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Bald nur noch Ruinen?
Neue Zürcher Zeitung

Frankreichs Jungarchitekten in der Krise

5. März 1999 - Marc Zitzmann
Fragt man französische Architekturstudenten, wie ihre Berufsaussichten aussehen, lautet die Antwort: «Wenig erbaulich.» Seit Anfang Januar protestierten zahlreiche Architekturschulen gegen die geplante Einführung einer Berufslizenz oder die mögliche Regulierung der Zahl der Studienplätze, aber auch gegen die zunehmend marginale Rolle der Architekten. Anlässlich eines Treffens mit Kulturministerin Catherine Trautmann am 12. Februar beklagten Delegierte der Streikenden in Marseille, Montpellier und Paris, dass ihr Stand langsam, aber sicher zugrunde gehe. «Ob es in dreissig Jahren in diesem Land überhaupt noch Architekten gibt?» fragten sie.

Der jüngsten Schätzung des Ordre des architectes gemäss gibt es landesweit 40 000 Architekten. Jährlich kommen 1500 bis 2000 Studienabgänger dazu, fünf- bis zehnmal mehr, als der Arbeitsmarkt aufnehmen kann. Seit 1968 hat sich die Zahl der Schulen (heute 22) und der Studenten (rund 18 000) verdreifacht; nur der Betrag, den der Staat in die Ausbildung eines Jungarchitekten steckt, ist der gleiche geblieben: dreimal weniger als für einen Kunststudenten! Das mag auch daran liegen, dass die Schulen nicht dem Erziehungsministerium unterstehen, sondern (seit 1996) dem Kulturministerium. Für Umsattler ein Problem: Bis vor kurzem wurden ihre Diplome häufig nicht anerkannt. Auch fehlt es an Einheitlichkeit: Die Studiendauer schwankt je nach Ausbildungsort zwischen fünf und acht Jahren, die fehlende Praxis der Berufseinsteiger ist flagrant.

Seit der ersten Ölkrise hat sich die Situation der Architekten in Frankreich stark verschlechtert. Der Bausektor ist moros: 1976 wurden 450 000 Wohnungen gebaut, 1995 waren es nur noch 265 000. Seit 1977 ist es zudem erlaubt, bei Projekten mit einer Grundfläche von weniger als 170 Quadratmetern - das betrifft fast alle Einfamilienhäuser - auf einen Architekten zu verzichten. In 14 Jahren ist die Zahl der privaten Aufträge um ein Drittel gesunken; kein Wunder, dass heute 73 Prozent aller freien Architekten unter 30 weniger als 6000 Francs pro Monat verdienen. Mittlerweile hat das Ministerium zehn Massnahmen ergriffen, die alle eher organisationstechnische Aspekte des Studiums betreffen. Die politische Antwort scheint schwach, die finanzielle ist es ohnehin. Schon bei ihrem letzten Streik (NZZ 9. 12. 95) hatten die Studenten «On est archi mal barrés» skandiert. Auch damals waren sie vom zuständigen Minister empfangen worden . . .

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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