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Wenn auf dem Shop­ping­cen­ter Le­ben ein­kehrt
Der Standard

71 Woh­nun­gen sind auf dem Dach des Wie­ner Au­hof­cen­ters ent­stan­den. Im Som­mer sind die er­sten Mie­ter ein­ge­zo­gen. Von Ein­kau­fen­den un­ent­deckt, hält hier ne­ben Licht­schäch­ten lang­sam der All­tag Ein­zug.

21. Oktober 2015 - Fran­zis­ka Zo­idl
Nur we­ni­gen Be­su­chern des Au­hof­cen­ters im 14. Be­zirk wer­den die knal­lig ro­ten Bal­kon­blu­men auf­fal­len, die man nur dann sieht, wenn man ein paar Schrit­te vor dem Haupt­ein­gang den Blick schräg nach oben in Rich­tung Dach rich­tet.

Nor­mal­er­wei­se sind auf dem Dach ei­nes Ein­kaufs­zen­trums bloß Ent­lüf­tungs- und Licht­schäch­te zu fin­den. Mit der Er­wei­te­rung des Au­hof­cen­ters sind aber 71 ge­för­der­te Miet­woh­nun­gen ent­stan­den. 25 da­von sind „Smart“-Woh­nun­gen mit kom­pak­ten Grund­ris­sen. Die Woh­nun­gen sind auf drei Stock­wer­ken rund um ei­nen vom Lärm aus dem Ein­kaufs­zen­trum und von der Stra­ße ver­schont ge­blie­be­nen In­nen­hof grup­piert, auf dem es Sitz­bän­ke, Grün­flä­chen und ei­nen Spiel­platz gibt.

65 der Woh­nun­gen sind be­reits ver­mie­tet, die üb­ri­gen sol­len in den näch­sten Ta­gen vom Wie­ner Wohn­ser­vi­ce ver­ge­ben wer­den. Vom Er­folg des Pro­jekts war Mi­cha­el Geh­bau­er, Ge­schäfts­füh­rer der Wohn­bau­ver­ei­ni­gung für Pri­vat­an­ge­stell­te (WBV-GPA), über­rascht: 2000 Vor­mer­kun­gen für die Woh­nun­gen ha­be es in­ner­halb kur­zer Zeit ge­ge­ben.

Fa­mi­lie Or­so­lic ist Mit­te Au­gust in ih­re Mai­so­net­te­woh­nung ein­ge­zo­gen. Gleich bei der Woh­nungs­tür steckt hin­ter der Sprech­an­la­ge ein Fo­to von der Schlüs­sel­über­ga­be im Ju­li, bei der je­der Mie­ter mit Wohn­bau­stadt­rat Mi­cha­el Lud­wig (SPÖ) ab­ge­lich­tet wur­de. Die Vor­stel­lung, auf dem Dach ei­nes Ein­kaufs­zen­trums zu woh­nen, ha­be ih­nen so­fort ge­fal­len, er­zäh­len sie. Zum Ein­kau­fen wa­ren sie schon im­mer her­ge­kom­men. Ein Vor­teil für die Jung­fa­mi­lie: Lu­na, die zehn Mo­na­te al­te Toch­ter, kann auf dem Spiel­platz im In­nen­hof un­be­hel­ligt vom Ver­kehr spie­len. Ein­zig ei­ne Schau­kel feh­le. Auch für den noch sehr kah­len Ge­mein­schafts­raum, den sie künf­tig für Kin­der­ge­burts­ta­ge nüt­zen wol­len, wün­schen sie sich noch Mö­bel.

Nur 25 der Mie­ter ha­ben ei­nen Pkw-Stell­platz an­ge­mie­tet, sagt Geh­bau­er – ei­ne Zahl, die über­rascht. Fast ei­ne Stun­de braucht man näm­lich mit Öf­fis aus der In­nens­tadt hier­her. Die Bus­hal­tes­tel­le be­fin­det sich zwar di­rekt vor dem Haus, die näch­ste S-Bahn-Sta­ti­on ist aber ei­nen zehn­mi­nü­ti­gen Fuß­marsch ent­fernt. In an­de­ren Pro­jek­ten wür­den bis zu zwei Drit­tel der Mie­ter ei­nen Stell­platz be­nö­ti­gen, sagt Geh­bau­er. Vie­le der Be­woh­ner wür­den aber im Au­hof­cen­ter und in der Um­ge­bung ar­bei­ten und da­her kein Au­to brau­chen. Die Park­plät­ze sind von je­nen der Ein­kau­fen­den ge­trennt. „Die Mie­ter wol­len ei­nen fi­xen Stell­platz. Wenn man das durch­mischt, wird es schwie­rig“, ist Geh­bau­er über­zeugt. Auch ei­nen di­rek­ten Zu­gang zum Ein­kaufs­zen­trum gibt es nicht, um zu ver­mei­den, dass Frem­de in den Wohn­be­reich kom­men.

Zahl­rei­che Hür­den

„Bei­de Sei­ten ha­ben viel Fin­ger­spit­zen­ge­fühl be­nö­tigt“, be­rich­tet der Ei­gen­tü­mer des Au­hof­cen­ters, Pe­ter Schai­der. Ziel sei ge­we­sen, Ein­kaufs­zen­trum und Woh­nen in „ver­träg­li­cher Form“ zu ver­bin­den. Er glaubt, dass ein Pro­jekt wie das Au­hof­cen­ter nur dann mög­lich ist, wenn sich al­le Ent­schei­dungs­trä­ger gut ken­nen.

Denn Hin­der­nis­se gab es ge­nug: „Man muss zwei Ge­scho­ße Ein­kaufs­zen­trum über­win­den, um zum Woh­nen zu kom­men“, sagt Geh­bau­er. „Das sind schon mehr Kos­ten als auf der grü­nen Wie­se.“ Auch für die er­wähn­ten Lüf­tungs­an­la­gen, die nor­mal­er­wei­se dort un­ter­ge­bracht sind, wo heu­te Kin­der spie­len, muss­te ei­ne Lö­sung ge­fun­den wer­den. Sie wur­den schließ­lich auf die Dä­cher an­de­rer Au­hof­cen­ter-Be­rei­che ver­bannt – auch das sorg­te für Mehr­kos­ten. Licht­schäch­te, mit de­nen Ta­ges­licht in den Shop­ping­tem­pel trans­por­tiert wer­den soll, wur­den in­mit­ten des In­nen­hofs plat­ziert, eben­so wie ei­ne Brand­rau­chent­lüf­tung, die noch be­grünt wer­den soll.

Auch ju­ris­tisch war das Pro­jekt ei­ne Her­aus­for­de­rung: Vom Ei­gen­tü­mer, der Au­hof Cen­ter Be­sitz und Be­trieb GmbH, wur­de der WBV-GPA auf 35 Jah­re ein Bau­recht ein­ge­räumt. Da­nach kann der Ei­gen­tü­mer die Woh­nun­gen kau­fen. Die Bau­pha­se sei „knapp be­mes­sen“ ge­we­sen, so Geh­bau­er, denn die Woh­nun­gen muss­ten gleich­zei­tig mit der Er­wei­te­rung des Cen­ters ent­ste­hen. In­ner­halb von elf Mo­na­ten wur­den die Woh­nun­gen fer­tig­ge­stellt.

„Eins zu eins“ ge­be es so ein Pro­jekt nicht noch ein­mal, sagt Geh­bau­er. Im­mer öf­ter gibt es aber Pro­jek­te, bei de­nen leist­ba­res Woh­nen über Re­tail­flä­chen ge­plant wird, et­wa auf ei­nem Su­per­markt in Wien-Don­aus­tadt. „Man soll das nicht über­schät­zen“, sagt Geh­bau­er aber. „Da­mit wird nicht die Mas­se an neu­en Woh­nun­gen ent­ste­hen.“ Be­darf an Wohn­raum sei in der Ge­gend aber vor­han­den, so Schai­der: Vie­le Men­schen wür­den Woh­nun­gen su­chen, aber kei­ne fin­den. Freie Dä­cher gä­be es zu­min­dest noch ge­nug, wie ein Blick in die Nach­bar­schaft zeigt. Viel­leicht lohnt es sich in Zu­kunft öf­ter, den Blick zu he­ben – nicht nur we­gen der Blu­men.

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