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Vom Entziffern und Enträtseln
Vom Entziffern und Enträtseln
Spectrum

3,6 Kilo Frank Gehry und 500 Gramm Zaha Hadid, gewichtige Darstellungen von Gesamtwerken und schmale Dokumentationen einzelner Gebäude, prächtige Neuerscheinungen und kostbare Reprints: die Architekturbücher des Frühlings – ein Überblick.

20. März 1999 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die in jeder Hinsicht gewichtigste – 3,6 Kilogramm! – Neuerscheinung dieses Frühjahrs hat die Deutsche Verlags-Anstalt herausgebracht: Sie ist Frank Gehry gewidmet und enthält neben zwei aufschlußreichen Einleitungstexten von Francesco Dal Co und Kurt Forster eine ganz ausgezeichnete Dokumentation seines Gesamtwerks.

Der Pritzker- (und umstrittene Kiesler-) Preisträger Gehry zählt ja schon seit langem zu den schillernden „Leading figures“ der internationalen Architekturbühne. Sein bisheriges Opus magnum legte er mit dem Guggenheim Museum in Bilbao vor – dem übrigens vor gar nicht so langer Zeit eine eigene, ziemlich „überzogene“ Publikation gewidmet war, die der Hatje Verlag vertreibt.

Zum Unterschied von letzterer, die dazu angetan ist, daß man sich an den unzähligen Variationen und Details zum einen, einzigen Thema des Buches auch satt sieht, ist „Das Gesamtwerk“ eine ausgesprochen spannende Lektüre, weil es eine Entwicklung nachvollziehbar macht, die zwar in sich konsequent, die aber nicht frei von deutlichen Niveauschwankungen ist. Das liegt in der Natur der Sache: Kreative Entwicklungsarbeit, wie sie Gehry betreibt, schließt Brüche, manchmal sogar Formalismen ein, die hart an der Grenze zur Banalität verlaufen. Aber bekanntlich sind es nicht selten gerade die schwächeren Arbeiten, die besonders aufschlußreich sind, die ein an sich komplexes Konzept durchschaubar machen.

Die Deutsche Verlags-Anstalt hat noch ein zweites „Gesamtwerk“ herausgebracht, das auf einer inhaltlich verwandten Ebene angesiedelt ist: das von Zaha Hadid. Der Band ist ungleich bescheidener, was damit zu tun hat, daß Hadid zwar eine ganze Reihe graphisch super aufbereiteter Projekte zu zeigen hat, aber – abgesehen vom Feuerwehrhaus in Weil am Rhein und wenigen „Miniaturen“ – praktisch keine realisierten Arbeiten. Der Wohnbau für die IBA in Berlin kommt zwar auf zwei Doppelseiten vor, allerdings wurden dem so gravierende Veränderungen zwangsverordnet, daß von einer „echten“ Zaha Hadid eigentlich nicht mehr die Rede sein kann.

Entsprechend distanziert ist auch die Projektbeschreibung ausgefallen. Aaron Betsky be-kostbare sich redlich, die künstlerischen Intentionen von Zaha Hadid plausibel zu machen, die Begleittexte zu den einzelnen Arbeiten sind äußerst sachlich. Dadurch wird andererseits in so manchem Fall die Schwierigkeit besonders offenbar, diese ästhetisch unheimlich reizvolle Plangraphik, für die Hadid bekannt ist, wirklich zu „lesen“, zu entziffern, zu enträtseln.

Was die „internationalen Stars“ betrifft, sind in diesem Zusammenhang noch drei weitere Publikationen zu erwähnen; sie sind jeweils nur einem einzelnen Gebäude gewidmet, aber das macht sie nicht weniger interessant. Bei Birkhäuser sind Bände zum Konzertsaal von Jean Nouvel in Luzern und zum Ausstellungshaus für die Fondation Beyeler von Renzo Piano erschienen, Prestel hat eine Dokumentation zum Jüdischen Museum von Daniel Libeskind in Berlin herausgebracht. Alle drei sind aus unterschiedlichen Gründen empfehlenswert.

Nouvels Haus ist nicht nur aufregende Architektur, es ist auch insofern ein Vorzeigeprojekt, als sich daran nachweisen läßt, wie heute mit entsprechenden Marketingstrategien ein Kulturbau – und für die kleine Stadt Luzern ist der Konzertsaal ein sehr, sehr aufwendiger Kulturbau – einer breiten Öffentlichkeit gegenüber argumentiert werden kann. Pianos Ausstellungsgebäude mit seiner bemerkenswerten Tageslichtdecke ist ein wunderbares Beispiel für eine Architektur, die in den Naturraum eines Landschaftsparks hineinkomponiert ist, die Eigenwert beansprucht und die doch der Kunst großartige Räume zur Verfügung stellt.

Und Libeskind hat es in Berlin geschafft, die Masse der spektakulären (und zum Teil viel größeren) Neubauten weit hinter sich zu lassen. Es ist sein erster Bau, er hat eine überaus komplizierte, schwierige Entstehungsgeschichte hinter sich, aber das Ergebnis rechtfertigt die Hartnäckigkeit und die Kompromißlosigkeit des Architekten. Nirgendwo sonst läßt sich die Leere, der Gestalt gewordene abstrakte Raum unmittelbarer erfahren.

Zum Thema Kulturbauten muß man auch einen schmalen Band nennen, der im Verlag der Buchhandlung König erschienen ist. Er dokumentiert drei Projekte des Wiener/Berliner Architekturbüros Ortner &Ortner. Daß Laurids und Manfred Ortner in den letzten Jahren bei Wettbewerben international erfolgreich waren, hat man mehr en passant zur Kenntnis genommen. Der vorliegende Band führt vor, daß die Ortners auf dem Gebiet der Kulturbauten – neben Wien – auch noch in Zürich und Dresden Projekte in Arbeit haben, die jede Aufmerksamkeit verdienen. Dabei ist im weitesten Sinn allen drei Projekten – dem Theater- und Kulturzentrum für das Schauspielhaus Zürich, der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden und dem Museumsquartier in Wien – etwas gemeinsam: Sie sind alle nicht für die grüne Wiese geplant, sie fügen sich in einen zwar jeweils unterschiedlichen, aber äußerst komplexen Bestand ein. Und sie tun das ungemein differenziert. Damit werden sie fast zu Lehrstücken, die die Möglichkeiten heutiger architektonischer Intervention demonstrieren.

Wem auch ein Blick in die Vergangenheit lohnend erscheint, dem könnte man, neben zwei „besonderen“ Bilderbüchern, vor allem den verdienstvollen Reprint von Adolf Behnes „Der moderne Zweckbau“ empfehlen, eine Art Fibel der Moderne, der allerdings eine wenig glückliche Geschichte beschieden war: Behne hat es 1923 niedergeschrieben, aber nicht gleich einen Verleger dafür gefunden, sodaß ihm Gropius mit seinem ersten Bauhaus-Buch, in dem zum Teil die gleichen Beispiele enthalten waren, zuvorkam. Der Wermutstropfen, der sich in die Freude darüber mischt, daß dieses ganz besondere Buch wieder erhältlich ist: Die Reprints der Werkkunst-Reihe des Gebrüder Mann Verlages sind unverhältnismäßig kostspielig.

Last, but not least die zwei erwähnten „Architektur-Bilderbücher“: Davon gibt es ja sehr viele – welche hebt man hervor? Ich würde meinen, der Band von Lewis W. Hine über das Empire State Building hat es verdient. Es ist das Buch eines Photographen, kein Architekturbuch im engen Sinn. Hines hat den Bau des Empire State Building dokumentiert, im Brennpunkt seines Objektivs war dabei aber nicht der Bau selbst, es waren die Menschen, die den Bau realisiert haben. Dabei sind Bilder entstanden, die unerhört subtile Beobachtungen in aufregendem Schwarzweißkontrast festschreiben, es gibt aber auch bestechend expressive, durch und durch artifizielle Bildkompositionen.

Das zweite „Bilderbuch“ist atmosphärisch vom ersten noch nicht einmal so weit entfernt, wie es zunächst den Anschein haben mag: Es heißt „The Metropolis of Tomorrow“ und enthält die visionären Zeichnungen von Hugh Ferriss. Sie sind wirklich grandios und nur jenen Bildern vergleichbar, wie sie gewisse utopische Hollywood-Produktionen auf die Leinwand werfen – „Blade Runner“, um nur ein Beispiel zu nennen. Unglaubliche Metropolen-Visionen (aber ganz ohne Menschen, nur an Architekturen festgemacht!), ver-rückt in die Unschärfe. Da sind alle Optionen auf die Zukunft völlig offen. Ferriss denkt gebaute Architektur in seinen Zeichnungen weiter. Das Ergebnis: Imaginationen von suggestiver Kraft. Ein Reprint der Sonderklasse, der erst seit kurzem wieder verfügbar ist.


Francesco Dal Co, Kurt Forster, Hadley Arnold Soutter
Frank O. Gehry – Das Gesamtwerk
592 S., geb., S 1314, ,€ 95,49
(Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart)

Zaha Hadid – Das Gesamtwerk
Mit einer Einführung von Aaron Betsky,
176 S., brosch., S 715, ,€ 51,96
(Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart)

Architekturgalerie Luzern (Hrsg.)
Jean Nouvel – Konzertsaal Luzern
Mit einemVorwort von Hubert Tonka,
112 S., brosch., S 424, € 30,81
(Birkhäuser Verlag, Basel)

Fondation Beyeler (Hrsg.)
Renzo Piano – Fondation Beyeler
144 S., geb., S 424, € 30,81
(Birkhäuser Verlag, Basel)

Daniel Libeskind – Jüdisches MuseumBerlin
Mit einemVorwort von Daniel Libeskind,
64 S., brosch., S 146, € 10,61
(Prestel Verlag, München)

Europäisches Design Depot, Klagenfurt (Hrsg.)
Ortner & Ortner: 3Bauten für europäische Kultur
92 S., Ln., S 496, € 36,05
(Verlag der BuchhandlungWalther König, Köln)

Adolf Behne
Der moderne Zweckbau
84 S., Ln., zahlreiche Abb. und Tafeln, 1445 S, € 105,01
(Gebrüder Mann Verlag, Berlin)

Freddy Langer (Hrsg.)
LewisW.Hine – The Empire State Building
96 S., geb., 496 S, € 36,05
(Prestel Verlag, München)

Hugh Ferriss
The Metropolis of Tomorrow
200 S., geb., S 497, € 36,12
(Princeton Architectural Press, New York)

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