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Warum ich mit der Liebe arbeite. Landschaftsplanung ist eine Beziehungskiste?
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Die Schlagwörter „Natur – Liebe – Macht“ prägen unsere Arbeit wesentlich mehr als wir uns eingestehen. Ich versuche im folgenden Beitrag aufbauend auf meine Intuition und meine Erkenntnisse meine Arbeitsweise zu beschreiben.

9. Oktober 1998 - Christine Rottenbacher
Die Schlagwörter „Natur – Liebe – Macht“ prägen unsere Arbeit wesentlich mehr als wir uns eingestehen. Ich versuche im folgenden Beitrag aufbauend auf meine Intuition und meine Erkenntnisse meine Arbeitsweise zu beschreiben.

Ich arbeite mit Menschen, mit der Natur, mit Landschaft und spüre schon lange ein Unbehagen, wenn zum Beispiel von wertvoller und von weniger wertvoller Natur gesprochen wird. Ich fühle mich nicht wohl, wenn versucht wird Landschaft „an sich“ zu beurteilen. Ich empfinde mich nicht als losgelöst von den Menschen, der Natur und der Landschaft, wenn ich gebeten werde Vorschläge zu entwickeln. Ich stehe in Beziehung zu ihnen bzw. baue ich eine Beziehung auf. Beziehungen möchte ich nicht werten, ich horche hin und nehme wahr – Menschen und Natur. Die Landschaft, besser Kulturlandschaft, ist hier für mich Ausduck der Beziehung und der Einstellung der Menschen zu ihr. In einer Beziehung hat für mich eine Einteilung in „gut oder böse“ oder eine Bewertung in „wertvoll oder nicht wertvoll“ keinen Platz. Ich versuche hinzuhorchen, mit einer Achtsamkeit und anzunehmen und mit der Beziehung zu leben. Wie mache ich das in meiner Arbeit?

Die Kunst des Liebens

Zuerst möchte ich von den Gefühlen erzählen, von meinen und von den Gefühlen der Menschen, denen ich begegne, wenn ich mit „Natur“ arbeite. Denn wenn die Kulturlandschaft die Einstellung der Menschen und ihre Gefühle zu ihr widerspiegelt, beschäftige ich mich zuerst damit. Deutlich sind emotionale Ausbrüche bei Diskussionen um Bäume zu erkennen. Die Polarität von BaumliebhaberInnen und -mörderInnen, dieser auf beiden Seiten entfremdete Zustand ist selbst in unseren ländlichen Gemeinden immer stärker zu bemerken. Die LiebhaberInnen begegnen den Bäumen emotional, erfüllt von vielschichtigen, mystischen Gefühlen, ohne tatsächlich um den Baum zu wissen, wie er funktioniert, wie er leben würde, wenn er dürfte. In zwanzig Jahren wäre die Infrastruktur einer Stadt zerstört, wenn sich städtisches Grün, vor allem Bäume, ungehindert ausbreiten könnte. Bäume selbst sind also durchaus in der Lage, ihr Befinden in einer „feindlichen“ städtischen Welt zu verbessern, wenn ihnen dieser Raum gewährt wird. Werden die Bäume so geliebt, um ihnen dies zu ermöglichen? Bemühen sich die LiebhaberInnen in ihrer Liebe nicht eigentlich nur um sich selbst?

Ich liebe die Natur. Ich lebe in einer wunderschönen Landschaft und fühle mich in ihr geborgen. Durch zahlreiche unterschiedliche Erlebnisse habe ich ein starkes Band zu bestimmten Orten, die ich wie in einem Ritual immer wieder aufsuche, um zur Ruhe zu kommen, zu mir zu kommen und Kraft zu schöpfen. Ich liebe die Natur oder liebe ich nur die Gefühle, die sie in mir hervorruft? Was heißt für mich, für uns, lieben? Bedeutet dies, daß ich das Wesen des anderen wahrnehmen, annehmen und achten kann? Wer kann so lieben?
Ein lieber Freund und Philosoph, Wolfgang Müller-Funk, hat in einem Buch über die Rückkehr der Bilder geschrieben (MÜLLER-FUNK, 1988). Ich selbst habe Bilder und alle Menschen, denen ich bisher begegnet bin, haben Bilder von der Natur. Die Landschaft ist eine Projektionsfläche von Wünschen und Sehnsüchten und vielem mehr. Das Naturerleben täuscht Zeitlosigkeit vor (oder wir erleben Zeitlosigkeit, sind die Zeit los für einen Moment) und hüllt uns in sie ein. Wir erleben Geborgenheit und Freiheit und möchten dies festhalten, weil wir Angst haben sie zu verlieren. Wir halten Bilder fest, weil wir sie nicht verlieren möchten, Bilder, die wir lieben. Denn im Grunde fühlen wir uns getrennt von der Natur, ein riesiger Spalt klafft zwischen unseren vermeintlich objektiven Erkenntnissen, nachvollziehbaren Messungen und Daten und unserer eigenen Wesenheit bzw. der Wesenheit unserer Natur, der Natur.

Bei den Diskussionen mit KollegInnen um eine wertende Landschaftsplanung, um „der Landschaft gerecht“ zu werden, versuche ich nun darauf aufmerksam zu machen, daß vielmehr die eigene Person mit ihren Gefühlen und ihrem Willen im Vordergrund steht, als es sich die Beteiligten selbst eingestehen! Durch die Art der Anwendung der naturwissenschaftlichen Instrumente, das Zerlegen der vorgefundenen Vielfalt und das Zusammenfügen nach „objektivierten“ Kriterien wird eine Basis für Machtentscheidungen geschaffen, welche den Menschen und ihrem Lebensraum nicht „gerecht“ werden können!

Deshalb möchte ich von einer noch immer unreflektierten Natursehnsucht sprechen, welche uns erfüllt und diese Art der Anwendung von Instrumenten mit hervorbringt. In meiner Arbeit versuche ich die Denk- und Fühlmuster anzusprechen.

Bewegung bringt Bewegtheit

Damit ermögliche ich eine Auseinandersetzung mit der eigenen Situation, der Lebenswelt und Umwelt, um gemeinsam etwas über diese Muster zu erfahren, wie sie das Handeln bestimmen und wie wir lernen können anders zu handeln. Wichtig ist hier über ein gemeinsames Erleben und Austauschen (z.B. bei Begehungen) eine verbindende Basis zu schaffen, eine vereinbarte gemeinsame Wirklichkeit, auf der wir aufbauen können. Und ich beginne nicht mit Vegetationsaufnahmen oder anderen Kartierungen. Ich beginne mit der Motivation, mit dem Sinn unseres Zusammentreffens und der gemeinsamen Arbeit. Wenn ich z.B. zu einer Besprechung mit Menschen zusammentreffe (Doern-Verein, Bauerngemeinschaft ...), schlage ich vor, zuerst einen Spaziergang durch den Ort oder über die Felder zu machen. Das gemeinsame Gehen, der Rhythmus, das Außer-Atem-Kommen, das Innehalten schaffen ein gemeinsames Erleben und Ankommen. Dabei wird über alles gesprochen, übers Ausbringen, über die Ernte. Ich sehe Spuren und frage nach. Es entsteht eine vollkommen andere Stimmung, als wenn wir uns zusammengesetzt hätten. Sehr schön zeigt sich das bei einem Landentwicklungsprojekt, dem „Genußwege“-Projekt in Geras. Mit befreundeten Bäuerinnen und Bauern entwickelte sich die Idee, und nun nimmt mittlerweile eine Bauerngemeinschaft daran teil, die sich sehr umfassend mit ihrer Lebenssituation und damit mit der Bewirtschaftung des Landes auseinandersetzt. Die meisten Besprechungen finden derzeit bei gemeinsamen Wanderungen statt, zu denen nunmehr auch ich eingeladen werde.

„Es ist sinnlos, nach dem Sinn zu suchen, wenn nicht die Sinne entfaltet sind!“ (PECHTL, 1995)
Um nicht nur auf der physischen, materiellen Ebene zu arbeiten, sondern auch die seelische und geistige Dimension zu achten, habe ich den Zugang über die Sinne gefunden, den Zugang zu den Menschen und zur Landschaft und zu meiner Achtsamkeit. Ja und zum Nachdenken über die Natursehnsucht und zum Arbeiten mit ihr.

Waldgeister und verzauberte Steine

Das Naturbewußtsein archaischer Kulturen bedeutete ein Eingebettet-Sein in das natürliche Universum, der Mensch empfand sich von diesem abhängig und zugleich auf dieses einwirkend. Er verstand sich dabei als Teil der Natur, umgeben von einer lebendigen Ganzheit. Dieses Bewußtsein ist anscheinend nicht ausrottbar, mit ihm verbinden sich oft tiefe Sehnsüchte der Menschen nach einer natürlichen, freien und gesunden, nicht entfremdeten Lebensweise, eine Paradiessehnsucht. Vor allem in Krisen- und Umbruchzeiten zeigte und zeigt diese Sehnsucht vielfältige und bunte Blüten.

Nicht nur das Mittelalter war „magisch“ und „verzaubert“. Steine, Bäume, Felsen und vieles mehr wurden als lebendig angesehen und der Mensch war direkter Teilnehmer der Rhythmen der Natur. Dieses alte Naturbewußtsein wird in wachsenden Teilen der Naturschutzbewegung als Basis des ökologischen Gleichgewichtes gesehen.

Im 16./17. Jahrhundert setzte der große Wandel im Naturbewußtsein ein. Durch den Einfluß von Descartes, New-ton und Bacon wurde das organische, spirituelle und belebte mittelalterliche Weltbild durch das Begreifen der Welt als einer großen „Maschine“ ersetzt (vgl. GUGENBERGER, SCHWEIDLENKA, 1987). Eine neue Erkenntnismethode setzte sich durch, Subjekt und Objekt wurden nunmehr getrennt. „Sobald der Mensch sich selbst mit der äußeren Welt in Widerspruch setzt, ist der erste Schritt zur Philosophie geschehen. Mit jener Trennung zuerst beginnt Reflexion: von nun an trennt er, was die Natur auf immer vereinigt hatte, trennt den Gegenstand von der Anschauung, den Begriff vom Bilde, endlich (indem er sein eigenes Objekt wird) sich selbst“ (SCHELLING, 1985). Mit den vermehrt erzielten Erfolgen konnte nichts den Glauben der Naturwissenschafter an der Objektivität ihres Weltbildes zweifeln lassen.

Diese „neue“ Einstellung prägte die weitere historische Entwicklung, die Industrialisierung bis zum Atomstaat wie auch den Aufbau gesellschaftlicher Organisationen. Die Eigenlogik von Technik und Kapital, verbunden mit einer sich dynamisch entwickelnden Naturwissenschaft ermöglichte diese Entwicklung bis heute.

Die Spätromantiker verlagerten dann die Bedeutung der Natur von einer Quelle der Inspiration zu einem Fluchtort, der sie über die Schlechtigkeit der Welt hinwegtrösten sollte. Die Natur wurde zu einem ästhetischen Objekt, das der Erholung diente und das man bestaunte. Sie war fremd, ein Spiegel der eigenen Stimmungen und Gefühle. Auch heute wird der ästhetische Wert einer Landschaft angeführt und versucht, Natur an sich zu beurteilen, abgekoppelt von den Menschen, die dazu beigetragen haben, daß sie so aussieht, wie sie aussieht. Mit unserem schon sehr umfangreichen Wissen über ihre Entwicklung, über ihre einzelnen Elemente und deren Zusammenhänge und Wechselwirkungen stehen wir vor dem Problem, was machen wir damit? Es wird ein „unnatürlicher“ Naturschutz betrieben (weil z.B. „natürlich“ für mich Entwicklung und Veränderung bedeutet, also Lebendigkeit im Sinn von Geboren-Werden, Sein, Werden, Sterben, Geboren-Werden ...), der trennt anstatt die Gesamtheit zu betrachten. Die Probleme von Landschaften sind in erster Linie Probleme von Menschen, auch wenn erstere davon betroffen sind.

Sinnliche Planung –
lebendige Naturachtung

Wenn ich fordere, daß die Gesamtheit betrachtet werden sollte, und daß ich eine lebendige Naturachtung verfolge anstatt eines unnatürlichen Naturschutzes, muß ich näher ausführen, was ich darunter verstehe. Mit der oben angeführten Einstellung wurden also bestimmte Errungenschaften und Erkenntnisse unserer Zivilisation erst möglich. Ebenso deutlich zeichnet sich die Ratlosigkeit ab, wie wir mit unseren Erkenntnissen umgehen sollen. Wolfgang Holzner beschreibt dies so schön, daß die Ursache darin liegt, wie wir diese Wissenschaft betreiben. Er bezeichnet dies als das „VWaWV-Syndrom (viel Wissen, aber wenig Verständnis)“ (HOLZNER, 1988). Weil mehr dazu gehört als die Beherrschung des wissenschaftlichen und planerischen Handwerks. Wir fühlen uns getrennt von der Natur, der Spalt zwischen unseren objektivierten Erkenntnissen und unserer eigenen Wesenheit und der Wesenheit der Natur scheint unüberbrückbar. Ich überbrücke, indem ich in Beziehung trete und über die naturwissenschaftlichen und planerischen Instrumente hinaus erfahrungswissenschaftlich arbeite (vgl. SCHNEIDER, 1989). Unter Gesamtheit verstehe ich nicht eine riesige Ansammlung von Daten, sondern vielmehr ein Einbringen aller Erfahrungen, der Beteiligten, in den Planungsprozeß.

Un-sinnliche Planung
ist sinn-lose Planung

Und nun komme ich wieder zurück zu: „Es ist sinnlos, nach dem Sinn zu suchen, wenn nicht die Sinne entfaltet sind!“ In meiner Arbeit mit Menschen spreche ich die Denk- und Fühlmuster, die Natursehnsucht an, weil ich sie dadurch ernst nehme. Und über ein Ansprechen einiger Sinne, im Austausch darüber, kann ich die Beteiligten erreichen, daß sie sich selbst aus ihren Erkenntnissen und Handlungen nicht mehr ausklammern. Sie können ein Gefühl der eigenen Kompetenz entwickeln.

Am Beginn - Einfühlen statt Einreden

Wenn ich in meiner Arbeit mit Menschen zusammentreffe, versuche ich in mir eine Stimmung für die Begegnungen zu erlangen, um wahrnehmen und annehmen zu können. Man sagt auch wertschätzende Akzeptanz dazu. Voraussetzung dafür ist für mich, daß es mir gelingt zuerst meinen eigenen inneren Dialog anzuhalten. Erst später im Austausch bringe ich mich wieder ein. Auch meine persönliche Geschichte und mein Wissen muß ich hintanhalten, obwohl mich meine Geschichte hierher geführt hat.

Lebendiger Pragmatismus
statt systematischer Perfektionismus

Die Wissenschaft der Ökologie und das Planungsinstrumentarium ist für mich wie ein Hilfsmittel. So wie Wolfgang Holzner vorschlägt, spielerisch rein pragmatische Ansätze auszuprobieren, die laufend ohne Rücksicht auf widerspruchsfreie Gedankengebäude und „Lehrmeinungen“ modifiziert und angepaßt werden dürfen: „Da man ohnehin davon ausgehen muß, daß die Vielfalt und Komplexität des Lebendigen unendlich ist und daher nie ausreichend erforscht werden wird können, strebt man in der angewandten Ökologie nicht nach möglichst vollständigen Unterlagen, sondern nach den unbedingt notwendigen Mindestdaten.“ Sehr ähnlich drückt sich auch Gerda Schneider aus, wenn sie für eine Landschaftsplanung mit „Herz, Hand und Verstand“ (SCHNEIDER, 1989) plädiert.

Über die erarbeitete gemeinsame Wirklichkeit habe ich die Basis, Wissen einzubringen und zu bekommen. Ich suche Informationen über die Nutzungen, über die Geschichte (auch Sagen, Legenden und Anekdoten) und gebe Informationen über Naturhaushalt, eigene Untersuchungen, Auswirkungen der derzeitigen Nutzungen, über Förderprogramme etc. weiter. So kann eine Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt und Umwelt entstehen. Und der Weg der kleinen Schritte in Richtung eines achtungs- und verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur kann eingeschlagen werden.


Literatur:
Gugenberger, E., SCHWEIDLENKA, R. (1987): „Mutter Erde, Magie und Politik“. Wien.
Holzner, W. (1998): „Die Landschaft als dynamisches Netzwerk – Zum Umgang mit Kulturlandschaften“. Wien.
Müller-FunK, W. (1988): „Die Rückkehr der Bilder“. Wien.
Pechtl, W. (1995): „Zwischen Organismus und Organisation“. Linz.
Schelling, F.W.J. (1985): Ausgewählte Schriften.
SchneideR, G. (1989): „Die Liebe zur Macht“. Kassel.

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