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Expressive Bauten in impressionistischer Sicht
Neue Zürcher Zeitung

Die Zürcher Architekten Bétrix & Consolascio in Stuttgart

Die Zürcher Architekten Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio sind vor allem durch ihre Bauten für die Salzburger Stadtwerke bekannt geworden. In einer unkonventionellen Inszenierung präsentieren sie nun ihr Schaffen in der Architekturgalerie der Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Assoziative Bildketten treten an die Stelle der üblichen Pläne und Modelle.

23. März 1999 - Hubertus Adam
Seit nunmehr 10 Jahren arbeiten die beiden in Erlenbach tätigen Zürcher Architekten Marie- Claude Bétrix und Eraldo Consolascio für die Salzburger Stadtwerke. 1989 gewannen sie den Wettbewerb für den Neubau des Heizkraftwerks Nord, den sie zusammen mit Eric Maier zwischen 1992 und 1995 ausführten. Es handelt sich dabei um einen wuchtigen, skulptural geformten Betonblock, zu weiten Teilen mit einer Haut aus glänzenden Stahlplatten umhüllt, dazu ein ebenfalls aus Sichtbeton gegossener, freistehender Schlot, der sich von einem quadratischen Grundriss zu einem dreieckigen Abschluss verjüngt. Die Aufmerksamkeit, die dieser Energiekathedrale zuteil wurde, führte zu einer Reihe von Folgeaufträgen: dem Umbau des benachbarten Heizhauses, das bei Bedarf zugeschaltet werden kann, und dem 1995 fertiggestellten Umspannwerk Mitte. Weitere Projekte für die Salzburger Stadtwerke – nicht zuletzt ergänzende Gebäude auf dem Gelände des Heizkraftwerks Nord – sind in Planung.

Für ihre Ausstellung in der Architekturgalerie der Weissenhofsiedlung in Stuttgart konzentrierten sich Bétrix & Consolascio auf die drei bereits realisierten Salzburger Bauten, die zweifellos den Höhepunkt ihres bisherigen Œvre markieren. Keine umfassende Retrospektive also, die sich angesichts des beschränkten Raumangebots der Stuttgarter Architekturgalerie kaum angeboten hätte, auch kein an die Wände applizierter Werkbericht der derzeitigen Projekte, wie man ihn von Vorträgen an Architekturfakultäten kennt.

Die Problematik der scheinbaren Objektivität einer traditionellen Präsentation von Plänen, Photos, Modellen hat bisher vor allem Herzog & de Meuron mit verschiedenen Verfremdungsstrategien thematisiert. An derartige Konzepte knüpfen Bétrix & Consolascio an, wenn sie den verdunkelten Ausstellungsraum vierseitig mit hinterleuchteten, fast raumhohen Leinwänden auskleiden, auf die in nahtloser Sequenz zehn Innenraumdetails gedruckt sind. Selbst die Grenzen zwischen den einzelnen Bildern verschwimmen: Bald ist eine Treppe zu erkennen, bald eine Batterie von Messgeräten; hier ein Wandstück, dort ein Fussboden. – Nicht zuletzt die Unschärfe vieler Aufnahmen lässt den Betrachter völlig darüber im unklaren, was er eigentlich sieht und um welches Gebäude es sich handelt. Der architektonische Raum wird dissimuliert und damit auf seine materialästhetischen Konstituenten reduziert, auf Farbe und Oberflächenstruktur, und solchermassen in seine abstrakten Werte zerlegt. Tiefe geht ihrer räumlichen Koordinaten verlustig, wird zu einem rein optischen Phänomen; Farbe, so zeigt sich, ist weniger ein physikalisch messbarer Auftrag von Pigmenten als vielmehr ein magisches Spiel von Licht und Schatten, Transparenz und Opazität. «Echo» haben die Architekten ihre Installation genannt – und so, wie man auf einer Photo an der Stirnseite nur die zerfliessenden Konturen eines Birkenstamms sehen kann, der sich in einem Epoxidharzfussboden spiegelt, konfrontieren Bétrix & Consolascio den Besucher mit einem fast psychedelisch anmutenden Nachhall ihrer Architektur, präsentieren ihre expressiven Bauten mit einer impressionistischen Optik.

Die Bildausschnitte der Impressionisten waren, wie man heute weiss, durch die frühen photographischen Experimente Nadars bestimmt; die Perspektiven in der Stuttgarter Ausstellung resultieren aus einer filmischen Analyse der Bauten mit der Videokamera. Wer mehr über sie erfahren möchte, mag sich in einer Seitenkoje das Video ansehen; ob die von einer rauchigen Frauenstimme esoterisch aus dem Off geraunte Wortcollage indes zum Verständnis nötig ist, mag bezweifelt werden. Wer noch mehr wissen möchte, kann die in eine CD-Hülle integrierten «Katalog»-Seiten zur Hand nehmen, in denen sich dann auch Grundrisse und Schnitte finden, kann die zahlreichen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften studieren – oder ein Billett nach Salzburg lösen. Was, in der Konsequenz, immer noch am instruktivsten sein dürfte.

[Bis 16. Mai, anschliessend in der Architekturgalerie Leipzig]

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