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Cha­mä­leon auf der Klip­pe
Der Standard

Mit sei­nem im­po­san­ten Klip­pen­haus, der so­ge­nann­ten Ca­sa del Acan­ti­la­do in Sa­lo­bre­ña an Gra­na­das Cos­ta Trop­ical, sorgt das jun­ge Ar­chi­tek­ten­duo Gil­Bart­olo­mé ADW aus Ma­drid für Fu­ro­re.

7. November 2015 - Jan Marot
Die süd­spa­ni­sche Pro­vinz Gra­na­da ist bis­lang ar­chi­tek­to­nisch in er­ster Li­nie für den Al­ham­bra-Pa­last (deutsch „Die Ro­te“) aus der ara­bi­schen Ära welt­be­kannt. Doch auch in punc­to zeit­ge­nös­si­scher Ar­chi­tek­tur be­wegt sich hier­zu­lan­de im­mer wie­der et­was – dem kri­sen­be­ding­ten Exo­dus ei­ner jun­gen Ar­chi­tek­ten­ge­ne­ra­ti­on zum Trotz. Wie ganz ak­tu­ell mit dem „Klip­pen­haus“ (spa­nisch Ca­sa del Acan­ti­la­do), das Pa­blo Gil Mar­tí­nez (geb. 1977 in Ma­drid) und Jai­me Bart­olo­mé Yl­le­ra (geb. 1978, eben­so in Ma­drid) von Gil­Bart­olo­mé ADW Ma­drid auf den Wunsch ei­nes jun­gen Ehe­paa­res als Fe­ri­en­do­mi­zil in Sa­lo­bre­ña an der Mit­tel­meer­küs­te Gra­na­das kon­zi­pier­ten.

Ein ge­wag­ter Ent­wurf, der sich im Wett­be­werb ge­gen die Kon­kur­renz durch­set­zen konn­te. Und auf der mit 42 Grad Hang­la­ge ex­trem ge­neig­ten, 725 Qua­drat­me­ter klei­nen Par­zel­le am Stadt­rand der knapp 12.000 Ein­woh­ner zäh­len­den klei­nen Ha­fen­stadt, die be­reits zur Zeit der Phö­ni­zier und Kart­ha­ger Han­dels­zen­trum war, bau­lich mit Bra­vour um­ge­setzt wur­de.

Die spa­ni­sche Ta­ges- und auch Fach­pres­se lob­te den Bau über­schwäng­lich, gar als „ei­nes der in­no­va­tivs­ten und ori­gi­nell­sten Häu­ser des Lan­des“ (El Mun­do) . Haupt­ziel des Du­etts in Sa­lo­bre­ña in­des war es von vorn­her­ein, die Kons­truk­ti­on best­mög­lich in die um­lie­gen­de Land­schaft zu in­te­grie­ren. Das Haus ist in der Tat fast un­sicht­bar, sei­ne Rück­sei­te so­wie­so, aber selbst von der en­gen, kur­ven­rei­chen Zu­fahrtss­tra­ße her kann man es kaum se­hen. So­dass Ar­chi­tek­tur­fo­to­graf Je­sús Gra­na­da gar ei­ne Droh­ne brauch­te, um es in sei­ner Ge­samt­heit ab­zu­lich­ten.

Nicht nur, dass ein be­acht­li­cher Teil rück­sei­tig oh­ne­hin voll­stän­dig un­ter der Er­de liegt. Das „Klip­pen­haus“ ver­fügt auch über ei­ne Art Tarn­kap­pe. Was dem Ar­chi­tek­ten­ge­spann nicht nur mit der or­ga­ni­schen Form, son­dern auch mit ei­nem mit ge­gen Kor­ro­si­on re­sis­ten­ten Zink­pla­ket­ten be­schupp­ten Dach vor­treff­lich ge­lang. „Un­se­re Auf­trag­ge­ber sind sehr dis­kre­te Men­schen“, be­tont Bart­olo­mé. Fast mi­me­tisch fügt sich das Klip­pen­haus in das kar­ge, stei­ni­ge und – von ver­ein­zel­ten duf­ten­de Pi­nien, Thy­mi­an und Ros­ma­rin­büsch­chen ab­ge­se­hen – kaum be­wachs­ene Ter­rain ein. Aus all den Wohn­räu­men des zweis­tö­cki­gen Ein­fa­mi­li­en­hau­ses hat man stets ei­nen Pa­no­ra­ma­blick auf das na­he Meer. In­dem sie das Haus den Berg hin­ein­bau­ten, nutz­ten die Ar­chi­tek­ten auch das im Sü­den Spa­niens weit­ver­brei­te­te Kon­zept der „Ca­sa Cue­va“, zu Deutsch Höh­len­haus, ei­ne vor al­lem um Gua­dix ex­trem po­pu­lä­re, ra­sche und über­dies kos­ten­ef­fi­zien­te Bau­wei­se.

„Ab ei­ner Tie­fe von sechs Me­tern bleibt die Tem­pe­ra­tur qua­si das ge­sam­te Jahr über kons­tant um die 20 Grad“, sagt Pa­blo Gil. Was die En­er­gie­kos­ten sig­ni­fi­kant re­du­ziert – „fast ge­gen null, was Hei­zung und Kli­ma­ti­sie­rung be­trifft“, wie Gil wei­ter er­klärt – und vor al­lem in den som­mer­li­chen Hit­ze­wel­len mit knapp 40 Grad schlicht­weg den Lu­xus ei­ner an­ge­nehm er­fri­schen­den Raum­tem­pe­ra­tur bie­tet. Die Win­ter an der vor al­lem bei spa­ni­schen Bin­nen­tou­ris­ten be­lieb­ten „tro­pi­schen Küs­te“, spa­nisch Cos­ta Trop­ical, sind oh­ne­hin äu­ßerst mild. Mit Tiefst­wer­ten knapp um die 20 Grad.

Auf zwei ge­räu­mi­gen Stock­wer­ken lässt es sich hier auf 247 Qua­drat­me­ter Wohn­raum gut sein. „Als ob man auf dem Meer le­ben wür­de“, merkt Bart­olo­mé an. Ei­ne schwe­ben­de Ter­ras­se mit in­te­grier­tem Pool und ein ge­räu­mi­ges, hel­les, eben­so mit or­ga­nisch ge­form­ten Mö­beln ein­ge­rich­te­tes Wohn­zim­mer un­ten, zwei Schlaf­zim­mer oben. Über drei Ba­de­zim­mer und ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Kü­che ver­fügt das Klip­pen­haus auch. Mit ge­well­ten For­men, sei­en es die Fens­ter, die Au­ßen­wän­de oder das Dach, aber auch bei den drei Bal­ko­nen im Ober­ge­schoß, spiel­ten die Ar­chi­tek­ten zu­dem ge­konnt, „um das Ge­fühl, ein Teil des Mee­res zu sein, zu stei­gern“.

Hier wur­de üb­ri­gens al­les von lo­ka­len Fir­men er­baut und ein­ge­rich­tet. Selbst die „Zinn­schup­pen“ für das Dach – das je nach Ta­ges­zeit und Son­nen­ein­strah­lung ei­nen Cha­mä­leo­nef­fekt wie bei ei­ner Dra­chen­haut er­zeugt – kom­men aus dem Um­land. Das ist an­sons­ten be­kannt für sei­ne Trop­en­frucht-Pro­duk­ti­on, hier rei­fen je­de Men­ge Man­gos, Pa­pay­as, Avo­ca­dos und Co an den Bäu­men. „Die Dach­schup­pen ver­mit­teln über­dies den Ein­druck der Gischt und des Schau­mes schla­gen­der Wel­len“, meint Bart­olo­mé. Al­les wur­de wohl­ge­merkt in Hand­ar­beit ge­fer­tigt.

Bau­en mit Vor­bild­wir­kung

„Im En­def­fekt kam es uns viel güns­ti­ger, auf hoch­wer­ti­ges Hand­werk lo­ka­ler Fach­kräf­te zu bau­en“, be­tont Gil, „als auf teu­re, in­dus­tri­el­le Bau­stof­fe und Mo­bi­li­ar, das aus dem Aus­land zu be­stel­len wä­re.“ Zu­dem ist das nicht nur öko­lo­gisch nach­hal­ti­ger, weiß Bart­olo­mé, son­dern „man set­ze auch ein po­li­tisch kor­rek­tes Zei­chen mit Vor­bild­wir­kung, in ei­nem Land wie Spa­nien, dass von ho­her Ar­beits­lo­sig­keit ge­prägt ist“.

Ein­fach war es je­den­falls nicht, das Haus zu er­rich­ten, vor al­lem we­gen des stei­ni­gen har­ten Un­ter­grunds und der star­ken Nei­gung. Bart­olo­mé: „Es war wie ei­ne For­schungs­ar­beit an der Uni­ver­si­tät, bei der wir wert­vol­le Er­fah­rungs­wer­te sam­meln konn­ten.“

Be­ton ist der Bau­stoff, auf den die Wahl fiel – wie in Spa­nien fast flä­chen­de­ckend Usus. Zwei Au­ßen­wän­de mit ei­nem da­zwi­schen lie­gen­den Hohl­raum. Auch für das Dach wur­de Be­ton ver­wen­det, auch we­gen die Meer­nä­he, dem ho­hen Salz­ge­halt und der per­ma­nen­ten Luft­feuch­tig­keit. Das al­les wür­de für ei­ne Fül­le an mög­li­chen, wit­te­rungs­be­ding­ten Schä­den sor­gen, die in er­ster Li­nie an den Stahl­ele­men­ten weit­ge­hend zu ver­hin­dern sind. Das Klip­pen­haus soll in den näch­sten Jahr­zehn­ten oh­ne Re­no­vie­rung aus­kom­men.

Ein wei­te­res Pro­blem, für das Bart­olo­mé und Gil ei­ne Lö­sung fin­den muss­ten, war die Bo­den­er­osi­on. An der Cos­ta Trop­ical fällt sel­ten, aber wenn, dann doch mit­un­ter hef­ti­ger Re­gen. Auch hier hel­fen die Form des Klip­pen­hau­ses und die Art und Wei­se, wie es in den Bo­den ein­ge­las­sen ist. „Zwei Wol­ken­brü­che hat das Haus schon un­be­scha­det über­stan­den“, sagt Gil: „Und es wird noch zahl­lo­sen wei­te­ren trot­zen.“

Und zu den Bau­kos­ten? „Es ist ein ver­hält­nis­mä­ßig güns­ti­ges Haus“, sagt Bart­olo­mé . Wenng­leich er auf ex­pli­zi­ten Kun­den­wunsch hin kei­ne kon­kre­ten An­ga­ben ma­chen darf: „Es ist ei­nes, das wei­taus teu­rer wirkt“, scherzt sein Part­ner Gil. Was nicht zu­letzt auch an der ra­schen Um­set­zung liegt. Fünf Mo­na­te Pla­nung und knapp ein Jahr Bau­zeit reich­ten. Dann war es be­zugs­fer­tig, das stei­le Klip­pen­haus.

Den Nach­barn, da­run­ter ein deut­sches Paar, ge­fällt es, er­zäh­len die Ar­chi­tek­ten. Und sei­tens der Stadt­ver­wal­tung stell­te man kei­ne bü­ro­kra­ti­schen Hin­der­nis­se in den Weg. Ganz im Ge­gen­teil: Man un­ter­stütz­te, wo im­mer man konn­te.

Aus­län­di­sche Er­fah­run­gen

Gil und sein Part­ner Bart­olo­mé un­ter­strei­chen im Stan­dard -Ge­spräch, dass sie „nicht der Tra­di­ti­on der spa­ni­schen Ar­chi­tek­tur ver­schrie­ben sind“, son­dern sich viel­mehr, auch dank ih­rer Aus­bil­dung und Be­rufs­er­fah­rung im Aus­land, fast nä­her den Schu­len in Lon­don oder Los An­ge­les, aber auch Trends aus Wien ver­bun­den füh­len: „All dem, was nicht ty­pisch ist hier­zu­lan­de.“

Ex­pe­ri­men­tel­le, zeit­ge­nös­si­sche Ar­chi­tek­tur sei das, was bei­de fes­selt und for­dert. Bei­de ge­ben auch als Gast­do­zen­ten Uni­ver­si­täts­kur­se, et­wa in den USA, aber auch in Eng­land. Gil stu­dier­te wie auch Bart­olo­mé an der re­nom­mier­ten Bart­lett School of Ar­chi­tec­tu­re in Lon­don, wo er ak­tu­ell auch PhD-Kan­di­dat ist und Bart­olo­mé be­reits in der Zeit des Mas­ters­tu­di­ums ken­nen­lern­te.

Bei­de, erst Mit­te 30, sind mit knapp zehn Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung zu­dem Au­to­ren in Fach­zeit­schrif­ten, ko­ope­rie­ren mit der spa­ni­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten (CSIC) und konn­ten sich auch be­reits über meh­re­re Ar­chi­tek­tur­prei­se freu­en.

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