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Ein Wald auf der vierten Etage
Neue Zürcher Zeitung

Zeitgenössische Landschaftsarchitektur in den Niederlanden

22. April 1999 - Roman Hollenstein
Geht es um die Künstlichkeit der Landschaft, so kommt den Niederlanden weltweit der erste Platz zu. Auf dem Land, das dem Meer abgetrotzt oder durch Trockenlegung von Sümpfen gewonnenen wurde, sind selbst die Wälder von Menschenhand gemacht. Kanäle, Schleusen, Autobahnen, Alleen und Bahntrassees überziehen wie ein Raster den Boden, auf dem sich die «Randstad Holland» mit atemberaubendem Tempo ausdehnt: Zwischen Amsterdam und Rotterdam verschwinden wohl bald die letzten Tulpen- und Narzissenfelder, die in diesen Tagen mit ihrem Rot und Gelb betörende Akzente in die Landschaft setzen. Sie werden verdrängt von neuentstehenden Wohnsiedlungen und Bürohäusern, die nicht wie bei uns dicht an dicht gebaut, sondern ganz à l'américaine eingebettet sind in Grünanlagen mit breiten Parkways, grosszügigen Veloabstellplätzen und Biotopen. Wird hierzulande meist nur primitive Restraumbegrünung gepflegt, so sind in der Randstad ganze Heerscharen von Landschaftsgestaltern am Werk. Diese kreieren nicht immer Meisterwerke. Gleichwohl sind ihre Arbeiten oft besser als die Architektur, die sie umgeben. Und manchmal entdeckt man sogar Wegweisendes: etwa die heiss diskutierten Anlagen von West 8.

Aber nicht nur auf der grünen Wiese plant das Rotterdamer Büro West 8. Von ihm stammt auch der 1997 fertiggestellte Schouwburgplein, ein hochartifizieller «Stadtpark» im Herzen der Metropole an der Maas. Rotterdam ist nämlich gleichermassen die Hochburg der neuen holländischen Architektur und der Landschaftsgestaltung. Hier entsteht im Viertel Kop van Zuid eine ganze Stadtlandschaft, und hier realisierte der frühverstorbene Yves Brunier zusammen mit OMA den Rotterdamer Museumspark. An dieser grossartigsten Parkanlage der neunziger Jahre, die schon jetzt zu den Hauptwerken der abendländischen Gartenarchitektur gezählt werden darf, erhebt sich ausser der Kunsthal von Rem Koolhaas auch das Nederlands Architectuurinstituut (NAI), das Jo Coenen aus einem künstlichen Teich wachsen liess. Gegenwärtig gilt die Aufmerksamkeit dieses Museums der Landschaftsgestaltung. Schon die riesigen Siebdrucke auf den Fassaden deuten das Thema an. Allerdings sind darauf keine holländischen Landschaften dargestellt. Vielmehr verweisen die Bilder auf die im Rahmen der «IBA Emscher Park» in den letzten zehn Jahren durchgeführte ökologische, wirtschaftliche und soziale Umgestaltung des nördlichen Ruhrgebiets.

Die am 2. Juli in einem Symposium kulminierende Open-air-Schau ist Teil des noch bis ins Jahr 2001 dauernden Langzeitprojekts «Das Layout der Niederlande». In diesem Kontext werden in den nächsten acht Monaten in der Eingangshalle zehn junge Landschaftsarchitekturbüros vorgestellt. Auftakt zu der «9+1» betitelten Ausstellung machen die beiden Büros Vista und Atelier DS, die wie die nachfolgenden Teilnehmer – Diekman, Eker & Schaap, Juurlink en Geluk, Kaap 3, Parklaan, Studio I.S., Veenenbos en Bosch und West 8 – ihr Schaffen in selbstinszenierten Kojen präsentieren. Vom Büro Vista, zu dem sich vor fünf Jahren Sjef Jansen und Rik de Visser zusammenschlossen, sind bis zum 13. Juni Restrukturierungsprojekte sowie Entwürfe für Delft und Hilversum zu sehen. Das 1993 von Bruno Doedens und Maike van Stiphout gegründete Atelier DS, das mit seinen siegreichen Berliner Parkentwürfen internationale Anerkennung gefunden hat, versucht hingegen Antworten auf unser immer schneller pulsierendes Leben zu geben. Seine Arbeiten am Potsdamer Platz und in Scheveningen veranschaulichen das Streben nach klar und einfach strukturierten Umgebungen, in denen der Mensch wieder zu sich selbst finden soll. Nach der Eröffnung der letzten der fünf Doppelausstellungen soll am 25. November die Entwicklung der niederländischen Landschaftsarchitektur auf einer Tagung diskutiert und anschliessend in Buchform publiziert werden.

Aufsehenerregendes Highlight des gegenwärtigen Ausstellungsangebots im NAI, das unter anderem auch Herman Hertzbergers «Artikulationen» und eine Übersicht über «Zwei Jahrhunderte Architektur in den Niederlanden» umfasst, ist die ausser Programm noch bis zum 5. Mai zu sehende Präsentation des holländischen Ausstellungspavillons für die Expo 2000 in Hannover. Der von Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, den sich kurz MVRDV nennenden Trendsettern der Rotterdamer Nachwuchsszene konzipierte Pavillon stapelt auf den sechs Ebenen einer 40 Meter hohen, offenen Architektur auf provokative Weise die holländische Landschaft. Das in seiner absoluten Künstlichkeit an eine Raumstation erinnernde Projekt ist die ebenso bizarre wie poetische Zukunftsvision einer urbanen und landschaftlichen Verdichtung und damit gleichsam die Formwerdung der beiden bereits zu Kultbüchern avancierten Schriften von MVRDV: «Farmax» und «Metacity Datatown».

Dem sich vordergründig ökologisch gebenden Pavillon mit seiner auf Hollands ungebrochenen Glauben an die Machbarkeit anspielenden Auftürmung des immer rarer werdenden Landes eignet eine Ironie, wie man sie letztmals in den Entwürfen von Archigram gesehen hat. Zuoberst säumen sechs Windmühlen eine Teichlandschaft. Von dieser fallen Wasservorhänge über das darunterliegende Geschoss, in dem sich ein Theater befindet. Auf der vierten Etage können die Besucher einen Wald durchstreifen und anschliessend das Reich der Wurzeln erkunden. Das Labyrinth aus kubischen Blumengittern im zweiten Stock lässt sich als skulpturale Anspielung auf die streng ausgerichteten Tulpenfelder, die Dünenlandschaft im ersten Geschoss hingegen als Hinweis auf die ungezähmte Natur interpretieren. Restaurant, Informationsbereich und Sanitäranlagen schliesslich sind im abgesenkten Erdgeschoss untergebracht. Mit diesem futuristischen Architekturspektakel dürfte Holland auf der Expo den Gegenpol zu Zumthors kontemplativem Schweizer Pavillon markieren und so einmal mehr beweisen, mit welcher Frechheit und Innovationslust seine Architekten und Landschaftsplaner den internationalen Diskurs mitbestimmen.

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