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Wo in Mexiko Brasilia liegt
Der Standard

Zwölf der prominentesten Architekten der Welt bauen in Guadalajara einen neuen Stadtteil für ein privates Investorenkonsortium. Mit von der Partie sind die Österreicher Coop Himmelb(l)au

12. Februar 1999 - Ute Woltron
Vergangenen Herbst versammelte sich in der schönen mexikanischen Stadt Guadalajara unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine Runde elf sehr unterschiedlicher Herren und einer Dame. Sie kamen aus zwölf sehr unterschiedlichen Städten, um für einen kurzen Moment gemeinschaftlich Zigarren zu rauchen, gute Dinge zu trinken, viel über Architektur und Städtebau zu sprechen und dabei zahllose Servietten und Skizzenblätter mit Visionen vollzukritzeln.

Aus Los Angeles reiste Frank O. Gehry an, aus Holland traf Rem Koolhaas ein, Philip Johnson kam aus New York, Carme Pinós aus Barcelona, Toyo Ito aus Tokyo, Jean Nouvel aus Paris, und die Herren Stephen Hall, Daniel Libeskind, Tod Williams, Thom Mayne und Enrique Norten ließen ebenfalls ihre Büros und Baustellen Büros und Baustellen sein und trafen der Reihe nach in Guadalajara ein. Auch ein Gesandter aus Österreich war mit von der Partie, nämlich Wolf Prix von den Coop Himmelb(l)au aus Wien.

Eine geballte Ladung Architektur hatte sich da versammelt. Zwölf der wichtigsten Architekten der Welt saßen an einem gemeinsamen Tisch und lauschten der Rede des mexikanischen Privatunternehmers Jorge Vegara. Der 40jährige Selfmade-Man hatte die Bau-Meister zusammengetrommelt. Als Chef mehrerer Unternehmen unterhält der Mexikaner nicht nur einen gewinnsprudelnden Softdrinkkonzern, der in neun Ländern mit allerlei Energy-Drinks vertreten ist, er pflegt außerdem eine ausgeprägte Neigung zu guter Architektur.

Für Guadalajara, so eröffnete er den Angereisten, plane er gemeinsam mit Geschäftskollegen und Investoren einen neuen Stadtteil an der Peripherie zu errichten. Das dazugehörige, zur Zeit völlig brachliegende Ackergrundstück von über zwei Millionen Quadratmetern habe man bereits erworben. Was man nun aber vor allem benötige, wäre ein städtebaulicher Masterplan sowie verschiedenste infrastrukturelle Maßnahmen - wie Kinos, Stadthallen, Verwaltungszentren, Hahnenkampfarenen - die man sich in Bälde in Entwurfsform von den hier versammelten Architekten erwarte.

Guadalajara ist mit rund sechs Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Mexikos, und sie ist zugleich wichtigster Sitz der Computerindustrie des Landes. Der neue Stadtteil soll neben der Zentrale der Vegara-Firma „Omnilife“ Büros und Wohnungen beheimaten. Doch um eine neue Stadt zum Funktionieren und Pulsieren zu bringen und um Investoren etwa für die Wohnbebauung anzulocken, so hatte sich der Unternehmer gesagt, sei eine intelligente Infrastruktur vonnöten, und die solle tunlichst von erstklassigen internationalen Architekten entworfen werden. Bevor er also an die konkrete Planung seiner neuen Stadt ging, verfügte sich der Mexikaner in seinen Privatjet und begab sich zu architektonischen Kristallisationspunkten auf der ganzen Welt. So besah er sich etwa Frank O. Gehrys platinbeschuppten Guggenheimdrachen in Bilbao, Bürohäuser von Jean Nouvel und Philip Johnson, die Arbeiten von Daniel Libeskind und Toyo Ito und schaute auch bei dem städtisch interaktiven Kinozentrum der Wiener Himmelblauen in Dresden vorbei. Dann sortierte er die seiner Meinung nach wichtigsten Architekturen aus dem Gesehenen und lud die dazugehörigen Baukünstler ein.

Beim ersten herbstlichen Treffen in Guadalajara beschlossen Architekten und Investor die Erstellung eines Masterplans und teilten die wichtigen Stadtelemente bis zur nächsten Zusammenkunft untereinander auf. Tod Williams verließ Mexiko zum Beispiel mit dem Versprechen, ein Amphitheater zu planen, Gehry war für ein Theater zuständig, Johnson für ein Kindermuseum, Ito für ein Museum moderner Kunst, Hall für Hotels, Pinós für ein Messegelände.

Nach weiteren gemeinschaftlichen Absprachen in New York im Dezember liegen nun die ersten konkreten Entwürfe vor. Sie sollen Ende Februar in Kuba intern präsentiert werden, wo das nächste Architekten-tete-à-tete stattfinden wird.

Coop Himmelb(l)au hat für das Stadtzentrum ein mit 120 mal 240 Metern gigantisches Entertainement- & Commercial-Center entworfen, das etwa zwanzig mal die Größe des Dresdner Projektes hat. Es mischt die verschiedenen Funktionen wie eine moderne, große Agora auf diversen Ebenen, ist vom Passanten über Rampen, Stege und Boulevards von allen Seiten durchquerbar und funktioniert somit wie eine großstädtische Zentrumsdrehscheibe am Rande des Stadtplatzes.

„Die Raumgrenzen zwischen den verschiedenen Funktionen verwischen“, sagt Prix, „es ist ein osmotisches Gebäude, in dem der Raum der Ware in den Raum des Wissens übergeht.“ Das Zentrum ist mit seinen 16 Kinos (7.000 Sitze), einer Shoppingzone sowie einer Vielzahl von Restaurants und Musikclubs rund um die Uhr aktiv und funktioniert wie ein innerstädtischer Motor.

Ein interaktives Medienmuseum erhebt sich an einem Ende des Gebäudekomplexes wie ein Stahl-Glas-Kristall über die Plaza. Dort sollen künftig die Innovationen der für die Stadt so wichtigen Computerindustrie für alle sichtbar in den Stadtraum abgefackelt werden.

Wenn alles gut geht, ist im Frühjahr 2000 Baubeginn. Er könne nicht verhehlen, so Prix, daß anfangs keiner wirklich von der Realisierung überzeugt war. Doch mittlerweile habe sich dieser Pessimismus in der Architektentruppe völlig gelegt.

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