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Inszenierung des Ruhrgebiets
Neue Zürcher Zeitung

Das Finale der Internationalen Bauausstellung Emscherpark

Die «Internationale Bauausstellung Emscherpark» hat zehn Jahre lang den sozialen und ökonomischen Strukturwandel im Ruhrgebiet begleitet: urbanistische, architektonische, ökologische und kulturelle Initiativen wurden angeregt und gefördert, um aus einer alten Industrielandschaft eine neue Kulturlandschaft entstehen zu lassen. Ein viermonatiges «Finale» zieht jetzt Bilanz.

27. April 1999 - Heribert Seifert
Am Anfang stand der Zwang zur Nothilfe für eine geschundene Region, am Ende steht der Stolz, an der Verwirklichung einer Vision gearbeitet zu haben: Das gerade eröffnete Finale der «Internationalen Bauausstellung Emscherpark» führt vier Monate lang in einer grossangelegten Inszenierung das Ruhrgebiet, eine der Kernzonen der alten Industrialisierung, als einen Themenpark der Architektur und des Städtebaus, der Landschaftsgestaltung und der neuen Siedlungsprojekte, der Kunst und der regionalen Geschichte vor. Ausgerechnet eine Region, die in der Vergangenheit wie keine zweite in Deutschland ganz den Verwertungsimperativen der Kohle- und Stahlindustrie unterworfen war und nach deren Niedergang nur noch als soziale und ökologische Altlast galt, präsentiert sich zum Abschluss der vor zehn Jahren begonnenen IBA Emscherpark als Modell für eine Zukunft, in der eine ganz neue Versöhnung alter Widersprüche sich ereignet: Das IBA-Finale verspricht ein Gesamtkunstwerk, in dem die Natur in die Industriebrachen zurückkehrt, Kultur die aufgegebenen Maschinenhäuser, Gasometer und Kraftwerke in Besitz nimmt und in dem ein ganz neuer Blick auf urbanes Leben eingeübt werden kann. Es ist monatelanges Kulturfest und «Leistungsschau» zugleich.


Biotope für Kultur und Natur

Vier Ausstellungen und vier unterschiedliche Reiserouten, für die es touristische Arrangements gibt, sollen dem Besucher helfen, sich wenigstens mit einem Teil der insgesamt 120 IBA-Projekte in der rund 800 Quadratkilometer grossen Emscherzone zwischen Duisburg und Hamm vertraut zu machen. Die zum Auftakt am 23. April eröffnete Photoausstellung «Das Finale» in der Kraftzentrale des stillgelegten Thyssen-Hüttenwerks in Duisburg-Meiderich erlaubt einen ersten Überblick über das, was mit insgesamt 5 Milliarden Mark (davon 3 Milliarden öffentliche Gelder) in den 17 beteiligten Städten erreicht wurde: Schon aussen erinnert der Photofries von Bernd und Hilla Becher an die Vielzahl der abgerissenen Hochöfen, Fördertürme oder Gasbehälter und macht bewusst, gegen welche «Furie des Verschwindens» ankämpfen musste, wer jene Zeugnisse einer heute schon vergangenen Industriekultur bewahren wollte. Die Photos im Innern, die die oft schon verschwundene Vergangenheit mit der Gegenwart konfrontieren, zeigen, wie die IBA sich dieses Bewahren vorstellte: Ein totgesagter Siedlungsstandort zwischen Zeche, Halde und Zechenbahn ist in Gelsenkirchen Schüngelberg vom Zürcher Architekten Rolf Keller zu einer neuen Gartenstadt gemacht worden. Oberhausens Gasometer ist heute Ausstellungsort. Hier soll am 30. April die zweite Final-Ausstellung, «The Wall» von Christo und Jeanne-Claude, eröffnet werden. Die weitläufige Anlage der ehemaligen Zeche Zollverein, die Unesco-Denkmal werden soll, beherbergt heute nicht nur das Design-Zentrum Nordrhein-Westfalen, sondern ist auch Schauplatz der Ausstellung «Sonne, Mond und Sterne», die ab dem 13. Mai die Geschichte des Umgangs mit der Energie zeigen wird.

Aber nicht nur Museen und bildende Künstler nutzen alte Industriebauten neu: Die ehemalige Gasgebläsehalle der Vereinigten Schmiedewerke in Bochum («Jahrhunderthalle») ist heute einer der attraktivsten Konzertsäle des Ruhrgebiets. Und schliesslich sieht man auf den Bildern mit Erstaunen, wie rasch und mit welchem Artenreichtum sich die Natur in den aufgelassenen Produktionsstandorten Biotope neu erobert, die mit bemerkenswerter Farbenpracht beeindrucken. Schon zeichnen sich die Konturen eines grossen Landschaftsparks ab, der einmal in 75 Kilometer Länge das nördliche Ruhrrevier als Erholungslandschaft auszeichnen soll.

Auf vielfältige Weise, auch das dokumentiert die Photoausstellung, haben Künstler auf Anregung der IBA in die Landschaft eingegriffen und «Landmarken» gesetzt. Dazu gehören Ulrich Rückriems Skulpturen im Wald der Zeche Zollverein und Richard Serras stählerne «Bramme» auf der Halde Schurenbach. Einen Überblick über die in Zusammenarbeit der Künstler mit Stadtplanern, Denkmalpflegern und Landschaftsgestaltern entstandene «Landmarken-Kunst» will unter diesem Titel eine am 1. Mai öffnende Ausstellung in Schloss Oberhausen geben.

Die ganze Fülle dessen, was durch die IBA angestossen worden ist, können aber weder die Ausstellungen noch die vier touristischen «Routen» zu «Industriekultur», «Industrienatur», «Landmarkenkunst» und «Architektur» erschliessen. Projekte zur Versorgung der Menschen mit unbelasteten Nahrungsmitteln, 16 Technologiezentren, die noch nicht abgeschlossene Renaturierung der Emscher, lange die Kloake des Reviers, der Ausbau eines umfassenden Radwegnetzes, die Anlage neuer Gewerbegebiete ohne weiteren Flächenverbrauch und in ästhetisch überzeugender Gestalt, die Erneuerung zahlreicher architektonisch bedeutsamer Bahnhofsgebäude, aber auch die intelligente Förderung einfachen Bauens, die Wohneigentum erschwinglich macht, gehören zu den bleibenden Ergebnissen der IBA. - So war es nicht verwunderlich, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement zur Final-Eröffnung kamen. Gerade für Sozialdemokraten ist es verführerisch, die IBA als Beispiel für gelungenen Strukturwandel darzustellen. Kultur erschien in ihren Reden als Medium, in dem die Grausamkeiten der ökonomischen und sozialen Transformation gemildert werden können.


Bruch mit den Traditionen

Karl Ganser, Geschäftsführer der IBA und enthusiastischer «Kommunikator» ihrer Idee, setzte dagegen auch am Jubeltag andere Akzente. Er betonte den Bruch mit den Traditionen einer Stadtplanung, die im Ruhrgebiet unter sozialdemokratischer Führung noch heute sichtbare Verheerungen hinterlassen hat. Die IBA hat vor allem gegen jenen Abriss-Futurismus gekämpft, der obsolete Industriebauten verschwinden lassen wollte, um Platz für Neubauten zu gewinnen. Mit gewollter Schlichtheit setzt Ganser diesem zerstörerischen Wahn des Machens seine beiden Mantras «Nichtstun» und «Umdeuten» entgegen. So sollen die fremd gewordenen einstigen Wahrzeichen des Industriezeitalters zu zentralen Orten und Räumen einer Kultur- und Freizeitgesellschaft werden. Die Maschinenhallen und Fördertürme, die Gasometer und Hochöfen sollen so im Ruhrrevier die Positionen einnehmen, die andernorts Schlösser und Kathedralen besetzen. Eine ästhetische Strategie des Blickwechsels verbindet sich mit dem ökologischen Konzept einer umfassenden Kreislaufwirtschaft der Flächen, der Gebäude und auch des Wassers, die die IBA exemplarisch ins Werk gesetzt und mit der Wiederentdeckung der Poesie einer Landschaft verbunden hat, die ihre Zukunft hinter sich zu haben schien. So könnte das Revier nicht nur «neue Heimat» für seine Bürger werden, sondern auch eine touristische Attraktion, in der Platz ist für Ruinen der Industriekultur und ihren romantischen Reiz. Noch liegen die IBA-Projekte freilich wie Inseln im Revier. Ihre Bewährungsprobe kommt erst, wenn das «Finale» beendet ist.


[Literatur: Katalog der Projekte. Hrsg. IBA Emscherpark. Gelsenkirchen 1999. DM 10.-. - Einen Überblick über die architektonischen, städtebaulichen, ökologischen und denkmalpflegerischen Konzepte der IBA gibt der Band: Industriekultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet. Hrsg. Andrea Höber und Karl Ganser. Klartext-Verlag, Essen 1999. DM 48.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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