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Ein­fach bau­en, an­ders bau­en – und sich küm­mern
Der Standard

Wel­chen Bei­trag kann die Wohn­po­li­tik zur In­teg­ra­ti­on von Flücht­lin­gen leis­ten? Dass mehr ge­baut wer­den muss, stand beim Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um au­ßer Streit. Aber auch ein Um­den­ken im Wohn­bau und der Aus­bau der Be­wohn­er­be­treu­ung stan­den im Raum.

2. März 2016 - Eric Frey
Auf die letz­te gro­ße Mig­ra­ti­ons­wel­le wäh­rend des Bos­nien­kriegs in den 1990er-Jah­ren hat Ös­ter­reich, und vor al­lem die Stadt Wien, mit ei­ner Wohn­bau­of­fen­si­ve rea­giert, die den hei­mi­schen Markt fast 20 Jah­re lang aus­rei­chend mit Wohn­raum ver­sorg­te. Der neue Flücht­lings­strom aus dem Na­hen Os­ten stellt die Wohn­po­li­tik vor noch grö­ße­re Her­aus­for­de­run­gen. Denn zu den 90.000 Asyl­wer­bern des Vor­jah­res kom­men noch die zahl­rei­chen Zu­wan­de­rer aus an­de­ren Län­dern, vor al­lem aus der EU, da­zu, die oh­ne­hin schon für Woh­nungs­knap­pheit in den Bal­lungs­räu­men sor­gen. Und an­ge­sichts der kul­tu­rel­len Dif­fe­ren­zen mit vie­len An­kömm­lin­gen ist die Wohn­po­li­tik noch viel stär­ker ge­for­dert, die In­teg­ra­ti­on der neu­en Be­woh­ner zu un­ter­stüt­zen.

Un­ter dem Ti­tel „Un­ter­kunft oder In­teg­ra­ti­on“ be­schäf­tig­te sich das 54. Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um ver­gan­ge­ne Wo­che mit die­sem schwie­ri­gen The­men. Auch wenn die meis­ten Red­ner be­ton­ten, dass man na­tür­lich bei­des brau­che – Un­ter­kunft und In­teg­ra­ti­on –, so zeig­ten sich in den Vor­trä­gen und Dis­kuss­io­nen doch höchst un­ter­schied­li­che Zu­gän­ge und Schwer­punk­te.

Ei­ne kla­re Bot­schaft kam von Her­bert Ludl, dem Ge­ne­ral­di­rek­tor der So­zi­al­bau AG, Ös­ter­reichs größ­ter ge­mein­nüt­zi­ger Ge­nos­sen­schaft: Mit dem Satz „Bau­en, bau­en, bau­en“ rief er da­zu auf, die gan­ze En­er­gie auf ei­ne Stei­ge­rung der Wohn­bau­leis­tung zu ver­wen­den. Man müs­se jetzt so­fort an­fan­gen, denn „es dau­ert ja drei bis fünf Jah­re bis zum Be­zug“, und soll­te mög­lichst gro­ße Pro­jek­te mit preis­wer­ten Woh­nun­gen und „oh­ne Schnick­schnack“ er­rich­ten. Denn in den gro­ßen An­la­gen funk­tio­nie­re auch die In­teg­ra­ti­on am be­sten. In der Wie­ner Stadt­re­gie­rung ist Ludls Bot­schaft be­reits an­ge­kom­men: Wohn­bau­stadt­rat Mi­cha­el Lud­wig (SPÖ) will die Zahl der neu­en Woh­nun­gen um ein Drit­tel von 10.000 auf 13.000 im Jahr er­hö­hen.

Die Wie­ner Ar­chi­tek­tin Sa­bi­ne Pol­lak warn­te hin­ge­gen da­vor, ein­fach nur drauf­los­zu­bau­en. Die Kri­se sei ei­ne Chan­ce, beim Wohn­bau um­zu­den­ken und auch an­ge­sichts un­ter­schied­li­cher Wohn­kul­tu­ren der Zu­wan­de­rer neue ar­chi­tek­to­ni­sche und öko­no­mi­sche Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln.

Auch Pol­lak geht es da­rum, die Kos­ten zu sen­ken, und auch sie setzt auf gro­ße und dich­te An­la­gen mit klein­eren Wohn­ein­hei­ten. Aber vor al­lem drängt sie da­rauf, auf vie­les in der Stan­dard­aus­stat­tung zu ver­zich­ten, um Be­wohn­ern mehr Spiel­raum zu bie­ten. „Wir soll­ten rau­er und ro­her den­ken – of­fen ver­leg­te Lei­tun­gen, Es­trich­bö­den, Fix­ver­gla­sun­gen“, sag­te sie. Ziel soll­te da­bei auch sein, be­son­ders kost­spie­li­ge Bau­nor­men los­zu­wer­den.

Kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner

Auch Georg Bu­sik, Mar­ke­ting­spre­cher von Bau-Mas­siv, dem Fach­ver­band Stei­ne-Ke­ra­mik in der Wirt­schafts­kam­mer Ös­ter­reich, warn­te in sei­nen Be­grü­ßungs­wor­ten auf dem Sym­po­si­um, das ge­mein­sam mit dem Fach­ma­ga­zin Woh­nen Plus or­ga­ni­siert wur­de, vor all­zu viel Geiz beim Bau­en. „Wir dür­fen kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner auf­stel­len“, sag­te er. „Wer bil­lig baut, baut teu­er. Denn dann muss man es zwei­mal bau­en.“ Bei pro­vi­so­ri­schen Un­ter­künf­ten et­wa in Con­tai­nern kom­me auch das Pro­blem der um­welt­scho­nen­den Nach­nut­zung da­zu. „Ab­bau und Wie­der­auf­bau sind nicht nach­hal­tig.“

Das drit­te gro­ße The­ma auf dem Wohn­sym­po­si­um be­traf die Be­treu­ung von Be­wohn­ern als Mit­tel zur In­teg­ra­ti­on. Ne­ben ei­ner qua­li­täts­vol­len Wohn­um­ge­bung müs­se es An­sprech­part­ner vor Ort ge­ben, die auf Be­schwer­den rea­gie­ren, bei Strei­tig­kei­ten ver­mit­teln und auch den Zu­wan­der­ern hel­fen, sich in ei­ne neue Um­ge­bung mit an­de­ren Re­geln mög­lichst rasch ein­zu­fin­den.

Die Bot­schaft, dass die Soft­wa­re min­des­tens so wich­tig ist wie die Hard­wa­re, kam auch aus vie­len der Tisch­run­den her­aus, bei de­nen die Teil­neh­mer Vor­schlä­ge für die Wohn­po­li­tik er­ar­beit­eten. Für vie­le ist hier die Stadt Wien mit ih­rem viel­fäl­ti­gen An­ge­bot an Wohn­part­nern und Stadt­teil­ar­bei­tern ein Vor­bild.

Und selbst im Streit­ge­spräch zwi­schen zwei höchst un­ter­schied­li­chen po­li­ti­schen Pro­po­nen­ten – An­dre­as Rabl, dem FPÖ-Bürg­er­meis­ter aus Wels, und Ma­ri­na Han­ke, Wie­ner Ge­mein­de­rä­tin und Vor­sit­zen­de der So­zia­lis­ti­schen Ju­gend Wien – gab es zwar bei den Fra­gen der Auf­nah­me­be­reit­schaft für neue Flücht­lin­ge und der Hö­he der Min­dest­si­che­rung kei­ne Über­ein­stim­mung, sehr wohl aber bei der Be­deu­tung von Deutsch­kur­sen und an­de­ren In­teg­ra­ti­ons­maß­nah­men für je­ne Men­schen, die im Land blei­ben. Dort dür­fe nicht ge­spart wer­den, wa­ren sich bei­de ei­nig. Mit dem von den Teil­neh­mern zum Sie­ger ge­kür­ten Tisch­vor­schlag „We­ni­ger jam­mern, mehr küm­mern“ kann sich fast je­der iden­ti­fi­zie­ren.

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