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Suche nach einem neuen Gleichgewicht
Neue Zürcher Zeitung

Die holländische Stadterweiterungspolitik am Beispiel Amsterdam.

Der Umbau des östlichen Hafengebiets von Amsterdam illustriert in fast exemplarischer Art die sozio-ökonomischen Veränderungen der holländischen Gesellschaft der neunziger Jahre und deren Auswirkungen auf die stadtplanerischen Entwicklungen.

5. März 1999 - Daniel Niggli
Holland mit seiner langen Tradition von staatlich gelenkter Wohnungsbaupolitik vollzog im Rahmen allgemeiner Deregulierungsmassnahmen in den späten achtziger Jahren eine Wende in der Wohnungsbaupolitik. Die Dominanz des Sozialwohnungsbaus sollte durch eine verstärkte Rolle des freien Marktes abgelöst werden. Zu diesem Zweck wurden die Wohnbauvereinigungen privatisiert und die staatlich organisierte Subventions- und Distributionspolitik liberalisiert. Damit sollte aus einer angebotsorientierten Wohnungsbaupolitik eine nachfrageorientierte Marktsituation entstehen, in welcher der nichtsubventionierte Markt, in einer Umkehrung der bestehenden Verhältnisse, rund 70 Prozent des Wohnbedarfs abdeckt. Gleichzeitig publizierte die niederländische Regierung im Jahre 1991 den vierten Bericht zur räumlichen Entwicklung (Vinex) und errechnete darin einen Bedarf von 800 000 neuen Wohnungen bis zum Jahre 2005. Diese werden vor allem auf zehn vom Staat bestimmten Schwerpunktgebieten (Vinex-Standorte) in der Nähe von Grossstädten mit guter infrastruktureller Anbindung entstehen. Da die Wohnungsbaupolitik und die Stadtentwicklung in den Niederlanden seit je sehr eng miteinander verknüpft sind, verliert die öffentliche Hand mit ihrem massiven Rückzug aus dem Wohnungsbau ein wichtiges Steuerungs- und Kontrollinstrument für die Raumordnung. Während die staatlichen Behörden im Wohnungsbau früher faktisch eine Monopolstellung innehatten, sind sie heute zur Kooperation mit Investoren und Projektentwicklern gezwungen.

Vielschichtigkeit und Differenzierung

Das östliche Hafengebiet von Amsterdam wurde Ende der siebziger Jahre durch die Auslagerung der Hafenaktivitäten zu Brachland. Für die Stadt als alleinige Besitzerin boten diese Flächen die Chance, in unmittelbarer Nähe zum Zentrum einen neuen Stadtteil zu realisieren. In einem langwierigen planerischen und politischen Prozess veränderte sich die Wahrnehmung des Hafengebiets. Wollte man zu Beginn der achtziger Jahre noch einzelne Hafenbecken zuschütten und das Gebiet mit einer homogenen Blockbebauung auffüllen und die Strukturen des angrenzenden Stadtviertels weiterführen, erkannte man Anfang der neunziger Jahre das räumliche und atmosphärische Potential der bestehenden Hafenanlage. Die ehemaligen Hafenmolen KNSM-Eiland, Java-Eiland und Borneo/Sporenburg wurden in ihrer ursprünglichen Form erhalten; und die Hafenbecken und das offene Wasser sollten als übergeordnetes und identitätsstiftendes Element genutzt werden. Der neue Stadtteil wird dabei zu einer Hafenlandschaft, in der viele Elemente an die ehemalige Funktion erinnern.

Seit der Kritik an der Monotonie der Wiederaufbauarchitektur in der Nachkriegszeit steht der Wunsch nach Vielseitigkeit und Differenzierung zuoberst auf der Prioritätenliste der holländischen Planungsbehörden. Nach diesen Grundsätzen wurde das östliche Hafengebiet bewusst als Patchwork nach den Entwürfen verschiedener Planer konzipiert. Innerhalb von nur sechs Jahren entstanden so drei verschiedene Masterpläne mit rund 5500 Wohnungen für die drei Teilgebiete.

Das KNSM-Eiland bildete den Auftakt der Planungsarbeiten auf den ehemaligen Hafenmolen. Dabei galt es, grundsätzlich festzulegen, in welcher Beziehung die neuen Gebäude zum Wasser stehen und in welcher Form auf bestehende Strukturen reagiert werden sollte. Die existierenden Lagerhäuser waren beidseitig parallel zu den langgezogenen Quaimauern angeordnet. Aus diesem einfachen, funktionalen Prinzip ergab sich eine deutliche Unterscheidung zwischen der Wasserfront und dem dazwischenliegenden, verkehrsführenden Raum. Das Stadtplanungsamt (DRO) wollte in seinem Vorschlag an diesem Bebauungsprinzip festhalten, da dadurch ein maximaler Kontrast zwischen den Quaianlagen und dem eher privaten und windgeschützten Innenraum erreicht werden konnte. Zusätzlich stehen so eine Mehrzahl der Wohnungen in direkter Beziehung zum Wasser. Alternativ dazu stellten van Herk & de Kleyn eine offene und kleinteilige Bebauungsstruktur quer zu den Quaimauern vor - ähnlich der vom Office for Metropolitan Architecture (OMA) realisierten Siedlung Ijplein in Amsterdam Nord -, die eine Vielzahl von räumlichen Beziehungen zum Wasser ermöglicht hätte.

Die Stadt entschied sich schliesslich für die Vorstellung des DRO und beauftragte Jo Coenen mit der Ausarbeitung eines Masterplans. Dieser reihte entlang eines breiten, leicht aus der Mitte der Insel verschobenen Erschliessungsboulevards grosse Bauvolumen mit unterschiedlichen Baukörpertiefen auf, die in einem monumentalen, kreisförmigen Rundbau kulminieren. Verschiedene bestehende Hafengebäude wurden dabei geschickt in die neue Komposition mit einbezogen. Die den Häuserblocks zugeordneten Aussenflächen wurden als windgeschützte Räume in die Volumetrie integriert. Vor allem die auf der Südseite placierten Superblocks, darunter das epochale Piräusgebäude von Hans Kollhoff und Christian Rapp, verweisen mit ihrer Grösse auf den Massstab der ehemaligen Lagerhäuser und reagieren auf die Weite der Wasserlandschaft.

Historische Bezüge

Das Prinzip der befestigten Ränder wurde auch zum Ausgangspunkt für das benachbarte Java- Eiland. Sjoerd Soeters, ein Vertreter der holländischen Postmoderne, setzte sich mit seinem Vorschlag in einem Studienauftrag gegen zwei Konkurrenten durch. Soeters akzeptierte die Vorgabe des DRO und übernahm in seinem Plan die sechsgeschossige an der Süd- und die achtgeschossige Randbebauung an der Nordseite der Halbinsel. Um die erhebliche Dimension dieser langgezogenen Struktur zu relativieren, zerschnitt und unterteilte er die Halbinsel mit vier Quergrachten, um sie anschliessend wieder mit Bogenbrücken zu verbinden. Als Vorbild für seine Städtebauoperation diente ihm dabei der historische Grachtengürtel Amsterdams. Mit der Absicht, grösstmögliche Vielfalt zu garantieren, wurde die Bebauungsstruktur in Kleineinheiten segmentiert, die analog zum historischen Vorbild in Höhe, Farbe und Materialaufbau differenziert sind. Die einzelnen Einheiten repräsentieren verschiedene Wohnungstypen und Lifestyles, wodurch die Aufteilung auch in programmatischer Hinsicht vollzogen wird. Entgegen der ursprünglichen Absicht, alle 5,4 Meter unterschiedliche Hauseinheiten aneinanderzureihen, wurden aus ökonomischen Gründen jeweils fünf Achsen zu einem Hausblock zusammengefügt. Gleichzeitig wurde die Zahl der beigezogenen Architekten für die Randbebauung auf fünf Architekten (Cruz & Ortiz, Rudy Uytenhaak, Kees Christiaanse, Sjoerd Soeters, Geurst & Schulze) limitiert. Deshalb wurden die erarbeiteten Prototypen repetiert und nach einem Zufallsprinzip auf die Gesamtlänge verteilt. Entlang der neuen Quergrachten schliesslich kommen vier- bis fünfgeschossige «Original- Grachtenhäuser» mit einem Achsabstand von 4,5 Metern zu stehen, die von neun jungen Architekten ausgearbeitet werden.

Die Projektion alter holländischer Städtebautypologien auf eine ehemalige Hafenmole steht in grösstmöglichem Kontrast zu Coenens Komposition von solitären Grossvolumen. Deren Baukörper homogenisieren die Vielfalt des Wohnens und vereinen sie zu einer hybriden Grossform. Das Rotterdamer Büro für Städtebautheorie Crimson bringt in seinem Buch «Reurb» die signifikanten Unterschiede dieser zwei Ansätze auf den Punkt. Sie charakterisieren Soeters Plan als einen Versuch, die Stadt aus der Keimzelle der idealen Wohneinheit heraus zu entwickeln, während Coenen in der Tradition des 19. Jahrhunderts mit den klassischen Elementen des Städtebaus wie Boulevard, Baublock und öffentlichem Raum beginne. Soeters stehe dabei in der Tradition von Aldo van Eyck, der eine direkte Beziehung zwischen architektonischer Differenzierung und sozialer Interaktion postuliere. Auch wenn beide Masterpläne fremde städtebauliche Konzepte auf das Hafengelände projiziert haben, trifft Coenens Plan doch viel mehr die Stimmung dieses Ortes, während Soeters pittoreske Collage eher deplaciert und in seiner forcierten Differenzierung sehr manieristisch wirkt.

Im Jahre 1992 begann der Planungsprozess für die letzten zwei Hafenmolen Borneo und Sporenburg. Als die Stadt realisierte, dass die Wohnungen dieser Etappe zeitgleich mit denjenigen von Java-Eiland auf den Markt kommen würden, war klar, dass hier eine andere Art von Wohnen angeboten werden musste. Der Anteil des subventionierten Wohnungsbaus wurde in der Entwicklung des östlichen Hafengebiets sukzessive von 100 Prozent in der ersten Bauetappe auf 50 Prozent auf KNSM-Eiland und 40 Prozent auf Java reduziert. Auf Borneo/Sporenburg sollte er schliesslich noch 30 Prozent ausmachen. Aus diesem Grund gab die Stadt das Bauland im Baurecht an private Projektentwickler ab. Gut zwei Drittel der 2200 Wohnungen auf Borneo/Sporenburg werden dabei von New Deal, einem eigens für das östliche Hafengebiet gegründeten Zusammenschluss aus vier Wohnungsbauvereinigungen und drei Generalunternehmern, erstellt.

Unsentimentale Flachverdichtung

Amsterdam leidet seit längerer Zeit unter der Abwanderung des Mittelstandes in suburbane Gebiete. Nach wie vor ist in Holland das Einfamilienhaus, dort traditionellerweise meist eine Reihenhauseinheit, die Wunschvorstellung von Wohnen. Das inoffizielle niederländische Planungsdogma der flachverdichteten Besiedlung und die ungebrochene Nachfrage führen dazu, dass ein Grossteil der neugeplanten Vinex-Gebiete aus riesigen Reihenhaussiedlungen mit einer Dichte von 30 Häusern pro Hektare besteht. Das ambitiöse Ziel der Stadt war es nun, als Alternative auf Innenstadtgebiet eine flache Bebauung mit 2200 Wohneinheiten anzubieten, in der 70 Prozent der Wohnungen direkt von der Strasse zugänglich sein sollten und 50 Prozent der Parkplätze auf der privaten Parzelle angeboten werden mussten. Die angestrebte Dichte entsprach, wie bereits auf KNSM- und Java-Eiland, 100 Einheiten pro Hektare. Im allgemeinen ist das holländische Bausystem von einem reibungslosen Ablauf eines standardisierten Planungs- und Bauprozesses geprägt. Plötzlich jedoch standen die involvierten Parteien vor einer Aufgabe mit vielen Unbekannten, und niemand wusste, wie diese planerischen Vorgaben umzusetzen waren. Erst diese Unsicherheiten jedoch generierten einen unorthodoxen und innovativen Planungsprozess.

Zwischen Superblock und Grachtenhaus

Sechs von der Stadt und New Deal beauftragte Architekten zeigten auf einer vorgegebenen Fläche auf, dass die Dichte von 100 Wohnungen pro Hektare architektonisch durchaus zu bewältigen war. Daraufhin wurde ein Studienauftrag an drei Planer vergeben, um diese Ideen städtebaulich umzusetzen. Die international bekannten Landschaftsarchitekten West 8 aus Rotterdam präsentierten schliesslich ein städtebauliches Projekt, welches die Vorgaben in ein ebenso einfaches wie radikales Konzept fasste. Die kompromisslose Umsetzung des Programms weist eine verblüffende Direktheit auf; fast drängen sich einem Begriffe wie «straight» oder «frisch» auf. In einer unsentimentalen Operation wurde die Problematik der Aufgabenstellung selber - und nicht mehr die Reinterpretation existierender Städtebaumodelle - zum urbanistischen Konzept. Um möglichst viel Bauland zu gewinnen, werden die Infrastruktur und der öffentliche Raum minimiert.

Der maximierte Profit aus dem optimal ausgenutzten Bauland deckt somit die reduzierten Kosten des öffentlichen Raums. Die Wasserflächen werden dabei als Kompensation für die minimalen Freiflächen betrachtet, während die privaten Aussenflächen in Form von Patios und Dachterrassen in die Hauseinheiten integriert werden. West 8 reduzierte im Unterschied zu den Machbarkeitsstudien die Bebauung auf durchgehend drei Geschosse mit einem überhöhten Sockelgeschoss von 3,5 Metern. Erst dadurch wurde es möglich, ausschliesslich Reihenhauseinheiten anzubieten. Um möglichst vielen Hauseinheiten einen direkten Strassenanschluss zu garantieren, wurden die Parzellen in die Tiefe organisiert und die Strassenfront minimiert.

Daraus resultierten zu Beginn 4 bis 5 Meter breite und 20 bis 40 Meter tiefe Bauparzellen. West 8 greifen mit diesem funktionalen Organisationsprinzip die Analogie zu Containerhäfen auf, bei denen zwischen den einzelnen Containerstapeln nur der absolut notwendige Zirkulationsraum freigehalten wird. Sechs Bebauungsstreifen bilden die Grundeinheit einer ersten Schicht, die wie ein Teppich über die beiden Landzungen ausgebreitet wird und deren Grundflächen gleichsam räumlich nachzeichnet. Im ursprünglichen Vorschlag transformierten West 8 das historische Grachtenhaus, welches traditionellerweise aus Vorder- und Hinterhaus besteht, in einen Patiohaus-Prototyp. Ähnlich Tadao Andos Suzuka-Patiohaus setzte sich dieser Typ aus zwei schmalen und tiefen Raumzonen zusammen - eine bebaut, die andere unbebaut. In einem zweiten Schritt wurden in diese erste, teppichartige Schicht drei Superblocks in präziser Beziehung zu vorhandenen Wahrzeichen der Umgebung wie Kollhoffs Piräusgebäude oder dem Shell-Hochhaus auf der anderen Flussseite gesetzt. Adriaan Geuze von West 8 vergleicht diese Massnahme mit Venedig, wo die Masse der Kanalhäuser durch einzelne Monumente differenziert und der monolitische Charakter der Stadtsilhouette gesprengt wird. Referenzpunkte und Blickbezüge werden geschaffen, welche dem Projekt eine landschaftliche Dimension verleihen, es in der Weite der Wasser- und Hafenlandschaft verankert und es gleichzeitig an die bestehende Stadt anbindet. - Auf den ersten Blick erscheint Borneo/Sporenburg wie eine Synthese aus Coenens Superblocks und einer kleinteiligen Grachtenhausromantik, doch der entscheidende Unterschied liegt in der Differenzierung zwischen urbanistischer Strategie und architektonischer Ausarbeitung. Während der Erfolg von Coenens Masterplan in grossem Masse von der architektonischen Qualität der einzelnen Blöcke abhängig ist, ist die städtebauliche Wirkung von Borneo/Sporenburg unabhängiger von architektonischen Momenten. Allerdings wird hier, im Gegensatz zu anderen gegenwärtigen Planungen, keine dynamische Entwicklungsmöglichkeit der Bebauung erreicht. Alle drei Masterpläne sind vielmehr strukturell wie programmatisch komplett determiniert. Der Vinex-Standort Leidse Rijn bei Utrecht von Max 1 hingegen löst die Stadtplanung von der Architektur ab und kontrolliert in erster Linie den öffentlichen Raum und die dazugehörige Infrastruktur. Damit bleibt die entstehende Architektur sowohl zeitlich als auch funktional flexibel.

Trotz der anschliessenden Anpassung an ökonomische Rahmenbedingungen und bautechnische Vorgaben - die Lamellenstruktur fiel dem auch zum Opfer - blieben die Planungsparameter unkonventionell genug, um von den beteiligten Architekten innovative Lösungen zu verlangen. Unter Einbezug von Kostenplanern und Bauunternehmern wurden die Projekte in verschiedenen Workshops optimiert und eine Vereinheitlichung des Fassadenmaterials festgelegt. Schliesslich erstellte New Deal auf Sporenburg achtzig Patiohäuser, um die potentielle Nachfrage auf dem Käufermarkt zu testen. Als sich dafür zweitausend Kaufwillige meldeten, waren auch die grössten Skeptiker überzeugt. Wäre dieser Marketingtest negativ verlaufen, dann hätte New Deal die Planungsarbeiten gestoppt.

Borneo/Sporenburg kann neben der Planung Leidse Rijn sicher als eine der repräsentativsten Planungen der Niederlande in den neunziger Jahren betrachtet werden. Sie verwenden die veränderten Parameter des sozio-ökonomischen Umfeldes und bilden sie in einem städtebaulichen Projekt ab. Das Bedürfnis der Gesellschaft nach zunehmender Intimisierung und Privatisierung manifestiert sich in einem Rückzug aus dem öffentlichen Raum in die introvertierte Wohneinheit. Während der freie Markt diese Nachfrage befriedigt, versucht der Staat, seine Investitionen in den öffentlichen Raum aus Geldmangel zu minimieren oder von privater Hand finanzieren zu lassen. In dem Sinne ist Borneo/Sporenburg als eine Reproduktion von Suburbia in der Stadt zu verstehen. Stadtbehörden und Marketingexperten vermarkten Borneo/Sporenburg denn auch unter dem Paradoxon «Urbanes Arkadien».

Kommerzielle und mediale Aspekte

Als die Regierung 1993 das faktische Ende der Wohnungsbausubventionspolitik bekanntgab, befürchteten viele Kritiker das Ende des Städtebaus und ein unkontrolliertes, vom Markt gesteuertes Planungschaos. Dagegen nehmen viele jüngere Architektur- und Planungsbüros die veränderte Marktsituation als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Planungskonzepte wahr. Statt sich in ideologisch verklärter Rückbesinnung der neuen Situation zu verweigern, bedienen sie sich vorurteilslos der Möglichkeiten des veränderten Systems. Restriktionen und Einschränkungen enthalten für sie planerisches und architektonisches Potential. In der Überzeugung der Form- und Manipulierbarkeit der herrschenden Kräfte benützt sie der Planer, um ein Projekt zu «verkaufen». Dabei werden gerade kommerzielle und mediale Aspekte mit offensiven, zuweilen auch subversiven Angriffsstrategien für die Umsetzung ihrer Konzepte verwendet. Ihre unpolitische Haltung ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung der neunziger Jahre. In diesem Kräftespiel muss auch der Staat seine Rolle neu definieren und hier zu einem neuen Gleichgewicht mit dem freien Markt finden.

Borneo/Sporenburg zeigt eine neue Möglichkeit der Zusammenarbeit in Form einer Public-private partnership auf. Somit wird deutlich, dass auch im Bausektor das vielzitierte Poldermodell und konsensorientiertes Agieren politische und raumplanerische Lösungsansätze bietet. Darüber hinaus illustriert Borneo/Sporenburg die zunehmende Bedeutung der Landschaftsplanung in der gegenwärtigen Raumplanungsdiskussion in den Niederlanden. Die grossflächigen, flachverdichteten Bauvorhaben der Vinex-Standorte mit der dazugehörigen Infrastruktur werden das Bild des Landes einschneidend verändern

Gerade in Holland verwischen sich die Konturen von Kultur und Natur. Ein Grossteil des Landes ist künstlich erschaffen, und die Manipulation des Territoriums hat Tradition. Die neue Sicht der Stadterweiterung unter landschaftsarchitektonischen Aspekten überwindet die Gegensätze von Stadt und Land, von Bebautem und Unbebautem. Damit wird die urbane Landschaft zum Ausgangspunkt für grossmassstäbliche Interventionen als Alternative zur traditionellen Stadt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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