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Wahr­zei­chen in neu­em Ge­wand
Der Standard

Über die Res­tau­rie­rung des Cas­til­lo de Ma­tre­ra zeig­ten sich Kul­tur­er­be-Schüt­zer und An­woh­ner emp­ört. Nun er­hielt der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Car­los Que­ve­do Ro­jas da­für den re­nom­mier­ten Ar­chi­ti­zer-A+-Pu­bli­kums­preis.

25. Juni 2016 - Jan Ma­rot
Aus der Fer­ne wirkt er wie ein Flak­turm. Noch ab­schre­cken­der, als ihn sein Er­bau­er, Umar ibn Haf­sun, im Sinn hat­te, der im spä­ten 9. Jahr­hun­dert ei­nen blu­ti­gen Auf­stand ge­gen die ara­bi­sche Um­ay­ya­den-Dy­nas­tie in Al-An­da­lus führ­te. Der Gu­ar­di­an nann­te den „neo­bru­ta­lis­tisch“ re­no­vier­ten Turm des Cas­til­lo de Ma­tre­ra bei Vil­la­mar­tín (Cá­diz) gar ei­nen „Fran­kens­tein-Bun­ker“.

„Doch Be­ton war nicht mit im Spiel, selbst wenn so man­ches Me­di­um das ver­brei­te­te“, ver­si­chert der­je­ni­ge, der für ei­ne der um­strit­tens­ten Re­no­vie­run­gen Spa­niens der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te ver­ant­wort­lich zeich­net: Car­los Que­ve­do Ro­jas von Car­que­ro Ar­qui­tec­tu­ra aus Cá­diz. Mit sei­ner ge­wag­ten Re­no­vie­rung goss er Öl in den bren­nen­den Pa­ra­dig­mens­treit zwi­schen Tra­di­tio­na­lis­ten und Mo­der­nis­ten. Zu­dem liegt es schwer im Trend, bei Rui­nen feh­len­de Mau­er­stü­cke weiß aus­zu­fül­len: „Nun er­strahlt der mau­risch-christ­li­che Fes­tungs­turm dank Weiß­kalk-Mör­tel­mas­se wie­der in ei­nem Farb­ton, der ähn­lich dem ur­sprüng­li­chen ist“, sagt Que­ve­do Ro­jas. „Hier­für hat man Pro­ben der Ori­gi­nal­ver­klei­dung ana­ly­siert.“ Die Struk­tur des Mau­er­werks hat man da­bei nicht mit Ze­ment, son­dern mit ori­gi­na­len Kalk­stein­bro­cken auf­ge­füllt.

Ge­schütz­tes Kul­tur­er­be

So thront das Cas­til­lo de Ma­tre­ra er­ha­be­ner denn je, aber wie seit über tau­send Jah­ren auf 523 Me­ter Hö­he auf dem Mon­te Pa­ra­je­te. Das Wahr­zei­chen des Land­strichs ist seit 1985 staat­lich ge­schütz­tes Kul­tur­er­be so­wie Na­tio­nal­mo­nu­ment seit 1949 – und da­mit für Ar­chi­tek­ten heik­les Ter­rain.

Einst war es Teil der ty­pi­schen Grenz­be­fes­ti­gun­gen aus der ara­bi­schen Epo­che und auch zur Zeit der ein­set­zen­den Rück­er­obe­rung durch die christ­li­chen Hee­re im hü­ge­li­gen, dank Stein- und Kor­kei­chen grü­nen West­an­da­lu­sien. Der Ur­sprung der Grenz­be­fes­ti­gun­gen wird auf das 9. Jahr­hun­dert da­tiert. Doch zeugt hier­von le­dig­lich die Ba­sis, be­tont Que­ve­do Ro­jas. Der Haupt­teil wur­de nach der er­sten christ­li­chen Er­obe­rung um 1252 bis 1256 durch Fer­di­nand III., „El San­to“, den Hei­li­gen von Kas­ti­lien, er­rich­tet. So­wie nach neu­er­li­chem mau­ri­schem In­ter­mez­zo un­ter des­sen Nach­fol­ger Al­fon­so XI., dem Rä­cher, der das Boll­werk dem Ca­la­tra­va-Or­den über­ant­wort­ete. Der es noch­mals auf­sto­cken ließ, da­mit es im spä­ten 15. Jahr­hun­dert der wie­der­hol­ten Be­la­ge­rung durch das Nas­ri­den-Kö­nig­reich Gra­na­das stand­hielt.

„Ich füh­le mich mit der Ma­tre­ra-Fes­tung ver­bun­den“, sagt der Ar­chi­tekt. Kein Wun­der, denn er wur­de 1980 im Nach­bar­dorf Pra­do del Rey ge­bo­ren. So war das Are­al sein Spiel­platz, als er ein Bub war. Heu­te ist er ein auf Re­no­vie­rung von Kul­tur­er­be spe­zi­a­li­sier­ter Ar­chi­tekt, der in Se­vil­la, Gra­na­da und Ve­ne­dig stu­dier­te. Und in Rom an der La-Sa­pien­za-Uni­ver­si­tät für drei Jah­re Post­doc-Sti­pen­di­at war. Ei­ne Pha­se, die ihn be­ruf­lich ge­prägt stark hat.

Que­ve­do Ro­jas tüf­tel­te seit 2011 an der In­stands­et­zung der Burg­rui­ne. Da­mals be­auf­trag­te man ihn sei­tens der Re­gio­nal­re­gie­rung mit ei­ner er­sten De­tail­stu­die zum Sta­tus quo – kur­zum „schwers­te struk­tu­rel­le Schä­den“. Zu al­lem Über­fluss war der Turm im April 2013, wäh­rend auf die Bau­ge­neh­mi­gung ge­war­tet wur­de, in wei­ten Tei­len ein­ge­stürzt. „Die nörd­li­che Fes­tungs­mau­er und das Kreuz­ge­wöl­be bra­chen in sich zu­sam­men.“ Was blieb, wa­ren zwei Mau­ern mit ei­ner Di­cke von knapp drei Me­tern. Für Que­ve­do Ro­jas hieß das: zu­rück an den Zei­chen­tisch, ehe das Pro­jekt im De­zem­ber 2015 in sei­ne Fer­tigs­tel­lung mün­de­te.

Die da­rauf­fol­gen­de Po­le­mik über den, wie Que­ve­do Ro­jas meint, „sim­plen, mi­ni­ma­lis­ti­schen Ein­griff“ in den Fes­tungs­turm schmerz­te ihn. Kon­kret, als man Pa­ral­le­len zu ei­nem Ec­ce-Ho­mo-Fres­ko und des­sen Res­tau­rie­rung in Bor­ja zog, die 2012 ei­ne glo­ba­le Lach­num­mer lie­fer­te. Als Ma­tre­ra über So­zi­al­netz­wer­ke ge­teilt wur­de, wur­de auch Que­ve­do Ro­jas mit An­ru­fen und An­fra­gen bom­bar­diert. „Es wa­ren Mei­nun­gen, die sich um die Äs­the­tik dreh­ten, die ich al­les­amt re­spek­tie­re. Auch kons­truk­ti­ve Kri­tik kam im Rah­men der Kon­tro­ver­se auf“, sagt Que­ve­do Ro­jas dank­bar. Ab­seits der me­dia­len De­bat­te er­hielt er auch „Rü­cken­de­ckung von Kol­le­gen, His­to­ri­kern und Ar­chäo­lo­gen welt­weit“.

Un­ter die Gür­tel­li­nie al­ler­dings schlu­gen nicht nur die Kreuz­rit­ter zum Schutz des Kul­tur­er­bes vom Ver­ein Hi­spa­nia Nos­tra. Vi­ze­prä­si­dent Car­los Mo­re­nés sprach ge­gen­über der Ta­ges­zei­tung ABC von „ei­ner de­men­ten Re­no­vie­rung, die das Er­be per­ver­tiert“. Die Ma­tre­ra-Fes­tung sei „ein wei­ßes Mons­ter“. Der Ar­chi­tekt hät­te sich in Be­schei­den­heit üben müs­sen und nicht aus pu­rer Ei­tel­keit sei­nen Fin­ger­ab­druck ins Pa­no­ra­ma set­zen sol­len. Aber die Ar­bei­ten sei­en nun ir­re­ver­si­bel: „Im Aus­land lacht man wie­der über uns. Man hält uns wie­der für Bar­ba­ren.“

Amü­san­ter Zu­fall

„Viel Spiel­raum hat­te ich nicht“, er­zählt Que­ve­do Ro­jas. Sei­ne In­ter­ven­ti­on fo­kus­sier­te sich auf Fol­gen­des: „Sta­bi­li­tät zu ge­ben mit­tels ei­ner Ver­scha­lung und Stre­be­pfei­lern.“ Um da­durch das ur­sprüng­li­che Vo­lu­men des Turms wie­der­herz­us­tel­len. Was eben­so es­sen­ziell war wie die Mas­se der ge­gen­über­lie­gen­den Wän­de, um der Struk­tur nö­ti­gen Halt zu ge­ben. Da­bei folg­te der Ar­chi­tekt, wie er es in Rom ge­lernt hat­te, der Kri­ti­schen Schu­le der Res­tau­rie­rung, die in Ita­li­en um Ce­sa­re Bran­di (1906–1988) ih­re Wur­zeln hat. Wie das an­da­lu­si­sche Ge­setz zum Kul­tur­er­be fest­schreibt, muss er­sicht­lich sein, was Ori­gi­nals­truk­tur war und ist – und wel­che Tei­le in­stand ge­setzt wur­den. „Mi­me­ti­sche Re­no­vie­run­gen sind schlicht­weg ein Ta­bu“, sagt Que­ve­do Ro­jas. Zu­dem war ein fä­cher­über­grei­fen­des Te­am von Kunst­his­to­ri­kern bis hin zu Kul­tur­er­be-Ex­per­ten im Ein­satz: „Aber als Ar­chi­tekt trägt man die Ver­ant­wor­tung und hat das letz­te Wort. Stürzt der Turm ein, ist es mei­ne Schuld“, weiß er.

Als ku­rio­ses De­tail des Turms ziert ihn zu­oberst ein Mau­er­ele­ment, das in sei­ner Form der Land­kar­te An­da­lu­siens sehr na­he­kommt. Da­rauf an­ge­spro­chen sagt Que­ve­do Ro­jas, dass je­ner Teil ori­gi­nal ist, wie auch Fo­tos vor der Res­tau­rie­rung zei­gen: „Ein amü­san­ter Zu­fall, dass eben­je­ne Form er­hal­ten blieb.“ Das Plus an Mas­se ist zu­dem es­sen­ziell, um die ein­ge­stürz­te Nord­wand, de­ren In­nen­sei­te üb­ri­gens Fres­ken zie­ren, zu tra­gen.

Dass er im Früh­jahr mit dem Ar­chi­ti­zer-A+-Pu­bli­kums­preis ei­ne der re­nom­mier­tes­ten Bran­chen­wür­di­gun­gen er­hielt, straft sei­ne Kri­ti­ker. Que­ve­do Ro­jas emp­fin­det die­se Lor­bee­ren durch­aus als aus­glei­chen­de Ge­rech­tig­keit: „Das Pro­jekt ist ri­go­ros ge­plant und um­ge­setzt wor­den“, sagt er – sei­tens sei­nes Bü­ros, der Bau­fir­men, aber auch der pri­va­ten Be­sit­zer des Ma­tre­ra-Fes­tungs­are­als. Letz­te­res ga­ran­tier­te, dass die Cau­sa – Um­welt­ver­träg­lich­keits­prü­fung we­gen ei­ner Zu­fahrtss­tra­ße in­klu­si­ve – kein Po­li­ti­kum wur­de.

Sei­ne Ex­per­ti­se in eben­je­ner Ni­sche er­laub­te es sei­nem Bü­ro, das er 2005 ge­grün­det hat und das frei­lich auch Neu­bau­ten um­setzt, die Kri­sen­jah­re trotz Auf­trags­ein­bu­ßen zu über­ste­hen. Auch wenn man in Zei­ten der staat­li­chen Bud­get­knap­pheit den Er­halt von Kul­tur­er­be in Spa­nien, wie üb­ri­gens in Grie­chen­land und Ita­li­en auch, sträf­lich ver­nach­läs­sig­te. Es war Que­ve­do Ro­jas, der un­ter an­de­rem mit der In­stands­et­zung der Stadt­mau­ern im Al­bai­cín Gra­na­das oder des Cas­til­lo de Tor­re­pa­re­do­nes (Bae­na, Cór­do­ba) be­auf­tragt wur­de. In Kür­ze wird auch das Cas­til­lo de Mo­rel­la (Cas­tel­lón) un­ter sei­ner Ägi­de res­tau­riert wer­den.

Lang­sam, aber si­cher wür­den sich auch die emp­ör­ten Be­woh­ner von Vil­la­mar­tín mit ih­rem Wahr­zei­chen im neu­en Ge­wand an­freun­den, ist Que­ve­do Ro­jas über­zeugt: „Nos­tal­gi­ker ha­ben na­tür­lich nach wie vor das Pa­no­ra­ma der ver­fal­len­den Rui­ne ver­in­ner­licht.“ Auf der an­de­ren Sei­te ver­ir­ren sich nun mehr Ar­chi­tek­tu­rin­te­res­sier­te in das ver­schlaf­ene Dorf. Da­von pro­fi­tie­ren al­le.

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