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Mit vierzig Jahren abgebrochen
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Als Architekt tatkräftiger Modernist, vom Naturell her Draufgänger und Bohemien, politisch „Gefühlssozialist“: der Grazer Herbert Eichholzer, 1941 von den Nazis verhaftet, 1943 hingerichtet. Eine Ausstellung in Wien erinnert an den zu Unrecht Vergessenen.

21. November 1998 - Walter Zschokke
Paris, Ende der zwanziger Jahre. Im Atelier von le Corbusier, rue de Sèvres 35, war es nicht üblich, Mitarbeiter zu bezahlen. Der 26jährige Grazer, der im Herbst 1929 als Volontär an Ausführungsplänen des Centrosoyus für Moskau arbeitete, blieb wohl nicht zuletzt deshalb nur bis Weihnachten. Dennoch hatte er, welterfahren, wie er war, die Architektursprache des Meisters aufgesaugt, um sie zurück nach Graz zu tragen.

Die Grundlagen einer modern ausgerichteten Haltung hatte allerdings schon sein Lehrer an der Technischen Hochschule in Graz, Friedrich Zotter, gelegt, und sein eigenwilliger Charakter machten ihn Neuem gegenüber aufgeschlossen. Gustav Scheiger, langjähriger Sekretär der Grazer Sezession, beschreibt ihn in einem späten Nachruf als „einerseits tief religiös, andererseits extrem antikirchlich, leidenschaftlich individualistisch und ebenso kollektivistisch, vornehm snobistisch in einem Zug, kameradschaftlich und rücksichtslos zugleich, klug planend und grenzenlos unbedacht, vereinigte er alle Widersprüche mit einem bezwingenden Charme, einer messerscharfen Dialektik, souveräner Unbestechlichkeit und tollkühnem Wagemut“ (Tagebuch, Wien, 3. 11. 1956).

In der Steiermark der frühen dreißiger Jahre ließen sich die Ideen des Neuen Bauens nicht ohne Abstriche umsetzen. Eichholzers erster Auftrag - eine Wohnanlage in Judenburg - , der sein größter bleiben sollte, atmet denn auch den bewährten Geist der Volkswohnhäuser der zwanziger Jahre.

Herbert Eichholzer, ein großer Anreger, aber auch oft unterwegs, teilte nicht ungern das Atelier mit einem Partner. In den ersten Jahren war dies Rudolf Nowotny, der jedoch früh an Diphtherie verstarb. Danach tritt Viktor Badl bei zahlreichen Projekten als Partner auf, später war dies Friedrich Hodnik. Bei den meisten Aufträgen handelte es sich um kleine Umbauten, um Geschäftsportale, Wohnzimmermöblierungen und dergleichen. Dabei zeigt sich anfangs ein von kubischen Erscheinungsformen abgeleiteter Charakter, der später dynamischer wird, etwa wenn die Lehnen von Fauteuils dem Schwung von Automobilkotflügeln nachempfunden sind.

Einige wenige größere Objekte zeugen von seinem Engagement für eine erneuerte Architektur. Darunter sind zwei kleine Häuser von 1932/33 am Ulrichsbrunn in Graz zu nennen, die, extrem kompakt, auf zwei Geschoßen Küche und Wohnraum sowie zwei Schlafzimmer enthalten. Eine schmale Treppe und minimale Nebenräume ergänzen das Bauwerk. Ein Bad war vermutlich in der Waschküche zu nehmen. Vom Raumprogramm entsprachen sie dem, was damals leistbar war. Aber ihre Architektur war geprägt vom Traum der Moderne: als weiße Kuben mit flachem Dach standen sie im Hang, mit wohlproportionierten, von innen nach außen entwickelten Fassaden und exakt eingeschnittenen Fenstern.

Ein etwas größeres Einfamilienhaus konnte Eichholzer 1936 an der Rosenberggasse in Graz errichten. Ein Teil des Hauptgeschoßes ist auf Stützen aufgestelzt, vor den Wohnräumen dehnt sich ein Bandfenster, und darüber öffnet sich eine Dachterrasse. Damit war ein Teil jener fünf programmatischen Punkte le Corbusiers eingelöst.

Bei Entwürfen für Wettbewerbe, unter anderem mit seinem früheren Lehrer Friedrich Zotter entstanden, kommen die klaren geometrischen Formen der Moderne noch deutlicher zum Ausdruck. Ein größerer Erfolg blieb ihm jedoch versagt. Dafür engagierte er sich in der Grazer Sezession bei Debatten um Fragen der Kunst und - als erklärter Gefühlssozialist - verstärkt auch politisch gegen den drohenden Nationalsozialismus.

Einer Verhaftung nach dem „Anschluß“ entzog er sich durch Ausreise nach Triest und Paris. Nach einem Aufenthalt in Istanbul, wo er bei Clemens Holzmeister arbeitete, kehrte er 1940 nach Graz zurück und betätigte sich integrierend im zaghaft keimenden Widerstand gegen das Naziregime. Über sein tatsächliches Wirken und seine politische Grundhaltung bestehen unterschiedliche Auffassungen: ob er jetzt Kommunist war oder ob er eine eigene Weltanschauung von künstlerischer Freiheit und weitgefaßtem Sozialismus pflegte. Seine bisherige Biographie, die ihn als „wilden Hund“, Bohemien, tatkräftigen Architekten, weitgereist und vielsprachig ausweist, bietet nicht das Bild, das man sich heute von ei- nem orthodoxen Kommunisten macht. Vielmehr erscheint er als herausragende, facettenreiche Persönlichkeit, als Draufgängernatur, die zwangsläufig mit dem gleichschalterischen, totalitären Unrechtsregime in Konflikt geraten mußte.

Gemäß seinem Naturell zog er sich nicht in die „innere Emigration“ zurück - auch wenn er in diesem Punkt zuweilen geschwankt haben mag - , noch blieb er im sicheren Ausland, sondern er suchte die Auseinandersetzung in Graz. Dabei mag er den barbarischen Charakter der Nazidiktatur unterschätzt haben. Die letztendlich dilettantisch agierenden, zentralistisch strukturierten Gruppen wurden von einem Infiltranten verraten und Anfang 1941 allesamt verhaftet.

Herbert Eichholzer wurde wie die meisten anderen seiner etwa 20 Gesinnungsgenossen - nach einem „Hochverratsprozeß“ vor dem „Volksgerichtshof“ am 7. Jänner 1943 - in Wien mit dem Fallbeil geköpft. Einige wenige erhielten Zuchthausstrafen und überlebten. Eichholzer stand mit knapp 40 Jahren im ersten Drittel eines Architektenlebens, das von der Wirtschaftskrise gebremst und vom Naziregime abgebrochen wurde.

Dietrich Ecker hat Anfang der achtziger Jahre in seiner Dissertation Eichholzers Werk zusammengestellt und gewürdigt. Vor einem Jahr zeigte der Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit „CLIO“ in Graz eine Ausstellung über Eichholzer, die Grazer Sezession und ihr Umfeld. Etwas verkleinert wurde sie von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur ins Wittgensteinhaus (Wien 3, Parkgasse 18) geholt und ist dort wochentags (von 9 bis 17 Uhr) bis 4. Dezember zu sehen.

Außer einigen Möbeln ist von Eichholzers Werken nahezu keines unverändert erhalten. Diese Auslöschung betraf in einer Art unbewußtem Gehorsam auch die wenigen Zeugen einer aufkeimenden Moderne in der Steiermark. Die äußerst knappe Darstellung regt aber an, weiter zu forschen, aufzuarbeiten und vermittelnd zu verbreiten. Eichholzers Haltung - die des Architekten, des aktiven Menschen wie auch die des Verfechters künstlerischer Freiheit - ist es samt ihren Widersprüchen wert, von einer vorwärts enteilenden Nachwelt in lebendiger Erinnerung gehalten zu werden.

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