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Steinreich trocken mauern
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Eigenheiten, Qualitäten und handwerkliche Aspekte von Trockensteinmauern.

30. Dezember 1998 - Leo T. Gstrein
Jeder kennt Trockensteinmauern aus eigener Anschauung. Die Weinbergmauern der Wachau, irische Lesesteinmauern als Zäune für die Weideflächen, in den Alpen die Stützmauern an alten Wegen und Pfaden, die Mauern der Ackerterassen an der ligurischen Küste und in den Karstgebieten Kroatiens. Wer kennt nicht Beispiele von Mauern, in der sich die schwere Derbheit des Materials feingliedrige Struktur des Mauerwerks günstig vereinen. Es sind die eingewachsenen Mauern mit in den Jahren angesetzter Patina, vielleicht noch mit üppiger Vegetation umgeben. Sie wirken ruhig und lebendig, sie sind alt aber nicht altmodisch.

Wenn wir nur der äußeren Idee nach arbeiten, wird das Resultat immer Industrie sein; wenn die Idee dagegen aus dem Material selber hervorzugehen scheint, wird allemal ein Wunderwerk entstehen. (Alain, 1985)

So unterschiedlich die Mauern in verschiedenen Gegenden, gebaut mit unterschiedlichsten Steinen, auch aussehen, ein Merkmal ist ihnen auf jeden Fall gemein: Diese Mauern haben zuerst einen praktischen Zweck zu erfüllen. Sie sind Gebrauchsbauwerke, ihre Erbauer hatten etwas anderes damit vor - reizvolle Schönheit ist ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt. Die Maurer beabsichtigten, solide und beständige Mauern zu bauen, sie dachten an das Material, berücksichtigten die Erfordernisse der Umgebung Zwecke des Bauwerkes und machten die dafür nötige Arbeit. Sie dachten nicht an ästhetische Wirkung - trotzdem oder vielmehr deswegen gelang sie ihnen selbstverständlich. Noch eine Erkenntnis aus den alten Mauern: diese Bauweise, d.h. die Anwendung bestimmter „Kunstkniffe“, verleiht den Mauern Haltbarkeit und Stabilität über Jahrhunderte. (Bau-)Kunst ist hier eine Frage des Könnens und nicht der Phantasie.

Trockensteinmauern

Die Wurzeln dieser Mauerwerkstechnik liegen in der bäuerlichen Wirtschaft. Die Mauern waren Mittel für den Zweck, geeignete Produktionsgrundlagen zu schaffen (Terassierung). Das Baumaterial Stein war für gewöhnlich in unmittelbarer Nähe vorhanden und (zumeist) gratis. Bindemittel standen nicht zur Verfügung oder waren zu teuer (sie wurden bestenfalls beim Hausbau eingesetzt).

Trockensteinmauern werden ohne Verwendung von Bindemitteln gemauert. Die Verbindung der Steine wird allein durch Reibschluß und Gewicht der Steine hergestellt. Die an sich geringe Bindefähigkeit muß durch sorgfältige Arbeitstechnik bestmöglich ausgenützt werden. Trockensteinmauern zeichnen sich durch Beweglichkeit aus. Sie können bis zu einem bestimmten Maß Bewegungen des Untergrundes und des Hanges aufnehmen, ohne ihre Stabilität zu verlieren. Durch die Fugen kann Hangwasser über die gesamte Ansichtsfläche der Mauer ablaufen, was eine Entspannung des Hanges zur Folge hat und somit druckmindernd wirkt.

Handwerklicher Zugang

Für uns ist klar, daß der Schlüssel für den Bau „guter“ Mauern das Handwerk ist. Was zeichnet nun das Handwerk aus, wie geht man vor, um stabile Mauern herstellen zu können. Der literarische Zugang ist dazu nur bedingt brauchbar. In der gängigen Fachliteratur wird das Thema Trockensteinmauern eher enttäsuchend behandelt. Die Angaben beschränken sich auf mehr oder weniger abstrakte Allgemeinplätze und bieten kaum Hinweise auf Grundrgeln der Arbeitstechnik. Der Tenor lautet: Trockensteinmauern sind zwar schön, doch ist es sicherer, sich stabilerer Bauweisen zu bedienen, also Hinterbetonierung der Mauern (d.h. Beton als tragender Teil, Naturstein bildet die Schmuckfassade) oder Verblendmauerwerk.

Zum anderen können praktische Erfahrungen (learning by doing) durch nichts ersetzt werden. Eigenes, am Anfang durchaus mühevolles Arbeiten versetzt Stück für Stück „ oder Stein um Stein „ in die Lage, abstrakte Theorie auf deren Tauglichkeit zu überprüfen, eigenes Wissen zu sammeln, sich als unbrauchbar herausstellende Vorgaben zu verwerfen.

Praktische Umsetzung – ein Erfahrungsbericht

Ein Grundstück in steilster Hanglage in Klosterneuburg-Weidling sollte nach der Errichtung eines Einfamilienhauses an der oberen Grundstücksgrenze nutzbar gemacht werden. Zusätzlich war das Grundstück durch abgelagertes Aushubmaterial versteilt worden. Wir entschlossen uns für eine Terassierung des Hanges, um im hausnahen Bereich nutzbare, ebene Flächen zu erhalten. Damit verbunden wurde die Erschließung des unteren Gartenteiles mit Wegerampen und Treppenanlage. Insgesamt legten wir vier Mauern unterschiedlicher Höhe (bis max. 1,20 m) mit einer Gesamtansichtsfläche von 75 m² an. Die reine Bauzeit für die Mauern betrug mit den für die Terassierungen nötigen manuellen Erdarbeiten sechs Wochen, die gesamte Bauzeit (mit Anlage der Schotterdecken, Treppen, Bepflanzung, Humusierung der Gartenflächen etc.) belief sich auf 9 Wochen. Mitgearbeitet haben außer dem Verf. Paul Freund, Florian Göschke und Thomas Mellauner.

Der Stein

Wir entschlossen uns, die Mauern mit Granulit (aus einem Steinbruch in der Nähe des Stiftes Göttweig) zu errichten, weil wir mit Umgang und Eigenschaften des Materials bereits vertraut waren (ein beruhigendes Moment bei einem Projekt dieser Größenordnung).

Granulit ist ein glimmerfreier Gneis. Als metamorph-gerichtetes Gestein bricht der Stein mehr oder weniger regelmäßig winkelrecht aus dem Lager, wenn auch bei weitem nicht so gleichmäßig wie andere Schichtgesteine. Der Stein ist massig, hart und spröde, die Zurichtung auf der Baustelle ist damit auf das Abschlagen von überstehenden Ecken und Abspitzen der sogenannten ‹berzähne (kleinere Buckel auf der Oberseite des Steines) beschränkt.

Für die Bearbeitung gilt eine Regel, wie sie von Steinmaurern so metaphorisch hübsch formuliert wird: „Noch bevor Du einen Hammer in die Hand nimmst, mußt du mit dem Stein sprechen“. Und in der Tat erspart man sich einiges an Arbeit und ƒrger über einen falsch gebrochenen Stein, wenn vorher die Struktur des Steines angesehen wird. Jeder Stein hat seine mehr oder weniger sichtbaren Bruchlinien und Störungszonen, mit denen vorteilhaft, aber gegen die überhaupt nicht gearbeitet werden kann. Zu Beginn fällt die „Ansprache“ des Steine etwas schwer, entwickelt sich mit der Zeit zur selbverständlichen und geübten Routine.

Im Steinbruch

Die Steine wurden von uns im Steinbruch sprichwörtlich handverlesen. In drei Tagen hatten wir die benötigte Menge aussortiert. Ein auf den ersten Blick aufwendiger und vermeintlich einzusparender Arbeitsgang. Es besteht zwar die Möglichkeit, mit dem Bagger aussortierte Handsteine zu bestellen. Aber es liegen die Vorteile -im Sinn des Wortes- auf der Hand: wir konnten die für unsere Arbeit und Mauergröße richtigen Steine aussuchen: Bedingung war eine ebene Hauptfläche, dazu ein oder zwei winkelrechte, ebene Lagerfläche. Damit konnten wir Material- und Transportkosten für unbrauchbare Steine dementsprechend niedrig halten.

Bankig gelagerte Gesteinsschichten eignen sich hervorragend zur Verwendung für Trockensteinmauerwerk. Die Steine können mit wenig Aufwand abgebaut werden, durch Ausnützung der natürlichen Lager ist kein steinmetzmäßiges Zurichten der Steine erforderlich ist. Dadurch wird der Stein billig. Steinbrüche dieser Art sind nur mehr selten zu finden. Die Tendenz geht zu immer weniger, dafür größeren Steinbrüchen, kleine regionale Brüche werden zusehends aufgelassen (nicht zuletzt auch eine Frage der Abbaugenehmigung durch die Behörden).
Die maschinell-industrielle Abbau nimmt aber auf das differenzierte Angebot eines Steinbruches keine Rücksichten. Im Vordergrund steht die Produktion von Massengütern (Schotter- und Kiesgewinnung).

Der Bauplatz

Noch bevor mit dem eigentlichen Bau einer Mauer begonnen wird, empfielt es sich, einen genügend großen und ebenen Arbeitsplatz vor der zur errichtenden Mauer einzurichten. Dadurch kann ein entsprechender Steinvorrat angelegt werden, der die Auswahl der passenden Steine erleichtert und die Wege kurz hält. Was an dieser Stelle an Arbeit investiert wird, kann beim eigentlichen Bau der Mauer leicht wett gemacht werden.
Wie sich im Laufe des Projektes herausstellte, ist der Arbeitsaufwand für die Transporte innerhalb der Baustelle (vom Lagerplatz zur Mauer) beträchtlich und bei der Erstellung des Kostenvoranschlages als eigene Position dementsprechend zu berücksichtigen (nicht selten wird darauf vergessen oder zumindest unterschätzt).

Das Fundament

Trockensteinmauern sind aufgrund des reibschlüssigen Mauerverbandes in der Lage, kleinere Bodenbewegungen auszugleichen, sodaß eine frosttiefe Gründung nicht erforderlich ist. Wichtig ist die Gründung in „gewachsenem Boden“. Das Fundament soll unter der Humusschichte zu liegen kommen. In der Literatur wird manchmal eine Fundamentierung auf eine Tiefe von 1/3 der Mauerhöhe gefordert. Nach unserem Ermessen scheint dies zu hoch gegriffen, für die Stabilität der Mauer ist das sorgfältige Setzen der Steine unter Beachtung einiger prinzipieller Verbandsregeln wesentlich bedeutender.
Die Fundamentsteine wurden in ein waagrechtes, leicht verdichtetes Schotterbett (8–10cm) gelagert und mit leicht zum Hang neigender Oberseite (Lagerseite) gesetzt. Dadurch erhöht sich die Widerstandsfähigkeit gegen den Hangdruck.

Das Mauerwerk

„Bruchsteinmauer“ bedeutet, daß die Steine so, wie sie im (Stein-)bruch gewonnen werden, verarbeitet werden. Durch die Sortierung im Steinbruch auf Steine mit ebener Ansichtsfläche (das sogenannte Haupt) und zwei (± paralellen) Lagern entsteht das sogenannte lagerhafte Bruchsteinmauerwerk mit durchgehender waagrechter Lagerfuge.
Im folgenden einige prinzipielle Regeln für das Errichten von Trockensteinmauern, die wir an praktischen Beispielen beobachten konnten und beim Bau der Mauern beachtet haben:

- Es soll eine waagrechte, möglichst durchgängige Lagerfuge (Längsfuge) eingehalten werden. Dafür werden Steine mit annähernd gleicher Stärke ausgewählt. Das Springen der Lagerfuge ergibt sich oft von selbst und soll daher nicht absichtlich herbeigeführt werden. Es ist auf jeweils enge Fuge zum seitlichen Anschlußstein zu achten.

- Lagerfugen werden so eng wie möglich gehalten. Durch die Aufeinanderschlichtung der Steine entstehende Hohlräume (Zwickeln) werden mit kleinen Steinen und passenden Steinscherben, die durch die Bearbeitung der Mauersteine anfallen „ausgezwickt“. Eine enge Fuge und Auszwicken sind kein ästehtisches Argument, sondern dienen in erster Linie der Stabilität der Mauern. Jeder Stein muß für sich satt aufliegen, um damit den größten Reibschluß des Verbandes zu sichern. Wackeln der Steine ist verboten.

- Die Steine werden auf ihr natürliches Lager gelegt, d.h. die Schichtung des Steines verläuft parallel der Längsfuge.

- Das Zurichten beschränkt sich auf das Abschlagen von hinterseitig gelegenen Kanten, um eine enge Fuge zum Anschlußstein herzustellen und auf das Abspitzen von lagerseitigen ‹berzähnen, um für die nächste Schar ein möglichst ebenes Bett vorzubereiten.

- Durchgehende Kreuzfugen sind unbedingt zu vermeiden: Eine senkrecht durchlaufende Fuge unterbricht die längslaufende Verzahnung und wirkt ähnlich einer Perforation. Der Hangdruck bewirkt an dieser Stelle ein „Aufgehen“ der Mauer.

- Bei einer Mauerhöhe von 1,20 m muß der Mauerfuß entsprechend stark ausgeführt werden. Wir bauten mit ca. 40 cm Mauertiefe. Nicht alle Steine hatten dieses Format, deshalb wurde die Mauer vom Fundament auf hinterbaut. Dazu verwendeten wir Steine mit unbrauchbaren Flächen, auch sogenannte Abfälle der Baustelle „ in diesem Fall Betonsteine und -ziegel, die andernfalls für teueres Geld deponiert werden müßten „ eigneten sich für diese Zwecke bestens. Auch hier gilt das satte Lagern der Steine (auszwicken).

- Zusätzliche Stabilität erfährt der seitliche Abschluß der Mauer durch die Ausbildung einer Mauerecke. Besonderes Augenmerk legten wir auf eine kreuzweise ‹berlappung der Ecksteine.

- Hinterfüllen der Mauern mit Schotter dient der Drainagierung und Entspannung des Hangwassers. Gelegentlich ist in der Literatur ein Vermeiden der Verschlämmung der Fugen durch fein-humoses Material angegeben. Dies konnten wir bei unserer Baustelle nicht feststellen. Allerdings besteht der terrassierte Hang aus sehr feinem, lössigem und schlämmfreudigem Material. Zu Beginn verwendeten wir 0/18 Rundschotter, der sich wegen seiner geringen Tragfähigkeit nicht bewährte. Ein Starkregenereignis Ende August hatte ein Absacken des Schotterkörpers zur Folge. Wesentlich besser sind die Erfahrungen mit kantigem Grädermaterial mit Körnung 0/32.

Die Mauerkrone

Für den Abschluß der Mauer wurden möglichst schwere, lang-rechteckige Steine mit ebener Oberseite verwendet, damit durch ‹berbindung der unteren Steinreihe der Mauer die abschließende Festigkeit verliehen wird. Deckelsteine dieser Art verhindern das übermässige Einschlämmen von oben her und verleihen der Mauer Anlehnqualität.
Ein Aussortieren von geeigneten Deckelsteinen von Baubeginn an erwies sich als sinnvoll, um diese raren Steine in genügender Menge vorzuhalten.

Auftragssituation im Gartenbaubetrieb

Es ist schon klar, daß in Auftragsverhältnissen eines Garten- und Landschaftsbau-Betriebes die Kundenwünsche, Trockensteinmauern anderen Bauweisen vorzuziehen, zumeist dekorativ motiviert sind. Dagegen ist nichts einzuwenden, wir fügen allerdings etwas hinzu: Unser Zugang ist es, handwerklich gute, d.h. stabile Mauern zu bauen. Dies verbindet uns mit den alten Vorbildern. Die Motivationen beim Bau von Trockensteinmauern mögen unterschiedlich sein, die handwerklichen Absichten sind es nicht. Wir gehen davon aus, daß gut gebaute Mauern auch automatisch „dekorativ“ sind. Die ästhetisch ansprechende Wirkung kommt aus dem Material und den ihm innewohnenden Eigenschaften der Verarbeitung. Wir orientieren uns nicht am Bild, sondern am Objekt, bzw. der Absicht, haltbare Mauern mit möglichst geringem Materialeinsatz herzustellen. Den Zusammenhang zwischen äußerer, lediglich am Bild interessierten Fassade (die für Natusteinmauern ihren Ausdruck in der Hinterbetonierung und im Verblendmauerwerk findet) und innerer Absicht hat ALAIN (1985) so formuliert: „Wenn wir nur der äußeren Idee nach arbeiten, wird das Resultat immer Industrie sein; wenn die Idee dagegen aus dem Material selber hervorzugehen scheint, wird allemal ein Wunderwerk entstehen.“

Entscheidend ist der Umgang mit dem Material. Der Stein spricht. Für sich. Der Steinsetzer spricht seine Sprache. Und baut damit gute Mauern. Hier treffen sich der Steinsetzer und der Sattlermeister: „Herr professor! Wenn ich sowenig vom reiten, vom pferde, vom leder und von der arbeit verstehen würde wie sie, dann hätte ich auch ihre phantasie.“ (LOOS, 1988)

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