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Schwindelerregende Architektur
Neue Zürcher Zeitung

Zum 70. Geburtstag des Baukünstlers Frank O. Gehry

27. Februar 1999 - Kurt W. Forster
Im Metropolitan Museum begegnete ich jüngst Frank Gehry, der zielstrebig auf eine Ausstellung italienischer Ritterrüstungen zusteuerte. Warum der Architekt sich gerade für dieses Kunsthandwerk interessiert, mag sich daraus erklären, dass die kühnen Schalen und metallverkleideten Baukörper, die er in den neunziger Jahren entworfen hat, eine frappante Ähnlichkeit mit den beweglichen Stahlplatten der Rüstungen aufweisen. Seine fischförmigen Pavillons und seine jüngsten Bauten, etwa das Guggenheim Museum in Bilbao, sehen wie Schalentiere aus, deren Glieder durch Gelenke verbunden sind und darin den Harnischteilen ähnlich sehen. Wohlgemerkt hat Gehry seine Architektur nicht etwa den Rüstungen nachempfunden, sondern erst durch die zufällige Entdeckung dieser «Vorgänger» neues Vertrauen in seine eigene Tätigkeit gewonnen.

Nach einer stockenden Ausbildung, die ihn auf Umwegen von Los Angeles nach Harvard und Paris führte, bevor er bei Victor Gruen in die Praxis einer grossen Architekturfirma eingeweiht wurde, machte sich Gehry 1962 selbständig. Mehr als ein Jahrzehnt verging, bevor er mit seinem ersten eigenen Haus in Santa Monica Aufmerksamkeit hervorrief. Dabei handelte es sich um den Versuch, ein herkömmliches Einfamilienhaus auszukernen und mit neuen Verschalungen zu umschliessen, so dass es am Ende als verblüffende Montage einzelner freigelegter Teile erschien. Gehry war beinahe vierzig, als ihm dieses persönliche Début als Experimentator und Verfechter einer architektonischen Arte povera gelang.

Manche waren versucht, dieses Gebäude und seine Abkömmlinge als Ausdruck kalifornischer Unbekümmertheit, ja Unverfrorenheit aufzunehmen, doch Gehrys Ausbildung und sein steiniger Weg zur Weltberühmtheit legen ein anderes Bild nahe. Gehry, der mit seinen Eltern von Toronto nach Südkalifornien gezogen war, wuchs in engen häuslichen Verhältnissen auf und erhielt eine mehr schlechte als rechte Collegeausbildung in Kunstfächern, begleitet von Abendkursen in Architektur. Die Nachkriegsjahre in Los Angeles waren zwar eine Zeit des Aufbruchs, aber Gehrys persönliche Umstände und seine Ausbildung in Harvard brachten ihm Enttäuschungen, so dass er sein Studium an der renommierten Ostküsten- Universität nach einem Semester abbrach.

Vor Gehrys Bauten spürt man, dass sein Werdegang nicht durch die Korridore der Universität, sondern durch die Praxis der Produzenten kommerziellen Designs geführt hat. Am Wochenende erholte man sich bei Galerie- und Museumsbesuchen und vergnügte sich unter Künstlern. Noch heute sind seine engsten Freunde und anregendsten Mitarbeiter Künstler wie Claes Oldenburg und Richard Serra. Inzwischen hat der Architekt Selbstvertrauen gewonnen, und er verspürt gelegentlich sogar die Chuzpe, sich mit Künstlerfreunden auf eine gewagte Kollaboration einzulassen. Aus einem solchen Abenteuer ging zum Beispiel das Chiat/Day/Mojo-Gebäude in Venice mit seinem Eingangsportal in Form eines Fernglases hervor oder jüngst Serras Torqued Ellipses. Längst ist dieser Austausch keine Einbahnstrasse mehr, eher eine verzweigte und kurvige Bahn gegenseitiger Anregungen.

Aus dieser Zusammenarbeit hat Gehry ein neues Potential für die Architektur ans Licht gehoben: durch Formen, die aus immer neuen Verwandlungen entstehen, gewinnt die Architektur einen Bereich zurück, den sie bereits der künstlerischen Imagination abgetreten zu haben schien. Es muss als Glücksfall verstanden werden, dass diese Entwicklung just in den Jahren einsetzte, als neue Computerprogramme in Gebrauch kamen. Vor allem der Automobil- und Flugzeugindustrie war es gelungen, die langwierige Umsetzung physischer Modelle auf Gussformen durch neue Software zu regeln. Jetzt wurde es möglich, in kontinuierlichen Schritten zwischen zahlreichen Faktoren und ihren nichtlinearen Relationen zu vermitteln. Gehry gehörte zu den ersten Architekten, die die Möglichkeiten dieser Instrumente für den architektonischen Entwurf und die industrielle Herstellung der Bauteile erkannte. Ein Bau wie das Guggenheim Museum in Bilbao hätte weder in so kurzer Zeit noch innerhalb des eng festgelegten Budgets errichtet werden können ohne die Anwendung solcher Computerprogramme.

Wenn Gehry von den Problemen seiner Bauten redet, anerkennt er immer die Gegebenheiten, die einmaligen Umstände und das übliche Bündel von Anforderungen und Erwartungen. Dabei vermag er allerdings oft unerwartete Lösungen und überraschende Vorschläge zu finden. Für ein kleines Gästehaus in Wayzata (Minnesota) und für eine luxuriöse Villa in Brentwood (Kalifornien), fand er in den Stilleben des Malers Giorgio Morandi Vorbilder. Zuvor hatte er aus den Combines seines Freundes Robert Rauschenberg, diesen Montagen aus Abfall und Kunstramsch, Anregungen gezogen für die Umwertung billigster Materialien. Gerne spricht er über die Verknüpfung von Kunst und Architektur, mit Vorliebe in jener verfänglichen Art eines Rabbi, der nicht die Probleme analysiert, sondern durch Vergleiche und Geschichten sie in ein ganz anderes Licht zu stellen vermag. So ist für Gehry das diffizile Verhältnis von Architektur und Kunst nicht Gegenstand pharisäischer Haarspalterei, es stellt vielmehr ein umstrittenes Gelände dar, auf dem weit mehr als die neidvollen Beziehungen von Künstlern und Architekten ausgetragen werden.

Die fatale Spaltung zwischen einer Architektur, die sich in erster Linie als Erfüllung ökonomischer und technischer Bedingungen versteht (bestenfalls in ihrer optischen Erscheinung verfeinert), und einer viel älteren Tradition des Bauens, in der die körperlichen Volumen - plastisch durch Licht, Textur und räumliche Erfindung freigesetzt - hervortreten, diese falsche Spaltung kann nur überwunden werden durch Freiheit in der architektonischen Erfindung. Woher, wenn nicht von Personen wie Frank Gehry, kann der Impuls kommen, gelegentlich das Ordonnanzkleid einer selbstverordneten «Grauzone Architektur» gegen ein neues Gefühl räumlicher Dynamik und volumetrischer Bewegung auszutauschen? Woraus, wenn nicht aus einer Architektur wie derjenigen Gehrys, nährt sich der Wunsch, die Qualitäten der Vielfalt und Imagination den Affirmationen entgegenzustellen, die mit ihrem selbstgerechten Sinn für die «Realität» bloss der eigenen Beschränkung Nachachtung verschaffen wollen?

Als Frank Gehry 1996 an der ETH Zürich ein Semester als Gastprofessor unterrichtete, entfachte er in einigen begabten Studierenden den Wunsch, über das Tagträumen hinaus architektonische Möglichkeiten ins Auge zu fassen und sich durch aktive Gestaltung ihrer Ausbildung zu neuen Zielen aufzumachen. Sie werden hoffentlich dem einheimischen Bauen in Zukunft stärkere Gesichtsfarbe und einen neuen Reichtum an Formen eintragen. So viel kann aus einem einzigen Semester als Wirkung hervorgehen, wenn der Gastprofessor nicht bestärkt und bestätigt, sondern aufkratzt und herausfordert. Eben ist Gehry, ohnehin mit Anerkennungen und Ehrungen (allerdings keinen schweizerischen) überhäuft, zum Distinguished Professor an der Columbia University ernannt worden - der bekanntlich ein Schweizer Architekt, Bernard Tschumi, als Leiter vorsteht -, ein Schachzug, den, hätte sie es gewünscht, auch die ETH hätte führen können.

Es dürfte kaum Zufall sein, dass Gehry mit Vorliebe jenen Bauherren ins Auge sticht, die sich täglich mit dem Amalgam von Intuition und Kalkül, von Phantasie und Geschäft befassen. Kein Zufall also, dass Rolf Fehlbaum für seine Büromöbelfirma einen Geschäftssitz in Birsfelden und auf dem Produktionsgelände von Weil ein Museum von Gehry errichten liess und zurzeit an eine Erweiterung durch denselben Architekten denkt. Hingegen ist aus all dem vielgepriesenen Private Banking architektonisch bisher eine klare Null hervorgegangen! Wie dem auch sei, «Happy Birthday», Frank!

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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