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Wasser im Fluß
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Das Revitalisierungsprojekt an der Emscher.

30. März 1999 - Annette Nothnagel
Die rasante Industrialisierung im Zusammenhang mit der Erschließung der Kohlevorkommen im Ruhrgebiet hat den Wasserkreislauf in einem Maße denaturiert, wie es extremer nicht sein könnte.

Die IBA-Region. Hundert Jahre Industrialisierung haben dem Ruhrgebiet – einer ehemals ländlichen Region – eine Hinterlassenschaft beschert, die Hypothek und Chance zugleich birgt:
• Verlassene Industriegebäude sind Heimat für neue wirtschaftliche und kulturelle Impulse.
• Aufgegebene Industrieflächen holt sich die Natur zurück.
• Das zum offenen Abwassersystem umgebaute Gewässernetz der Emscher stellt die Aufgabe der Rückführung zu einem menschen- und naturgemäßen Fluß. Die Internationale Bauausstellung „Emscher Park“ hat diesen Wandel im nördlichen Ruhrgebiet zwischen Duisburg und Bergkamen in den letzten zehn Jahren angestoßen und begleitet. In Zusammenarbeit mit den 17 Städten des Emscher Raumes und vielen anderen Trägern sind bis heute rund hundert Projekte begonnen und weitgehend realisiert worden. Diese gebauten Beispiele sind sichtbarer Ausdruck der Programmatik dieser Bauausstellung, die auf die Überzeugungskraft der realen Ästhetik vor Plänen und Programmen setzt.

Die Arbeitsgebiete sind insbesondere Landschaft, Gewässer, Neubau und Modernisierung von Wohnungen, Aufbau von Technologiezentren und städtebaulich integrierten Gewerbegebieten. Ökologische und ästhetische Schwerpunkte sind die Wiedernutzung von bereits bebauten Flächen und bestehenden Gebäuden. Industriekultur und Kunst sind ständige Begleiter der integrierten Projekte.

Wasser in der Emscherregion

Die rasante Industrialisierung im Zusammenhang mit der Erschließung der Kohlevorkommen im Ruhrgebiet hat den Wasserkreislauf in einem Maße denaturiert, wie es extremer nicht sein könnte. 400 Kilometer Gewässer der Emscher und ihrer Nebenläufe sind zu offenen Abwasserkanälen umgestaltet worden. Der träge Flachlandfluß war der Belastung durch Abwasserfrachten nicht gewachsen, die Region für die dichte Besiedlung nicht geeignet: Überschwemmungen und durch die schlechte Wasserqualität verursachte Seuchen waren Auslöser für ein gigantisches ingenieurtechnisches Vorhaben und die Gründung der zu diesem Zweck erforderlichen Organisation, der bis heute für das Flußgebiet der Emscher weitgehend zuständigen Emschergenossenschaft.

Die Gewässer wurden begradigt, im Gefälle stabilisiert und mit Betonsohlen ausgestattet, um sämtliches Abwasser der Region über Hunderte von Kilometern zur zentralen Kläranlage am Rhein zu transportieren. Aus Sicherheitsgründen sind diese naturfremden Gewässer mit über 700 km Zäunen als eine zusätzliche Barriere in der Landschaft neben Autobahnen, Leitungen, Schienenwegen und eingezäunten Industrieflächen ausgegrenzt worden. Bergsenkungen von bis zu zwanzig Metern über ausgebeuteten Kohlevorkommen ließen großräumige Vernässungsbereiche entstehen und kehrten die Fließrichtung der Gewässer teilweise um. So müssen noch heute und auch zukünftig 40 % der Emscherregion als Polderflächen über Pumpen künstlich entwässert werden. Wie in anderen Ballungsräumen auch, wird das Regenwasser in den besiedelten Gebieten gesammelt, über die Kanalisation der Kläranlage zugeführt und somit dem natürlichen Wasserkreislauf entzogen.

Die Perspektive und derzeitiger Stand

Ende der 80er Jahre hat die Emschergenossenschaft – angestoßen durch neue Auflagen bei der Abwasserreinigung und das regionale Strukturprogramm der IBA sowie mit Unterstützung von Land und Kommunen – den Umbau des Emschersystems in Angriff genommen. Das Generationenprojekt mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 8,7 Mrd. DM besteht aus drei Bausteinen:
1. Die Neuorganisation der Abwasserbehandlung
Zu Beginn des Projektes empfahl ein von zwei Expertengruppen parallel bearbeitetes Gutachten den Neubau von fünf bis sechs neuen Kläranlagen im Gebiet zur Dezentralisierung der Abwasserbehandlung. Mittlerweile hat sich die Menge des anfallenden Abwassers jedoch drastisch reduziert, so daß die zwei bereits an der Emscher gebauten neuen Großkläranlagen ausreichen; es wird nun über technische Lösungen zum verrohrten Transport des Abwassers über lange Strecken nachgedacht.
2. Der ökologische Umbau von Gewässern
Die offenen Abwasserkanäle sollen als lebendige Gewässer wieder der Natur und den Menschen zurückgegeben werden, mit reinem Wasser und einem in die Umgebung eingebundenen Bachbett. Was jetzt noch in vielen Bereichen „Meideraum“ und Hindernis ist, wird das Rückgrat der regionalen Grünvernetzung bis tief in die Städte hinein. Potentiale dafür liegen insbesondere in den vorhandenen Vorbehaltsstreifen der Emschergenossenschaft entlang der Gewässer, die den Raum für die Umgestaltung bieten. Hindernisse für die große angestrebte Lösung gibt es dennoch:
• Die Integration des Gewässers in die Landschaft – wie sie in einer interdisziplinär erarbeiteten Rahmenplanung beschrieben ist – muß auch eine organisatorische Basis haben. Solange die Zuständigkeit und Finanzierungsbereitschaft der Emschergenossenschaft an der Grundstücksgrenze eng am Gewässer aufhört, kostet es viel Kraft und Kooperationsbereitschaft seitens der verschiedenen Träger, das Puzzlespiel der Einzelmaßnahmen auf Basis des einmal gefaßten Konsenses umzusetzen.
• Die angestrebten (ökologischen) Qualitätsstandards müssen den regionalen Bedingungen entsprechen. Sonst sieht man sich mit diesem Großprojekt der Landschaftsentwicklung plötzlich dem Widerstand aus den vermeintlich eigenen Reihen gegenüber: Die Anforderungen an die Gewässerrevitalisierung sind für den ländlichen Raum geschrieben: ausnahmslose Durchgängigkeit des Gewässers, intakte Aue mit Kontakt zum Grundwasser etc. So können sinnvolle Projekte in einer Region verhindert werden, wo immer Straßen, ja Industriegelände mit Verrohrungsstrecken unterquert werden müssen, Bäche teilweise im Gegengefälle gepumpt werden, die Einmündung in den übergeordneten Fluß per Düker erfolgt, Verrohrungsstrecken in der Stadt als Kastenprofil geöffnet werden. Von den projektierten 400 Kilometern Gewässerumgestaltung sind bisher 50 km Abwasserkanäle und parallel dazu circa 13 km Reinwasserbach gebaut.
3. Neue Wege für das Regenwasser
Die neuen Gewässer sind bei Hochwasser hydraulisch überlastet und haben durch Mischwasserabschläge Probleme mit der Wassergüte. Bei Trockenwetter dagegen fehlt das Wasser, so daß vielfach Abflüsse von weniger als 2 l/s entstehen; damit ist ein Bach kaum noch als solcher erlebbar. Schuld daran ist die flächendeckende schnelle Ableitung des Regenwassers im besiedelten Bereich; nebenbei sind auch noch die Kanalisation und Kläranlagen für diese großen Wassermengen auszulegen.

Die Lösung für dieses Problem ist die Rückführung des Regenwassers in kleine lokale Kreisläufe durch Rückhaltung, Versickerung, gedrosselte Ableitung in ein Gewässer. Dies wies zu Beginn der IBA eine Studie nach, die neben der ökologischen auch die ökonomische Perspektive einbezog. Diese neuen Wege des Regenwassers sind für die IBA Programm geworden und haben durch Wasserrinnen, -becken bzw. Brunnen viele Projekte mitgestaltet. In knapp dreißig diesbezüglich ausgewerteten Neubau- und Bestandsprojekten sind so rund 140 ha befestigter Fläche von der Kanalisation abgekoppelt worden (vgl. LONDONG, NOTHNAGEL, 1999). Überdies führt die Emschergenossenschaft seit 1994 jährlich einen Wettbewerb zur Förderung der Regenwasserabkoppelung, der sich ausschließlich auf bestehende Siedlungsgebiete bezieht, mit wachsendem Erfolg durch.

Beispiel Gewässer: Deininghauser Bach

Der Deininghauser Bach in Castrop-Rauxel wurde in den 20er, 30er Jahren nach Süden verlegt und als offener Abwasserkanal ausgebaut; der Quellbereich war mit der Halde Schwerin überschüttet worden.
In seinem Oberlauf ist der Deininghauser Bach seit 1996 auf 9 km Länge umgestaltet und bildet nun das Rückgrat eines herausragenden Stücks „neuer Landschaft“ im Regionalen Grünzug F. Die für den östlichen Emscherraum typische Mixtur von landwirtschaftlicher Kulturlandschaft und Relikten des Bergbaus ist hier mit dem Ensemble künstlerisch gestaltete Halde Schwerin, Hammerkopfturm mit keltischem Baumkreis und dem landschaftlich gestalteten Gewässer besonders gut zu erleben.

Der Mittel- und Unterlauf des Deininghauser Baches wird als Stadtgewässer durch den Ortskern Castrop-Rauxels direkt am Hauptbahnhof vorbeiführen. Hier sollen große, derzeit verrohrte Teilabschnitte offengelegt und damit das Gewässer in seiner Gesamtheit erlebbar werden. Die weitere Realisierung des Gewässerumbaus verzögert sich wegen ungelös-ter Altlastenprobleme im Einzugsbereich.

Beispiel Regenwasserfluß: Alte Emscher im Landschaftspark Duisburg Nord

Der Landschaftpark Duisburg Nord – ein mittlerweile in der Fachwelt gut bekanntes herausragendes Beispiel für einen industriell geprägten Park – wird auf circa drei Kilometern von der Alten Emscher durchflossen. Diese ehemalige Mündungsstrecke ist durch Bergsenkungen abgesackt und seit 1914 vom Emscher-Hauptlauf getrennt, seitdem transportierte sie fast ausschließlich Abwasser zur Kläranlage. Im Zusammenhang mit der Parkgestaltung entsteht auf der Trasse des offenen Abwasserkanals ein Gewässer neuen Typs: zu fast 100 % von Regenwasser gespeist, mehr stehend als fließend, in einem künstlich gestalteten Bett. Das Abwasser wird in einem unterirdischen Rohr abgeführt. Das Gewässerbett wird aus seiner extremen Tieflage angehoben und mit Ton gedichtet. Im Verlauf der Trasse wird eine Folge unterschiedlich gestalteter Gewässerabschnitte gebaut, vom mäandrierenden „Zitat“ der historischen Emscher im landwirtschaftlich geprägten Parkbereich bis zum 14 m breiten „Klarwasserkanal“ am ehemaligen Hüttenwerk. Das Wasser wird auf insgesamt 152.000 m² versiegelter Fläche gesammelt und dem Gewässer in freiem Gefälle und weitgehend offenen Rinnen zugeleitet. Großräumige Speicher in Anlagenteilen des ehemaligen Hüttenwerkes, spektakuläre Umwälzsysteme und Wasserspeier komplettieren die Wege des Regenwassers.

In der Diskussion mit den Wasserbehörden wurde die Frage nach der ökologischen Qualität dieses künstlichen Gewässers laut. Gemeint war die Biotopfunktion von Gewässerbett und -aue, Maßstab das naturnahe Gewässer. Die Antwort kann hier nur sein, daß der neue Umgang mit dem Regenwasser eine Vielzahl ökologisch sinnvoller Wirkungen hat und angesichts der völlig denaturierten Boden- und Wassersituation im Park eine hervorragende Lösung gestaltet wurde, Wasser erlebbar zu machen – oder soll man sagen das „Biotop für den Menschen“. Und nebenbei: In den verschiedenen Tief- und Flachwasserbereichen, Ufer- und Sumpfzonen, Kies- und Sandbänken und temporär feuchten Zonen bleibt noch sehr viel Raum für das, was wir „Natur“ nennen.

Fazit

Die Wege des Wassers zu renaturieren heißt auch, das Wasser zu den Menschen zu bringen. Gerade in den Ballungsräumen kann es nicht sein, daß enggefaßte Ansprüche an ökologische Qualität, Projekte, die aus völlig denaturierten Verhältnissen heraus entstehen, verhindern. Ökologie umfaßt vielmehr neben dem traditionellen Naturschutzgedanken auch, natürliche Prozesse für Menschen erlebbar zu machen und mit den Naturgütern nachhaltig umzugehen.

Das bedeutet für das Wasser insbesondere, den Netzzusammenhang zwischen lokalen Kreisläufen und regionalen Zusammenhängen, vor allem in den Flußgebieten, herzustellen. Das beginnt bei der Regenwassersammlung, -versickerung und -ableitung und geht über die Nebengewässer oder neu zu gestaltende Fließwege hin zu den großen Flüssen. In jedem Einzelfall ist um die angemessene gestalterische Lösung zu ringen und die technischen Kunstgriffe wie gedichtete Gewässerbetten, pumpenbetriebene Kreisläufe, Verrohrungsstrecken etc. können ihren Platz haben. Immer jedoch soll die Ästhetik Vermittlerin zwischen technischen Systemen und natürlichen Prozessen sein – sie soll die Geschichte erzählen vom Weg des Regentropfens, die schon fast in Vergessenheit geraten ist.

Die IBA Emscherpark hat zehn Jahre auch an solchen Projekten gearbeitet. In diesem Sommer werden im Finale die Ergebnisse präsentiert. Sie sind herzlich eingeladen, sich vor Ort Ihre Meinung zu bilden.

Literatur:
LONDONG, D., NOTHNAGEL, A. (Hg.) (1999): Bauen mit dem Regenwasser – Aus der Praxis von Projekten (erscheint im April im Oldenbourg-Verlag).

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