbar nebensächliche Detail, das bei ihm eben durchaus zur Hauptsache wird. Dafür läßt sich der Grad an Perfektion, in dem die Materialien in seinen Bauten verarbeitet sind, nicht überbieten. Eine noch aufwendigere Schlichtheit ist praktisch nicht vorstellbar.

Außerdem existiert der Anspruch des „zeitgemäßen“ oder gar „fortschrittlichen“ Bauens in seiner Architektur als Thema nicht. Er nützt, was es gibt und was er brauchen kann, um sicher etwas Neues zu kreieren, aber irgendwo bleibt seine Architektur durch eine auch noch so dünne Nabelschnur dennoch mit archetypischen Vorstellungen von (Bau-)Körpern, Räumen und den Verhaltensweisen der Menschen darin verbunden.

Genau darüber gibt das zweite, ebenfalls bei Lars Müller erschienene, Buch, „Architektur denken“, Auskunft. Es enthält Texte (Vorträge, Aufsätze) aus der Feder Zumthors, in denen nicht sachlich stichhaltig von Bauwerken die Rede ist, sondern von einem Architektur-„Feeling“, von einer Bedeutungsebene, die über oder zwischen den Ebenen des Faktischen angesiedelt ist. Diese Texte sind - wie immer bei Zumthor - sehr persönlich formuliert, man liest sie mit Genuß. Aber auch für sie gilt, was man Zumthors Architektur nachsagen muß: nicht jedermanns Sache.

Das dritte Buch ist in der sehr spezifischen und spannenden kleinen Buchreihe des Kunsthauses Bregenz erschienen und macht ebendieses zum Gegenstand einer sehr ausführlichen Dokumentation und Erläuterung. Edelbert Köb nimmt in diese Buchreihe nur solche Bauten auf, in denen der Zwischenbereich „zwischen Kunst und Architektur“ auf besondere Weise manifest wird. Und was diesen Anspruch betrifft, ist das Kunsthaus Bregenz ja gleich mehrfach codiert.

Bei einem anderen neuen Band der Reihe „Werkdokumente“ scheinen die Verhältnisse auf den ersten Blick klarer: Denn die Architektur der „Nachtwallfahrtskapelle Locherboden“ stammt von Gerold Wiederin, der künstlerische Beitrag dazu - farbige Glasbrocken in der Wand hinter dem Altar - von Helmut Federle. Erst der zweite Blick zeigt, daß auch hier zwischen Architektur und Kunst keine eindeutige Grenzziehung möglich ist, weil die strenge Rationalität dieser Pavillonarchitektur mit den Glasbrocken, die das Licht filtern und färben, eben doch kippt, transzendiert. Für das Bauwerk gilt dasselbe wie für die Publikation: sehr schön, besonders.

Eine wichtige Neuerscheinung für Architekten: der „Glasbau Atlas“ des Birkhäuser Verlages, der so ziemlich alles abdeckt, was es rund um dieses wichtigste Material der zeitgenössischen Architektur zu wissen gibt. Die Autoren arbeiten seine Geschichte und seine Anwendungsmöglichkeiten auf, sie behandeln aber vor allem die heutigen Glasbautechnologien in breiter Ausführlichkeit. Welche Glasart welche Eigenschaften hat, welches Glas für welche Aufgabenstellung geeignet ist - hier erfährt man es. Der Band führt in einer Vielzahl von Zeichnungen auch zahlreiche Konstruktionstechniken vor, die heute zur Verfügung stehen. Außerdem dokumentiert und analysiert er eine ganze Reihe realisierter Bauten, in denen Glas beispielhaft eingesetzt wurde. Noch ein zweites thematisch angelegtes Buch ist - allerdings nicht nur Architekten, sondern vor allem auch potentiellen Bauherren - nachdrücklich zu empfehlen. Es wurde vom britischen Architekten David Lloyd Jones verfaßt und stellt zeitgenössische bioklimatische Bauten vor. „Architektur und Umwelt“ behandelt also ein sehr zeitgeistiges Thema des heutigen Bauens, das zwar ohne Zweifel bedeutsam, dabei aber sehr ambivalent besetzt ist, weil das Verhältnis zwischen (technischem, finanziellem) Aufwand und („ökologischem“) Effekt nicht immer stimmt. Jones rückt da etwas zurecht, weil den Bauten, die er beispielhaft vorstellt, komplexe Konzepte zugrunde liegen, die auf einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen basieren, und diese erst im Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Komponenten ihre Wirksamkeit entfalten.

Sehr interessant ist auch, wie Jones im historischen Teil mit den Vorwürfen aufräumt, die gegen die Bauten der klassischen Moderne so gern erhoben werden: daß diese sich nicht um Umweltfragen bekümmert und jeglichen Naturbezug zugunsten eines einmal festgeschriebenen Formenvokabulars aufgegeben habe. Nach Jones hat das zwar für die Achse Gropius - Mies van der Rohe - Breuer einige Geltung, nicht aber für die Bauten eines Corbusier, Wright oder Aalto.

Unter den zahlreichen monographischen Publikationen der letzten Zeit haben vor allem zwei besondere Aufmerksamkeit verdient, weil sie österreichischen Architekten dieses Jahrhunderts gewidmet sind. Maria Welzig legt im Böhlau Verlag eine längst überfällige, fundierte und umfassende Arbeit über das Werk von Josef Frank vor. Und bei Folio ist ein Band über den viel zuwenig bekannten Tiroler Architekten Franz Baumann erschienen, dessen Bauten für die Nordkettenbahn zwar viele kennen, aber ohne etwas über ihren Schöpfer und sein sonstiges, sehr eigenständiges Werk zu wissen. Beiden Büchern sind zahlreiche Leser zu wünschen.

Wer sich für das schier unerschöpfliche Thema der internationalen klassischen Moderne interessiert, der sollte zum Band „Marcel Breuer - Die Wohnhäuser 1923 bis 1973“ von Joachim Driller greifen. Darin finden sich Entwürfe aus Breuers Zeit in Deutschland, aber auch Arbeiten, die in Partnerschaft mit Alfred und Emil Roth in Zürich, mit F. R. S. Yorke in England und mit Walter Gropius in den USA entstanden.

Driller hatte Zugang zum Nachlaß Breuers und kann daher auch Material vorlegen, das bisher noch nie veröffentlicht wurde. Seine Arbeit ist durchaus dazu geeignet, das Bild, das es von Breuers Bedeutung innerhalb der modernen Bewegung gibt, zu bereichern, wenn nicht zu vervollständigen. Breuer hatte ja leider nie Gelegenheit, Wohnbau im „großen Stil“ zu betreiben. Er projektierte und realisierte vor allem Einfamilienhäuser und Villen sowie kleine Apartmenthäuser, obwohl sich auch interessante Studien zum Thema Kleinsthaus in Vorfabrikation - etwa das „Kleinmetallhaus“ aus den zwanziger Jahren - aufspüren lassen.

Die Projekte sind durchwegs sehr sorgfältig dokumentiert, ihre Entwurfsgeschichte ist geradezu minuziös aufgearbeitet. Neben einem sehr verdienstvollen kommentierten Werkverzeichnis ist vor allem ein wohltuend sachlicher Exkurs zur strittigen Frage der Zuordnung von Projekten aus der Zeit der Partnerschaft mit Gropius hervorzuheben.

Peter Zumthor - Häuser 1979 - 1997 320 S., zahlreiche Abbildungen, zum Teil in Farbe, geb., S 934, Euro 67,7 (Verlag Lars Müller, Ennetbaden)

Peter Zumthor Architektur denken 64 S., Schwarzweißabbildungen, Hardcover, S 248, Euro 18 (Verlag Lars Müller, Ennetbaden)

Peter Zumthor: Kunsthaus Bregenz Texte von Friedrich Achleitner und Peter Zumthor, 108 S., 63 Abb., davon 15 in Farbe, brosch., S 184, Euro 13,3 (Verlag Gerd Hatje, Ostfildern) Gerold Wiederin, Helmut Federle: Nachtwallfahrtskapelle Locherboden 80 S., 41 Abb., davon 32 in Farbe, brosch., S 145, Euro 10,5 (Verlag Gerd Hatje, Ostfildern)

Schittich, Staib, Balkow, Schuler, Sobek Glasbau Atlas 328 S., 120 Farb-, 980 Schwarzweißabbildungen, geb., S 1446, Euro 104,8 (Birkhäuser Verlag, Basel)

David Lloyd Jones Architektur und Umwelt 256 S., 320 großteils farbige Abbildungen, Hardcover, S 1168, Euro 84,6 (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart) Maria Welzig Josef Frank (1885 - 1967) Das architektonische Werk, 280 S., zahlreiche Abb. in Farbe und Schwarzweiß, geb., S 980, Euro 71 (Böhlau Verlag, Wien)

Horst Hambrusch, Joachim Moroder, Bettina Schlorhaufer Franz Baumann - Architekt der Moderne in Tirol 240 S., Abb., brosch., S 530, Euro 38,4 (Folio Verlag, Wien)

Joachim Driller Marcel Breuer Die Wohnhäuser 1923 - 1973, 240 S., 333 Schwarzweißabbildungen, S 1168, Euro 84,6 (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart)

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