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Gut Ding braucht nicht viel Geld
Spectrum

Kostengünstiges muss nicht billig aussehen. Trotz geringen Budgets gelangen den PPAG Architekten für ein Caritas-Wohnprojekt in Wien Räume, die mehr bieten als nur Unterschlupf.

15. Oktober 2016 - Franziska Leeb
Die Aufteilung in „Wohnbau für Flüchtlinge“ und „Wohnen für andere Menschen“ halte sie für eine unselige Trennung, betont die Architektin Anna Popelka, die mit Georg Poduschka das Büro PPAG Architekten in Wien führt. Es brauche generelle Aussagen, wie man vorgehen könne, um Wohnraum zu schaffen, der kostengünstig heutigen Lebensentwürfen und Bedürfnissen entspricht. „Wohnprojekt für eine Willkommenskultur für alle, die Menschen sind“ übertitelten PPAG daher ihren Vorschlag für eine modulare Neubaustruktur, die sie als hoch elastisch bezeichnen. Sie beruht auf dreiseitig um einen zentralen belichteten Raum angeordneten Minimalzimmern und ermöglicht es, Individualraum für mehr Bewohner als in gängigen Wohnungszuschnitten anzubieten.

Eine 65-Quadratmeter-Wohnung bestehtnach diesem System aus einem 27 Quadratmeter großen Wohnzimmer, um das acht Zimmer von jeweils 2,2 mal 2,2 Meter Grundfläche angeordnet sind. Zwei dieser Kammern nehmen Küche und Bad auf, die übrigen sechs sind Rückzugsräume zum Schlafen oder Arbeiten. Durch einfache Umbaumaßnahmen lassen sich Zimmer vergrößern und verkleinern, und generell lässt sich das System an den jeweiligen Ort in Ausdehnung und Höhe anpassen. Ähnlich provokant wie die Grundrisslösung ist auch die Idee, das Bausystem nicht irgendwo in peripheren Lagen, sondern mitten in der Stadt, aufgestelzt über Verkehrsflächen, Parkplätzen oder Grünstreifen, zu errichten. „Es ist weder egal, wie das aussieht, was jetzt in Massen und rasch hochgezogen wird, noch ist die Umsetzung inhaltlicher Qualität notgedrungen teurer“, sind PPAG überzeugt, die880 Euro netto pro Quadratmeter als Baukosten ermittelten.

Noch ist dieser aus eigenem Antrieb entstandene Vorschlag fernab jeder Realisierung. Was sie aber mit „elastisch“ meinen, und dass es sehr wohl möglich ist, um wenig Geld ansprechende Räume von hoher Alltagstauglichkeit und guter Grundstimmung zu schaffen, konnten sie nun bei einer Wohngemeinschaft der Caritas für junge Flüchtlinge in Wien zeigen. Die architektonische Strategie wäre aber ebenso für allerhand andere Wohnbedürfnisse temporärer oder längerfristiger Natur geeignet.

Eingerichtet wurde die WG in einem ehemaligen Tageszentrum für Senioren. Bei engem Zeit- und Kostenrahmen galt es, mit minimalen Eingriffen – im Wesentlichen durch Möblierung – drei betreute Wohngruppen für Kinder und Jugendliche unterzubringen. Materielle Extravaganzen waren nicht drin – was die PPAG Architekten (Projektleitung: Christian Wegerer) sich aber leisteten, waren eine profunde Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der künftigen Bewohner und der Einsatz von enorm viel Gehirnschmalz und Kreativität, um dem etwas trostlos wirkenden Bestand die bestmöglichen Konditionen für die neue Nutzung abzuringen. So wurden die Gänge mit Bänken, Nischen mit Arbeitsplätzen, Gemeinschaftsküche und Esstischen in eine großzügige Gemeinschaftszone verwandelt. Große Räume wurden zu Wohnzimmern, in denen gemeinsame Aktivitäten in kleineren und größeren Gruppen möglich sind; eines wurde mit einem blütenförmigen Podest ausgestattet, das Spiel-, Liegefläche oder eine Bühne sein kann. In einem anderen fügten sie Regale und Truhen aus Grobspanplatten (OSB-Platten) mit orangen Deckflächen zu einer Landschaft, die fantasievoll zu nutzen ist und zugleich viel Stauraum anbietet. Die kleineren Räume wurden in Einzel- oder Zweibettzimmer verwandelt. Kein Raum gleicht dem anderen, was den unterschiedlichen Bestandsgrundrissen zu schulden ist, viel mehr aber noch der Kreativität und Empathie der Architekten. Sie waren bestrebt, den von der Flucht traumatisierten jungen Menschen Rückzugsorte zu schaffen, die mehr sind als nur ein Dach über dem Kopf: Räume, die Aneignungspotenzial haben, flexible Nutzungsszenarien zulassen und wohnlich sind.

Als Baumaterial wählten PPAG eine Kombination aus verschiedenen Holzwerkstoffplatten: erstens, um der Eintönigkeit vorzubeugen, und zweitens, um für den jeweiligen Zweck das passende Material einzusetzen. OSB-Platten wurden vor allem für die Konstruktion der Betten und als partielle Wandverkleidungen eingesetzt. UnbehandelteMDF-Platten wurden für die Kästen verwendet, beschichtete Spanplatten für Tische und andere waagrechte, stärker beanspruchte Oberflächen. Dass diese spröden, preiswertenMaterialien nicht billig wirken, gewährleisten die sorgfältige Ausführung und die Raffinesse, mit der die einzelnen Komponenten zu überraschenden Räumen im Raum gefügt wurden.

Um auch in Zweibettzimmern Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen, wurden in Räumen, in denen die Tür in der Mittelachse liegt, Bett-Schrank-Kombinationen in der Raummitte angeordnet und so verschränkt, dass Schlafhöhlen entstehen, die in entgegengesetzten Richtungen offen sind. Die entlang der Fensterfronten durchlaufenden Schreibtischplatten und schmale Durchgänge an den Stirnseiten verbinden die Zimmerhälften; Schiebetüren oder Vorhänge gestatten es, den Grad der individuellen Abschottung zu regulieren. In anderen Räumen wurden große farbige Podeste eingebaut, die der Vorliebe jüngerer Kinder, auf dem Boden zu spielen, entgegenkommen. Ein anderes Mal sind in einem recht verwinkelten Zimmer die Betten hintereinander angeordnet, aber durch ein von zwei Seiten zugängliches Regal getrennt, und zusätzlich ist eine Hochebene als Rückzugsecke eingefügt. „Kalkulierte Zufälligkeiten“ nennt Anna Popelka dievariantenreichen Möbelstellungen.

Einen wesentlichen Beitrag zur Wohnlichkeit leisten in allen Räumen die Vorhänge, die in der Kreativwerksatt ReStart, einem Beschäftigungsprojekt der Caritas, genäht wurden. Die verschiedenen abstrakten Ornamente hat der Künstler Stefan Nessmann für die stoffbezogene Version der Enzis entworfen, die PPAG ursprünglich als Möblierung für das Wiener Museumsquartier entwickelt hatten. Die abstrakten Muster sorgen nicht nur für eine heitere Grundstimmung, sie regen auch an, die Fantasie spielen zu lassen, sich in das Ornament „hineinzuträumen“, wie es die Architekten formulieren. Traumhaft ist die Situation für die jungen Bewohner, die hier fernab von Heimat und Eltern einen Platz zum Wohnen gefunden haben, trotzdem nicht. Aber es bleibt die Hoffnung, dass ihnen Räume wie diese das Ankommen in unserer Gesellschaft erleichtern.

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