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Alltagsgeschichten
Neue Zürcher Zeitung

Neues britisches Design in London

7. Mai 1999 - Jörn Ebner
Letztmals widmete sich das Londoner Institute of Contemporary Art (ICA) Fragen des Designs vor zehn Jahren. Wurde damals noch die Produktästhetik des Stuhls erörtert, ist die Thematik diesmal weiter gefasst: Design als Phänomen zeitgenössischer Geisteskultur. Im Zentrum stehen dabei jüngere Designer, die sich als Entwerfer und Kleinproduzenten zugleich verstehen. Die Ausstellung Stealing Beauty untersucht deren Position im kulturellen Diskurs. Die Designer bedienen sich Mitteln, die sonst in der Kunst gebraucht werden. Daraus resultiert eine Art Konzept-Design, das in überraschende Nischen dringt, anstatt auf die Industrie zu schielen.

Den 16 Designern und Gruppen ist - wie in einem Schrebergarten - je eine längliche Parzelle zugewiesen, worin sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren: Die Architektinnen von Muf zeigen eine Sitzbank aus Porzellan (für die englische Stadt Stoke in Anlehnung an deren bekannte Toilettenfabrik Armitage Shanks entwickelt). Fashion Architecture Taste (FAT), ebenfalls eine Gruppe von Architekten und Künstlern, schuf ein Ambiente aus Baumstämmen und Glühbirnen. Vertreten Muf eine soziale Praxis - sie untersuchen die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung, bevor sie ihre Arbeit angehen -, so stehen FAT, die etwa Londons kürzlich eröffneten Tanzpalast Scala einrichteten, aber auch Kunst im öffentlichen Raum organisieren, in einer Mittelposition. Etwas subkultureller verhalten sich die Lichtdesigner und Video Jockeys von Light Surgeons: Deren gerümpelhafte Installation aus Film- und Diaprojektoren zeigt, dass Spektakel für die blühende Tanzszene auch ohne High-Tech auskommen können. Design, Architektur und Kunst verschmelzen zu einem Dekor, das sich in einem Geflecht aus Alltagsgeschichte und Unterhaltung vom gängigen Konsumkreislauf lösen möchte.

Das käufliche Produkt kommt dennoch nicht zu kurz, allerdings mit ebenfalls starkem Bezug zum Alltäglichen. Die Geschwister Azumi sind mit multifunktionalen Möbeln vertreten: ein Hocker aus Einkaufswagendraht mutiert, an die Wand montiert, zum Regal. Jenseits solch eleganter Gegenstände forciert die Schau eine Abkehr vom ästhetisch Gepflegten. Wo eine ältere Generation britischer Designer wie Jasper Morrison, Tom Dixon und Michael Marriott (der hier mitvertreten ist) durch die formale Bezugnahme auf Alltagsgegenstände und billige Materialien einst einen Trend setzten, da zeigen sich die Jüngeren radikaler. Tord Bootjes Stuhl kann per Faltplan zu Hause leicht nachgebaut werden. Der Fussboden von George Baldele wiederum lässt bei Abnutzung eine neue Farbe durchscheinen. Die Kehrseite solcher Leichtigkeit im Umgang mit Materialien sind die platten Schocktaktiken der Graphiker von Bump mit ihren leidlich provokativen Schimpfworten und obszönen Figuren. Etwas bemüht kommt auch der absichtlich schäbige Gesamteindruck der Präsentation daher - Kaufhausatmosphäre soll mittels herkömmlicher Punkstrategien um jeden Preis vermieden werden. Auch wenn die dabei angestrebte Subversivität etwas oberflächlich erscheint, ist «Stealing Beauty» anregend und mitunter sogar poetisch.

Jörn Ebner

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