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Rationalismus mit Rundungen
Neue Zürcher Zeitung

Valencia im architektonischen Profilierungsfieber

Valencia, die drittgrösste Stadt Spaniens, stand stets im Schatten von Madrid und Barcelona. Dabei ist ihre urbane Entwicklung schon durch die frühen rationalistischen Einflüsse bemerkenswert. Heute versucht sich die Provinzmetropole zu profilieren, indem sie sich mit Namen wie Calatrava, Foster und Grassi schmückt. Interessanter ist aber der Blick auf das Stadtganze.

3. März 1999 - Markus Jakob
Das Stadtzentrum von Valencia ist eines von Europas imposantesten städtebaulichen Ensembles rationalistischen Zuschnitts. Ein ganzer Musterkatalog der zwanziger und dreissiger Jahre, wiewohl nicht frei von Beaux-Arts- und Art-déco- Einflüssen, verleiht der Plaza del Ayuntamiento und einigen umliegenden Strassen ihr Gepräge. Zu den Merkmalen dieser neun- bis zwölfgeschossigen Blockrandbebauungen gehören elegant gekurvte, an die Stromlinienformen Mendelsohns erinnernde Fassaden. Es gibt hier kaum eine Ecke, die wirklich eckig ist. Weitere Beispiele dieser Vorliebe für sanfte Rundungen, die gut zu Valencias Ruf einer sinnlichen Stadt passt, findet man auch in jüngeren Stadtteilen.

Gebauter Populismus

An diesen alles andere als puristischen, dafür um so fulminanteren Beginn der Moderne knüpften seit Mitte der fünfziger Jahre wieder einzelne qualitativ hochstehende Bauten an. Ihre Entwerfer aber blieben weitgehend anonym - wie einst der Emigrant Rafael Guastavino, den kaum ein Architekturlexikon verzeichnet, obwohl seine Ziegelgewölbe im New York der Jahrhundertwende Furore machten -, bis Santiago Calatrava als erster valencianischer Architekt zu Weltberühmtheit gelangte: auch er in erster Linie Ingenieur, und auch er in der Emigration. Nun hat Valencia den Wahlzürcher heimgeholt. Einer ersten Brücke über den Río Turia folgte 1996, erneut in Verbindung mit einer Brücke, die Metrostation Alameda: Zu dem märchenhaften Weiss der Gaudíschen Trencadís-Mosaike, in die Calatrava die Halle gekleidet hat, kontrastiert das geisterbahnwürdige Geheul, sooft ein Zug in sie einfährt.

Das war lediglich das Präludium zu einer ganzen Reihe von Calatrava-Architekturen, die zurzeit in Valencia als Ciudad de las Artes y de las Ciencias Gestalt annehmen. Stanislaus von Moos hat in Zusammenhang mit diesem monumentalen Komplex auf Le Corbusiers nie zur Ausführung gelangten Palast der Sowjets hingewiesen, für den wiederum ein mögliches Vorbild Pisa - der Dreiklang Dom - Baptisterium - Campanile - war. Auch Calatrava konfiguriert drei Bauten auf einer Achse, wobei der ursprünglich projektierte 382 Meter hohe Kommunikationsturm schliesslich durch ein (auch nicht gerade kleinlich geratenes) Opernhaus ersetzt wurde. Bereits fertiggestellt ist das Mittelstück, ein Planetario genanntes Imax- Kino in Form eines Auges, das seine gläsernen Lider mit ihren Stahlwimpern über der hermetischen Halbkugel des Projektionssaals auf- und zuklappen kann. Östlich davon wächst, ungleich mächtiger, das durch seine Reihung von Stahlrippen an ein Saurierskelett erinnernde Museo de las Ciencias heran. Es soll noch vor den 1999 fälligen Lokal- und Regionalwahlen eröffnet werden.

Dieses verblüffende Ensemble biomorpher Strukturen war von Anfang an auf Wählerreflexe, auf die Sensationslust braver Konsumenten zugeschnitten: gebauter Populismus. Geplant noch unter der sozialistischen Regionalregierung, wurde es 1996 von den neuen konservativen Machthabern umgehend als grössenwahnsinnig vom Programm gestrichen, zum Entsetzen des örtlichen Baugewerbes. Wenig später konnte seine Auferstehung gefeiert werden, nur diesmal - obwohl Valencia eben seinen neuen Musikpalast eingeweiht hatte - mit einem weiteren Konzerthaus anstelle des Turmbaus. In Rekordzeit geplant und auf den bereits gelegten, eigentlich zu knapp bemessenen Fundamenten aufbauend - daher der eiförmige Aufriss mit Auskragungen von über fünfzig Metern -, dürfte dieses Auditorium zu Calatravas überspanntesten Projekten zählen: sowohl als statisches Bravourstück als auch durch die skulpturale Extravaganz der seitlichen Betonschalen, über die sich eine zweihundert Meter lange Dachzunge wölbt. Neben diesem liegenden weissen Ei nehmen sich die Werke eines Guastavino und selbst die des Katalanen Gaudí moderat aus. Eine andere Tradition, der sich Calatravas Werke als ihre postmoderne Überspitzung zuordnen lassen, ist der valencianische Rationalismus, der das Ornament nie scheute.

Der Egomane, der Calatrava zweifellos ist, hat in der «Stadt der Künste» für sämtliche nicht von eigener Hand stammenden künstlerischen Interventionen vorsorglich eine Höhenbeschränkung durchgesetzt. Erklärten Gegnern dieses Künstlerarchitekten, die ihn am ehesten noch als Brückenbauer goutieren, mag es ein Trost sein, dass zu dem Ensemble - da es im einstigen Flussbett des Río Turia liegt - auch zwei neue Brücken gehören. So wird Calatrava bald vier Übergänge über einen Fluss gebaut haben, der gar kein Fluss mehr ist und der auch früher nur ein periodisch anschwellendes Rinnsal war. 1957 verursachte er jedoch eine Katastrophe solchen Ausmasses, dass die Franco-Administration die Umleitung des Turia zur nationalen Aufgabe erklärte. Sie hinterliess Valencia ein nacktes, allmählich zu einem linearen Park ausgestaltetes Flussbett. Als Reminiszenz an die Vergangenheit sind denn auch die Wasserflächen zu verstehen, die die Calatrava- Bauten einfassen und die in den östlich daran anschliessenden Parque Oceanográfico überleiten.

Bauten am Tranvía de la Malva-rosa

Valencia ist keine zimperliche Stadt. Als Verkehrshölle hat es Weltniveau. Nun verspricht es sich von der Ciudad de las Artes - in einer an sich schon futuristisch anmutenden Umgebung aus 40geschossigen Wohntürmen und riesigen Shopping Malls - kulturellen Imagegewinn. Aber gleichzeitig verspielt es gerade seinen Ruf, das beste moderne Kunstzentrum Spaniens zu beherbergen. Das 1989 eröffnete IVAM (Instituto Valenciano de Arte Moderno) macht den Kontrast zur Grandiloquenz der Gegenwart um so schmerzlicher bewusst, als auch dieses einst ungemein präzise Projekt seit dem politischen Wechsel in provinzieller Gefälligkeit dahindämmert. Wenn irgendwo der kulturpolitische Opportunismus des heute dominierenden Partido Popular deutlich wird, dann in Valencia. Hier waren sich die Konservativen selbst dafür nicht zu schade, einen absurden Sprachstreit vom Zaun zu reissen, indem sie die valencianische Spielart des Katalanischen als eigene Sprache von diesem abzugrenzen versuchten, entgegen der Ansicht sämtlicher Linguisten - nur um Gefühle zu schüren und politisch auszuschlachten, die im Grunde ihrem auf Spaniens Einheit pochenden Credo widersprechen.

Umstritten ist auch ein weiteres urbanistisches Grossprojekt: die Verlängerung der hundert Meter breiten Avenida Blasco Ibáñez bis ans Meer. Man kann Valencia nicht begreifen ohne seine Beziehung zu seinem weitläufigen, einige Kilometer vom Stadtkern entfernten Strand. Nun sind eben die alten Vergnügungs- und Kanaillenviertel dort durch die Vollendung dieser grössten aller städtischen Achsen und mehr noch durch die in der Folge um sich greifende Spekulation bedroht. Es gibt Argumente für und wider einen solchen urbanistischen Kraftakt. Den unglücklichsten Kompromiss hat einmal mehr die Stadtregierung gefunden: die Schneise soll geschlagen, das Alte mithin zerstört werden - aber die grandiose Avenue wird nur noch halb so breit gebaut.

Parallel zu diesem «paseo de Valencia al mar» verläuft der ebenso klassische, heute zur Linie 4 der Metro aufgewertete Tranvía de la Malva-rosa. Diese Strassenbahn führt streckenweise durch unbebautes Gebiet, wenn auch nicht gerade Orangenhaine, wie sie für das Land charakteristisch sind. Dafür durchquert man in halbstündiger Fahrt zwei weitere städtische Entwicklungszonen. Zunächst den Nou Camp, ein Universitätsgelände: hier sollen unter anderem Bauten von Siza und Miralles entstehen. Jüngst fertiggestellt wurde die Bibliothek von Giorgio Grassi mit ihrer siebengeschossigen, ganz mit Bücherwänden ausgekleideten Halle: ein sehr schöner Grassi, der sich allerdings - postmoderne Unverschämtheit - mitten aus einem ihn umzingelnden, ungeschlacht gemauerten und schrecklich abweisenden Parkhaus erhebt. Am andern Ende der Linie 4 ist es der diesen Sommer eröffnete Kongresspalast von Norman Foster, der den Stadtrand prägt. Im Grundriss linsenförmig (ein clin d'œil an Calatravas Imax-Auge? Oder sollte sich vielmehr Calatrava mit seinem im Grundriss gleichfalls linsenförmigen Operentwurf für Fosters Anleihen bei seiner Reichstagkuppel revanchiert haben?), erscheint einem dieser Bau, wiewohl ein mittelmässiger Foster, nachgerade als Inbild architektonischer Vernunft: des in Valencia zuweilen vermissten Masses der Dinge.

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