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„Am Wohn­ort fin­det um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on statt“
Der Standard

Da­mit Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft fried­lich mit­ein­an­der le­ben kön­nen, braucht es ethni­sche Durch­mi­schung, ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur und ei­ne gu­te Be­treu­ung an dem Ort, an dem man die meis­te Zeit ver­bringt.

2. März 2016 - Eric Frey
Heinz Fass­mann, Vor­sit­zen­der des In­teg­ra­ti­ons­bei­rats im Au­ßen- und In­teg­ra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um von Se­bas­ti­an Kurz, kennt die Zah­len ge­nau – und sie sind dra­ma­tisch. Er rech­net da­mit, dass von den 90.000 Flücht­lin­gen, die im Vor­jahr Asy­lan­trä­ge ge­stellt ha­ben, 50.000 im Land blei­ben wer­den – und dies zu­sätz­lich zu ei­ner ähn­lich star­ken nor­ma­len Zu­wan­de­rung. Der Wohn­bau müs­se mehr leis­ten, als nur Neu­be­wohn­ern Un­ter­kunft zu bie­ten, be­ton­te er in sei­nem Re­fe­rat beim Wohn­sym­po­si­um: „Da­zu kommt die Ver­klein­er­ung der Haus­hal­te, ein Er­satz für Ab­ris­se, die Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät. Man müss­te aber jetzt al­les, was sonst im Wohn­bau ge­tan wird, nur für die Be­frie­di­gung die­ses Zu­wach­ses nut­zen, da­mit es sich aus­geht.“

Vor al­lem die Bal­lungs­räu­me stün­den vor rie­si­gen lang­fri­sti­gen Her­aus­for­de­run­gen, be­ton­te der Vi­ze­rek­tor für In­ter­na­tio­na­les an der Uni­ver­si­tät Wien. „So­bald Men­schen Asyl er­hal­ten, setzt die Se­kun­där­mig­ra­ti­on in die gro­ßen Städ­te ein. Man muss den Städ­ten er­lau­ben, et­was Luft zu ho­len. Da­her soll­te man schau­en, dass die Asyl­be­rech­tig­ten ei­ne Zeit­lang dort blei­ben, wo sie ih­ren Wohn­sitz ha­ben.“ Fass­mann regt da­her ei­ne Dis­kuss­ion über ei­ne Re­si­denz­pflicht an, die et­wa an die Aus­zah­lung von So­zi­al­leis­tun­gen ge­kop­pelt wer­den könn­te. Für die jüngs­ten Schrit­te der Re­gie­rung zur Be­gren­zung der Asy­lan­trä­ge hat Fass­mann Ver­ständ­nis, denn: „Oh­ne Maß­nah­men hät­ten wir 2016 mehr Zu­wan­de­rer als 2015, denn Wan­de­rung pro­du­ziert Wan­de­rer. Und ei­ne un­ge­brems­te Zu­wan­de­rung über meh­re­re Jah­re wür­de die Re­pu­blik vor ge­wal­ti­ge Pro­ble­me stel­len.“

Mit den Her­aus­for­de­run­gen, der Zu­wan­de­rung be­schäf­ti­gen sich Ös­ter­reichs Ge­mein­nüt­zi­ge schon seit 20 Jah­ren, be­ton­te So­zi­al­bau-Chef Her­bert Ludl. „Wir sind die ein­zi­gen Ver­mie­ter, die sich um mehr küm­mern als die Haus­ver­wal­tung, näm­lich die In­teg­ra­ti­on.“ Dies sei auch not­wen­dig, denn „der Wohn­ort ist der Ort schlech­thin, wo um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on ge­schieht, und das 24 Stun­den am Tag – nicht die Schu­le oder der Ar­beits­platz. Am ne­ga­ti­ven Bei­spiel von Pa­ral­lel­ge­sell­schaf­ten im Ghet­to er­kennt man gut, wel­che Ge­stal­tungs­kraft der Wohn­ort be­sitzt, im Gu­ten wie im Bö­sen.“

Auch Ludl ver­weist ger­ne auf den „Glo­ba­len Hof“ der So­zi­al­bau in Wien-Lie­sing, der vie­len als Vor­zei­ge­mo­dell für ge­lun­ge­ne In­teg­ra­ti­on dient. Fol­gen­de Grund­sät­ze lei­tet er aus der Er­fah­rung sei­nes Un­ter­neh­mens ab:

Q Be­wohn­er­mix: Ma­xi­mal die Hälf­te der Be­woh­ner ei­nes Wohn­hau­ses soll­ten Zu­wan­de­rer sein, und kei­ne Ethnie soll­te in­ner­halb die­ses An­tei­les über­hand­neh­men.

Q Frei­wil­lig­keit: Es müs­se freie Wahl der Kun­den herr­schen statt Woh­nungs­zu­tei­lung. Ös­ter­rei­cher wür­den al­ler­dings nur ein­zie­hen, wenn die Qua­li­tät stimmt, sagt Ludl, „denn sie sind ver­wöhnt.“

Q Be­zugs­per­son vor Ort: Es brau­che je­man­den, „den man an­spre­chen kann, der ver­mit­telt und die Re­geln durch­setzt – ei­ne Mi­schung aus Ko­or­di­na­tor, Beicht­va­ter und stren­gem She­riff“.

Q Ge­mein­schafts­ein­rich­tun­gen: Pra­xis­taug­li­che Ge­mein­schafts­räu­me sind für Ludl ein Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on: „Wir brau­chen ei­ne ge­wis­se Zahl an Be­geg­nungs­mög­lich­kei­ten, wo man sich trifft und aus­tauscht. Denn sonst ken­nen sich die Leu­te nicht und grü­ßen ein­an­der nicht, dann wird vie­les viel schwe­rer.“

Q Leist­bar­keit und Qua­li­tät: Und schließ­lich müss­ten Woh­nun­gen für Zu­wan­de­rer er­schwing­lich und für alt­ein­ge­ses­se­ne Bür­ger at­trak­tiv sein, be­tont Ludl. Dies ge­lin­ge nur im ge­mein­nüt­zi­gen ge­för­der­ten Wohn­bau.

Und nur gro­ße, zen­tral ge­plan­te Wohn­an­la­gen könn­ten all die­se Kri­te­rien er­fül­len, meint der So­zi­al­bau-Chef. „Zu glau­ben, dass man es mit Bau­grup­pen schaf­fen kann, die­se Wohn­ein­hei­ten zu schaf­fen, ist ei­ne Il­lu­si­on.“ Dem wi­der­sprach Fass­mann: „Gro­ße Ob­jek­te nei­gen zu Seg­re­ga­ti­ons­er­schei­nun­gen, klei­ne ge­misch­te sind in­teg­ra­ti­ver.“

Schaf­fen von et­was Neu­em

Ob groß oder klein – für Sa­bi­ne Pol­lak vom Ar­chi­tek­tur­bü­ro Köb & Pol­lak ist ei­ne ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur der Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on. Und In­teg­ra­ti­on be­deu­te vor al­lem das Schaf­fen von et­was Neu­em.

Pol­lak: „Das heißt für den Wohn­bau über­setzt: Nicht die Zu­wan­der­in­nen sol­len sich in un­se­re 75-Qua­drat­me­ter-und-drei-Zim­mer-Woh­nun­gen mit Log­gia und Mi­nia­tur­kel­ler­ab­teil in­te­grie­ren. Son­dern: Un­se­re Wohn­kon­zep­te ver­bin­den sich mit den Wohn­vor­stel­lun­gen und Öko­no­mien von Zu­wan­der­in­nen und er­ge­ben neue Ty­pen, neue Haus­for­men und neue Öko­no­mien des Woh­nens. Da­von kön­nen wir al­le pro­fi­tie­ren.“

Für die Vi­ze­rek­to­rin der Kunst­uni­ver­si­tät Linz soll­te das Ziel des in­teg­ra­ti­ven Wohn­baus die „ma­xi­ma­le In­klu­si­on“ sein – oder noch brei­ter ge­fasst:„ei­ne of­fe­ne, in­klu­die­ren­de, leist­ba­re, dich­te und kom­ple­xe Stadt.“

Die Zu­wan­de­rung sei ei­ne Chan­ce, fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren im ge­för­der­ten Wohn­bau auf­zu­bre­chen und Neu­es aus­zu­pro­bie­ren, glaubt Pol­lak: „Ne­ben den jet­zi­gen Wett­be­wer­ben für maß­an­ge­fer­tig­te Schu­he könn­te es ge­ben: Wett­be­wer­be für Wohn­bau in Vor­fer­ti­gung, für Se­rien­bau, für ex­pe­ri­men­tel­len Wohn­bau, Wett­be­wer­be für krea­ti­ve Lö­sun­gen je­ner Fra­ge, wie ei­ne ge­ring­ere Aus­stat­tung zu ei­ner hö­he­ren Qua­li­tät wird.“ Doch da­für müss­ten Wohn­po­li­ti­ker viel mehr mit Ar­chi­tek­ten spre­chen und zu­sam­men­ar­bei­ten, als es der­zeit ge­schieht.

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