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Häuser für Lyrik
Neue Zürcher Zeitung

Ein aussergewöhnliches Projekt: Architektur und Poesie

Inmitten der deutschen Provinz, zwischen Bad Salzuflen und Vlotho, liegt eine poetische Landschaft. Sie ist unspektakulär und alltäglich, hat Wälder und Wiesen, keine Berge, aber Hügel, ist zwar auf den ersten Blick auch schon irgendwie schön, doch darüber hinaus bald wieder vergessen. Bei Wiensiek, östlich des Salzufler Stadtforstes, steht auf einem kleinen Hügel lediglich ein Zwetschgenhain: Die Poesie dieser Landschaft erfordert ein besonderes Gespür.

23. Februar 1999 - Thomas David
Für den österreichischen Dichter Peter Waterhouse waren es jedoch eben jene Zwetschgenbäume am Rande einer grossen Wiese, die seine Aufmerksamkeit weckten und ihn zum obsessiven Schauen anregten. Waterhouse ist einer von zehn Schriftstellern, die sich seit dem Sommer letzten Jahres in der ostwestfälisch-lippischen Region gewissermassen auf die Suche nach einem Gedicht begeben haben. Sie sind die eigentlichen Stifter der «Poetischen Landschaft», sicher eines der ambitioniertesten, vielleicht auch glücklichsten Projekte im Rahmen der Expo 2000. Neben Waterhouse beteiligen sich die dänische Dichterin Inger Christensen, der in Moskau lebende Gennadi Ajgi, der Engländer Michael Hamburger sowie Amanda Aizpuriete, Yoko Tawada, Katarina Frostenson, Cees Nooteboom, Michael Donhauser und Thomas Kling: der Schweizer Architekt Peter Zumthor baut jedem ihrer Gedichte in der Landschaft ein Haus. «Zwei autonome, autarke Disziplinen», sagt Zumthor, «Architekt und Lyrik, treffen sich in der Landschaft; an den durch die Stiftungen der Schriftsteller bestimmten Orten.»

Die Häuser, deren Entwürfe Zumthor am vergangenen Wochenende in Bad Salzuflen der Öffentlichkeit vorstellte, faszinieren auf Grund ihrer klaren geometrischen Formen. Es handelt sich neben einer Bibliothek und einem kleinen Auditorium für den Landschaftsgarten von Bad Salzuflen um neun verschiedene Häuser, um Innenräume ohne Beheizung, künstliches Licht oder Fenster, deren Wände jedoch ein ornamentales Lichtgefüge sein werden, gebaut aus reiner Farbe. In diesen Häusern werden auf Tischen schliesslich nur die Gedichte liegen; Licht und Farbe, die Schatten benachbarter Bäume, das Rauschen von Blättern, Wind und Regen: Literatur, Landschaft und Architektur sollen miteinander in einen Dialog treten, der eine bereits bestehende poetische Landschaft beschreibt und dem zur Betrachtung verführten Besucher in ihrer charakteristischen Schönheit vergegenwärtigen soll. «Am Schluss müssten diese Häuser etwas zum Strahlen bringen, was vorher eigentlich schon da war», hofft Peter Zumthor. «Wenn das glückt, hätten wir über zwanzig auf zehn Kilometer eine ganz gewöhnliche Landschaft, wo eigentlich nur punktuell Dinge gesetzt wurden und sich die Wahrnehmung trotzdem verändert.»

Doch die hohe Künstlichkeit von Zumthors Häusern, ihre Farbigkeit und monolithische Gestalt birgt möglicherweise auch eine Gefahr. Ob die Häuser den Texten tatsächlich dienen werden, wie Peter Zumthor und die Kuratorin der «Poetischen Landschaft», Brigitte Labs-Ehlert, hoffen, oder ob ihre zweifellos beeindruckende Präsenz die naturgemäss eben sehr viel fragilere Gestalt der Gedichte erdrücken wird, bleibt wenigstens bis zur Grundsteinlegung im Frühjahr nächsten Jahres Spekulation.

Für Peter Waterhouse hingegen liegt jedoch gerade in dieser Frage eine der Herausforderungen des poetischen Experimentes: Das Haus, sagt er, setze einen physischen Rahmen um das Gedicht. «Im Rahmen der Architektur wird das Gedicht auf seine eigene, zum Teil zutiefst unmotivierte Physis geprüft.» Dabei scheinen sich die beteiligten Dichter über die von Waterhouse angesprochene Geräuschhaftigkeit der Poesie, ihre Namensleistungen grundsätzlich einig. «Es gibt auf Erden sehr viele Plätze, die würdig sind, dass dorthin die Dichter kommen», sagt Gennadi Ajgi. «Hier habe ich einen solchen Platz gefunden, diesen Ort habe ich verstanden.» Der von Ajgi benannte Ort ist ein grosses ebenes Feld, das an einen Ausläufer des Salzufler Stadtforstes stösst. Es habe ihn an das Feld in Russland erinnert, auf dem Malewitsch begraben liege. Zumthors Haus für Gennadi Ajgis Gedicht wird wie eine grosse Nadel neben den Bäumen stehen und sie überragen. Und aus der poetischen Landschaft hinaus nach Moskau blicken.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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