Artikel

Design, öffne dich!
Spectrum

In den 1920er-Jahren versuchte die Wiener Siedlerbewegung, durch Genossenschaften der Wohnraumnot der Wiener beizukommen; heute heißt die Lösung „WikiHouse“: ein offenes Bausystem für Holzhäuser. Wie durch offene Architektur gesellschaftliche Probleme zu bewältigen sind.

23. Juli 2016 - Harald Gründl
Positiver gesellschaftlicher Wandel braucht technologische und soziale Innovation. Das Teilen von Wissen und die gemeinschaftliche Weiterentwicklung des Wissens sind in der digitalen Moderne zu einer transformativen Kraft geworden. Offenheit ist die Grundhaltung dieser Bewegung und widerspricht in vieler Hinsicht unserem Überlebensschema in einer von Konkurrenz, Verdrängung und Neid geprägten Leistungsgesellschaft. Wissen ist heute ein Wettbewerbsvorteil, der geschützt und bei unerlaubter Nutzung mit hohen Schadenersatzforderungen eingeklagt wird. Dass Design und Architektur auch anders funktionieren können, belegt beispielsweise die Idee des heutigen österreichischen Museums für Angewandte Kunst/Gegenwartskunst, als es vor rund 150 Jahren als k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie gegründet wurde. Aus heutiger Sicht könnte die Institution, in der angewandte Künstler eine Vorlagensammlung, eine Bibliothek und zahlreiche inspirierende Objekte vorfanden, die sie in Teilen oder als Ganzes entweder kopieren oder verändern konnten, als eine historische Referenz gesehen werden, die auf dem Selbstverständnis der Offenheit von kreativem Schaffen basiert.

Doch die Allmenden (Gemeingüter) der angewandten Kunst befinden sich nicht mehr in den öffentlichen Design- und Architekturmuseen. Sie haben sich dezentralisiert und werden von vielen in ehrenamtlicher Arbeit getragenen gemeinnützigen Vereinen organisiert. In der Publikation „ABC der Offenheit“, herausgegeben vom Verlag Neue Arbeit, sind die Grundpfeiler der alternativen Wissensorganisationen, die sich der Offenheit verschrieben haben, formuliert: „Offen heißt, dass jede Person für jeglichen Zweck auf Werke frei zugreifen, sie nützen, modifizieren und teilen darf (und das ohne Bedingungen, außer höchstens, dass Offenheit und Quellenangaben erhalten bleiben).“

Das seit 2009 stattfindende Festival „ViennaOpen“ hält diese Grundsätze hoch und hat schon zahlreiche Akteure einer zukünftigen offenen Gesellschaft vorgestellt und in Labs und Workshops praktische Erfahrungen mit dem kreativwirtschaftlichen Paradigmenwechsel gesammelt. Ein Pilotprojekt, das die Idee der offenen Architektur vorantreibt, ist das WikiHouse, welches heuer im Rahmen des Festivals auf der Maker Faire Vienna vorgestellt wurde. Das WikiHouse ist ein offenes Bausystem für Holzhäuser, dessen Pläne frei nutzbar sind. Über die Webplattform der WikiHouse Foundation erhält man Zugang zu den digitalen Plänen. Das Konstruktionsprinzip ist vergleichbar mit einem 3-D-Puzzle. Aus 18 Millimeter starkem Sperrholz- oder OSB-Plattenmaterial fräst eine CNC-Maschine einige Hundert Einzelteile, die dann zuerst zu einem Holzskelett zusammengefügt werden. Dieses wird anschließend mit Platten verkleidet. Die konstruktiven Trägerelemente sind ebenso wie der Wandaufbau als Hohlkörper ausgebildet. Durch die CNC-Fertigung wird eine hohe Genauigkeit der komplexen Teile gewährleistet, und so kann auch eine größere Gebäudestruktur ohne Nacharbeiten vor Ort mit untrainierten Freiwilligen aufgebaut werden. 2015 war schon ein 35 Quadratmeter kleines Häuschen am Karlsplatz von der lokalen WikiHouse Community errichtet worden. 85 Euro kostete die Lohnfertigung pro Platte (2,5 Meter mal 1,25 Meter) inklusive Programmierleistung und Fräszeit. 110 Platten wurden für die Fertigung der komplexen Einzelteile benötigt. Vier Personen bauten das Haus in vier Tagen auf. An einem Modell im Maßstab 1:10 des Hauses als lasergeschnittenem Kartonpuzzle lernte das Aufbauteam spielerisch die Fertigungsschritte. Die Grundprinzipien des WikiHouse sind einfach und überzeugend: nicht das Rad neu erfinden, sondern etwas nehmen, das funktioniert. Kopieren, adaptieren, Urheber nennen und das Ergebnis wieder teilen. Einfache, standardisierte Materialen verwenden, die überall verfügbar, aber auch kreislauffähig und nachhaltig sind. Adaptierungen für den eigenen Kontext vornehmen und das Ergebnis wieder teilen. Zeit, Kosten, Fähigkeiten, Energie und Ressourcen, Zusammenbau und Verwendung sollten niederschwellig sein. Wissen sollte immer frei zugänglich sein, professionelle Arbeit aber bezahlt werden.

Offene Architektur ist mehr, als einen digitalen Bauplan ins Netz zu stellen. Denn ein Bauplan, den niemand findet, nützt auch niemandem. Dazu braucht es entsprechende Onlineplattformen. Offenes Design entsteht aber erst, wenn es von einer Interessensgemeinschaft weiterentwickelt, verändert, angepasst und dann für alle wieder verfügbar gemacht wird, und wenn der Innovationsprozess offen ist. Dabei sind die Nachvollziehbarkeit der Innovationsschritte und Anpassungen sowie eine gute Dokumentation der Begleitumstände unerlässlich. Für die digitale Plattform der WikiHouse Foundation ist das eine große Herausforderung. Wenn hunderte Nutzerinnen und Nutzer Zugang zu einem gemeinsamen Speicherort haben, dann entsteht schnell eine unübersichtliche Situation, in der die zahlreichen Innovationsschritte nur mehr schwer nachvollziehbar sind. Daran wird gerade gearbeitet – eine neue Version der Plattform wird bald verfügbar gemacht. Ein eigener Community Manager kümmert sich um die zahlreichen Beiträge und die lokalen Interessensgruppen, welche die Entwicklung des WikiHouse vorantreiben.

Die Wiener Siedlerbewegung der 1920er-Jahre versuchte durch Genossenschaftsgründung, Selbstbau und Selbstversorgung der Wohnraum- und Versorgungsnot im Nachkriegswien eine Alternative zu schaffen. Offene Architektur im Sinne des WikiHouse und eine solidarische Lebensweise könnten bei den heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen eine ebenso wertvolle Alternative zu Markt und Staat oder Gemeinde sein. Die Software des Hausprojekts hat derzeit die Versionsnummer 4, die CNC-Fräsmaschinen sind ebenfalls schon als offene Baupläne erhältlich. So demokratisiert sich auch die Hightech-Herstellungstechnologie. Jetzt kommt es auf die gesellschaftliche Innovationsbereitschaft an. Ob die Parole des damaligen Direktors des Siedlungsamts, Adolf Loos, noch zeitgemäß ist, bleibt ebenfalls zu diskutieren: „Große Architekten für kleine Häuser!“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: