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Blick ins Freie
Spectrum

Was Landschaftsarchitektur mit dem Wohlbefinden von Pflegeheimbewohnern zu tun hat? In Wien sehr viel: Hier bestimmt die Qualität der Freiräume die Atmosphäre in zwei neuen Einrichtungen.

17. Oktober 2015 - Stephanie Drlik
Chronisch kranke und alte Menschen, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht zu Hause versorgt werden können, sind oftmals auf die Übersiedlung in eine öffentliche Pflegeeinrichtung angewiesen. Kein einfacher Schritt für kranke und betagte Pflegebedürftige. Das neue Zuhause wird nicht leicht als solches akzeptiert, wiegt der Verlust des Gewohnten doch zu schwer. Zur Verbesserung der Situation der Betroffenen ist eine hochwertige Pflegeleistung durchqualifizierte, einfühlsame Fachkräfte ebenso wichtig wie ein funktional und freundlich gestalteter Lebensraum.

Neben der Gebäudearchitektur kann die Landschaftsarchitektur einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden in Pflegewohnhäusern leisten. Gebäudeassoziierte Freiräume erfüllen therapeutische und soziale Funktionen, sie ermöglichen den so wichtigen Kontakt mit der Natur, und sie sind vor allem erweiterter Lebensraum der Bewohner und ihrer Angehörigen. Denn die oftmals stark eingeschränkten Bewegungsradien erlauben kaum Ausflüge in die Umgebung, manchmal ist sogar nur der Blick ins Freie möglich. Anforderungen an den Außenraum können daher nicht ausschließlich funktional erfüllt werden, das bloße Betrachten muss Sehnsüchte befriedigen und Stimmungen transportieren.

Landschaftsarchitektur ist in der Lage, dem vorübergehenden oder endgültigen Verlust des eigenen Zuhauses Perspektiven zu bieten, sie kann Lebensinhalte schaffen, emotionale Assoziationen wecken und Erinnerungen hervorrufen. Neben der Funktion wird die Atmosphäre zur bestimmenden Qualität der Freiräume. Mit dem Geriatriekonzept setzte 2007 eine dringend notwendig gewordene Modernisierungswelle der Wiener Kranken- und Altenpflege ein. Die historischen, überdimensioniertenPflegeapparate am Stadtrand wurden aufgelassen und nach und nach durch elf neue oder generalsanierte, kleinere Einrichtungen ersetzt. Die Stadt war sich bei diesem Vorhaben offenbar über die Notwendigkeit hochwertiger Außenanlagen bewusst, die Neubauten wurden allesamt mit professioneller landschaftsarchitektonischer Beteiligung errichtet.

Je nach räumlichen Möglichkeiten versucht jedes Haus ein gewisses Grundpaket an freiräumlicher Infrastruktur anzubieten: etwa allgemeine Freiräume für Patienten und ihre Besucher, Demenzgärten, die als eigenständige Systeme der Bewegung in sicheren Räumen dienen, oder Therapiegärten zur Mobilisierung betagter oder chronisch kranker Menschen. Die Formensprache in den geschaffenen Gärten scheint überwiegend praktisch-funktional motiviert, mit viel Rund und Bunt. Zwei Büros haben sich über die gängige Pflegeheim-Ästhetik hinweggesetzt. Die Gestaltungen fallen, neben dem bravourös absolvierten funktionalen Pflichtprogramm, insbesondere durch ihre atmosphärische Qualität auf.

Das 2012 fertiggestellte Pflegewohnhaus Liesing von Riepl Kaufmann Bammer Architektur entstand mit intensiver freiraumplanerischer Beteiligung von 3:0 Landschaftsarchitektur. Durch die Überlagerung von Gebäude, Garten und angrenzendem Liesinger Schlosspark konnte ein wunderbar gelungenes Gesamtensemble geschaffen werden, das optisch eher an den hochwertigen Wohnbau als an Kategorie Pflegeeinrichtung erinnert. Drei Innenhöfe folgen unterschiedlichen Konzepten, eine sinnvolle Differenzierung zur leichteren Orientierung. Der Schlosspark, leider durch einen Zaun getrennt, bietet zumindest ein privilegiertes Setting, um den Blick schweifen zu lassen, auch von dem auf dem Dach gelegenen Demenzgarten. Der historische Park war da und dort wohl auch Referenz für die architektonische Formensprache im Garten des Pflegewohnheims. Dassder alte Baumbestand zu einem Großteil erhalten werden konnte, schafft eine enorme atmosphärische Qualität. Die Pflege der Außenräume wird derzeit nicht allzu genau ausgeführt, was die romantisierende Note dieses Gartens unterstreicht. Schlampig gekehrte, da und dort leicht vermooste Oberflächen und teils licht bewachsene Beete wirken vor dem alten Baumbestand und dem bronzefarbenen Trapezlochblech der Fassade beinahe wie eine Reminiszenz an das Leben der Bewohner. Hier darf die Zeit ihre Spuren zeigen.

Ähnlich geschickt, atmosphärisch aber doch ganz anders wurde im Pflegewohnhaus Donaustadt gearbeitet. Das 2013 fertiggestellte Gebäude von Delugan Meissl Associated Architects präsentiert sich in der Optik einer schicken Privatklinik. Passend dazu die sinnliche Entwurfssprache der Freiraumgestaltung von Rajek Barosch Landschaftsarchitektur. Die komplexe Gebäudekonfiguration hat schwierige freiräumliche Bedingungen für die Landschaftsarchitekten geschaffen: mehrere eher klein dimensionierte Resträume, die wohl kaum die Freiraumqualitäten eines großen, zusammenhängenden Parks erzeugen können. Eine Befürchtung, über die man sich geschickt hinweggesetzt hat. Isolde Rajek und Oliver Barosch haben sich die Kleinteiligkeit der Außenräume, die sich über zwei Ebenen erstrecken, zunutze gemacht und ein funktionales Freiraumangebot geschaffen.

Aufgrund der konsequent durchgehaltenen Gestaltungssprache und der geschickt entwickelten Blickbeziehungen werden die Höfe, Dachgärten und Terrassen als Einheit wahrgenommen. Zahlreiche Glasfronten zeigen verschiedene Ausschnitte des Freiraums und machen den Außenraum auch von innen erlebbar. So wird der Garten einer Kindertagesstätte, der sich entlang der Eingangshalle und des Cafés erstreckt, zum zentralen Ereignis und zum Unterhaltungsprogramm für Bewohner und Besucher. Die unbeschwerte Fröhlichkeit und Lebendigkeit der spielenden Kinder tun hier besonders gut. Die wunderbare Landschaftsarchitektur auch. Der Allgemeingarten mit Gräserbeeten, Rasenflächen und Obstspalieren ist vitaler Aufenthalts-, Kommunikations- und Naturraum. Durch feine Details gibt er immer wieder neue Eindrücke frei. Zwei Pergolen, die sich um ein Biotop formieren, spenden Schatten und versprühen mit samt der zarten Möblierung und den geflochtenen Hängeleuchten so etwas wie 1950er-Jahre-Charme.

Angesichts der durchgehend qualitätvoll gestalteten und hochwertig ausgeführten Projekte des Büroportfolios von Rajek Barosch darf man sich beeindruckt zeigen. Die Arbeiten tragen durchwegs die klassisch-elegante Handschrift, die schon längst zum Markenzeichen der beiden Landschaftsarchitekten geworden ist. Dass eine solch ästhetische Landschaftsarchitektur auch in den von ihnen gestalteten Geriatriezentren Anwendung findet, hat eine wichtige gesellschaftspolitische Aussage: Respekt und Wertschätzung für alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen unserer Gesellschaft, für ihre Angehörigen und das Pflegepersonal. Eine Aussage, die baukulturelle Zukunft hat.

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