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Das En­de der fro­hen Bot­schaft
Der Standard

Die 1965 von Ar­chi­tekt Rolf Gut­brod er­bau­te Deut­sche Bot­schaft in Wien ist ein leicht­fü­ßi­ges Meis­ter­werk der Nach­kriegs­mo­der­ne. Zu­erst soll­te sie sa­niert wer­den, jetzt wird sie ab­ge­ris­sen. Ein un­schätz­ba­rer Ver­lust.

14. Mai 2016 - Maik Novotny
Met­ter­nich­gas­se, Wien, 3. Be­zirk: Im Bot­schafts­vier­tel um die­se nach dem Ur­va­ter eu­ro­päi­scher Di­plo­ma­ten be­nann­te Gas­se grup­pie­ren sich stan­des­ge­mäß die stein­er­nen Re­prä­sen­tan­zen von Russ­land, Chi­na, und Groß­bri­tan­nien, der hal­be Glo­bus re­si­diert gleich ums Eck. Doch mit­ten­drin in die­ser wie ein Echo des „lan­gen 19. Jahr­hun­derts“ ge­mah­nen­den Na­tio­nal­pa­ra­de klafft ei­ne grü­ne Lü­cke: ein graug­rü­nes En­sem­ble ganz oh­ne Schau­fass­ade, das mehr zum Park als zur Stra­ße ge­hö­ren und schein­bar gar nicht pom­pös be­ein­drucken will: die Bot­schaft der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land.

Von 1959 bis 1965 er­baut, steht sie für ei­ne Ar­chi­tek­tur, mit der sich die jun­ge Re­pu­blik der Welt de­mo­kra­tisch, auf­ge­klärt und hu­ma­ni­stisch prä­sen­tier­te. In den Nach­kriegs­jah­ren fun­gier­te die in­ter­na­tio­na­le Mo­der­ne als Läu­te­rung vom Al­bert-Speer-Gi­gan­tis­mus der Na­zi­zeit, und Bot­schafts­bau­ten tru­gen die­ses be­schei­de­ne Selbst­ver­ständ­nis in die Welt. Sie ver­scho­ben den Schwer­punkt vom Re­prä­sen­ta­ti­ven zum Ad­mi­nis­tra­ti­ven und ver­knüpf­ten sou­ve­rän-mon­dän den Staat zu Hau­se mit dem Stand­ort vor Ort. Den An­fang mach­te 1962 Jo­han­nes Krahns Cor­bu­sier-Hom­ma­ge in Neu-Del­hi, ge­folgt vom fei­nen Git­ter­werk von Egon Ei­er­manns Bot­schafts­bau in Was­hing­ton 1964 und dem tro­pisch-er­dig ein­ge­färb­ten En­sem­ble, das Hans Scha­roun 1971 auf den Dschun­gel­bo­den von Bra­sí­lia setz­te.

Ver­mei­dung des Mo­nu­men­ta­len

Auch Rolf Gut­brod (1910– 1999), der Ar­chi­tekt der Wie­ner Ver­tre­tung, war ein Meis­ter die­ser Leich­tig­keit: Sei­ne zahl­rei­chen Bau­ten, vor al­lem in Stutt­gart und Ber­lin, sind so sorg­fäl­tig durch­kom­po­niert wie zeit­los und öff­nen sich ih­rer Um­ge­bung mit ein­la­den­den Erd­ge­schoß­zo­nen. Von trut­zi­gen Denk­mal­so­ckeln kei­ne Spur. Sei­ne Wie­ner Bot­schaft ist ein Meis­ter­werk der Ver­mei­dung des Mo­nu­men­ta­len: Ei­ne Fu­ge un­ter dem Erd­ge­schoß lässt das gan­ze Ge­bäu­de leicht über dem Gras schwe­ben, die Quarz­it­plat­ten in der Fass­ade sind ent­ge­gen der Tek­to­nik ver­ti­kal ver­legt wie ei­ne hin­ge­wor­fe­ne Ta­pe­te, vor die gro­ßen Glas­flä­chen schie­ben sich fast ja­pa­nisch an­mu­ten­de, feing­lie­dri­ge Holz­git­ter, und die eben­falls mit ei­ner Fu­ge ab­ge­setz­te Be­ton-At­ti­ka ist am Süd­ost-Eck keck zu ei­nem Drei­eck auf­ge­zip­felt. Die Farb­ge­bung in An­thra­zit, Dun­kel­grün und Braun ist mehr rhei­nisch-land­schaft­lich als aus­tria­kisch-bar­ock, und die ge­knickt ge­führ­ten Zu­fahrts­we­ge und das leich­te Dach über der Vor­fahrt las­sen mehr an un­be­schwer­te Gar­ten­par­tys den­ken als an Sor­gen­fal­ten und Kri­sen­gip­fel.

Wer sich die­se Leich­tig­keit vor Au­gen füh­ren möch­te, soll­te sich al­ler­dings be­ei­len. Hat­te das zu­stän­di­ge Baum­in­is­te­ri­um in Ber­lin (BMUB) noch 2007/08 ei­nen Wett­be­werb zur Sa­nie­rung des Ge­bäu­des aus­ge­schrie­ben. Die Pla­nun­gen da­für wa­ren schon fort­ge­schrit­ten, als man es sich doch an­ders über­leg­te. 2014 wur­de deut­lich, dass der Bau kom­plett ab­ge­ris­sen wer­den soll. Im Ju­ni je­nes Jah­res fand die weh­mü­ti­ge Ab­schieds­ga­la statt, im No­vem­ber 2015 folg­te der Ab­riss­be­scheid, es wur­de ein er­neu­ter Wett­be­werb für ei­nen kom­plet­ten Neu­bau aus­ge­schrie­ben, des­sen Er­geb­nis­se im April die­ses Jah­res prä­sen­tiert wur­de. Die­se sind auch ein Grad­mes­ser, wie sich die Bun­des­re­pu­blik heu­te, 50 Jah­re nach der Gut­brod-Ära, dar­stel­len möch­te. Wie sieht sie nun aus, die Vi­si­ten­kar­te der Ber­li­ner Re­pu­blik des 21. Jahr­hun­derts?

Ein Gut­teil der Ein­sen­dun­gen las­sen sich un­ter „Ber­li­ner Tris­tes­se“ ein­ord­nen: preuß­ische Bie­der­keit, stein­er­ne Vil­len-Ty­po­lo­gien oh­ne je­den Esprit, Be­am­ten­boll­wer­ke, de­ren fu­gen­dich­te Mas­si­vi­tät wohl Si­cher­heit in un­ru­hi­gen Zei­ten sym­bo­li­sie­ren soll. Nur nichts Glä­ser­nes, es könn­te ka­putt­ge­hen. Nur nichts Of­fe­nes, es könn­ten ja die fal­schen Leu­te hin­ein­schlen­dern. Im­mer­hin: Der Sie­ger­ent­wurf des Leip­zi­ger Bü­ros Schulz & Schulz mit sei­ner pa­no­ra­mi­schen Bel­eta­ge gibt sich im Ver­gleich zu sei­nen Lands­leu­ten noch am of­fen­sten, und die rea­li­sier­ten Bau­ten des Bü­ros zeu­gen von Ge­spür für Ma­te­ri­al, De­tail und At­mo­sphä­re.

Aber wa­rum über­haupt der Ge­sin­nungs­wan­del von Sa­nie­rung zum Ab­riss? „Die Bun­des­re­gie­rung hat sich die Ent­schei­dung nicht leicht­ge­macht“, heißt es aus dem BMUB auf An­fra­ge des Stan­dard. „Sie ist viel­mehr die Kon­se­quenz jah­re­lan­ger, aber er­folg­lo­ser Be­mü­hun­gen, den Ge­bäu­de­kom­plex ge­ra­de auch we­gen sei­ner ar­chi­tek­to­ni­schen Be­deu­tung zu er­hal­ten.“ Das Ge­bäu­de sei zu klein für die wach­sen­den Nut­zun­gen, die Re­si­denz war schon in den 1990er-Jah­ren aus­ge­sie­delt wor­den. Ei­ne zeit­ge­mä­ße Un­ter­brin­gung des heu­ti­gen Kanz­lei­be­triebs sei oh­ne deut­li­che Ein­schnit­te in die Ar­chi­tek­tur Gut­brods nicht mög­lich ge­we­sen, die en­er­ge­ti­sche Sa­nie­rung, die nicht mehr zeit­ge­mä­ße tech­ni­sche Ge­bäu­de­aus­rüs­tung und der Brands­chutz kä­men noch hin­zu. Ei­ne Sa­nie­rung wä­re da­her teu­rer als ein Neu­bau.

Bau­phy­sik frisst Bau­kul­tur

So ganz wol­len die­se bau­tech­ni­schen Ar­gu­men­te nicht über­zeu­gen: Was den Um­gang mit der in die Jah­re ge­kom­me­nen Nach­kriegs­mo­der­ne be­trifft, gibt es in­zwi­schen reich­lich Ex­per­ti­se, und die aus der glei­chen Ära stam­men­den deut­schen Bot­schaf­ten in Bra­si­lia, Ma­drid und Neu-Del­hi sind in den letz­ten Jah­ren al­les­amt auf­wen­dig sa­niert wor­den. Fräst sich hier, wie lei­der so oft, der durch­ge­norm­te, al­les ni­vel­lie­ren­de Bau­phy­sik-Com­pli­an­ce-Zwang de­struk­tiv durch die Bau­ge­schich­te? Wä­re der Bau nicht ein Fall für den Denk­mal­schutz? Schließ­lich hat die­ser längst schon die 1950er- und 1960er-Jah­re im Vi­sier.

„Wir ha­ben ei­ne Un­ter­schutz­stel­lung er­wo­gen“, sagt Fried­rich Dahm, Lan­des­kon­ser­va­tor für Wien beim Bun­des­denk­mal­amt. Vor zwei Jah­ren ha­be man sich den Bau ge­nau an­ge­se­hen. „Al­ler­dings wur­de das Ge­bäu­de in­zwi­schen im In­ne­ren ver­än­dert, und von Rolf Gut­brod gibt es in Deutsch­land zahl­rei­che und auch bes­se­re Bau­ten.“ Die Schwel­le zur Denk­mal­wür­dig­keit, so Dahm, sei ge­ne­rell sehr hoch an­zu­set­zen, man kon­zen­trie­re sich auf die Highl­ights. Un­ter den Wie­ner Bau­ten der Nach­kriegs­mo­der­ne sei­en bei­spiels­wei­se das Stadt­hal­len­bad und das ORF-Zen­trum be­reits ge­schützt, die Stadt­hal­le dürf­te bald fol­gen. „Das sind aber auch die be­sten Bau­ten von Ro­land Rai­ner.“

Den­noch ist auch ein un­ge­schütz­tes Bau­denk­mal ein Bau­denk­mal. Stellt der Um­gang mit die­sem der bau­kul­tu­rel­len Ver­ant­wor­tung der Ber­li­ner Re­gie­rung ein gu­tes Zeug­nis aus? Nicht we­ni­ge kri­ti­sche Stim­men so­wohl in Deutsch­land als auch in Ös­ter­reich mei­nen: nein. Deut­sche Fach­me­dien be­klag­ten die Ab­ris­splä­ne, und auch Diet­mar Stei­ner, Di­rek­tor des Ar­chi­tek­tur­zen­trums Wien (AzW), fin­det kla­re Wor­te: „Die Ig­no­ranz deut­scher Bü­ro­kra­tie voll­zieht tat­säch­lich den Ab­bruch ei­nes der schöns­ten und be­sten Ge­bäu­de von Rolf Gut­brod, und die dum­men, eit­len Ar­chi­tek­ten ma­chen mit. Nicht mehr als ei­ne sanf­te Sa­nie­rung wä­re not­wen­dig ge­we­sen. Jetzt kommt da­für ei­ne wirk­lich ba­na­le Hüt­te, die der BRD, mit­ten im Wie­ner Bot­schafts­vier­tel, ein­fach nicht wür­dig ist!“

Über die Mo­ti­ve für den Ab­riss kann man wei­ter spe­ku­lie­ren. Ob die ge­bau­te Of­fen­heit in Zei­ten der Fes­tung Eu­ro­pa un­er­wünscht ist, ob der glo­ba­le Zu­kunfts­op­ti­mis­mus der 1960er-Jah­re er­odiert ist oder tat­säch­lich nur die Bau­phy­sik end­gül­tig über die Bau­kul­tur ge­siegt hat: Wenn dem­nächst die Ab­riss­bir­ne in der Met­ter­nich­gas­se an­rückt, wird nicht nur ein Stück Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te, son­dern auch ein Stück Zeit- und Geis­tes­ge­schich­te für im­mer ver­lo­ren­ge­hen.

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